Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

Sozialrechtliche Abteilungen U 159/2006
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Prozess {T 7}
U 159/06

Urteil vom 29. August 2006
III. Kammer

Präsident Ferrari, Bundesrichter Meyer und Lustenberger; Gerichtsschreiberin
Heine

Vaudoise Allgemeine Versicherungs-Gesellschaft, place de Milan, 1007
Lausanne, Beschwerdeführerin,

gegen

K.________, Beschwerdegegner

Versicherungsgericht des Kantons Solothurn, Solothurn

(Entscheid vom 28. Februar 2006)

Sachverhalt:

A.
Mit Verfügung vom 23. November 2005, bestätigt durch Einspracheentscheid vom
30. Dezember 2005, lehnte es die Vaudoise Allgemeine
Versicherungs-Gesellschaft (nachfolgend: Vaudoise) mangels eines Unfalls oder
einer unfallähnlichen Körperschädigung ab, dem 1955 geborenen K.________
Leistungen wegen des Ereignisses vom 26. Oktober 2005 (Achillessehnenruptur
beim Aufstehen vom Bürostuhl) zu erbringen.

B.
In Gutheissung der von K.________ dagegen eingereichten Beschwerde bejahte
das Versicherungsgericht des Kantons Solothurn eine unfallähnliche
Körperschädigung und wies die Verwaltung an, vorbehältlich der übrigen
Anspruchsvoraussetzungen, die gesetzliche Leistung für die am 26. Oktober
2005 erlittene Achillessehnenruptur zu erbringen (Entscheid vom 28. Februar
2006).

C.
Die Vaudoise führt Verwaltungsgerichtsbeschwerde mit dem Rechtsbegehren, der
kantonale Gerichtsentscheid sei aufzuheben.

K. ________ beantragt die Abweisung der Verwaltungsgerichts-beschwerde. Das
Bundesamt für Gesundheit verzichtet auf eine Vernehmlassung.

Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:

1.
Der Streit dreht sich um die Frage, ob die Beschwerdeführerin für die Folgen
des Ereignisses vom 26. Oktober 2005 gestützt auf das Vorliegen einer
unfallähnlichen Körperschädigung leistungspflichtig ist.

Das kantonale Gericht hat die hiefür einschlägigen gesetzlichen Bestimmungen
über den Begriff der Körperschädigungen, die auch ohne ungewöhnliche äussere
Einwirkung Unfällen gleichgestellt sind (Art. 6 Abs. 2 UVG in Verbindung mit
Art. 9 Abs. 2 UVV [in der seit 1. Januar 1998 gültigen Fassung]), ebenso
dargelegt wie die in BGE 129 V 466 mit Hinweisen bestätigte und präzisierte
Rechtsprechung, wonach am Erfordernis des äusseren Faktors gemäss BGE 123 V
43 und RKUV 2001 Nr. U 435 S. 332 festzuhalten ist. Darauf wird verwiesen.

2.
Nach dieser Rechtsprechung ist tatbestandsmässig ein ausserhalb des Körpers
liegender, objektiv feststellbarer, sinnfälliger, eben unfallähnlicher
Vorfall erforderlich. Wo ein solches Ereignis mit Einwirkung auf den Körper
nicht stattgefunden hat, und sei es auch nur als Auslöser eines in Art. 9
Abs. 2 lit. a-h UVV aufgezählten Gesundheitsschadens, ist eine eindeutig
krankheits- oder degenerativ bedingte Gesundheitsschädigung gegeben. Kein
unfallähnliches Ereignis liegt in all jenen Fällen vor, in denen der äussere
Faktor mit dem (erstmaligen) Auftreten der für eine der in Art. 9 Abs. 2 lit.
a-h UVV enthaltenen Gesundheitsschäden typischen Schmerzen gleichgesetzt
wird. Auch nicht erfüllt ist das Erfordernis des äusseren schädigenden
Faktors, wenn das (erstmalige) Auftreten von Schmerzen mit einer blossen
Lebensverrichtung einhergeht, welche die versicherte Person zu beschreiben in
der Lage ist; denn für die Bejahung eines äusseren, auf den menschlichen
Körper schädigend einwirkenden Faktors ist stets ein Geschehen verlangt, dem
ein gewisses gesteigertes Gefährdungspotenzial innewohnt. Das ist zu bejahen,
wenn die zum einschiessenden Schmerz führende Tätigkeit im Rahmen einer
allgemein gesteigerten Gefahrenlage vorgenommen wird, wie dies etwa für viele
sportliche Betätigungen zutreffen kann. Wer hingegen beim Aufstehen,
Absitzen, Abliegen, der Bewegung im Raum, Handreichungen usw. einen
einschiessenden Schmerz erleidet, welcher sich als Symptom einer Schädigung
nach Art. 9 Abs. 2 UVV herausstellt, kann sich nicht auf das Vorliegen einer
unfallähnlichen Körperschädigung berufen. Erfüllt ist demgegenüber das
Erfordernis des äusseren schädigenden Faktors bei Änderungen der Körperlage,
die nach unfallmedizinischer Erfahrung häufig zu körpereigenen Traumen führen
können, wie das plötzliche Aufstehen aus der Hocke, die heftige und/oder
belastende Bewegung und die durch äussere Einflüsse unkontrollierbare
Änderung der Körperlage (BGE 129 V 467 ff. Erw. 2.2 und 4.2). Erforderlich
und hinreichend für die Bejahung eines äusseren Faktors ist, dass diesem ein
gesteigertes Schädigungspotential zukommt, sei es zufolge einer allgemein
gesteigerten Gefahrenlage, sei es durch Hinzutreten eines zur
Unkontrollierbarkeit der Vornahme der alltäglichen Lebensverrichtung
führenden Faktors (BGE 129 V 471 Erw. 4.3).
Der Auslösungsfaktor kann dabei alltäglich und diskret sein. Es muss sich
indessen um ein plötzliches Ereignis handeln, wie eine heftige Bewegung oder
das plötzliche Aufstehen aus der Hocke. Dabei kommt es beim Begriffsmerkmal
der Plötzlichkeit im Rahmen der unfallähnlichen Körperschädigungen nicht in
erster Linie auf die Dauer der schädigenden Einwirkung an als vielmehr auf
deren Einmaligkeit. Keine unfallähnliche Körperschädigung liegt demgemäss
vor, wenn eine Verletzung im Sinne von Art. 9 Abs. 2 lit. a-h UVV
ausschliesslich auf wiederholte, im täglichen Leben laufend auftretende
Mikrotraumata zurückzuführen ist, welche eine allmähliche Abnützung bewirken
und schliesslich zu einem behandlungsbedürftigen Gesundheitsschaden führen
(Urteil A. vom 27. Oktober 2005, U 223/05, Erw. 4.2 mit Hinweisen auf BGE 116
V 148 Erw. 2c und Alfred Bühler, Die unfallähnliche Körperschädigung, in: SZS
1996 S. 88).

3.
3.1 Es steht fest (Schadenmeldung UVG des Hausarztes Dr. med. W.________,
Allgemeine Medizin FMH, vom 29. Oktober 2005; Bericht des Dr. med.
C.________, Praxisgemeinschaft, Orthopädische Chirurgie/Sportmedizin, vom 28.
Oktober 2005), dass der Beschwerdegegner am 26. Oktober 2005 eine
Achillessehnenruptur und damit eine Verletzung gemäss Art. 9 Abs. 2 lit. f
UVV ("Sehnenriss") erlitten hat. Strittig und zu prüfen ist, ob die Blessur
auf ein unfallähnliches Ereignis gemäss den in Erw. 1 und 2 hievor
dargelegten Bestimmungen und Grundsätzen zurückzuführen ist. Die
Beschwerdeführerin verneint dies mit der Begründung, die Körperschädigung sei
beim "normalen", "üblichen" Aufstehen von einem Stuhl eingetreten.

3.2  Auf Grund des aktenmässigen Geschehensablaufes ist es - wie schon von
der Vorinstanz erkannt - überwiegend wahrscheinlich, dass der als Dozent
tätige Beschwerdegegner am 26. Oktober 2005 aus seinem Bürostuhl
aufgesprungen ist, wobei anlässlich der abrupten Rotations-/Seitwärtsbewegung
der Sehnenriss eingetreten ist. Im Rahmen der Beweiswürdigung kommt dabei den
Angaben der (erst-)behandelnden Ärzte Dres. med. W.________ und C.________
erhebliches Gewicht zu. Die Aussagen der beiden Ärzte zum Unfallgeschehen
basieren - naturgemäss - auf der Darstellung ihres Patienten; der Umstand,
dass die Ärzte nicht aus eigener Wahrnehmung berichteten, sondern die
Schilderung des Versicherten wiedergaben, führt entgegen der offenbaren
Auffassung der Beschwerdeführerin indes nicht dazu, dass die Angaben der
Mediziner nicht im Sinne von Indizien zu berücksichtigen sind. Auf Grund der
zeitlichen Nähe zum Ereignis sind sodann bewusste oder unbewusste
Überlegungen versicherungsrechtlicher oder anderer Art wenig wahrscheinlich,
was zusätzlich für die Zuverlässigkeit der Angaben der Ärzte spricht. Laut
Schadenmeldung UVG des Dr. med. W.________ vom 29. Oktober 2005 machte der
Beschwerdegegner eine abrupte Bewegung, indem er aus Freude über die
günstigen Konditionen für den Abschluss eines grundpfandgesicherten Darlehens
("Festhypothek") in die Höhe gesprungen ist; Dr. med. C.________ nannte im
Bericht vom 28. Oktober 2005 seinerseits eine abrupte
Rotations-/Seitwärtsbewegung als ursächlich für die Verletzung. Die
Sachverhaltsdarstellung der behandelnden Ärzte stimmt schliesslich insoweit
mit den Angaben des Beschwerdegegners im "Fragebogen Unfallbegriff" (vom 3.
November 2005) überein, als der Versicherte dort erklärte, die Verletzung sei
beim etwas abrupten Aufstehen eingetreten. Der Umstand, dass der
Beschwerdegegner die Frage verneinte, ob die Verletzung auf etwas
Ausserordentliches ("Schlag, Sturz, Ausrutschen usw.") zurückzuführen sei und
insgesamt der Eindruck entsteht, der Beschwerdegegner habe das Geschehnis vom
26. Oktober 2005 initial gegenüber der Unfallversicherung eher
bagatellisiert, führt zu keinem anderen Beweisergebnis.

Insgesamt ist davon auszugehen, dass mit dem Aufspringen aus dem Bürostuhl
eine abrupte Änderung der Körperlage stattgefunden hat, der ein zwar nicht
ungewöhnliches, jedoch gegenüber dem normalen Gebrauch der Körperteile
gesteigertes Gefährdungspotential innewohnte (BGE 129 V 470 Erw. 4.2.2 und
4.3.3), welches sich hier realisierte. Demnach ist ein äusseres Ereignis im
Sinne von Art. 9 Abs. 2 UVV zu bejahen und der angefochtene Entscheid hält
vor Bundesrecht stand.

Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht:

1.
Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird abgewiesen.

2.
Es werden keine Gerichtskosten erhoben.

3.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Versicherungsgericht des Kantons
Solothurn und dem Bundesamt für Gesundheit zugestellt.

Luzern, 29. August 2006

Im Namen des Eidgenössischen Versicherungsgerichts

Der Präsident der III. Kammer: Die Gerichtsschreiberin: