Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

Sozialrechtliche Abteilungen U 244/2006
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Prozess {T 7}
U 244/06

Urteil vom 18. Oktober 2006
III. Kammer

Präsident Ferrari, Bundesrichter Lustenberger und Seiler; Gerichtsschreiberin
Heine

K.________, 1946, Beschwerdeführer, vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Konrad
Bünzli, Bahnhofstrasse 15, 5600 Lenzburg,

gegen

Winterthur Versicherungen, General Guisan-Strasse 40, 8400 Winterthur,
Beschwerdegegnerin, vertreten durch Rechtsanwältin Dr. Kathrin Hässig,
Anwaltsbüro Lätsch + Hässig, Joweid Zentrum 1, 8630 Rüti

Versicherungsgericht des Kantons Solothurn, Solothurn

(Entscheid vom 21. März 2006)

Sachverhalt:

A.
Mit Verfügung vom 24. Mai 2004 lehnte es die Winterthur Versicherung
(nachfolgend: Winterthur) ab, K.________, geb. 1946, über den 31. Mai 2003
hinaus Leistungen der obligatorischen Unfallversicherung aus dem am 23. Mai
2002 erlittenen Sturz auf einer Treppe zu erbringen, weil keine Unfallfolgen
mehr vorlägen. Auf Einsprache des Versicherten hin bestätigte die Winterthur
ihren Standpunkt (Einspracheentscheid vom 15. November 2004).

B.
Die dagegen erhobene Beschwerde wies das Versicherungsgericht des Kantons
Solothurn ab (Entscheid vom 21. März 2006).

C.
K.________ lässt Verwaltungsgerichtsbeschwerde führen und das Rechtsbegehren
stellen, die Winterthur sei, in Aufhebung des kantonalen Gerichtsentscheids
und des Einspracheentscheids, zu verpflichten, ihm ab dem 1. Juni 2003 die
gesetzlichen Leistungen weiterhin zu erbringen; eventuell seien ergänzende
Abklärungen vorzunehmen.

Die Winterthur beantragt Abweisung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde, während
das Bundesamt für Sozialversicherungen auf Vernehmlassung verzichtet.

Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:

1.
Das kantonale Gericht hat die gesetzliche Bestimmung über den Anspruch auf
Leistungen der obligatorischen Unfallversicherung (Art. 6 Abs. 1 UVG) sowie
die Grundsätze zu dem für die Leistungspflicht des Unfallversicheres
vorausgesetzten natürlichen Kausalzusammenhang (BGE 129 V 181 Erw. 3.1, 406
Erw. 4.3.1, 119 V 337 Erw. 1) und zum Beweiswert ärztlicher Berichte und
Gutachten  (BGE 125 V 352 Erw. 3a) zutreffend wiedergegeben. Darauf wird
verwiesen.

2.
Wird durch einen Unfall ein krankhafter Vorzustand verschlimmert oder
überhaupt erst manifest, entfällt die Leistungspflicht des Unfallversicherers
erst, wenn der Unfall nicht die natürliche und adäquate Ursache des
Gesundheitsschadens darstellt, wenn also Letzterer nur noch und
ausschliesslich auf unfallfremden Ursachen beruht. Dies trifft dann zu, wenn
entweder der (krankhafte) Gesundheitszustand, wie er unmittelbar vor dem
Unfall bestanden hat (Status quo ante), oder aber derjenige Zustand, wie er
sich nach dem schicksalsmässigen Verlauf eines krankhaften Vorzustandes auch
ohne Unfall früher oder später eingestellt hätte (Status quo sine), erreicht
ist (RKUV 1994 Nr. U 206 S. 328 Erw. 3b, 1992 Nr. U 142 S. 75 Erw. 4b, je mit
Hinweisen). Ebenso wie der leistungsbegründende natürliche Kausalzusammenhang
muss das Dahinfallen jeder kausalen Bedeutung von unfallbedingten Ursachen
eines Gesundheitsschadens mit dem im Sozialversicherungsrecht allgemein
üblichen Beweisgrad der überwiegenden Wahrscheinlichkeit nachgewiesen sein.
Die blosse Möglichkeit nunmehr gänzlich fehlender ursächlicher Auswirkungen
des Unfalles genügt nicht. Da es sich hierbei um eine anspruchsaufhebende
Tatfrage handelt, liegt die Beweislast - anders als bei der Frage, ob ein
leistungsbegründender natürlicher Kausalzusammenhang gegeben ist - nicht bei
der versicherten Person, sondern beim Unfallversicherer (RKUV 2000 Nr. U 363
S. 46 Erw. 2, 1994 Nr. U 206 S. 329 Erw. 3b, 1992 Nr. U 142 S. 76 Erw. 4b).
Der Beweis des Wegfalls des natürlichen Kausalzusammenhangs muss nicht durch
den Nachweis unfallfremder Ursachen erbracht werden. Ebenso wenig geht es
darum, vom Unfallversicherer den negativen Beweis zu verlangen, dass kein
Gesundheitsschaden mehr vorliege oder die versicherte Person nun bei voller
Gesundheit sei. Entscheidend ist allein, ob unfallbedingte Ursachen des
Gesundheitsschadens ihre kausale Bedeutung verloren haben, also dahingefallen
sind (Urteil L. vom 25. Oktober 2002, U 143/02, Erw. 3.2).

3.
Streitig und zu prüfen ist, ob für die Zeit über den 31. Mai 2003 hinaus ein
behandlungsbedürftiger und/oder zu Arbeitsunfähigkeit führender
Gesundheitsschaden auszumachen ist, welcher in natürlich kausaler Weise auf
den versicherten Unfall vom 23. Mai 2002 (Sturz auf Treppe) zurückzuführen
ist. Im Zentrum steht dabei die rechtliche Beurteilung der von den
beteiligten Ärzten diagnostizierten Rücken-, Nacken- und
Schultergürtelbeschwerden sowie neurologische oder neuropsychologische
Defizite  (insbesondere die Berichte des Dr. med. H.________, Oberarzt
Orthopädie an der Klinik X.________, vom 20. August 2003, vom 3. März und vom
21. Dezember 2004 sowie das Gutachten des Dr. med. T.________, Facharzt für
physikalische Medizin und Rehabilitation/Rheumatologie, Medizinisches
Zentrum, vom 25. November 2003).

3.1 Laut angefochtenem Entscheid sind sich die beteiligten Mediziner
hinsichtlich der somatischen Befunde weitgehend einig. Demnach hat der
Beschwerdeführer ein chronisches lumbospondylogenes Syndrom rechts mit
radikulärer Teilsymptomatik S1 rechts, ein chronisches cervico-spondylogenes
Syndrom, eine Humeruskopfnekrose links und Totalprothesen beider Hüftgelenke.
Mit Blick auf die divergierenden Kausalitätsbeurteilungen in den
medizinischen Akten würdigte die Vorinstanz diese und folgerte, dass dem
Gutachten des Dr. med. T.________, da bezüglich der streitigen Belange
umfassend, auf allseitigen Untersuchungen basierend, die geklagten
Beschwerden berücksichtigend und in der medizinischen Beurteilung
einleuchtend, voller Beweiswert zuzusprechen sei. Auch die Ausführungen der
Dres. med. W.________ und A.________ seien hinsichtlich der Erkenntnis
überzeugend, dass durch den Sturz ein schwerer degenerativer Vorzustand zwar
vorübergehend traumatisch verschlimmert worden sei, dieses Trauma jedoch
nicht geeignet sei, die bereits vorbestehende Instabilität zu verschlimmern.
Hingegen seien die Berichte des Dr. med. H.________ äusserst kurz und die
Schlussfolgerungen seien kaum begründet. Das kantonale Gericht stellte ferner
fest, dass Anzeichen für neurologische oder neuropsychologische Defizite
nicht gegeben seien, weshalb gesamthaft von einem Status quo sine ab 31. Mai
2003 auszugehen sei.

3.2 Der Beschwerdeführer behauptet, dass der Bericht des Dr. med. T.________
unvollständig und die darin enthaltenen Schlussfolgerungen ungenügend seien,
weshalb nicht mit überwiegender Wahrscheinlichkeit belegt sei, dass die
Beeinträchtigung der Schulter nicht zumindest teilursächlich eine Unfallfolge
darstellen würde. Die Folgerungen des Dr. med. H.________man bezüglich der
Frage der Humeruskopfnekrose seien demgegenüber logisch und widerspruchsfrei.
Den Stellungnahmen der Dres. med. A.________ und W.________ wird ein
Beweiswert abgesprochen, weil weder Befund noch medizinischer Sachverhalt
lückenlos seien. Insgesamt war gemäss Beschwerdeführer der Status quo sine am
31. Mai 2003 noch nicht erreicht. Hinsichtlich der neurologischen oder
neuropsychologischen Defizite sei eine interdisziplinäre Begutachtung
angezeigt.

3.3 Dr. med. H.________ hatte im Konsultationsbericht vom 20. August 2003
noch eine Humeruskopfnekrose und eine Lendenwirbelsäulen-Traumatisierung,
biomechanisch relevante Instabilität sowie eine Schulterkontusion
diagnostiziert. Obwohl er festhält, dass die Ursache der Humeruskopfnekrose
unklar sei, bestätigte er, dass die Ursachen sowohl für eine
Humeruskopfnekrose wie auch für eine Femurkopfnekrose ähnlich gelagert seien.
So räumte er ein, dass möglicherweise eine Humeruskopfnekrose asymptomatisch
bestanden habe und durch den Sturz lediglich traumatisiert worden sei, zumal
beim Versicherten von einer langen Leidensgeschichte seitens seines
Stützskelettes auszugehen sei. Im Bericht vom 3. März 2004 stellte er nur die
Humeruskopfnekrose mit Einbruch der Kalotte links und einer stummen
sektoriellen Humeruskopfnekrose rechts, welche explizit als asymptomatisch
bezeichnet wurde, fest. Für die beidseitigen Humeruskopfnekrosen sei die
Tauchererkrankung die wahrscheinliche Ursache, wobei es durch den Sturz zu
einem Einbruch der linksseitigen Nekrosezone gekommen sei. Erst im
Konsultationsbericht vom 21. Dezember 2004 erwähnte Dr. med. H.________
wieder die Rückenprobleme, hielt in der Diagnose neben der Humeruskopfnekrose
jedoch auch das Stigma nach dem Dekompressionstrauma fest. In Anbetracht
dieser Konsultationsberichte ist es nicht möglich, Schlussfolgerungen
bezüglich der Ursache für die Humeruskopfnekrose zu ziehen; auch eine
Unfallkausalität findet keine genügende Stütze. Nur im zweiten Bericht vom
3. März 2004 hält Dr. med. H.________ fest, dass der Sturz richtungsweisend
für die Symptomatik und Verschlechterung des Gesamtzustandes der Schulter
gewesen sei, während er noch anlässlich der ersten Konsultation (Bericht vom
20. August 2003) wegen der langen Leidensgeschichte des Stützskelettes des
Versicherten sogar eine Parallelität zwischen der Humeruskopfnekrose und der
Femurkopfnekrose zieht. Aber auch die Tauchererkrankung wird als mögliche
Ursache genannt, so dass entgegen den Behauptungen des Beschwerdeführers die
Ursachenforschung weder logisch noch widerspruchsfrei ist, weshalb auf die
Verlaufsberichte des Dr. med. H.________ nicht abgestellt werden kann.
Beim Gutachten des Dr. med. T.________ handelt es sich um ein umfassendes
Administrativgutachten, das im Auftrag der Winterthur erfolgte. Grundsätzlich
ist einem Gutachten externer Spezialärzte, welches auf Grund von eingehenden
Beobachtungen und Untersuchungen sowie nach Einsicht in die Akten Bericht
erstattet und bei der Erörterung der Befunde zu schlüssigen Ergebnissen
gelangt, volle Beweiskraft anzuerkennen (BGE 125 V 353 Erw. 3b/bb). So wurde
entgegen der Auffassung des Beschwerdeführers die Aktenlage, ausgehend von
der Unfallmeldung vom 28. Mai 2002 bis hin zu den verschiedenen medizinischen
Unterlagen, soweit für die Beurteilung des vorliegenden Falles erforderlich,
vollständig aufgearbeitet. Die anschliessende Anamnese unterteilt sich in
persönliche und Arbeitsanamnese sowie in die jetzigen Leiden und steht im
Einklang zu den Akten. Die aktuellen Beschwerden und Befunde werden
ausführlich beschrieben. Die daraus resultierende Diagnose wie auch die
Beurteilung basiert demnach auf einer allseitigen und objektiv durchgeführten
Begutachtung. Mit der Vorinstanz ist deshalb auf die Beurteilung im Gutachten
des Dr. med. T.________ abzustellen, wonach der Sturz eine traumatische
Verschlimmerung des bereits vor dem Ereignis schweren degenerativen Zustandes
auslöste, jedoch bezüglich der lumbalen Beschwerden spätestens nach einem
Jahr (am 31. Mai 2003) der Status quo sine erreicht war. Hinsichtlich der
Nacken- und Schultergürtelbeschwerden sowie der linken Schulter
(einschliesslich der Humeruskopfnekrose) sind nach Einschätzung des Dr. med.
T.________ die Traumafolgen nur vorübergehender Natur und keineswegs
richtungsweisend gewesen. Dass die Humeruskopfnekrose eine Erkrankung ist,
wie auch die spontanen Nekrosen der beiden Hüftköpfe, wurde auch durch
Dr. med. H.________ in Betracht gezogen (vgl. den Bericht vom 20. August
2003). Die unfallkausalen Anteile des Beschwerdebildes seien sodann
vorübergehend und der Status quo sine auch hier per 31. Mai 2003 erreicht.
Demnach ist überwiegend wahrscheinlich, dass gesamthaft die degenerativen
Vorzustände durch den Sturz zwar vorübergehend traumatisch verschlimmert
wurden, dieser sich aber nicht auf die bereits bestehende Instabilität
richtungsweisend ausgewirkt hat, weshalb ab 31. Mai 2003 von einem Status quo
sine auszugehen ist. Die neurologischen oder neuropsychologischen Defizite
wurden zwar in den aktuellen Beschwerden (Ziff. 3 S. 7 im Bericht des Dr.
med. T.________ vom 25. November 2003) behandelt, jedoch besteht kein Hinweis
auf eine Unfallkausalität. Von weiteren medizinischen Abklärungen kann
deshalb in antizipierter Beweiswürdigung (BGE 122 V 162 Erw. 1d; SVR 2005 MV
Nr. 1 S. 2 Erw. 2.3 mit  Hinweisen) abgesehen werden, so dass mit der
Vorinstanz der Unfall nicht mehr die natürliche Ursache des
Gesundheitsschadens darstellt, Letzterer sodann nur noch und ausschliesslich
auf unfallfremden Ursachen beruht. Die - vorinstanzlich bestätigte -
Leistungseinstellung auf den 31. Mai 2003 erfolgte demnach zu Recht.

Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht:

1.
Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird abgewiesen.

2.
Es werden keine Gerichtskosten erhoben.

3.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Versicherungsgericht des Kantons
Solothurn und dem Bundesamt für Gesundheit zugestellt.

Luzern, 18. Oktober 2006

Im Namen des Eidgenössischen Versicherungsgerichts

Der Präsident der III. Kammer: Die Gerichtsschreiberin: