Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

Sozialrechtliche Abteilungen U 242/2006
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Prozess {T 7}
U 242/06

Urteil vom 18. September 2006
IV. Kammer

Präsident Ursprung, Bundesrichter Schön und Frésard; Gerichtsschreiber Wey

S.________, Beschwerdeführer, vertreten durch Rechtsanwalt Michael Ausfeld,
Weinbergstrasse 18, 8001 Zürich,

gegen

"Zürich" Versicherungs-Gesellschaft, Talackerstrasse 1, 8152 Opfikon,
Beschwerdegegnerin

Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich, Winterthur

(Entscheid vom 22. März 2006)

Sachverhalt:

A.
Der 1962 geborene S.________ war seit November 2000 bei der Firma X.________
(Schweiz) AG als Key-Account Manager angestellt und bei der "Zürich"
Versicherungs-Gesellschaft (nachfolgend "Zürich") obligatorisch gegen
Unfallfolgen versichert. Am 11. Januar 2001 erlitt der Versicherte einen
Unfall: Als er nach der Mittagspause auf dem Weg zur Arbeit einer von rechts
auf die Fahrbahn springenden Katze auswich, verlor er die Beherrschung über
das Fahrzeug und kollidierte frontal mit einem Baum. Gemäss Unfallanalyse der
"Zürich" vom 25. Februar 2003 betrug die Geschwindigkeit bei der Kollision
noch rund 20 bis 25 h/km. Der Versicherte wurde gleichentags vom Spital
Y.________, Chirurgische Klinik, ambulant behandelt. Dabei wurde eine
Thoraxkontusion, eine Commotio cerebri sowie ein Distorsionstrauma der
Halswirbelsäule diagnostiziert und "Schonung für weitere 3 Tage" empfohlen.
In der Folge ging der Versicherte keiner Erwerbstätigkeit mehr nach. Die
Arbeitgeberfirma kündigte ihm aus wirtschaftlichen Gründen auf den 31. Mai
2001. Die "Zürich" richtete Taggelder aus und übernahm die Heilbehandlung.
Gestützt auf das polydisziplinäre Gutachten des Zentrums V.________ vom
25. November 2003 stellte die "Zürich" mit Verfügung vom 7. Mai 2004,
bestätigt mit Einspracheentscheid vom 17. März 2005, die Taggelder per
31. Dezember 2003 und die Heilbehandlung per 31. Mai 2004 ein, weil der
adäquate Kausalzusammenhang zwischen Unfallereignis und den noch vorhandenen
gesundheitlichen Beschwerden verneint werden müsse.

B.
Das Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich wies die gegen den
Einspracheentscheid erhobene Beschwerde mit Entscheid vom 22. März 2006 ab.

C.
S.________ führt Verwaltungsgerichtsbeschwerde mit dem Antrag, es sei die
Sache an die "Zürich" zurückzuweisen "zwecks Festsetzung sämtlicher
versicherten Leistungen gemäss UVG".
Während die "Zürich" auf Abweisung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde
schliesst, verzichtet das Bundesamt für Gesundheit auf eine Vernehmlassung.

Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:

1.
Unter sämtlichen Verfahrensbeteiligten ist zu Recht unbestritten, dass im
vorliegenden Fall der für die Leistungspflicht des Unfallversicherers
zunächst vorausgesetzte natürliche Kausalzusammenhang (BGE 129 V 181
Erw. 3.1, 406 Erw. 4.3.1, je mit Hinweisen) zwischen dem am 11. Januar 2001
erlittenen Verkehrsunfall und den über den 31. Dezember 2003 hinaus
anhaltenden Beschwerden des Versicherten mit überwiegender Wahrscheinlichkeit
zumindest im Sinne einer Teilkausalität gegeben ist. Zu beurteilen bleibt die
Adäquanz des Kausalzusammenhangs.

2.
Die Vorinstanz hat im angefochtenen Entscheid die Rechtsprechung zum für die
Leistungspflicht des Unfallversicherers vorausgesetzten adäquaten
Kausalzusammenhang zwischen einem Unfall mit Schleudertrauma der
Halswirbelsäule ohne organisch nachweisbare Funktionsausfälle und den hernach
andauernden Beschwerden mit Einschränkung der Arbeits- und Erwerbsfähigkeit
(BGE 117 V 359) zutreffend wiedergegeben. Das kantonale Gericht hat überdies
richtig dargelegt, dass die Beurteilung der Adäquanz in denjenigen Fällen, in
welchen die zum typischen Beschwerdebild eines Schleudertraumas der
Halswirbelsäule gehörenden Beeinträchtigungen zwar teilweise gegeben sind, im
Vergleich zur vorliegenden ausgeprägten psychischen Problematik aber ganz in
den Hintergrund treten (wenn also die schleudertraumaspezifischen Beschwerden
im Verlauf der Entwicklung vom Unfall bis zum Beurteilungszeitpunkt
gesamthaft nur eine sehr untergeordnete Rolle gespielt haben), nach der für
psychische Fehlentwicklungen nach Unfällen geltenden Rechtsprechung (BGE 115
V 133) vorzunehmen ist (BGE 127 V 103 Erw. 5b/bb, 123 V 99 Erw. 2a mit
Hinweisen; RKUV 2002 Nr. U 465 S. 437).

2.1 Der Versicherte wurde noch am Unfalltag vom Spital Y.________ ambulant
behandelt. Dieses diagnostizierte gemäss Bericht vom 12. Januar 2001 eine
Thoraxkontusion, eine Commotio cerebri sowie ein Distorsionstrauma der
Halswirbelsäule. Von seinem Hausarzt wurde der Beschwerdeführer an Dr.
A.________, Facharzt für Neurologie,  verwiesen, der ein zervikales sowie ein
zervikobrachiales Schmerzsyndrom rechts bei Status nach Verkehrsunfall am
11. Januar 2001, Kopfschmerzen und Schwankschwindel-Beschwerden
multifaktorieller Genese sowie ein vermutlich allergisches Asthma bronchiale
feststellte. Bereits in diesem frühen Zeitpunkt (d.h. rund drei Monate nach
dem Unfallereignis) bestanden Hinweise auf eine psychische Problematik,
deutete doch der Neurologe die Kopfschmerzen und Schwankschwindelbeschwerden
"im Rahmen von funktionellen Kopfschmerzen". Auch die "kurze Abwesenheit" des
Beschwerdeführers während des Gesprächs beurteilte Dr. A.________ "zunächst
als psychogen". Anlässlich des Aufenthalts des Beschwerdeführers in der
Rehaklinik Z.________ (vom 13. September 2001 bis am 11. Oktober 2001)
stellten die Ärzte folgende Diagnosen: Stand nach Halswirbelsäulen-Distorsion
und leichter traumatischer Hirnverletzung (amnestische Lücke) am 11. Januar
2001 mit konsekutiv zervikozephalem Syndrom, vegetativer Dysregulation,
neuropsychologischen Funktionsstörungen sowie einer Anpassungsstörung
(Bericht vom 16. Oktober 2001). Dabei weist der Bericht insbesondere auf den
frühen Verlust der Arbeitsstelle, der sich auf den posttraumatischen Verlauf
komplizierend ausgewirkt habe, sowie auf weitere psychosoziale
Belastungsfaktoren hin. Die Anpassungsstörung wurde aufgrund einer
"verminderten Copingfähigkeit mit verstärkter Symptomausprägung und anhaltend
verminderter Belastbarkeit trotz vollständiger Arbeitsentlastung"
diagnostiziert; die Ausprägung der neuropsychologischen Funktionsstörung
liesse sich nur im Rahmen dieser Anpassungsstörung erklären. Die
psychologische Betreuerin, lic. phil. T.________, beobachtete während des
Klinikaufenthalts, dass der Beschwerdeführer mit multiplen psychosozialen
Belastungsfaktoren auf die Schmerzen fixiert sei und hielt denn auch eine
ambulant weitergeführte psychotherapeutische Therapie für "dringend
indiziert". In die gleiche Richtung zielt das Gutachten des Zentrums
V.________ vom 25. November 2003, wonach die angegebenen Beschwerden
("Kopfbeschwerden mit einem als Druck von aussen, wie durch einen zu engen
Helm und einen zugeschnürten Gurt, erlebten Schmerz sowie ein Innendruck des
Kopfes mit Ausstrahlung dieser Kopfschmerzen in den Nacken, ein Pfeifen im
rechten Ohr, eine Licht- und Lärmempfindlichkeit sowie Konzentrations- und
Gedächtnisstörungen") psychischen Ursprungs (kombinierte
Persönlichkeitsstörung, Entwicklung körperlicher Symptome aus psychischen
Gründen) seien. Organisch könne lediglich ein minimaler muskulärer Hartspann
im Bereich der Halswirbelsäule festgestellt werden. Aufgrund dieser Umstände
lässt sich ersehen, wie die Vorinstanz richtig erkannt hat, dass die
physischen Beschwerden im Verlaufe der Entwicklung vom Unfall (11. Januar
2001) bis zum Beurteilungszeitpunkt (Einstellung der Taggelder auf den
31. Dezember 2003 bzw. Einspracheentscheid vom 17. März 2005) nur eine sehr
untergeordnete Rolle gespielt haben. Sämtliche in der
Verwaltungsgerichtsbeschwerde erhobenen Einwendungen vermögen, soweit sie
nicht bereits im angefochtenen Entscheid mit zutreffender Begründung
widerlegt worden sind, an dieser Betrachtungsweise nichts zu ändern.
Insbesondere ist weder auf den Bericht von Dr. H.________, Facharzt für
Psychiatrie und Psychotherapie, vom 27. Dezember 2003 noch auf das Gutachten
des Psychiaters PD Dr. C.________ vom 9. Dezember 2004 abzustellen. Dr.
H.________ Bericht ist nicht schlüssig, sondern widersprüchlich: So hält er
einerseits fest, "dass die Diagnose einer Persönlichkeitsstörung bei der
vorliegenden Datenlage [...] nicht gestellt werden kann", schliesst
andererseits "Persönlichkeitsänderungen" oder "andere psychoreaktive
Prozesse" beim Versicherten aber dennoch nicht aus. Das Gutachten von PD
Dr. C.________ wendet sich namentlich gegen die Einschätzung des Zentrums
V.________, wonach die "extrem schwachen" Ergebnisse der neuropsycholgischen
Untersuchungen "mit praktischer Sicherheit [...] vorwiegend psychogen"
bedingt seien. Im Gegensatz zu den Ausführungen des Zentrums V.________
vermögen indessen diejenigen von PD Dr. C.________ die schlechten Resultate
nicht nachvollziehbar zu erklären. Zudem steht er mit seiner Einschätzung
auch im Widerspruch zur vorne dargelegten Beurteilung der Rehabilitätsklinik
Z.________. Weitere medizinische Abklärungen erübrigen sich, weil keine
relevanten neuen Erkenntnisse zu erwarten wären.

2.2 Nach dem Gesagten ist die Adäquanz nach Massgabe der in BGE 115 V 138
Erw. 6 und 407 Erw. 5 entwickelten und seither ständig angewandten
Rechtsprechung des Eidgenössischen Versicherungsgerichts (BGE 129 V 183 Erw.
4.1) zu beurteilen, d.h. mit der Differenzierung zwischen physischen und
psychischen Komponenten der unfallbezogenen Merkmale (BGE 117 V 367 Erw. 6a
in fine; SVR 2003 UV Nr. 12 S. 36 Erw. 3.2.3).
2.3 Aufgrund des augenfälligen Geschehensablaufs und der erlittenen
Verletzungen ist der Autounfall vom 11. Januar 2001 in Übereinstimmung mit
der Vorinstanz dem Bereich der mittelschweren Unfälle und innerhalb dieses
Rahmens eher den leichteren Fällen zuzuordnen (vgl. RKUV 2003 Nr. U 489 S.
360 Erw. 4.2 am Anfang). Daher kann die Adäquanz nur bejaht werden, sofern
eines der einschlägigen Kriterien in besonders ausgeprägter Weise erfüllt ist
oder mehrere Kriterien in gehäufter oder auffallender Weise zutreffen (BGE
115 V 141 Erw. 6c/bb). Dies ist, wie das kantonale Gericht zu Recht erkannt
hat, nicht der Fall. Dabei gilt es zu betonen, dass bei der Prüfung der
einzelnen Kriterien nur die organisch bedingten Beschwerden zu
berücksichtigen sind, während die psychisch begründeten Anteile, deren
hinreichender Zusammenhang mit dem Unfall Gegenstand der Prüfung bildet,
ausgeklammert bleiben (Urteil P. vom 30. September 2005, U 277/04, Erw. 4.3).

3.
Die - vorinstanzlich bestätigte - Leistungseinstellung seitens der "Zürich"
erfolgte demnach zu Recht.

Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht:

1.
Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird abgewiesen.

2.
Es werden keine Gerichtskosten erhoben.

3.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Sozialversicherungsgericht des Kantons
Zürich und dem Bundesamt für Gesundheit zugestellt.

Luzern, 18. September 2006

Im Namen des Eidgenössischen Versicherungsgerichts

Der Präsident der IV. Kammer: Der Gerichtsschreiber: