Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

Sozialrechtliche Abteilungen U 156/2006
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Prozess {T 7}
U 156/06

Urteil vom 27. Juni 2006
IV. Kammer

Präsident Ursprung, Bundesrichterin Widmer und Bundesrichter Schön;
Gerichtsschreiber Schmutz

G.________, 1948, Beschwerdeführer, vertreten durch Fürsprecher Thomas
Schwarz, Marktgasse 23/25, 4900 Langenthal,

gegen

Schweizerische Unfallversicherungsanstalt (SUVA), Fluhmattstrasse 1, 6004
Luzern, Beschwerdegegnerin

Verwaltungsgericht des Kantons Bern, Bern

(Entscheid vom 10. Februar 2006)

Sachverhalt:

A.
G. ________, geboren 1948, war als Maschinenmonteur in der Firma X.________
AG angestellt und bei der Schweizerischen Unfallversicherungsanstalt (SUVA)
gegen die Folgen von Berufs- und Nichtberufsunfällen versichert. Am
12. November 2002 erlitt er als Lenker eines vor einem Fussgängerstreifen
angehaltenen Personenwagens eine Auffahrkollision, bei der das Auto von
hinten gerammt wurde. Gleichentags wurde im Spital Y.________ eine Distorsion
der Halswirbelsäule (HWS) mit Zervikalsyndrom diagnostiziert. Am 1. Dezember
2002 nahm G.________ die Arbeit zu 50 % und ab 20. Januar 2003 zu 100 %
wieder auf. Die X.________ AG löste das Arbeitsverhältnis per 30. Juni 2003
aus wirtschaftlichen Gründen auf. Wegen anhaltenden Beschwerden unterzog sich
G.________ verschiedentlich medizinischen Abklärungen, so durch die
SUVA-Kreisärzte Dres. med. O.________ und L.________ (Berichte vom 10. April
und 7. Oktober 2003), und Untersuchungen, so unter anderem durch Dr. med.
S.________, Spezialarzt FMH für Neurochirurgie (Bericht vom 27. Januar 2003),
Dr. med. W.________, Spezialarzt FMH für Rheumatologie und Innere Medizin
(Berichte vom 17. November und 11. Dezember 2003), und Dr. med. H.________,
Spezialarzt FMH für Neurologie (Bericht vom 12. März 2004). Die SUVA
erbrachte die gesetzlichen Leistungen (Heilbehandlung und Taggeld). Mit
Verfügung vom 14. Juni 2004 stellte sie diese ab dem 1. Juli 2004 ein, weil
keine behandlungsbedürftige Unfallfolgen mehr vorlägen und die noch geklagten
Beschwerden psychisch begründet seien. Zudem hielt sie fest, auch die
Voraussetzungen für weitere Geldleistungen (Invalidenrente,
Integritätsentschädigung) seien nicht erfüllt. Die dagegen erhobene
Einsprache wies sie mit Entscheid vom 29. Oktober 2004 ab.

B.
G.________ erhob Beschwerde beim Versicherungsgericht des Kantons Solothurn,
das diese dem örtlich zuständigen Verwaltungsgericht des Kantons Bern
überwies. Das Verwaltungsgericht wies die Beschwerde mit Entscheid vom
10. Februar 2006 ab.

C.
G.________ führt Verwaltungsgerichtsbeschwerde und beantragt, die SUVA sei zu
verpflichten, ihm ab 1. Juli 2004 die gesetzlichen Leistungen zu erbringen;
eventualiter sei die Sache zur ergänzenden Abklärung an die Vorinstanz oder
an die SUVA zurückzuweisen.
Die SUVA beantragt Abweisung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde. Vorinstanz
und Bundesamt für Gesundheit verzichten auf Vernehmlassung.

Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:

1.
Das kantonale Gericht hat die Rechtsprechung zu dem für die Leistungspflicht
des Unfallversicherers vorausgesetzten natürlichen Kausalzusammenhang im
Allgemeinen (BGE 119 V 337 Erw. 1) und bei Schleudertraumen der HWS oder
äquivalenten Verletzungsmechanismen im Besonderen (BGE 119 V 340 Erw. 2b/aa;
RKUV 2000 Nr. U 359 S. 29) zutreffend dargelegt. Darauf wird verwiesen.
Entsprechendes gilt für die von der Judikatur entwickelten Grundsätze zum
Erfordernis des adäquaten Kausalzusammenhanges im Allgemeinen (vgl. auch BGE
125 V 461 Erw. 5a mit Hinweisen) sowie insbesondere bei psychischen
Unfallfolgen (BGE 115 V 133) und bei den Folgen eines Unfalles mit
Schleudertrauma der HWS oder äquivalenten Verletzungen ohne organisch
nachweisbare Funktionsausfälle (BGE 117 V 359 ff.).

2.
Bei der Beurteilung der Adäquanz von organisch nicht (hinreichend)
nachweisbaren Unfallfolgeschäden ist rechtsprechungsgemäss (BGE 127 V 103
Erw. 5b/bb mit Hinweisen) wie folgt zu differenzieren: Es ist zunächst
abzuklären, ob die versicherte Person beim Unfall ein Schleudertrauma der
Halswirbelsäule, eine dem Schleudertrauma äquivalente Verletzung (SVR 1995
UV Nr. 23 S. 67 Erw. 2) oder ein Schädel-Hirntrauma erlitten hat. Ist dies
nicht der Fall, gelangt die Rechtsprechung gemäss BGE 115 V 140 Erw. 6c/aa
zur Anwendung. Ergeben die Abklärungen, dass die versicherte Person eine der
soeben erwähnten Verletzungen erlitten hat, muss beurteilt werden, ob die zum
typischen Beschwerdebild einer solchen Verletzung gehörenden
Beeinträchtigungen (vgl. dazu: BGE 119 V 337 Erw. 1, 117 V 360 Erw. 4b) zwar
teilweise vorliegen, im Vergleich zur psychischen Problematik aber ganz in
den Hintergrund treten. Trifft dies zu, sind für die Adäquanzbeurteilung
ebenfalls die in BGE 115 V 140 Erw. 6c/aa für Unfälle mit psychischen
Folgeschäden aufgestellten Grundsätze massgebend; andernfalls erfolgt die
Beurteilung der Adäquanz gemäss den in BGE 117 V 366 Erw. 6a und 382 Erw. 4b
festgelegten Kriterien (BGE 123 V 99 Erw. 2a mit Hinweisen). Wie das
Eidgenössische Versicherungsgericht in dem in RKUV 2002 Nr. U 465 S. 437
publizierten Urteil schliesslich dargelegt hat, ist die Adäquanz des
Kausalzusammenhangs nur dann im Sinne von BGE 123 V 99 Erw. 2a unter dem
Gesichtspunkt einer psychischen Fehlentwicklung nach Unfall zu beurteilen,
wenn die psychische Problematik bereits unmittelbar nach dem Unfall
eindeutige Dominanz aufweist. Wird die Rechtsprechung gemäss BGE 123 V 99
Erw. 2a in einem späteren Zeitpunkt angewendet, ist zu prüfen, ob im Verlaufe
der ganzen Entwicklung vom Unfall bis zum Beurteilungszeitpunkt die
physischen Beschwerden gesamthaft nur eine sehr untergeordnete Rolle gespielt
haben und damit ganz in den Hintergrund getreten sind. Nur wenn dies
zutrifft, ist die Adäquanz nach der Rechtsprechung zu den psychischen
Unfallfolgen (BGE 115 V 133) zu beurteilen.

3.
3.1 Anders als in Erwägung 5.4 des vorinstanzlichen Entscheides ist auf Grund
der medizinischen Akten nicht in Abrede zu stellen, dass zwischen dem Unfall
vom 12. November 2002 und den von Beginn an im Mittelpunkt stehenden
Kopfschmerzen des Beschwerdeführers ein natürlicher Kausalzusammenhang
besteht, auch wenn diese nach den Angaben in späteren ärztlichen Berichten
durch den Gebrauch von Schmerzmitteln induziert sein sollen.

3.2 Das kantonale Gericht hat zu Recht dargelegt, dass die zum typischen
Beschwerdebild nach erlittenem Schleudertrauma der HWS gehörenden
Beeinträchtigungen beim Beschwerdeführer nicht vorgelegen haben, sodass die
Adäquanz nicht nach BGE 117 V 360, sondern gemäss BGE 115 V 140 zu erfolgen
hat.

3.3 Auch wenn eine psychische Fehlentwicklung als gegeben angenommen würde,
müsste bei der Beurteilung die Adäquanz des Kausalzusammenhangs verneint
werden, wie dies die Vorinstanz in Erwägung 6.2 ihres Entscheides richtig
ausgeführt hat und worauf hier verwiesen wird. Was der Beschwerdeführer dazu
vorbringt dringt nicht durch. In Berücksichtigung der polizeilich
protokollierten Aussagen der Unfallbeteiligten und Zeugen sowie der
biomechanischen Kurzbeurteilung der Arbeitsgruppe für Unfallmechanik vom
24. Juni 2003 handelte es sich zwar um einen Unfall im mittleren Bereich,
jedoch eindeutig nicht um einen solchen im Grenzbereich zu den schweren
Unfällen. In dieser Hinsicht ist die Darstellung in der
Verwaltungsgerichtsbeschwerde zum Teil aktenwidrig (bspw. bezüglich der
Aufprallgeschwindigkeit des hinteren Fahrzeuges, zur Strecke, um die das Auto
des Beschwerdeführers nach vorne gestossen wurde sowie hinsichtlich des
Abbrechens der Rückenlehne). Im Übrigen kann vollumfänglich auf die
zutreffenden Erwägungen der Vorinstanz verwiesen werden.

4.
Anders als vom Beschwerdeführer dargelegt, kann dem Bericht von Dr. med.
F.________, Spezialarzt FMH für Neurologie, vom 19. Februar 2003 nicht allein
auf Grund des Umstandes voller Beweiswert zu bemessen werden, dass er knapp
drei Monate nach dem Unfallereignis erstattet worden ist. Abgesehen davon
enthält er im Hinblick auf die Beurteilung der Unfallfolgen nichts, das
relevant von den Stellungnahmen der anderen Ärzte abweicht. Dass die
Arbeitsstelle fünf Monate nach der Wiederaufnahme der Arbeit nicht
ausschliesslich aus wirtschaftlichen Gründen verloren ging, sondern weil der
Beschwerdeführer seine Arbeitsleistung nicht mehr voll hat erbringen können,
ist nach der allgemeinen Lebenserfahrung zwar nicht von der Hand zu weisen.
Aber die Firma X.________ AG hat im Kündigungsschreiben vom 22. Mai 2003
ausdrücklich wirtschaftliche Gründe genannt und laut Medienmitteilung des
Regierungsrates vom gleichen Tag haben weitere 78 Mitarbeitende aus demselben
Grund die Stelle verloren. Selbst wenn gesundheitliche Gründe mit den
Ausschlag für die Kündigung der Stelle gegeben hätten, änderte dies jedoch
nichts daran, dass die Beschwerdegegnerin rund ein Jahr später berechtigt
war, die Leistungen ab dem 1. Juli 2004 mit der Begründung einzustellen, es
lägen keine behandlungsbedürftigen Unfallfolgen mehr vor.

Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht:

1.
Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird abgewiesen.

2.
Es werden keine Gerichtskosten erhoben.

3.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Verwaltungsgericht des Kantons Bern,
Sozialversicherungsrechtliche Abteilung, und dem Bundesamt für Gesundheit
zugestellt.
Luzern, 27. Juni 2006

Im Namen des Eidgenössischen Versicherungsgerichts

Der Präsident der IV. Kammer: Der Gerichtsschreiber: