Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

Sozialrechtliche Abteilungen U 158/2006
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Prozess {T 7}
U 158/06

Urteil vom 4. August 2006
III. Kammer

Präsident Ferrari, Bundesrichter Meyer und Seiler; Gerichtsschreiber Grunder

S.________, 1955, Beschwerdeführerin, vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Bruno
Häfliger, Schwanenplatz 7, 6004 Luzern,

gegen

Zürich Versicherungs-Gesellschaft, Talackerstrasse 1, 8152 Opfikon,
Beschwerdegegnerin, vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Attilio R. Gadola,
Kirchstrasse 7, 6060 Sarnen

Verwaltungsgericht des Kantons Nidwalden, Stans

(Entscheid vom 28. November 2005)

Sachverhalt:

A.
Die 1955 geborene S.________ zog sich am 9. Dezember 1993 bei einem
Verkehrsunfall (Auffahrkollision) ein Schleudertrauma der Halswirbelsäule zu.
Die Zürich Versicherungs-Gesellschaft (im Folgenden: Zürich), bei welcher sie
obligatorisch gegen die Folgen von Unfällen versichert war, erbrachte die
gesetzlichen Leistungen (Heilbehandlung, Taggeld). Mit Verfügung vom 13.
Oktober 1999 sprach sie der Versicherten Taggeldleistungen gestützt auf eine
Arbeitsunfähigkeit von 30 % ab 1. Mai 1995 bis 31. Dezember 1996, eine
Invalidenrente ab 1. Januar 1997 aufgrund eines Invaliditätsgrades von 30 %
sowie eine Integritätsentschädigung auf der Basis einer Integritätseinbusse
von 27,5 % zu. In teilweiser Gutheissung der Einsprache setzte sie für die
Zeit vom 25. April bis 20. Juni 1996 ein volles Taggeld fest; im Übrigen
hielt sie an der Verfügung fest (Einspracheentscheid vom 28. Februar 2000).
Die hiegegen eingereichte Beschwerde vom 24. Mai 2000 wies das
Verwaltungsgericht des Kantons Nidwalden ab (Entscheid vom 12. Februar 2001).
Mit Urteil vom 22. Oktober 2002 (U 227/01) hiess das Eidgenössische
Versicherungsgericht die Verwaltungsgerichtsbeschwerde in dem Sinne teilweise
gut, dass es den kantonalen Entscheid bezüglich der Invalidenrente aufhob und
die Sache an die Vorinstanz zurückwies, damit sie, nach erfolgter Abklärung
im Sinne der Erwägungen, über den Rentenanspruch der Beschwerdeführerin neu
befinde. Das kantonale Verwaltungsgericht erkannte am 10. Februar 2003 in
teilweiser Gutheissung der Beschwerde vom 24. Mai 2000, unter Aufhebung des
Einspracheentscheids vom 28. Februar 2000 sei "die Sache an die Vorinstanz"
zurückzuweisen, "damit sie nach erfolgten Abklärungen im Sinne der Erwägungen
des Urteils des Eidgenössischen Versicherungsgerichts vom 22. Oktober 2002
über den Rentenanspruch neu entscheide bzw. verfüge". Das Eidgenössische
Versicherungsgericht hob diesen Entscheid in Gutheissung der hiegegen
gerichteten Verwaltungsgerichtsbeschwerde mit Urteil vom 19. Januar 2004 (U
44/03) auf.

B.
Das Verwaltungsgericht des Kantons Nidwalden holte eine Stellungnahme der
Firma C.________ vom 23. Juni 2004 ein, gab den Parteien Gelegenheit, sich
dazu zu äussern, und zog die Akten der IV-Stelle Nidwalden bei. Mit Entscheid
vom 28. November 2005 wies es die Beschwerde erneut ab.

C.
Mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde lässt S.________ beantragen, unter
Aufhebung des vorinstanzlichen Entscheids sei ihr ab 1. Januar 1997 eine
Invalidenrente aufgrund eines Invaliditätsgrades von 100 % und eines
versicherten Verdienstes von Fr. 90'155.- zuzusprechen.

Die Zürich lässt auf Abweisung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde schliessen.
Das Bundesamt für Gesundheit verzichtet auf eine Vernehmlassung.

Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:

1.
Zu prüfen sind die der Bestimmung des Invaliditätsgrades zugrunde zu legenden
hypothetischen Vergleichseinkommen. Das Eidgenössische Versicherungsgericht
hat im Urteil vom 22. Oktober 2002 erwogen, dass aufgrund der
widersprüchlichen Angaben der Arbeitgeberin der mutmasslich ohne
Gesundheitsschaden erzielbare Lohn (Valideneinkommen) nicht zuverlässig
ermittelt werden kann. Unklar war zudem, ob die Beschwerdeführerin auch nach
dem Unfall vom 9. Dezember 1993 weiterhin regelmässig Überstunden geleistet
und eine Gratifikation im Sinne eines 14. Monatslohnes vereinnahmt hätte.
Hingegen bestanden keine konkreten Anhaltspunkte für einen beruflichen
Aufstieg, mit welchem sie ohne Eintritt des Gesundheitsschadens ein höheres
Einkommen hätte realisieren können. Die Arbeitsunfähigkeit als eine
wesentliche Voraussetzung zur Bestimmung des Invalideneinkommens hat das
Eidgenössische Versicherungsgericht im erwähnten Urteil in Bestätigung der
vorinstanzlichen Beurteilung auf 30 % festgelegt.

2.
2.1 Nach der Rechtsprechung sind die hypothetischen Vergleichseinkommen
ziffernmässig möglichst genau zu ermitteln und einander gegenüberzustellen
(BGE 128 V 30 Erw. 1, 104 V 136 Erw. 2a und b). Bei der Ermittlung des
Valideneinkommens ist auf konkrete Lohnauskünfte des bisherigen oder früheren
Arbeitgebers abzustellen, wenn anzunehmen ist, dass die versicherte Person,
wäre sie nicht invalid geworden, mit überwiegender Wahrscheinlichkeit
weiterhin beim selben Arbeitgeber tätig wäre (vgl. RKUV 2005 Nr. U 538 S. 112
Erw. 4.1.1). Fehlen aussagekräftige Anhaltspunkte, ist auf Erfahrungs- und
Durchschnittswerte zurückzugreifen. Auf Tabellenlöhne darf jedoch auch im
Rahmen der Bemessung des Valideneinkommens nur unter Mitberücksichtigung der
für die Entlöhnung im Einzelfall relevanten persönlichen und beruflichen
Faktoren abgestellt werden (Urteil T. vom 23. Mai 2000 [U 243/99] Erw. 2b).

2.2
2.2.1 Die Vorinstanz erwog, die Beschwerdeführerin habe in den Jahren 1991 bis
1993 durchschnittlich einen Verdienst von Fr. 90'195.- und im Jahre 1994 von
Fr. 82'816.- (inklusive 13. Monatsgehalt, ausserordentliche Gratifikation und
Überstundenentschädigung) erzielt. Aufgrund der Auskünfte der Arbeitgeberin
sei davon auszugehen, dass der mutmassliche Lohn im Jahre 1997 Fr. 77'950.-
betragen hätte, wobei ausgeschlossen werden könne, dass weiterhin Überstunden
hätten geleistet werden müssen. Nicht nachweisbar sei, dass ein Anspruch auf
ein 14. Monatsgehalt bestanden habe.

2.2.2 Die Beschwerdeführerin bringt im Wesentlichen vor, es sei auf den
Durchschnitt der Jahresverdienste von 1990 bis 1993 (angepasst an die
Teuerung und die Reallohnentwicklung) abzustellen, welcher sich im
unbestrittenen versicherten Verdienst von Fr. 90'155.- widerspiegle.

2.3 Gemäss handschriftlicher Notiz auf der Rückseite des der vorinstanzlichen
Stellungnahme der Firma C.________ vom 23. Juni 2004 beigelegten
Personalblattes hat die Beschwerdeführerin im Jahre 1993 einen Grundlohn von
monatlich Fr. 5740.- und 1994 von Fr. 5950.- erhalten (vgl. auch
Unfallmeldung vom 20. Dezember 1993 und Schreiben der Firma C.________ vom 2.
Juli 1997). Die Beschwerdeführerin wurde somit wegen der gesundheitlichen
Folgen des Unfalles lohnmässig nicht tiefer eingestuft. Sodann hat die
Vorinstanz das hypothetische Valideneinkommen nicht allein aufgrund der
Auskünfte der ehemaligen Arbeitgeberin eingeschätzt, sondern die
Durchschnittswerte der vom Bundesamt für Statistik herausgegebenen
Schweizerischen Lohnstrukturerhebung (LSE) des Jahres 1996 herangezogen und
festgestellt, dass die Beschwerdeführerin gemäss Tabelle TA1 im Bereich
Informatikdienste/Dienstleistungen für Unternehmen (Rz 72;74) bei einer
Arbeitszeit von 42,5 Stunden pro Woche im Anforderungsniveau 1 + 2
(Verrichtung höchst anspruchsvoller und schwierigster Arbeiten/Verrichtung
selbstständiger und qualifizierter Arbeiten), Frauen, keinen über
Fr. 77'950.- liegenden Lohn realisiert hätte. Auch das Vorbringen in der
Verwaltungsgerichtsbeschwerde, es sei auf die (letztinstanzlich aufgelegten)
Salärempfehlungen 1997 des Schweizerischen Kaufmännischen Verbandes (SKV)
abzustellen, ist nicht stichhaltig. Die Lohnangaben des SKV beruhen auf
blossen Empfehlungen und sind daher für die Bestimmung des Valideneinkommens
nicht repräsentativ. Die Vorinstanz hat weiter zutreffend festgestellt, dass
laut Auskünften der Firma C.________ vom 23. Juni 2004 sowie vom 11. Dezember
1998 an die Zürich ab dem Jahre 1996 keine Überstunden mehr angeordnet worden
sind. Die Angestellten mussten allfällig geleistete Überstunden im Rahmen des
Gleitzeitmodells ausgleichen. Es ist daher nicht wahrscheinlich, dass die
Beschwerdeführerin, wäre sie Arbeitnehmerin bei der Firma C.________
geblieben, regelmässig eine Überstundentschädigung bezogen hätte. Was den
geltend gemachten Anspruch auf eine Gratifikation im Sinne eines
14. Monatsgehalts anbelangt, liegen mit Ausnahme des Schreibens der Firma
C.________ vom 7. Januar 1999, wonach 1994 eine ausserordentliche
Gratifikation entrichtet wurde, keine weiteren Hinweise vor, dass eine solche
regelmässig ausbezahlt worden wäre. Die Firma C.________ hat in der
Stellungnahme vom 23. Juni 2004 auf eine entsprechende Frage hin
festgehalten, wenn ein "14. Monatsgehalt ausbezahlt wurde, muss es im Sinne
einer Gratifikation gewesen sein", ohne dass darauf "ein Gewohnheitsrecht
abgeleitet werden könnte". Angesichts dieser Beweislage ist von den
beantragten Weiterungen (Einholen der Lohnbuchhaltung der Firma C.________
sowie eines "Lohngutachtens") abzusehen. Unter den gegebenen Umständen ist
die vorinstanzliche Festlegung der ohne Gesundheitsschaden erzielbaren
Einkünfte nicht zu beanstanden.

3.
Die Vorinstanz hat das Invalideneinkommen auf 70 % des Validenlohnes bemessen
und ist damit implizit davon ausgegangen, dass die Beschwerdeführerin trotz
der gesundheitlichen Einschränkungen weiterhin im Anforderungsniveau 1 + 2
gemäss LSE 1996 tätig sein könnte. Laut dem für die Beurteilung der
Arbeitsunfähigkeit massgebenden Gutachten des Prof. Dr. med. D.________,
Chefarzt Neurologie in der Klinik X.________, vom 28. November 1996 (mit
Ergänzung vom 24. Januar 1997; vgl. Urteil vom 20. Oktober 2002 Erw. 3.1) ist
die Arbeitsfähigkeit der Beschwerdeführerin in der zuletzt ausgeübten
Tätigkeit als EDV-Operatrice in leitender Position (mit zwei ihr
unterstellten Datatypistinnen) zu 30 % eingeschränkt. In einer verwandten
Tätigkeit, in welcher sie nicht ausschliesslich am Computer arbeiten müsste,
sollte es ihr möglich sein, eine höhere Leistung zu erreichen. Dies könnte
gerade auf eine leitende Funktion zutreffen. Aus dem Umstand, dass die
Beschwerdeführerin möglicherweise die Anstellung als "Leiterin
Produkteentwicklung" bei der Firma C.________ (vgl. Stellungnahme vom 23.
Juni 2004) wegen der Unfallfolgen aufgeben musste, ist nicht zu schliessen,
sie könnte in einem solchen Aufgabenbereich nicht mehr tätig sein. Nach dem
Gesagten bleibt es bei der vorinstanzlichen Bestimmung des
Invalideneinkommens und des aus dem Einkommensvergleich resultierenden
Invaliditätsgrades von 30 %.

Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht:

1.
Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird abgewiesen.

2.
Es werden keine Gerichtskosten erhoben.

3.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Verwaltungsgericht des Kantons
Nidwalden, Abteilung Versicherungsgericht, und dem Bundesamt für Gesundheit
zugestellt.

Luzern, 4. August 2006
Im Namen des Eidgenössischen Versicherungsgerichts

Der Präsident der III. Kammer: Der Gerichtsschreiber: