Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

Sozialrechtliche Abteilungen U 222/2006
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Prozess {T 7}
U 222/06

Urteil vom 27. Dezember 2006
III. Kammer

Präsident Ferrari, Bundesrichter Meyer und Seiler; Gerichtsschreiber Fessler

C.________, 1949, Beschwerdeführer, vertreten durch Advokatin Dr. Annemarie
Imhof, Aeschenvorstadt 67, 4010 Basel,

gegen

Schweizerische Unfallversicherungsanstalt (SUVA), Fluhmattstrasse 1, 6004
Luzern, Beschwerdegegnerin

Sozialversicherungsgericht Basel-Stadt, Basel

(Entscheid vom 21. Februar 2006)

Sachverhalt:

A.
Der 1949 geborene C.________ war - als Arbeitsloser - bei der Schweizerischen
Unfallversicherungsanstalt (SUVA) obligatorisch versichert, als er am
24. März 2004 auf einer Treppe stürzte und auf das Gesäss fiel. Wegen
dauernder Beschwerden im Bereich der ganzen Wirbelsäule wurde er mehrmals im
Spital X.________ klinisch-orthopädisch und röntgenologisch untersucht. Ab
21. Mai 2004 stand er bei Dr. med. S.________, Innere Medizin FMH, in
Behandlung. Vom 18. Juni bis 24. Juli 2004 hielt sich C.________ in der
Rheumatologischen Klinik des Spitals Y.________ auf. Dort wurde u.a. aufgrund
einer Ganzkörperskelettszintigraphie sowie weiterer röntgenologischer
Untersuchungen die Diagnose eines Panvertebralsyndroms gestellt. Die
Osteodensitometrie vom 11. Oktober 2004 im Spital Y.________ zeigte eine
Osteopenie mit einem mittelhohen Risiko für Frakturen. Am 3. November 2004
wurde C.________ von Kreisarzt Dr. med. I.________ untersucht. Mit Verfügung
vom 9. November 2004 stellte die SUVA die Versicherungsleistungen (Taggeld
und Heilbehandlung) zum 30. November 2004 ein mit der Begründung, der heutige
Gesundheitszustand entspreche dem schicksalsmässigen Verlauf des
unfallfremden pathologischen Vorzustandes. Hiegegen liess C.________
Einsprache erheben.
Am 11. Januar 2005 verfasste Dr. med. S.________ einen ausführlichen
ärztlichen Bericht zuhanden der IV-Stelle Basel-Stadt, wo sich C.________ am
6. Dezember 2004 zum Rentenbezug angemeldet hatte.
Seit 17. Januar 2005 stand C.________ bei Dr. med. K.________, Spezialarzt
für Innere Medizin speziell Rheumaerkrankungen FMH, in Behandlung.
Mit Einspracheentscheid vom 6. Mai 2005 bestätigte die SUVA die Einstellung
von Heilbehandlung und Taggeld zum 30. November 2004. Auf das Begehren in der
Einsprache um Leistungen für die geltend gemachten Atembeschwerden unter dem
Titel Berufskrankheit trat sie nicht ein.

B.
Die Beschwerde des C.________ wies das Sozialversicherungsgericht Basel-Stadt
nach zweifachem Schriftenwechsel und nach Beizug der IV-Akten, wozu die
Parteien Stellung nehmen konnten, mit Entscheid vom 21. Februar 2006 ab.

C.
C.________ lässt Verwaltungsgerichtsbeschwerde führen mit den Rechtsbegehren,
der kantonale Gerichtsentscheid sei aufzuheben, die Sache sei an die SUVA zur
Vornahme eines Einkommensvergleichs sowie zur Ausrichtung einer
Invalidenrente und einer Integritätsentschädigung zurückzuweisen,
eventualiter seien bei Vornahme weiterer Abklärungen weiterhin
Taggeldzahlungen ab 30. November 2004 zu erbringen, unter Gewährung der
unentgeltlichen Rechtspflege.
Die SUVA beantragt die Abweisung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde. Das
Bundesamt für Gesundheit verzichtet auf eine Vernehmlassung.

D.
Mit einer weiteren Eingabe hat C.________ ein ärztliches Attest des Dr. med.
K.________ vom 28. April 2006 einreichen lassen.

Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:

1.
Streitig und zu prüfen ist die vorinstanzlich bestätigte Einstellung der
Versicherungsleistungen (Heilbehandlung, Taggeld) aus dem Unfall vom 24. März
2004 zum 30. November 2004. Dabei stellt sich in erster Linie die Frage, ob
die über diesen Zeitpunkt hinaus bestehenden Rückenbeschwerden und die darauf
zurückzuführende Arbeits- und Erwerbsunfähigkeit natürlich kausale
Unfallfolgen darstellen.

2.
Im angefochtenen Entscheid werden der Begriff des natürlichen
Kausalzusammenhangs (BGE 129 V 181 Erw. 3.1 mit Hinweisen), die Anforderungen
an den Beweis für das Dahinfallen jeder kausalen Bedeutung von
unfallbedingten Ursachen eines Gesundheitsschadens (RKUV 2000 Nr. U 363
[U 355/98] S. 46 Erw. 2 und Urteil S. vom 8. Mai 2006 [U 400/05] Erw. 2 mit
Hinweisen) sowie die Rechtsprechung zum Beweiswert von Arztberichten (BGE 125
V 352 Erw. 3a) zutreffend dargelegt. Ebenfalls werden die für die Beurteilung
der Kausalitätsfrage wesentlichen fachärztlichen Aussagen richtig
wiedergegeben. Darauf wird verwiesen.

3.
Das kantonale Gericht hat erwogen, gemäss Kreisarzt Dr. med. I.________ habe
eine erhebliche Rückenproblematik vorbestanden. Durch den Sturz vom 24. März
2004 sei es zu einer vorübergehenden Verschlimmerung dieses Vorzustandes
gekommen. Objektive organische Folgen dieses Vorfalles könnten heute nicht
mehr festgestellt werden. Der Status quo sine sei erreicht. Der
kreisärztlichen Beurteilung vom 3. November 2004 komme unter Berücksichtigung
der übrigen medizinischen Unterlagen sowie der Ergebnisse der
röntgendiagnostischen Abklärungen volle Beweiskraft zu. Auf die dazu im
Widerspruch stehenden ärztlichen Berichte könne nicht abgestellt werden.
Insbesondere begründe Dr. med. K.________ seine abweichende Auffassung
(Bejahung der natürlichen Kausalität) im Zeugnis vom 5. April 2005 nicht.
Somit sei mit dem Beweisgrad der überwiegenden Wahrscheinlichkeit erstellt,
dass der Versicherte im Zeitpunkt der kreisärztlichen Untersuchung vom
3. November 2004 nicht mehr an somatischen Unfallfolgen gelitten habe. Der
Sturz vom 24. März 2004 wäre im Übrigen nach der Rechtsprechung (BGE 115 V
138 ff. Erw. 6) keine adäquate Ursache für einen allfälligen psychischen
Gesundheitsschaden.

4.
In der Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird vorgebracht, auf den
kreisärztlichen Bericht vom 3. November 2004 könne nicht abgestellt werden.
Die von Dr. med. I.________ mehrfach erhobenen Vorwürfe der Verweigerung
gewisser Untersuchungspositionen und der demonstrativen Schmerzäusserungen
deuteten auf Voreingenommenheit hin. Der Bericht müsse gerade auch im
Zusammenhang mit den Vorakten als nicht schlüssig gewertet werden, zumal
Vermutungen zu Fakten erhoben worden seien. Insbesondere begründe der
Kreisarzt den Unterbruch des natürlichen Kausalzusammenhangs nur damit, dass
ein erheblicher Vorzustand bestehe. Eine degenerative Erkrankung der
Wirbelsäule habe jedoch nicht mit dem notwendigen Beweisgrad der
überwiegenden Wahrscheinlichkeit dokumentiert werden können. Der Versicherte
sei denn auch vor dem Unfall voll vermittlungsfähig und wegen
Rückenbeschwerden nie beim Arzt gewesen. Im Weitern gehe auch der Kreisarzt
von einer Traumatisierung nach dem Unfall aus. Laut den Vorakten seien nun
aber die frischen Verletzungen von allenfalls bestehenden Vorzuständen nicht
abgrenzbar. Der Schluss auf eine lediglich vorübergehende Verschlimmerung
eines erheblichen pathologischen Vorzustandes sei somit weder belegt noch
nachvollziehbar. Eine solche Feststellung sei im Übrigen in keinem anderen
ärztlichen Bericht zu finden. Der von der SUVA zu erbringende Beweis, dass
mit überwiegender Wahrscheinlichkeit keine Unfallfolgen mehr vorlägen, sei
nicht erbracht.

5.
Kreisarzt Dr. med. I.________ untersuchte den Versicherten eingehend.
Überdies standen ihm alle wesentlichen medizinischen Unterlagen zur
Verfügung. Insofern bildet sein Bericht vom 3. November 2004 eine
beweistaugliche Grundlage für die Beurteilung der streitigen
Kausalitätsfrage. Die in der Verwaltungsgerichtsbeschwerde angeführten Gründe
lassen nicht den rechtsgenüglichen Schluss auf Voreingenommenheit zu. Im
Weitern trifft zwar zu, dass die Radiologen, Orthopäden und Rheumatologen des
Spitals X.________ sowie des Spitals Y.________ sich nicht explizit zur
Unfallbedingtheit der geklagten Rückenschmerzen äusserten. Aufgrund der im
nahen Zeitraum nach dem Unfall vom 24. März 2004 erfolgten Untersuchungen
kann indessen nicht zweifelhaft sein, dass starke degenerative Veränderungen
vorbestanden hatten. Dazu kam eine deutliche Osteopenie, welche Dr. med.
S.________ in seinem Bericht vom 19. November 2004 an Dr. med. I.________ im
Bereich über LWK 4 sogar als manifeste Osteoporose bezeichnete. Die BWS- und
LWS-Übersichtsaufnahmen 2E vom 22. Juni 2004 auf der Abteilung
Röntgendiagnostik des Spitals Y.________ ergaben keinen Anhalt für frische
ossäre Läsionen. Die Ganzkörperskelettszintigraphie vom 23. Juni 2004 zeigte
keinen Hinweis von frischen Frakturen im Bereich der BWS. Die radiologisch
festgestellten Frakturen im Bereich BWK 6 und 10 wurden als älter bezeichnet
(Bericht vom 29. Juli/1. September 2004). Ebenfalls bestand
unbestrittenermassen keine radikuläre Symptomatik. Die Feststellung des
Kreisarztes, dass heute objektivierbare organische Unfallfolgen nicht mehr
festgestellt werden könnten, wird somit durch die medizinischen Akten
gestützt. In diesem Sinne äusserte sich im Übrigen auch Dr. med. S.________
in seinem ausführlichen ärztlichen Bericht vom 11. Januar 2005 zuhanden der
Invalidenversicherung, wie das kantonale Gericht zutreffend festhält. Das
ärztliche Attest des Dr. med. K.________ vom 28. April 2006 gibt zu keiner
anderen Betrachtungsweise Anlass. Der vorinstanzliche Schluss auf das Fehlen
eines natürlichen Kausalzusammenhangs zwischen den Rückenbeschwerden und dem
Sturz vom 24. März 2004 steht schliesslich im Einklang mit der
unfallmedizinischen Erfahrungstatsache bei vorbestehenden degenerativen
Erkrankungen der Wirbelsäule, wonach eine Richtung gebende, insbesondere
dauernde Verschlechterung nur als nachgewiesen gelten kann, wenn ein
plötzliches Zusammensinken der Wirbel sowie das Auftreten und das
Verschlimmern von Verletzungen nach einem Trauma radioskopisch erstellt sind
(RKUV 2000 Nr. U 363 S. 45 [U 355/98]). Die Frage psychischer Unfallfolgen
stellt sich aufgrund der Akten sowie der Vorbringen in der
Verwaltungsgerichtsbeschwerde nicht.
Der angefochtene Entscheid ist somit rechtens.

6.
Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege ist gegenstandslos, soweit es um
die Bezahlung von Gerichtskosten geht (Art. 134 OG). Die unentgeltliche
Verbeiständung kann im Rahmen des anwaltlich gebotenen Vertretungsaufwandes
(Art 152 Abs. 2 OG in Verbindung mit Art. 135 OG, Art. 159 OG und Art. 2
Abs. 1 des Tarifs über die Entschädigungen an die Gegenpartei für das
Verfahren vor dem Eidgenössischen Versicherungsgericht und Art. 160 OG)
bewilligt werden, da die Voraussetzungen gemäss Gesetz (Art. 152 OG) und
Rechtsprechung (BGE 125 V 202 Erw. 4a) hiefür erfüllt sind. Der
Beschwerdeführer wird indessen ausdrücklich darauf hingewiesen, dass er
gemäss Art. 152 Abs. 3 OG der Gerichtskasse Ersatz zu leisten hat, wenn er
dazu später im Stande ist.

Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht:

1.
Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird abgewiesen.

2.
Es werden keine Gerichtskosten erhoben.

3.
Zufolge Gewährung der unentgeltlichen Verbeiständung wird Advokatin Dr.
Annemarie Imhof, Basel, für das Verfahren vor dem Eidgenössischen
Versicherungsgericht aus der Gerichtskasse der Betrag von Fr. 1800.-
(einschliesslich Mehrwertsteuer) ausgerichtet.

4.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Sozialversicherungsgericht Basel-Stadt
und dem Bundesamt für Gesundheit zugestellt.
Luzern, 27. Dezember 2006

Im Namen des Eidgenössischen Versicherungsgerichts

Der Präsident der III. Kammer: Der Gerichtsschreiber: