Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

Sozialrechtliche Abteilungen U 175/2006
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Prozess {T 7}
U 175/06

Urteil vom 16. August 2006
III. Kammer

Präsident Ferrari, Bundesrichter Lustenberger und Seiler; Gerichtsschreiberin
Heine

M.________, Beschwerdeführerin,
handelnd durch S.________, und diese vertreten durch Herr A._______,

gegen

Schweizerische Unfallversicherungsanstalt (SUVA), Fluhmattstrasse 1, 6004
Luzern, Beschwerdegegnerin

Verwaltungsgericht des Kantons Thurgau, Weinfelden

(Entscheid vom 8. Februar 2006)

Sachverhalt:

A.
M.________, Vater der 1994 geborenen M.________, war als Sachbearbeiter der
Firma X.________AG tätig und bei der Schweizerischen
Unfallversicherungsanstalt (SUVA) gegen die Folgen von Nichtberufsunfällen
versichert gewesen, als er am 22. Oktober 2001 tot in der Wohnung einer
Bekannten aufgefunden wurde. Nach den Untersuchungen des Instituts für
Rechtsmedizin (IRM) der Universität Zürich, worunter das Obduktionsgutachten
vom 15. April 2002 samt chemisch-toxikologischem Untersuchungsbericht vom 5.
März 2002, war der Tod am 22. Oktober 2001 zwischen 06.10 Uhr und 10.10 Uhr
als Folge einer zentralen Atemlähmung bei einer Mischvergiftung mit Kokain
(sehr hohe Konzentration) und Heroin (sehr niedrige Konzentration)
eingetreten.

Gestützt auf die beigezogenen Ermittlungs- und Untersuchungsakten erliess die
SUVA am 11. Februar 2005 eine Verfügung, worin sie dem Beistand von
M.________ eröffnete, dass sie mangels Vor-liegens eines Unfalles oder einer
unfallähnlichen Körperschädigung nicht leistungspflichtig sei. Auf Einsprache
hin hielt die SUVA an ihrem ablehnenden Standpunkt fest (Einspracheentscheid
vom 25. April 2005).

B.
Die dagegen eingereichte Beschwerde wies das Verwaltungsgericht des Kantons
Thurgau ab (Entscheid vom 8. Februar 2006).

C.
Mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde lässt M.________, gesetzlich vertreten
durch ihre Mutter Susanne Marangoni, diese vertreten durch Roger Amann,
sinngemäss beantragen, es sei ihr eine Waisenrente nach UVG zuzusprechen.

Die SUVA schliesst auf Abweisung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde. Das
Bundesamt für Gesundheit verzichtet auf eine Vernehmlassung.

D.
Mit Eingabe vom 6. Juli 2006 lässt die Beschwerdeführerin ihren Standpunkt
bekräftigen.

Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:

1.
Der Rechtsstreit dreht sich um die Frage, ob der Vorfall vom 22. Oktober
2001, bei welchem Marco Marangoni nach einer Überdosis Drogen starb, als
Unfall zu qualifizieren ist und die Beschwerdeführerin Anspruch auf eine
Waisenrente der Unfallversicherung (Art. 28 und Art. 30 Abs. 1 UVG) hat.

2.
2.1 Als Unfall gilt die plötzliche, nicht beabsichtigte schädigende Einwirkung
eines ungewöhnlichen äusseren Faktors auf den menschlichen Körper (Art. 9
Abs. 1 UVV [aufgehoben auf 31. Dezember 2002] bzw. heute Art. 4 ATSG; BGE 122
V 232 Erw. 1 mit Hinweisen, RKUV 2000 Nr. U 368 [U 335/98] S. 99 Erw. 2b).
Nach der Definition des Unfalls bezieht sich das Begriffsmerkmal der
Ungewöhnlichkeit nicht auf die Wirkung des äusseren Faktors, sondern nur auf
diesen selber. Ohne Belang für die Prüfung der Ungewöhnlichkeit ist somit,
dass der äussere Faktor allenfalls schwerwiegende, unerwartete Folgen nach
sich zog. Der äussere Faktor ist ungewöhnlich, wenn er den Rahmen des im
jeweiligen Lebensbereich Alltäglichen oder Üblichen überschreitet. Ob dies
zutrifft, beurteilt sich im Einzelfall, wobei grundsätzlich nur die
objektiven Umstände in Betracht fallen (BGE 122 V 233 Erw. 1, 121 V 38 Erw.
1a, je mit Hinweisen; RKUV 2000 Nr. U 368 [U 335/98] S. 99 Erw. 2b).

In einem in RKUV 1990 Nr. U 107 (U 57/89) S. 281 publizierten Urteil hat das
Eidgenössische Versicherungsgericht das Spritzen von Heroin unter die Zunge
nicht als einen ungewöhnlichen äusseren Faktor qualifiziert mit der
Begründung, dass es sich um einen dem Versicherten bekannten und gewohnten
Vorgang handelt. Ebenso entschied es in einem in RKUV 2000 Nr. U 374 (U
354/98) S. 175 veröffentlichten Fall, in welchem es um die Injektion von
Opiat-Drogen (Heroin oder Morphin) bei einer erfahrenen Drogenkonsumentin
ging, wobei es erkannte, dass dies selbst dann gilt, wenn der eingetretene
Tod auf einen besonderen Reinheitsgehalt zurückzuführen ist, weil damit der
Rahmen des im Bereich der illegalen Drogenbeschaffung und des illegalen
Konsums Üblichen nicht überschritten wird. Im Urteil S. vom 14. Februar 2002,
U 276/01, Erw. 2b schliesslich erwog das Gericht, dass der auf Grund
übermässigen Drogenkonsums eingetretene Tot den Unfallbegriff nicht erfüllt,
da es sich beim Versicherten um einen erfahrenen Drogenkonsumenten handelte,
für welchen die exzessive Einnahme von Suchtmitteln nichts Ungewöhnliches
darstellte, und keine Anhaltspunkte für das Vorliegen besonderer äusserer
Faktoren bestanden.

3.
3.1 Es steht fest und ist unbestritten, dass der Versicherte an einer
zentralen Atemlähmung starb, die als Folge einer Mischvergiftung mit Kokain
(in sehr hoher Konzentration) und Heroin (in sehr niedriger Konzentration)
eingetreten ist (Obduktionsgutachten vom 15. April 2002, S. 4 f.). Laut
chemisch-toxikologischem Untersuchungsbericht vom 5. März 2002 des
obduzierenden Instituts für Rechtsmedizin ist auf Grund der Analyseergebnisse
darauf zu schliessen, dass der Tod auf eine Intoxikation mit Kokain
zurückzuführen ist, wobei Opiat-Drogen am Todesgeschehen eine zusätzliche
Rolle gespielt haben dürften.

3.2 Aus den polizeilichen Ermittlungsakten geht hervor, dass der Versicherte
während Jahren in erheblichem Masse Drogen konsumiert hat, wobei er
hauptsächlich Kokain, gelegentlich aber auch Heroin, zu sich genommen hat. So
gab sein Bruder zu Protokoll, er habe ungefähr ein Jahr vor der im Jahre 1999
erfolgten Ehescheidung erstmals Drogen zu sich genommen. Er habe Kenntnis
davon, dass sein Bruder wegen des gemischten Konsums von Kokain und Heroin
ein Mal habe hospitalisiert werden müssen. Die Ehescheidung hat den
Versicherten offenbar stark belastet und in der Folge zu einem erhöhten
Drogenmissbrauch geführt. Die Mutter der Beschwerdeführerin räumte in der
kantonalen Beschwerde ein, sie habe dem Verstorbenen nach der Scheidung
einige Male Kokain intravenös verabreicht. P.________, in deren Wohnung der
Versicherte tot aufgefunden worden war, sagte schliesslich aus, sie habe sich
während zirka einem halben Jahr ein Mal pro Monat mit dem Verstorbenen
getroffen, wobei jeweils grosse Mengen an Kokain, am Todestag gemischt mit
wenig Heroin, konsumiert worden seien.

Insgesamt ist mit der Vorinstanz davon auszugehen, dass der regelmässige,
exzessive Konsum von Suchtmitteln für den Versicherten nichts Ungewöhnliches
darstellte; auch waren ihm die Risiken seines Handelns bekannt, insbesondere
nach der von seinem  Bruder erwähnten Hospitalisation, welche offenbar auch
Folge eines so genannten Mischkonsums von Kokain und Heroin gewesen war. Was
die Beschwerdeführerin dagegen vorbringen lässt, vermag zu keinem anderen
Ergebnis zu führen. Unfallversicherungsrechtlich ist insbesondere nicht
massgebend, dass der Versicherte anscheinend sozial weitestgehend integriert
war, er einer geregelten Arbeit nachging, sich die Drogen jeweils durch eine
Drittperson intravenös verabreichen liess und der Suchtmittelmissbrauch für
Aussenstehende nicht offen zu Tage trat.

3.3 Bei dieser Sachlage sowie im Lichte der in Erw. 2.1 hievor dargelegten
Grundsätze haben Vorinstanz und SUVA das Ereignis vom 22. Oktober 2001 zu
Recht nicht als Unfall im Rechtssinne qualifiziert, womit der angefochtene
Entscheid vor Bundesrecht stand hält.

Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht:

1.
Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird abgewiesen.

2.
Es werden keine Gerichtskosten erhoben.

3.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Verwaltungsgericht des Kantons Thurgau
und dem Bundesamt für Gesundheit zugestellt.

Luzern, 16. August 2006
Im Namen des Eidgenössischen Versicherungsgerichts

Der Präsident der III. Kammer: Die Gerichtsschreiberin: