Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

Sozialrechtliche Abteilungen U 231/2006
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U 231/06

Urteil vom 15. Juni 2007

I. sozialrechtliche Abteilung

Bundesrichter Ursprung, Präsident,
Bundesrichter Schön, Bundesrichterin Leuzinger,
Gerichtsschreiber Krähenbühl.

H. ________, Beschwerdeführer, vertreten durch Advokat Guido Ehrler, 4005
Basel,

gegen

Schweizerische Unfallversicherungsanstalt (SUVA), Fluhmattstrasse 1,
6004 Luzern, Beschwerdegegnerin.

Unfallversicherung,

Verwaltungsgerichtsbeschwerde gegen den Entscheid des
Sozialversicherungsgerichts Basel-Stadt vom 26. Januar 2006.

Sachverhalt:

A.
Nachdem der 1966 geborene H.________ bereits am 17. September 1998 von einer
Leiter gestürzt, schon am folgenden 5. Oktober aber wieder voll arbeitsfähig
war, stürzte er am 1. März 2002 erneut von einer Leiter rund vier Meter tief
auf einen Betonboden. Die Schweizerische Unfallversicherungsanstalt (SUVA),
welche für die Heilbehandlung aufkam und Taggelder ausrichtete, stellte ihre
Leistungen mit Verfügung vom 28. Oktober 2003 zum 31. Dezember 2003 ein;
gleichzeitig lehnte sie es mangels behandlungsbedürftiger Unfallfolgen ab,
eine Invalidenrente und/oder eine Integritätsentschädigung zuzusprechen.
Daran hielt sie mit Einspracheentscheid vom 25. August 2004 fest.

B.
Die hiegegen erhobene Beschwerde wies das Sozialversicherungsgericht
Basel-Stadt mit Entscheid vom 26. Januar 2006 ab.

C.
Mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde lässt H.________ die Zusprache der
gesetzlichen Leistungen auch ab 1. Januar 2004 beantragen; zudem ersucht er
um unentgeltliche Verbeiständung.

Die SUVA schliesst auf Abweisung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde. Das
Bundesamt für Gesundheit verzichtet auf eine Vernehmlassung.

Am 4. April 2007 reicht H.________ als zusätzliches Beweismittel einen
Bericht des Dr. med. M.________, Spezialarzt FMH für Otorhinolaryngologie,
Hals- und Gesichtschirurgie, vom 26. Februar 2007 nach.

Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

1.
Das Bundesgesetz über das Bundesgericht vom 17. Juni 2005 (BGG; SR 173.110)
ist am 1. Januar 2007 in Kraft getreten (AS 2006 1205, 1243). Da der
angefochtene Entscheid vorher ergangen ist, richtet sich das Verfahren noch
nach OG (Art. 132 Abs. 1 BGG; BGE 132 V 393 E. 1.2 S. 395).

2.
Das kantonale Gericht hat die entscheidrelevante Rechtsprechung zum für die
Leistungspflicht des Unfallversicherers erforderlichen natürlichen und
adäquaten Kausalzusammenhang zwischen gesundheitlichen Beeinträchtigungen und
versichertem Unfallereignis, insbesondere bei sekundären psychischen Folgen
(BGE 129 V 177 E. 3 und 4.1 S. 181 ff., 402 E. 4.3.1 und 4.4.1 S. 406 f., 115
V 133 E. 3 und 4 S. 134 ff. und E. 6 und 7 S. 138 ff., 403 E. 3-6 S. 405
ff.), zutreffend dargelegt, worauf verwiesen wird.

3.
Wie zuvor schon die SUVA ist das kantonale Gericht davon ausgegangen, dass
die geklagten Beschwerden auf Grund der medizinischen Akten keinem klaren
unfallbedingten organischen Substrat zugeordnet werden können. Insbesondere
verneinte es das Vorliegen einer organisch bedingten Hirnfunktionsstörung.
Des Weitern stellte es sich auf den Standpunkt, auf Grund der Aktenlage liege
eine psychische Fehlentwicklung vor, welche als klar dominierend zu
betrachten sei. Daraus schloss sie, die Adäquanz des Kausalzusammenhanges
zwischen dem Unfallereignis und dem psychischen Beschwerdebild sei -
entsprechend der höchstrichterlichen Rechtsprechung (BGE 123 V 98 E. 2a S.
99) - nicht nach der Praxis zum Schleudertrauma der Halswirbelsäule (BGE 117
V 359 E. 6 S. 366 ff.), sondern nach derjenigen zu den psychischen
Unfallfolgen (BGE 115 V 133 E. 6 S. 138 ff.) zu prüfen. Diese Prüfung führte
die Vorinstanz schliesslich zur Verneinung des adäquaten Kausalzusammenhangs
zwischen Unfallereignis und vorhandenem Gesundheitsschaden.

3.1 Zur Begründung ihrer Argumentation verwies die Vorinstanz zunächst auf
die anlässlich der ärztlichen Erstversorgung auf der Notfallstation des
Kantonsspitals B.________ "verhältnismässig unspektakulären" Befunde, das
unauffällige Computer-Tomogramm von Schädel und Mittelgesicht sowie auf die
Tatsache, dass keine neurologischen Ausfälle festgestellt wurden.

Während der nur gerade bis zum nächsten Tag nach dem Unfallereignis vom 2.
März 2002 dauernden Hospitalisation in der Notfallstation wurden eine
Commotio cerebri, eine Kontusion des Handgelenks rechts, der Hals- und der
Brustwirbelsäule, rechts thorakal, und der rechten Schulter diagnostiziert.
Nachdem diese Verletzungen rasch gut ausheilten und in den nachfolgenden
medizinischen Berichten kaum mehr Erwähnung finden, berichtete der Hausarzt
Dr. med. V.________ der SUVA schon am 15. Mai 2002 von zusätzlich
aufgetretenen Kopfschmerzen kombiniert mit Schwindelerscheinungen,
Gedächtnisproblemen und Lärmempfindlichkeit; zudem sei es zunehmend zu
depressiven Stimmungslagen gekommen. In einem Schreiben vom 21. Mai 2002
spricht er von einer psychischen Veränderung, zunehmender Nervosität und
depressiver Stimmungslage sowie von Frischgedächtnisstörungen und einer zu
befürchtenden Chronifizierung der Symptomatik. Im Rahmen des darauf
veranlassten Aufenthaltes zur physio- und psychotherapeutischen Behandlung in
der Rehaklinik Bellikon vom 26. Juni bis 7. August 2002 stellten die Ärzte im
Wesentlichen eine schwere funktionelle Beeinträchtigung durch Schmerz und
Depression, eine mittelgradige depressive Episode mit wahrscheinlich
dissoziativen Erregungszuständen, eine Somatisierungsstörung mit chronischen
Kopfschmerzen, eine deutliche Störung des Gleichgewichtssystems, eine leichte
linksseitige Hyposensibilität sowie eine gesichtsmotorische Störung unklarer
Aetiologie fest; kognitive Störungen als Folge einer milden traumatischen
Hirnverletzung konnten gemäss neuropsychologischem und psychopathologischem
Konsiliarbericht vom 28. Juni 2002 wegen der komplexen psychopathologischen
Symptomatik nicht objektiviert werden. Im Bericht der
neurologisch-neurochirurgischen Poliklinik des Universitätsspitals A.________
vom 15. Oktober 2002 werden nebst einem postcomotionellen Kopfschmerzsyndrom
ausgeprägte Konzentrationsstörungen und eine ausgeprägte depressive Reaktion
erwähnt, während Dr. med. V.________ am 10. Dezember 2002 von einer massiven
Verschlechterung des Zustandes im letzten halben Jahr berichtet.

Dr. med. I.________ von der SUVA-internen Abteilung Versicherungsmedizin
erachtet in seiner neurologischen Beurteilung vom 28. April 2003 eine erneute
psychiatrische Untersuchung und Behandlung als dringend notwendig.
Ausdrücklich hält er fest, auf Grund der Dossiereintragungen könne er keine
"somatischen Unfallfolgen im Grade der Wahrscheinlichkeit" erkennen. Die
Frage, ob psychische Beschwerden im Vordergrund stehen, bejaht er
ausdrücklich; gegenwärtig würden affektive Störungen allfällige
unfallbedingte somatische Störungen überlagern, wie postcommotionell
Kopfschmerzen oder Schwindel infolge einer Schädigung des
Gleichgewichtssystems. Auch wenn er eine leichte traumatische Hirnverletzung
nicht ausschliesst, muss auf Grund seiner Darlegungen doch davon ausgegangen
werden, dass die vorhandenen Beschwerden primär auf die psychische
Entwicklung zurückzuführen sind. Dies wird denn auch durch die psychiatrische
Beurteilung der Frau Dr. med. O.________, ebenfalls von der SUVA-internen
Abteilung Versicherungsmedizin, vom 2. Mai 2003 bestätigt. Ausdrücklich
pflichtet Frau Dr. med. O.________ Dr. med. I.________ insofern bei, als der
Beschwerdeführer einer stationären psychiatrischen Behandlung bedarf und die
psychische Symptomatik eindeutig im Vordergrund steht; die Symptome seien
eindrücklich, liessen sich aber nicht ohne weiteres einer klaren Diagnose
zuordnen; sie hätten sich seit der erstmaligen Beschreibung schon bald nach
dem Unfall intensiviert und angesichts der Krankheitsdynamik und der
drastischen Verschlechterung spreche einiges dafür, dass es sich nicht um
eine leichte bis mittelschwere, sondern allenfalls sogar um eine sehr schwere
depressive Störung handelt, möglicherweise mit psychotischen Syndromen; es
müsse gar an eine beginnende Erkrankung aus dem schizophrenen Formenkreis
gedacht werden.

Der Psychologe Dr. phil. G.________ von der Psychiatrischen
Universitätsklinik A.________ zieht in seinem Bericht vom 12. Juni 2003 nach
einer Testung der kognitiven Fähigkeiten gar eine artifizielle Störung oder
die Entwicklung körperlicher Symptome aus psychischen Gründen auf dem
Hintergrund eines rentenneurotischen Begehrens in Betracht. Frau Dr. med.
R.________ wiederum, ebenfalls von der Psychiatrischen Universitätsklinik
A.________, kann in ihrer Stellungnahme vom 21. Juli 2003 eine organisch
(traumatisch) bedingte Wesensveränderung nicht mit Sicherheit ausschliessen;
wahrscheinlicher aber sei die Akzentuierung der körperlichen Restsymptomatik
im Rahmen der Somatisierungsstörung oder einer Entwicklung körperlicher
Symptome aus psychischen Gründen.

3.2 Auch wenn der psychische Zustand des Beschwerdeführers in den
medizinischen Berichten nicht einheitlich umschrieben wird und für die
vorhandenen Symptome unterschiedliche Erklärungen aufgezeigt werden, ist ein
wesentlicher Einfluss der psychischen Entwicklung auf das Krankheitsgeschehen
nicht zu übersehen. Trotz teils unterschiedlicher fachärztlicher
Interpretationen sprechen die dargelegten Stellungnahmen in ihrer Gesamtheit
aber doch für ein - wie von SUVA und Vorinstanz angenommen - im Vordergrund
stehendendes psychisch bedingtes Leidensbild. Entgegen den Vorbringen in der
Verwaltungsgerichtsbeschwerde liegen demgegenüber keine genügenden
Anhaltspunkte für eine den Beschwerden zugrunde liegende unfallbedingte
organische Schädigung vor. Wie das kantonale Gericht mit Recht festgehalten
hat, eignet sich insbesondere die Untersuchungsmethode der Single Photon
Emission Computed Tomography (Spect) rechtsprechungsgemäss nicht, um im
Rahmen der Prüfung der natürlichen Kausalität von Unfallfolgen den Beweis für
das Vorliegen hirnorganischer Schädigungen zu erbringen (RKUV 2000 Nr. U 395
S. 316 [U 160/98]). Wenn die Vorinstanz unter Bezugnahme auf einen im
vorinstanzlichen Verfahren von der SUVA beigebrachten Bericht des Dr. med.
I.________ vom 7. Januar 2005 den Beweiswert des diesbezüglichen Berichts des
Instituts für Nuklearmedizin des Kantonsspitals B.________ vom 5. November
2004 verneinte, ist dies daher nicht zu beanstanden. Dasselbe hat für die
ebenfalls im Institut für Nuklearmedizin am 12. April 2005 vorgenommene
Positronen-Emissions-Tomographie (PET) des Hirns zu gelten. Die fehlende
Objektivierbarkeit schliesst zwar eine allfällige milde traumatische
Hirnverletzung nicht gänzlich aus, zumal der Sturz von der Leiter
grundsätzlich geeignet gewesen sein mag, eine solche zu bewirken. Aus dem
unauffälligen Computertomogramm kurz nach dem Unfall muss jedoch geschlossen
werden, dass diese zumindest nicht erheblich war. Dass sie für die geklagten
Beschwerden ursächlich gewesen sein könnte, kann zumindest nicht als mit
überwiegender Wahrscheinlichkeit erstellt gelten, woran sämtliche Vorbringen
in der Verwaltungsgerichtsbeschwerde nichts zu ändern vermögen. Selbst wenn
von einer (leichten) Hirnverletzung auszugehen wäre, würde dies der im
Übrigen überzeugend begründeten vorinstanzlichen Auffassung, wonach damit
einhergehende gesundheitliche Beeinträchtigungen durch die schon kurz nach
dem Unfallereignis aufgetretene psychische Problematik gänzlich in den
Hintergrund gedrängt wurden, nicht entgegenstehen.

3.3 Der am 4. April 2007 nachgereichte Bericht des Dr. med. M.________ vom
26. Februar 2007 ist - soweit überhaupt nachvollziehbar - nicht geeignet,
neue Erkenntnisse zu belegen, welche im Rahmen der umfangreichen
medizinischen Untersuchungen im Abklärungsverfahren der SUVA nicht bemerkt
worden wären. Es kann daher davon abgesehen werden, dessen prozessuale
Zulässigkeit näher abzuklären. Die in der Verwaltungsgerichtsbeschwerde
beantragten zusätzlichen Abklärungen erübrigen sich ebenfalls, da von solchen
angesichts der bereits gut dokumentierten Aktenlage keine grundlegend neuen
Aufschlüsse erwartet werden können.

4.
4.1 Dass SUVA und kantonales Gericht die Adäquanzfrage nach Massgabe der in
BGE 115 V 133 E. 6 S. 138 ff. publizierten Rechtsprechung geprüft haben, ist
demnach nicht zu beanstanden, sondern steht in Einklang mit BGE 123 V 98 E.
2a S. 99, wonach in Fällen, in welchen die zum typischen Beschwerdebild eines
Schleudertraumas der Halswirbelsäule oder einer äquivalenten Verletzung
gehörenden Beeinträchtigungen zwar teilweise gegeben sind, im Vergleich zur
ausgeprägten psychischen Problematik aber ganz in den Hintergrund treten, die
Beurteilung der Adäquanz unter dem Gesichtspunkt einer psychischen
Fehlentwicklung nach Unfall vorzunehmen ist.

4.2 Ausgehend vom äusseren Geschehensablauf ist der am 1. März 2002 erfolgte
Sturz von einer Leiter mit der Vorinstanz den Unfällen im mittleren Bereich
zuzuordnen. Für eine Bejahung der Adäquanz müssten damit weitere mit dem
Unfall zusammenhängende Kriterien mit einbezogen werden, von welchen ein
einzelnes in besonders ausgeprägter Weise oder aber mehrere in gehäufter oder
auffallender Weise erfüllt sein müssten. Dass dies nicht zutrifft, hat das
kantonale Gericht zutreffend erkannt. Dass dem Unfall eine gewisse
Eindrücklichkeit nicht abzusprechen ist, hat auch die Vorinstanz anerkannt.
Allein weil der Beschwerdeführer bereits zum zweiten Mal von einer Leiter
gestürzt ist, kann aber, entgegen der Argumentation in der
Verwaltungsgerichtsbeschwerde, nicht davon gesprochen werden, dieses
Kriterium sei in auffallender Weise erfüllt. Ebenso wenig kann von rein
physisch bedingten Dauerbeschwerden die Rede sein.

5.
Da es um Versicherungsleistungen der Unfallversicherung ging, sind keine
Gerichtskosten zu erheben (Art. 134 OG). Die unentgeltliche Verbeiständung
kann hingegen gewährt werden (Art. 152 in Verbindung mit Art. 135 OG), da die
Bedürftigkeit ausgewiesen ist, die Verwaltungsgerichtsbeschwerde nicht von
vornherein aussichtslos und die anwaltliche Vertretung geboten war (BGE 125 V
201 E. 4a S. 202 mit Hinweisen). Es wird indessen ausdrücklich auf Art. 152
Abs. 3 OG aufmerksam gemacht, wonach die begünstigte Partei der Gerichtskasse
Ersatz zu leisten haben wird, wenn sie später dazu im Stande ist.

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird abgewiesen.

2.
Es werden keine Gerichtskosten erhoben.

3.
Zufolge Gewährung der unentgeltlichen Rechtspflege wird Advokat Guido Ehrler
für das Verfahren vor Bundesgericht aus der Gerichtskasse eine Entschädigung
von Fr. 2'500.- (einschliesslich Mehrwertsteuer) ausgerichtet.

4.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Sozialversicherungsgericht Basel-Stadt
und dem Bundesamt für Gesundheit zugestellt.

Luzern, 15. Juni 2007
Im Namen der I. sozialrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident: Der Gerichtsschreiber: