Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

Sozialrechtliche Abteilungen U 248/2006
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Prozess {T 7}
U 248/06

Urteil vom 6. September 2006
III. Kammer

Präsident Ferrari, Bundesrichter Meyer und Seiler; Gerichtsschreiber
Flückiger

R.________, 1970, Beschwerdeführerin, vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Bruno
Häfliger, Schwanenplatz 7, 6004 Luzern,

gegen

Schweizerische Unfallversicherungsanstalt (SUVA), Fluhmattstrasse 1, 6004
Luzern, Beschwerdegegnerin

Verwaltungsgericht des Kantons Luzern, Luzern

(Entscheid vom 24. April 2006)

Sachverhalt:

A.
R. ________ war als Bezügerin von Taggeldern der obligatorischen
Arbeitslosenversicherung bei der Schweizerischen
Unfallversicherungsgesellschaft (SUVA) obligatorisch unfallversichert, als
sie am 23. April 2003 auf dem Fussgängerstreifen von einem Auto angefahren
wurde. Bei diesem Vorfall zog sich R.________ gemäss Polizeirapport vom 28.
April 2003 eine schwere Hirnerschütterung und Prellungen an der linken
Körperseite zu. Die SUVA erbrachte Leistungen in Form von Heilbehandlung und
Taggeldern. Zudem veranlasste sie medizinische Abklärungen. Anschliessend
stellte die Anstalt mit Verfügung vom 13. Januar 2005 und Einspracheentscheid
vom 30. März 2005 ihre Leistungen auf den 31. Januar 2005 ein.

B.
Die dagegen erhobene Beschwerde wies das Verwaltungsgericht des Kantons
Luzern in der Besetzung Verwaltungsrichter X.________, Verwaltungsrichter
Y.________, Fachrichter Z.________ und Gerichtsschreiberin A.________ ab
(Entscheid vom 24. April 2006).

C.
R.________ lässt Verwaltungsgerichtsbeschwerde führen mit dem Antrag, es sei
vorfrageweise die Befangenheit von Fachrichter Dr. Z.________ festzustellen
und der kantonale Entscheid aufzuheben sowie es sei die SUVA zu verpflichten,
über den 31. Januar 2005 hinaus die gesetzlichen Leistungen für das
Unfallereignis vom 23. April 2003 zu erbringen. Ferner wird um unentgeltliche
Rechtspflege und Verbeiständung ersucht.

Die SUVA schliesst auf Abweisung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde. Das
Verwaltungsgericht des Kantons Luzern stellt in materieller Hinsicht
denselben Antrag und enthält sich - unter Beilage einer Stellungnahme von
Fachrichter Z.________ vom 24. Mai 2006 - eines Antrags bezüglich der
Befangenheitsrüge. Das Bundesamt für Gesundheit verzichtet auf eine
Vernehmlassung.

Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:

1.
In erster Linie streitig ist die gerügte Befangenheit von Fachrichter
Dr. med. Z.________, der am angefochtenen Entscheid vom 24. April 2006
mitgewirkt hat.

2.
2.1 Wie das Eidgenössische Versicherungsgericht in seiner neueren
Rechtsprechung festgehalten hat, lässt der Umstand allein, dass ein
medizinischer Fachrichter ausserhalb seiner richterlichen Funktion als
beratender Arzt einer Versicherungsgesellschaft tätig ist, ihn in
Beschwerdeverfahren, welche andere Versicherer betreffen, nicht als befangen
erscheinen. Anders wäre nur dann zu entscheiden, wenn der Fachrichter als
Interessenvertreter der Versicherungsbranche angesehen werden müsste (Urteil
M. vom 26. Mai 2006, U 305/05, Erw. 5.2 und 5.3). Falls der zu fällende
Gerichtsentscheid in der konkreten Konstellation allenfalls die Interessen
eines beratenen Versicherers indirekt tangieren könnte, ist dieser Umstand
ausstandsrechtlich irrelevant, wenn er aus den Akten nicht hervorgeht und der
Fachrichter davon keine Kenntnis hat. Denn die Besorgnis der Einwirkung
sachfremder Umstände kann nur auf Tatsachen gründen, die der betroffenen
Gerichtsperson bekannt sind. Da die Befangenheit ein innerer Zustand ist,
kann eine Gerichtsperson nicht aus einem Umstand heraus befangen sein, von
dem sie nichts weiss (Urteil W. vom 26. Mai 2006, U 326/05, Erw. 1.7). Der
Ausstandsgrund ist geltend zu machen, sobald die sich darauf berufende Partei
Kenntnis von den Umständen, welche allenfalls eine Befangenheit begründen
könnten, sowie von der Besetzung des Gerichts erhält (Urteil Z. vom 26. Mai
2006, U 303/05, Erw. 4.5, mit Hinweis auf BGE 124 I 123 Erw. 2, 114 V 62 Erw.
2b). Erforderlich ist ferner, dass der Gerichtsperson vorgeworfen wird, sie
sei konkret befangen (Urteil U. vom 23. Juni 2006, U 304/05, Erw. 1.2).
2.2 Die Beschwerdeführerin und ihr Vertreter erfuhren erst mit der Zustellung
des kantonalen Entscheids, dass Fachrichter Z.________ daran mitgewirkt
hatte. Die Rüge der Befangenheit ist daher rechtzeitig erhoben. Auch
inhaltlich werden die entsprechenden Vorbringen in einer den praxisgemässen
Anforderungen genügenden Weise substanziiert.

2.3 Fachrichter Dr. med. Z.________ ist ausserhalb seiner richterlichen
Funktion unter anderem als beratender Arzt der Versicherungs-Gesellschaft
B.________ tätig. Die Versicherungs-Gesellschaft B.________ teilte der SUVA
durch ein Schreiben vom 17. Mai 2005 mit, sie befasse sich mit dem Ereignis
vom 23. April 2003 und der daraus resultierenden Arbeitsunfähigkeit als
Krankentaggeldversicherer. Das Schreiben befindet sich bei den Akten, welche
dem kantonalen Gericht vorlagen. Der vorinstanzlichen Vernehmlassung vom 30.
Mai 2006 ist zu entnehmen, dass dieses Aktenstück bei der Festlegung der
Zusammensetzung des Gerichts übersehen wurde; andernfalls wäre Fachrichter
Z.________ nicht zum Einsatz gelangt. Fachrichter Z.________ seinerseits
erklärt in der Stellungnahme vom 24. Mai 2006, er wäre in Ausstand getreten,
wenn er um die Stellung der Versicherungs-Gesellschaft B.________ gewusst
hätte. Er habe jedoch von diesem Umstand keine Kenntnis gehabt, weil er das
Schreiben vom 17. Mai 2005 übersehen habe. Der Bezug zur
Versicherungs-Gesellschaft B.________ habe, da ihm nicht bekannt, im Rahmen
seiner Entscheidfindung als Richter keine Rolle spielen können. Er sei daher
weder subjektiv noch objektiv befangen gewesen.

2.4 Wie das Eidgenössische Versicherungsgericht im bereits zitierten Urteil
W. vom 26. Mai 2006 (U 326/05) entschieden hat, kann die Besorgnis der
Einwirkung sachfremder Umstände nur auf Tatsachen gründen, die der
betroffenen Gerichtsperson bekannt sind. Daraus lässt sich jedoch nicht
ableiten, die Tatsache, dass Fachrichter Z.________, wie er glaubwürdig
darlegt, die aus den Akten ersichtliche indirekte Beteiligung der
Versicherungs-Gesellschaft B.________ nicht zur Kenntnis genommen hat,
schliesse seine Befangenheit aus. Denn der subjektiven Kenntnis im Sinne des
zitierten Urteils ist die objektive Erkennbarkeit der fraglichen Tatsache aus
den dem Gericht vorliegenden Akten gleichzusetzen. Die Beurteilung einer
Befangenheitsrüge kann nicht davon abhängig gemacht werden, ob der
betreffende (Fach-)Richter das Dossier vollständig zur Kenntnis nimmt oder
nicht. Da sich der zum Ausstand führende Gesichtspunkt hier aus den Akten
entnehmen lässt, auf welche das kantonale Gericht sein Urteil gründete,
dringt die Rüge der Befangenheit durch.

3.
Damit ist die Sache zur Neuentscheidung in bundesrechtskonformer Besetzung an
das kantonale Gericht zurückzuweisen, dies ohne Berücksichtigung der
materiellen Erfolgsaussichten in der Hauptsache.

4.
Das Verfahren ist kostenlos (Art. 134 Satz 1 OG). Die prozessual obsiegende
Beschwerdeführerin hat Anspruch auf eine Parteientschädigung zu Lasten der
SUVA (Art. 159 Abs. 2 in Verbindung mit Art. 135 OG). Damit wird das Gesuch
um unentgeltliche Rechtspflege und Verbeiständung gegenstandslos.

Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht:

1.
In Gutheissung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird der Entscheid des
Verwaltungsgerichts des Kantons Luzern, Sozialversicherungsrechtliche
Abteilung, vom 24. April 2006 aufgehoben und die Sache an die Vorinstanz
zurückgewiesen, damit sie im Sinne der Erwägungen in neuer Besetzung über die
Beschwerde gegen den Einspracheentscheid vom 30. März 2005 neu entscheide.

2.
Es werden keine Gerichtskosten erhoben.

3.
Die Beschwerdegegnerin hat der Beschwerdeführerin für das Verfahren vor dem
Eidgenössischen Versicherungsgericht eine Parteientschädigung von Fr. 1500.-
(einschliesslich Mehrwertsteuer) zu bezahlen.

4.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Verwaltungsgericht des Kantons Luzern,
Sozialversicherungsrechtliche Abteilung, und dem Bundesamt für Gesundheit
zugestellt.

Luzern, 6. September 2006

Im Namen des Eidgenössischen Versicherungsgerichts

Der Präsident der III. Kammer: Der Gerichtsschreiber: