Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

Sozialrechtliche Abteilungen U 182/2006
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{T 7}
U 182/06

Urteil vom 15. Februar 2007

I. sozialrechtliche Abteilung

Bundesrichter Ursprung, Präsident,
Bundesrichter U. Meyer, Bundesrichterin Leuzinger,
Gerichtsschreiberin Bollinger Hammerle.

V. ________, 1966, Beschwerdeführer,
vertreten durch Rechtsanwalt Urs Rudolf,
Ober-Emmenweid 46, 6021 Emmenbrücke 1,

gegen

SWICA Versicherungen AG, Römerstrasse 38, 8400 Winterthur,
Beschwerdegegnerin.

Unfallversicherung,

Verwaltungsgerichtsbeschwerde gegen den Entscheid des Verwaltungsgerichts des
Kantons Luzern vom

22. Februar 2006.

Sachverhalt:

A.
V. ________, geboren 1966, war als Hilfskoch im Hotel Restaurant X.________
angestellt und bei den Swica Versicherungen, Winterthur (Swica),
obligatorisch gegen die Folgen von Berufs- und Nichtberufsunfällen
versichert. Am 23. Juni 1998 erlitt er einen Verkehrsunfall, bei welchem er
sich eine Kontusion von Nasenbein und Thorax, eine Verletzung der Schleimhaut
des Oberkiefers sowie ein Schleudertrauma der Halswirbelsäule (HWS) zuzog und
einen Zahn abbrach (Zeugnis des Dr. med. W.________, Allgemeine Medizin FMH,
vom 30. Juni 1998). Nach erwerblichen und medizinischen Abklärungen sprach
die Swica V.________ am 21. Januar 2000 eine Integritätsentschädigung bei
einer Integritätseinbusse von 35 % zu. In der Folge holte die Versicherung
weitere ärztliche Berichte ein, veranlasste eine Abklärung in der BEFAS
Berufliche Abklärungsstelle, (Bericht vom 23. November 2000), und eine
Begutachtung im Ärztlichen Begutachtungsinstitut Z.________, vom 6. Juni
2003. Mit Verfügung vom 17. März 2004 sprach die Swica V.________ eine
Invalidenrente bei einem Invaliditätsgrad von 32 % zu und bestätigte diese
mit Einspracheentscheid vom 25. Oktober 2004.

B.
V.________ liess hiegegen Beschwerde führen und die Zusprechung einer ganzen
Invalidenrente beantragen. Das Verwaltungsgericht des Kantons Luzern wies die
Beschwerde am 22. Februar 2006 ab.

C.
Mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde lässt V.________ unter Aufhebung des
angefochtenen Entscheides die Zusprechung der "gesetzlichen Leistungen" sowie
einer Parteientschädigung für das kantonale Gerichtsverfahren und das
Einspracheverfahren beantragen. Gleichzeitig ersucht er um Gewährung der
unentgeltlichen Verbeiständung für das letztinstanzliche Verfahren.
Vorinstanz und Swica schliessen auf Abweisung der
Verwaltungsgerichtsbeschwerde.

Das Bundesamt für Gesundheit verzichtet auf eine Vernehmlassung.

Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

1.
Das Bundesgesetz über das Bundesgericht vom 17. Juni 2005 (BGG; SR 173.110)
ist am 1. Januar 2007 in Kraft getreten (AS 2006 1205, 1243). Da der
angefochtene Entscheid vorher ergangen ist, richtet sich das Verfahren noch
nach OG (Art. 132 Abs. 1 BGG; BGE 132 V 393 E. 1.2 S. 395).

2.
Die Swica legt in ihrem Einspracheentscheid (worauf das kantonale Gericht
verweist) folgende Rechtsgrundlagen zutreffend dar: Art. 7 ATSG zur
Erwerbsunfähigkeit, Art. 8 ATSG zur Invalidität, Art. 16 ATSG zur allgemeinen
Bemessungsmethode des Einkommensvergleichs, Art. 18 UVG zum Anspruch auf eine
Invalidenrente der Unfallversicherung sowie zur Verwendung von sogenannten
Tabellenlöhnen (BGE 129 V 472 E. 4.2.1 S. 475). Darauf wird verwiesen.

3.
3.1 Streitig und zu prüfen ist der Anspruch des Versicherten auf eine
Invalidenrente.

3.2 Die Vorinstanz erwog, dem Gutachten des Ärztlichen Begutachtungsinstitut
Z.________ komme voller Beweiswert zu, weshalb die Swica zu Recht darauf
abgestellt und die Arbeitsfähigkeit auf 70 % festgesetzt habe.

Der Versicherte wendet ein, das Gutachten des Ärztlichen
Begutachtungsinstitut Z.________ enthalte keine schlüssige Beurteilung der
Arbeitsfähigkeit, zumal bereits aus somatischer Sicht eine um 30 %
eingeschränkte Arbeitsfähigkeit attestiert und die psychiatrische Limitierung
in der Beurteilung nicht noch zusätzlich berücksichtigt worden sei.

3.3 Die psychiatrische (Teil-) Begutachtung im Ärztlichen
Begutachtungsinstitut Z.________ ergab folgende Diagnosen: 1. Anhaltende
somatoforme Schmerzstörung mit somatischen und psychischen Faktoren (ICD-10
F45.4), 2. leichte depressive Episode, rezidivierend, in Schmerzabhängigkeit
(ICD-10 F33.1). Die Gutachter bezifferten die Einschränkung der
Arbeitsfähigkeit sowohl als Hilfskoch als auch in einer angepassten Tätigkeit
aus psychiatrischer Sicht auf 30 %. Sie führten aus, die Einschränkung
erkläre sich insbesondere durch die Schmerzsymptomatik; die depressive
Symptomatik allein führe zu keiner Beeinträchtigung.

In der orthopädischen Exploration stellten die Ärzte zum einen ein
lumbovertebrales Schmerzsyndrom ohne gesicherte radikuläre Symptomatik bei
Status nach Lendenwirbelkörper (LWK) 2-Kompressionsfraktur (ICD-10 T91.1),
zum anderen ein intermittierendes zervikales Schmerzsyndrom (ICD-10 M54.2)
fest. Sie führten aus, nach dem doch erheblichen Trauma der Wirbelsäule sei
der Versicherte als Hilfskoch sicher nicht mehr einsetzbar, da ihm schwere
körperliche Tätigkeiten vorwiegend im Stehen, sowie vor allem das Heben von
Lasten nicht mehr zugemutet werden könnten. In einer adaptierten Tätigkeit in
wechselnder Position, die vorwiegend sitzend durchgeführt werden könne und
die vor allem feinmotorische Tätigkeiten umfasse, betrage die
Arbeitsfähigkeit 70 %. Die Einschränkung begründeten sie damit, dass auch
ganztägiges Sitzen nicht zumutbar sei und vermehrt Pausen eingelegt werden
müssten.

In ihrer Gesamtbeurteilung kamen die Gutachter zum Schluss, die aus
organischer Sicht notwendigen Pausen würden gleichzeitig auch dem aufgrund
der Schmerzstörung verlangsamten Arbeitstempo Rechnung tragen, weshalb sich
die Einschränkungen aus somatischer und aus psychiatrischer Sicht nicht
addierten, sondern die Arbeitsfähigkeit insgesamt um 30 % eingeschränkt sei.

3.4 Die Einschätzungen im Gutachten des Ärztlichen Begutachtungsinstitut
Z.________ beruhen auf ausführlichen Untersuchungen und sind einleuchtend
begründet. Was der Beschwerdeführer dagegen einwendet, überzeugt nicht.
Zunächst stehen weder die Ausführungen des Dr. med. T.________, FMH für
Chirurgie und Orthopädie, Orthopädische Chirurgie, noch die Einschätzungen
des Hausarztes Dr. med. W.________ mit dem Ärztlichen Begutachtungsinstitut
Z.________-Gutachten in Widerspruch. Dr. med. T.________ führte - in
Übereinstimmung mit den Ärzten am Ärztlichen Begutachtungsinstitut Z.________
- in seinem Gutachten vom 3. Juni 1999 aus, als Hilfskoch sei der Versicherte
vollständig arbeitsunfähig. Die Arbeitsfähigkeit in einer anderen Tätigkeit
bezifferte er nicht, sondern erklärte einzig, eine diesbezügliche Beurteilung
könne er erst nach Abklärung der beruflichen Umschulungsmöglichkeiten
abgeben. Soweit Dr. med. W.________ sich zur Arbeitsfähigkeit äusserte,
führte er in den beiden aktuellsten Berichten lediglich an, die
Wiederaufnahme der Arbeit sei vielleicht nach einer Operation möglich
(Berichte vom 8. Februar 2002 und 2. November 2000). Im Arztbericht zu Handen
der IV-Stelle bescheinigte er am 27. August 1999 eine vollständige
Arbeitsunfähigkeit ab 23. Juni 1998 bis "weiterhin", doch bezog sich diese
ausdrücklich nur auf die Tätigkeit als Hilfskoch. Ebenso wenig lässt sich aus
den Schlussfolgerungen im Bericht der BEFAS vom 23. November 2000 etwas
Abweichendes ableiten. Die berufliche Abklärung ergab, dass der Versicherte
selbst im angestammten Beruf zu 50 % arbeitsfähig wäre.

3.5 Weiter überschneiden sich nach den zutreffenden Erwägungen der Vorinstanz
beim Zusammentreffen verschiedener Gesundheitsbeeinträchtigungen deren
erwerbliche Auswirkungen in der Regel, weshalb der Grad der
Arbeitsunfähigkeit aufgrund einer sämtliche Behinderungen umfassenden
ärztlichen Gesamtbeurteilung zu bestimmen ist. Eine blosse Addition der mit
Bezug auf einzelne Funktionsstörungen und Beschwerdebilder geschätzten
Arbeitsunfähigkeitsgrade ist nicht zulässig (RDAT 2002 I Nr. 72 S. 485 E. 2b,
I 338/01; Urteil des Eidgenössischen Versicherungsgerichts I 850/02 vom
3. März 2003, E. 6.4.1)

Die Gutachter des Ärztlichen Begutachtungsinstitut Z.________ haben
überzeugend dargelegt, weshalb die psychischen Beeinträchtigungen die
Arbeitsfähigkeit über die aus somatischer Sicht bestehende Limitierung hinaus
nicht zusätzlich einschränken. Ob die somatoforme Schmerzstörung im Fall des
Versicherten überhaupt zu einer Invalidität führt (was nur unter bestimmten
Umständen, welche die Schmerzbewältigung intensiv und konstant behindern, zu
bejahen ist, wogegen in aller Regel die Vermutung besteht, dass die Störung
und ihre Folgen mit einer zumutbaren Willensanstrengung überwindbar sind;
BGE 131 V 49 E. 1.2 S. 50), braucht nicht weiter geprüft zu werden. Auf
weitere Abklärungen ist in antizipierter Beweiswürdigung zu verzichten (BGE
122 V 157 E. 1d S. 162).

4.
4.1 Die Vorinstanz erwog, das Valideneinkommen für das Jahr 2004 sei auf Fr.
49'400.- festzusetzen (gegenüber Fr. 48'100.- im Einspracheentscheid), das
Invalideneinkommen auf Fr. 40'080.75 (gegenüber Fr. 41'031.05 im
Einspracheentscheid). Der von der Swica in Abzug gebrachte leidensbedingte
Abzug in Höhe von 20 % überzeuge nicht. Angebracht sei ein Abzug von 15 %,
weshalb das Invalideneinkommen gesamthaft auf Fr. 34'068.65 festzusetzen sei.
Der Invaliditätsgrad betrage somit 31 %, so dass der Einspracheentscheid im
Ergebnis bestätigt werden könne.

Der Versicherte macht ein mutmassliches jährliches Valideneinkommen von Fr.
58'000.- geltend und führt aus, bei vollständiger Arbeitsunfähigkeit sei das
Invalideneinkommen "gleich Null" und betrage höchstens - ausgehend von einer
60%igen Arbeitsunfähigkeit - Fr. 22'903.30. Schliesslich sei der von der
Swica auf 20 % festgesetzte Leidensabzug angemessen.

4.2 Nach Angaben der ehemaligen Arbeitgeberin hätte das Einkommen des
Versicherten im Jahre 2003 zirka Fr. 3'700.- (x 13) betragen (Schreiben der
Frau Y.________ vom 3. September 2003). Darauf ist abzustellen, zumal - von
hier nicht interessierenden Ausnahmen abgesehen - beim Valideneinkommen der
zuletzt erzielte Verdienst als Bezugsgrösse grundsätzlich bestehen bleibt
(RKUV 2005 Nr. U 533 S. 40 E. 3.3, U 339/03). Angepasst an die
Nominallohnentwicklung im Jahre 2004 im Gastgewerbe von 1 % (Die
Volkswirtschaft 12/2006, Tabelle B10.2 S. 83) ergibt sich ein Jahreseinkommen
von Fr. 48'581.-.

Das Invalideneinkommen hat die Vorinstanz gestützt auf die vom Bundesamt für
Statistik herausgegebene Schweizerische Lohnstrukturerhebung (LSE) 2004
korrekt auf Fr. 57'258.25 bzw. bei einer 70%igen Arbeitsfähigkeit auf Fr.
40'080.75 (Tabelle TA1 S. 53, Total der Männer, Anforderungsniveau 4)
festgesetzt.

4.3
4.3.1 Was den leidensbedingten Abzug betrifft, legt die Vorinstanz die
Rechtsprechung zu den diesbezüglichen Voraussetzungen (BGE 126 V 75 E. 5b/aa
S. 79) zutreffend dar. Der Einfluss der einzelnen Merkmale (leidensbedingte
Einschränkung, Alter, Dienstjahre, Nationalität/Aufenthaltskategorie und
Beschäftigungsgrad) auf das Invalideneinkommen ist unter Würdigung der
Umstände im Einzelfall nach pflichtgemässem Ermessen gesamthaft zu schätzen
(BGE 126 V 75 E. 5b/bb S. 80) und insgesamt auf höchstens 25 % zu begrenzen
(BGE 126 V 75 E. 5b/cc S. 80).

4.3.2 Den gesundheitlichen Einschränkungen des zum Zeitpunkt des
Einspracheentscheides 38-jährigen Versicherten trugen Vorinstanz und
Versicherung bereits mit der um 30 % reduzierten Arbeitsfähigkeit Rechnung.
Die Nationalität spielt angesichts der Tatsache, dass der Beschwerdeführer
über eine Niederlassungsbewilligung (Kategorie B) verfügt, keine Rolle
(Urteil des Eidgenössischen Versicherungsgerichts I 640/00 vom 16. April
2002, E. 4d/bb [Zusammenfassung in HAVE 2002 S. 308]), und auch eine
Benachteiligung aufgrund der mässigen Deutsch-Kenntnisse ist für die in Frage
kommenden Tätigkeiten nicht ersichtlich (vgl. hiezu Urteil des
Eidgenössischen Versicherungsgerichts U 420/04 vom 25. Juli 2005, E. 2.5.2).
Ein Abzug kann somit nur wegen der Teilzeitarbeit gewährt werden. Zwar stellt
der gesamthaft vorzunehmende Abzug (lediglich) eine Schätzung dar, weshalb
das Sozialversicherungsgericht sein Ermessen nicht ohne triftigen Grund an
die Stelle desjenigen der Verwaltung setzen soll (BGE 126 V 81 Erw. 6 mit
Hinweis; vgl. auch das bereits angeführte Urteil des Eidgenössischen
Versicherungsgerichts U 420/04 vom 25. Juli 2005, E. 2.3). Indessen liegt
unter Berücksichtigung aller Umstände der vorinstanzlich auf 15 %
festgesetzte Leidensabzug näher als der von der Swica zugestandene Abzug von
20 %.

4.4 Aus der Gegenüberstellung des Valideneinkommens in Höhe von Fr. 48'581.-
und des Invalideneinkommens - unter Berücksichtigung eines leidensbedingten
Abzuges von 15 % - in Höhe von Fr. 34'068.65 resultiert ein Invaliditätsgrad
von (gerundet; BGE 130 V 121 E. 3.2 S. 123) 30 %, womit der geringfügig
abweichende Wert im vorinstanzlich bestätigten Einspracheentscheid (32 %)
bestätigt werden kann (vgl. Urteil des Eidgenössischen Versicherungsgerichtes
U 267/04 vom 30. Dezember 2004, E. 5.2.2).

5.
Da der Beschwerdeführer unterliegt, kann ihm auch keine Parteientschädigung
für das vorinstanzliche Verfahren (Art. 61 lit. g ATSG) oder das
Einspracheverfahren (Art. 52 Abs. 3 ATSG; BGE 130 V 570 E. 2.2 S. 572)
zugesprochen werden.

6.
Das Verfahren ist kostenlos (Art. 134 OG). Die unentgeltliche Verbeiständung
kann dem Versicherten gewährt werden (Art. 152 in Verbindung mit Art. 135
OG). Es wird indessen ausdrücklich auf Art. 152 Abs. 3 OG aufmerksam gemacht,
wonach die begünstigte Partei der Gerichtskasse Ersatz zu leisten haben wird,
wenn sie später dazu im Stande ist.

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird abgewiesen.

2.
Es werden keine Gerichtskosten erhoben.

3.
Zufolge Gewährung der unentgeltlichen Verbeiständung wird Rechtsanwalt Urs
Rudolf, Emmenbrücke, für das Verfahren vor dem Bundesgericht aus der
Gerichtskasse eine Entschädigung von Fr. 2'500.- (einschliesslich
Mehrwertsteuer) ausgerichtet.

4.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Verwaltungsgericht des Kantons Luzern,
Sozialversicherungsrechtliche Abteilung, und dem Bundesamt für Gesundheit
zugestellt.

Luzern, 15. Februar 2007

Im Namen der I. sozialrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident: Die Gerichtsschreiberin: