Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

Sozialrechtliche Abteilungen U 195/2006
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U 195/06

Urteil vom 18. April 2007

I. sozialrechtliche Abteilung

Bundesrichter Ursprung, Präsident,
Bundesrichter Schön und Bundesrichterin Leuzinger,
Gerichtsschreiber Jancar.

P. ________, 1962, Beschwerdeführer,
vertreten durch Advokat Andreas Noll,
Falknerstrasse 3, 4001 Basel,

gegen

Schweizerische Unfallversicherungsanstalt (SUVA), Fluhmattstrasse 1, 6004
Luzern, Beschwerdegegnerin.

Unfallversicherung,

Verwaltungsgerichtsbeschwerde gegen den Entscheid des Kantonsgerichts
Basel-Landschaft vom 8. Februar 2006.

Sachverhalt:

A.
Der 1962 geborene P.________ war bei den Architekten X.________  als
Hochbauzeichner-Lehrling angestellt und damit bei der Schweizerischen
Unfallversicherungsanstalt (SUVA) unfallversichert. Am 18. Juni 1981
kollidierte er mit seinem Motorrad mit einem Lastwagen. Hiebei erlitt er eine
Kompressionfraktur des ersten Lendenwirbelkörpers mit sensibel und motorisch
inkompletter Paraplegie unterhalb L5 (operativ stabilisiert am 19. Juni 1981)
sowie eine neurogene Blasen-, Darm- und Sexualfunktionsstörung. Mit Verfügung
vom 7. Dezember 1982 sprach ihm die SUVA ab 1. September 1982 eine
Invalidenrente bei einer Erwerbsunfähigkeit von 33 1/3 % zu, die sie auf der
Basis eines Jahresverdienstes als Lehrling von Fr. 5400.- und ab 1. Mai 1983
(dem mutmasslichen Lehrabschluss-Zeitpunkt) von Fr. 30'500.- ermittelte. Im
Rahmen einer Revision setzte sie die Rente mit Wirkung ab 1. Juli 1985 auf
Grund einer Erwerbsunfähigkeit von 20 % bei einem versicherten Verdienst von
Fr. 30'500.- neu fest (Verfügung 20. Juni 1985). Diesen Rentenanspruch
bestätigte sie revisionsweise am 31. Oktober 1988 und am 18. September 1991.
Am 2. November 1999 meldete der Versicherte der SUVA einen Rückfall zum
Unfall vom 18. Juni 1981. Diese kam für die Heilbehandlung auf. Mit Verfügung
vom 29. Januar 2004 gewährte sie dem Versicherten ab 1. Februar 2004 eine
Invalidenrente bei einer Erwerbsunfähigkeit von 79 % auf der Basis eines
versicherten Jahresverdienstes von Fr. 30'500.- und eine
Integritätsentschädigung von Fr. 36'192.- bei einer Integritätseinbusse von
52 %. Einspracheweise verlangte der Versicherte die Veranschlagung eines
versicherten Verdienstes von Fr. 78'588.- und eine Integritätsentschädigung
von Fr. 52'200.-. Am 8. Juni 2005 zog er die Einsprache betreffend die
Integritätsentschädigung zurück. Mit Entscheid vom 22. Juni 2005 wies die
SUVA die Einsprache betreffend die Erhöhung des versicherten Verdienstes von
Fr. 30'500.- auf Fr. 78'588.- ab. Zudem verneinte sie den Anspruch auf
unentgeltliche Verbeiständung für das Einspracheverfahren.

B.
Die hiegegen eingereichte Beschwerde wies das Kantonsgericht Basel-Landschaft
mit Entscheid vom 8. Februar 2006 ab, nachdem der Versicherte seine Begehren
um Gewährung der unentgeltlichen Verbeiständung für das Einspracheverfahren
und das kantonale Verfahren zurückgezogen hatte.

C.
Mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde beantragte der Versicherte beim
Eidgenössischen Versicherungsgericht (ab 1. Januar 2007: Bundesgericht), in
Aufhebung des kantonalen Entscheides sei ihm unter Zugrundelegung eines
versicherten Verdienstes von Fr. 78'588.- (Fr. 77'328.- im Jahr 2002,
indexiert per 2003 = Fr. 78'588.-) sowie eines Invaliditätsgrades von 79 %
mit Wirkung ab 1. Februar 2004 eine monatliche Rente von Fr. 4139.-
zuzusprechen. Er legt neu eine Rentenverfügung der IV-Stelle Basel-Landschaft
vom 21. November 2005 auf.

Die SUVA schliesst auf Abweisung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde, während
das Bundesamt für Gesundheit auf eine Vernehmlassung verzichtet.

Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

1.
Das Bundesgesetz über das Bundesgericht vom 17. Juni 2005 (BGG; SR 173.110)
ist am 1. Januar 2007 in Kraft getreten (AS 2006 1205, 1243). Da der
angefochtene Entscheid vorher ergangen ist, richtet sich das Verfahren noch
nach OG (Art. 132 Abs. 1 BGG; BGE 132 V 393 E. 1.2 S. 395).

2.
2.1 Der Rentenanspruch des Versicherten ist am 1. September 1982, somit unter
der Geltung des alten Rechts (KUVG) und vor dem Inkrafttreten des
Unfallversicherungsgesetzes (UVG) am 1. Januar 1984 entstanden. Streitig und
zu prüfen ist der Jahresverdienst, welcher der gemäss Einspracheentscheid vom
22. Juni 2005 mit Wirkung ab 1. Februar 2004 von 20 % auf 79 % erhöhten
Invalidenrente zugrunde zu legen ist.

2.2
2.2.1 Gemäss Art. 118 Abs. 1 UVG werden die Versicherungsleistungen für
Unfälle, die sich vor Inkrafttreten dieses Gesetzes ereignet haben, und für
Berufskrankheiten, die vor diesem Zeitpunkt ausgebrochen sind, nach
bisherigem Recht (KUVG) gewährt. Nach der Rechtsprechung sind unter dem alten
Recht entstandene Rentenansprüche - seien diese abgestufte, befristete oder
Dauerrenten - in revisionsrechtlicher Hinsicht weiterhin nach Massgabe des
KUVG (Art. 80 Abs. 2) zu beurteilen (BGE 118 V 293 E. 2a S. 295, 111 V 37;
Urteil des Eidgenössischen Versicherungsgerichts U 385/00 vom 8. April 2002,
E. 2a). Rechtsprechungsgemäss ist die Erhöhung einer (altrechtlichen) Rente
über den Wortlaut des Art. 80 Abs. 2 KUVG hinaus trotz Ablaufs von neun
Jahren seit der Rentenfestsetzung möglich, wenn die SUVA auf einen Rückfall
oder Spätfolgen einzutreten hat, die entsprechenden Beschwerden in
natürlichem und adäquatem Kausalzusammenhang zum ursprünglichen Unfall stehen
und eine erhebliche Verschlimmerung der Unfallfolgen bewirken (Urteil des
Eidgenössischen Versicherungsgerichts U 390/99 vom 30. Mai 2001, E. 1a mit
Hinweisen).

2.2.2 Bei der durch einen Rückfall (oder eine Spätfolge) bewirkten Erhöhung
des Invaliditätsgrades handelt es sich nicht um einen neuen Rentenanspruch,
weshalb sich die Rente in revisionsrechtlicher Hinsicht weiterhin nach
Massgabe des KUVG beurteilt. Daraus folgt, dass der revisionsweisen
Neufestsetzung einer altrechtlichen Invalidenrente nach wie vor der - einer
Revision im Sinne von Art. 80 KUVG nicht zugängliche (BGE 105 V 91) -
Jahresverdienst zugrunde zu legen ist, den der Versicherte innerhalb eines
Jahres vor dem Unfall verdient hatte (BGE 118 V 293 E. 2a und b S. 295 f.;
erwähntes Urteil U 385/00, E. 2a).

Es liegt keine echte Gesetzeslücke vor, weil das Gesetz zur vorliegenden
Rechtsfrage eine Antwort enthält. Es besteht allenfalls ein rechtspolitischer
Mangel und damit eine unechte Lücke, welche das Gericht im Allgemeinen jedoch
hinzunehmen hat. Sie auszufüllen, steht ihm nach Lehre und Praxis nur zu, wo
der Gesetzgeber sich offenkundig über gewisse Tatsachen geirrt hat oder wo
sich die Verhältnisse seit Erlass des Gesetzes in einem solchen Masse
gewandelt haben, dass die Vorschrift unter gewissen Gesichtspunkten nicht
bzw. nicht mehr befriedigt und ihre Anwendung rechtsmissbräuchlich wird (BGE
126 V 153 E. 5b S. 155 mit Hinweisen). So verhält es sich hier jedoch nicht.
Die gesetzliche Regelung führt in bestimmten Fällen zwar zu unbefriedigenden
Ergebnissen, ihre Anwendung kann aber nicht als rechtsmissbräuchlich
qualifiziert werden. Es muss daher bei der Feststellung bleiben, dass es
Sache des Gesetzgebers und nicht des Gerichts wäre, die für die Rentenbezüger
nachteiligen Folgen der Festsetzung des massgebenden Jahresverdienstes bei
Rückfall oder Spätfolgen auf Grund des im Jahr vor dem Unfall erzielten
Einkommens zu beseitigen oder zu mildern, wenn der Revisionstatbestand
längere Zeit nach dem Grundfall eintritt (BGE 118 V 293 E. 2e und f S. 298).
Im Weiteren hat das Eidgenössische Versicherungsgericht erwogen, dass auch
das aus Art. 61 Abs. 2 UVG abgeleitete Äquivalenzprinzip zu keinem anderen
Schluss zu führen vermag (erwähntes Urteil U 385/00, E. 2b und c).

2.3 Es sind keine Gründe für eine Praxisänderung (zu deren allgemeinen
Voraussetzungen vgl. BGE 131 V 107 E. 3.1 S. 110, 127 II 289 E. 3a S. 292 f.,
126 I 122 E. 5 S. 129, 125 II 152 E. 4c/aa S. 162 f., je mit Hinweisen)
ersichtlich.

2.4
2.4.1 Der Versicherte beruft sich auf Art. 147a UVV. Diese Norm ist die
Übergangsbestimmung zur Änderung der UVV vom 15. Dezember 1997 (in Kraft seit
1. Januar 1998) und statuiert, dass Versicherungsleistungen für Unfälle, die
sich vor Inkrafttreten dieser Änderung ereignet haben, und Berufskrankheiten,
die vor diesen Zeitpunkt ausgebrochen sind, nach bisherigem Recht gewährt
werden. Der Beschwerdeführer macht geltend, wenn Art. 147a UVV nur das regeln
würde, was gemäss Art. 118 Abs. 1 UVG ohnehin gelte, wäre er an und für sich
obsolet. Art. 147a UVV sei aber so zu interpretieren, dass er nicht obsolet
werde. Das sei nur möglich, wenn man das bisherige Übergangsrecht in dem
Sinne verstehe, dass im UVV-Anwendungsbereich in Abweichung von Art. 118 Abs.
1 UVG vom Grundsatz auszugehen sei, dass die betreffenden UVV-Bestimmungen
auch auf Fälle anzuwenden seien, die sich bereits vor ihrem Inkrafttreten
ereignet hätten. Der Bundesrat als in diesem Bereich gesetzgebungskompetentes
Organ habe mit dem Erlass von Art. 147a UVV implizit auch die Anwendbarkeit
von Art. 24 Abs. 2 UVV deutlich gemacht.

2.4.2 Art. 147a UVV gibt den anerkannten Grundsatz der Unfallversicherung
wieder, dass Unfälle nach dem zur Zeit ihres Eintritts geltenden Recht
entschädigt werden (Erläuterungen zur Änderung der UVV vom 15. Dezember 1997,
in: RKUV 1998 S. 102; vgl. auch RKUV 2005 Nr. U 556 S. 328 E. 1 am Ende, U
396/04). Mit dieser Bestimmung wollte der Bundesrat mithin bewusst das
bekräftigen, was bereits Inhalt von Art. 118 Abs. 1 UVG ist (vgl. E. 2.2.1
hievor). In diesem Lichte kann der Versicherte aus Art. 147a UVV nichts zu
seinen Gunsten ableiten, wie auch die Vorinstanz richtig erkannt hat.

3.
3.1 Der Versicherte macht letztinstanzlich neu geltend, mit in Rechtskraft
erwachsener Verfügung vom 21. November 2005 habe ihm die IV-Stelle
Basel-Landschaft ab 1. April 2001 eine ganze Invalidenrente bei einem
Invaliditätsgrad von 73 % zugesprochen. Die SUVA habe zwar noch keine
Komplementärrentenverfügung erlassen. Würde er aber die Rechtsgrundlagen für
die Berechnung der Komplementärrente vorliegend nicht vorbringen, liefe er
Gefahr, dass der versicherte Verdienst im Sinne einer res iudicata nach altem
Recht festgelegt würde, währenddem bei der Festlegung der Obergrenze der
Komplementärrente nach neuem Recht (Art. 20 Abs. UVG) verfahren würde.
Art. 24 Abs. 2 UVV müsse analog auf Komplementärrenten Anwendung finden, wenn
zwischen deren Festsetzung und dem Unfall mehr als fünf Jahre verstrichen
seien. Er habe ein vitales Interesse daran, dass das Bundesgericht diese
Frage im Sinne eines obiter dictums jetzt schon entscheide.

3.2 Im verwaltungsgerichtlichen Beschwerdeverfahren sind grundsätzlich nur
Rechtsverhältnisse zu überprüfen bzw. zu beurteilen, zu denen die zuständige
Verwaltungsbehörde vorgängig verbindlich - in Form einer Verfügung bzw. eines
Einspracheentscheides - Stellung genommen hat. Insoweit bestimmt die
Verfügung bzw. der Einspracheentscheid den beschwerdeweise weiterziehbaren
Anfechtungsgegenstand. Umgekehrt fehlt es an einem Anfechtungsgegenstand und
somit an einer Sachurteilsvoraussetzung, wenn und insoweit keine Verfügung
bzw. kein Einspracheentscheid ergangen ist (BGE 131 V 164 E. 2.1, 125 V 413
E. 1a S. 414, 119 Ib 33 E. 1b S. 36, je mit Hinweisen).
Da die Komplementärrente nicht Gegenstand des Einspracheentscheides vom 22.
Juni 2005 war, kann darüber vorliegend nicht befunden werden. In diesem Punkt
ist auf die Verwaltungsgerichtsbeschwerde demnach nicht einzutreten.

Dem Versicherten bleiben diesbezüglich alle Rechte gewahrt, da er gegen eine
Komplementärrentenverfügung gegebenenfalls erneut den Rechtsweg beschreiten
kann.

4.
Nach dem Gesagten hat die SUVA bei der revisionsweisen Neufestsetzung der
Rente ab 1. Februar 2004 richtigerweise den Jahresverdienst herangezogen, den
der Versicherte innerhalb eines Jahres vor dem Unfall vom 18. Juni 1981
erzielt hatte. Weil er nach Eintritt des Unfalls noch bis 16. April 1983 in
Ausbildung stand, war ab 1. Mai 1983 auf das Einkommen eines gelernten
Hochbauzeichners abzustellen (Art. 78 Abs. 4 KUVG). Diesen Verdienst von Fr.
30'500.- hat die SUVA zu Recht auch der zur Ausrichtung gelangenden höheren
Rente zu Grunde gelegt, wie die Vorinstanz im Ergebnis zutreffend entschieden
hat.

5.
Entsprechend dem Ausgang des letztinstanzlichen Verfahrens hat der
Versicherte entgegen seinem Antrag keinen Anspruch auf eine Entschädigung für
das kantonale Verfahren und das Einspracheverfahren, zumal er vorinstanzlich
die Begehren um Gewährung der unentgeltlichen Verbeiständung hiefür
zurückgezogen hatte.

6.
Das Verfahren ist kostenlos (Art. 134 OG). Der obsiegenden Beschwerdegegnerin
steht keine Parteientschädigung zu, weil sie als        Unfallversicherer
eine öffentlichrechtliche Aufgabe im Sinne von Art. 159 Abs. 2 OG wahrnimmt
und die Voraussetzungen für eine ausnahmsweise Zusprechung einer
Entschädigung nicht gegeben sind (BGE 128 V 124 E. 5b S. 133 mit Hinweisen;
in BGE 129 V 466 nicht publizierte E. 6.2, veröffentlicht in RKUV 2003 Nr. U
493 S. 375).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten
ist.

2.
Es werden keine Gerichtskosten erhoben.

3.
Es wird keine Parteientschädigung zugesprochen.

4.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Kantonsgericht Basel-Landschaft,
Abteilung Sozialversicherungsrecht, und dem Bundesamt für Gesundheit
zugestellt.

Luzern, 18. April 2007

Im Namen der I. sozialrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident: Der Gerichtsschreiber: