Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

Sozialrechtliche Abteilungen U 136/2006
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U 136/06

Urteil vom 2. Mai 2007

I. sozialrechtliche Abteilung

Bundesrichter Ursprung, Präsident,
Bundesrichter Meyer, Frésard,
Gerichtsschreiber Traub.

Winterthur Versicherungen, General Guisan-Strasse 40, 8400 Winterthur,
Beschwerdeführerin,

gegen

1. Sanitas Grundversicherungen AG, Lagerstrasse 107,  8004 Zürich,

2. P.________, 1960,
Beschwerdegegner,
vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Ueli Kieser, Ulrichstrasse 14, 8032 Zürich.

Unfallversicherung,

Verwaltungsgerichtsbeschwerde gegen den Entscheid
des Sozialversicherungsgerichts des Kantons Zürich vom 30. Januar 2006.

Sachverhalt:

A.
Der 1960 geborene P.________ zog sich am 13. August 2002 bei seiner Arbeit
als Krankenpfleger im Sanatorium K.________ eine Distorsion des rechten Knies
zu. Die "Winterthur" Schweizerische Versicherungs-Gesellschaft als
obligatorischer Unfallversicherer hielt mit - durch Einspracheentscheid vom
3. Juni 2004 bestätigter - Verfügung vom 22. Oktober 2003 fest, nach dem
31. Januar 2003 stünden die Beschwerden im rechten Knie nicht mehr in einem
ursächlichen Zusammenhang mit dem versicherten Unfall, und stellte die
Leistungen mit dem 1. Februar 2003 ein.

B.
Das Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich hiess die von P.________
und dem mitbeteiligten Krankenversicherer erhobenen Beschwerden in dem Sinne
gut, als es die Sache an den Unfallversicherer zurückwies, damit dieser
weitere Abklärungen tätige und über den Leistungsanspruch neu verfüge
(Entscheid vom 30. Januar 2006).

C.
Die "Winterthur" führt Verwaltungsgerichtsbeschwerde mit den Rechtsbegehren,
der angefochtene Entscheid sei soweit aufzuheben, als er Rückweisung der
Sache zur weiteren Abklärung und neuen Verfügung vorsehe.

P. ________ und die Sanitas Grundversicherungen AG als mitbeteiligter
Krankenversicherer schliessen je auf Abweisung der
Verwaltungsgerichtsbeschwerde, ersterer im Eventualbegehren auf die
Zusprechung der gesetzlichen Leistungen über den 31. Januar 2003 hinaus.

Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

1.
1.1 Das Bundesgesetz über das Bundesgericht vom 17. Juni 2005 (BGG; SR
173.110) ist am 1. Januar 2007 in Kraft getreten (AS 2006 1205, 1243). Da der
angefochtene Entscheid vorher ergangen ist, richtet sich das Verfahren noch
nach OG (Art. 132 Abs. 1 BGG; BGE 132 V 393 E. 1.2 S. 395).

1.2 Im Beschwerdeverfahren um die Bewilligung oder Verweigerung von
Versicherungsleistungen ist die Überprüfungsbefugnis des Bundesgerichts nicht
auf die Verletzung von Bundesrecht einschliesslich Überschreitung oder
Missbrauch des Ermessens beschränkt, sondern sie erstreckt sich auch auf die
Angemessenheit der angefochtenen Verfügung; das Gericht ist dabei nicht an
die vorinstanzliche Feststellung des rechtserheblichen Sachverhalts gebunden
und kann über die Begehren der Parteien zu deren Gunsten oder Ungunsten
hinausgehen (Art. 132 OG).

2.
2.1 Streitig ist, ob der Versicherte im Zeitpunkt, zu welchem der
Unfallversicherer die Leistungen einstellte (Ende Januar 2003), noch an den
Folgen des Unfalls vom 13. August 2002 litt.

2.2 Wie schon das kantonale Gericht zutreffend festgehalten hat, sind
massgebende Ursachen (Art. 6 Abs. 1 UVG) im Rahmen des natürlichen
Kausalzusammenhangs alle Umstände, ohne deren Vorhandensein die
gesundheitliche Beeinträchtigung nicht oder nicht in gleicher Weise oder
nicht zur gleichen Zeit eingetreten wäre. Daher ist nicht erforderlich, dass
ein Unfall die alleinige oder unmittelbare Ursache gesundheitlicher Störungen
ist, sondern reicht es aus, dass das versicherte Ereignis zusammen mit
anderen Faktoren für die Schädigung verantwortlich ist (BGE 129 V 177 E. 3.1
S. 181, 402 E. 4.3.1 S. 406 mit Hinweisen).

2.3
2.3.1 Das kantonale Gericht ging davon aus, das rechte Knie des Versicherten
weise ausgeprägte degenerative (Meniskusschaden, Arthrose) bzw. durch eine
früher erlittene Kreuzbandverletzung bedingte Schädigungen auf. Am 4. Februar
2003 sei in der Orthopädischen Universitätsklinik Y.________ eine umfassende
Operation (bestehend aus einer Valgisations-Osteotomie, einer
Knie-Arthroskopie mit Teilmeniskektomie sowie einer Kreuzband-Rekonstruktion)
vorgenommen worden. Angaben der Klinik zufolge bildeten mehrere unfallfremde
Ursachen Anlass für die Operation. Aus dem betreffenden Bericht vom 4. April
2003 gehe indes nicht hervor, dass die Operation auch ohne Unfall zum
fraglichen Zeitpunkt nötig geworden wäre. Die ärztliche Stellungnahme lasse
Raum für die Hypothese, dass die vorbestehenden degenerativen Veränderungen
durch den Unfall symptomatisch geworden seien, was zur Begründung einer
haftungsauslösenden Teilkausalität ausreichen würde. Möglich sei allerdings
auch, dass die Beschwerden erst nach dem versicherten Ereignis aufgetreten
seien, ohne damit in einem ursächlichen Zusammenhang zu stehen. Der den
Unfallversicherer beratende Orthopäde Dr. S.________ lege dies mit seiner
Stellungnahme vom 26. August 2003 nahe, indem er dort ausführe, der Status
quo sine sei Ende Januar 2003 erreicht gewesen. Er begründe aber nicht,
inwiefern sich die kausalen Verhältnisse innert der kurzen Zeit seit seinem
Bericht vom 19. November 2002, in welchem er die Unfallkausalität noch bejaht
hatte, grundlegend verändert haben sollten. Ein weiterer Konsiliarmediziner
der "Winterthur", der Chirurg Dr. H.________, postuliere eine vorübergehende
Verschlimmerung des Vorzustandes, der zu einer verzögerten Heilung der rein
distorsionsbedingten Beschwerden geführt habe (Bericht vom 8. Januar 2004).
Er lasse dabei aber offen, in welchem Zeitraum die Distorsion eines
Kniegelenks nach medizinischer Erfahrung ausheile und wie es sich mit der von
ihm angesprochenen Wechselwirkung zwischen Vorzustand und Unfallfolgen und
der damit verbundenen prolongierten Schmerzsymptomatik verhalte.
Entsprechende Aussagen seien unabdingbar, um angesichts des relativ engen
zeitlichen Rahmens von rund fünfeinhalb Monaten zwischen Unfall und
Einstellung der Leistungen die Kausalitätsfrage beurteilen zu können. Die
Vorinstanz zog folgendes Fazit (E. 3.10):
"Zusammenfassend lässt sich den medizinischen Unterlagen nicht schlüssig
entnehmen, was für unfallbedingte Gesundheitsschäden der [Versicherte] genau
erlitten hat und ob diese bis Ende Januar 2003 (Datum der
Leistungseinstellung) tatsächlich [...] mit überwiegender Wahrscheinlichkeit
von den unbestrittenermassen vorliegenden degenerativ bedingten,
vorbestehenden Schäden 'überholt' wurden oder nicht. Es kann mit anderen
Worten nicht beurteilt werden, ob bzw. mit welcher Wahrscheinlichkeit Ende
Januar 2003 - und damit vor der Knieoperation - ein Zustand eingetreten war,
wie er auch ohne den Unfall vom 13. August 2002 eingetreten wäre [...]. Um
diese Frage zu beantworten, ist die Sache an die ['Winterthur']
zurückzuweisen, damit sie - unter Wahrung des rechtlichen Gehörs der
Beschwerdeführenden - eine anstaltsfremde Begutachtung einhole."
2.3.2 Der Unfallversicherer wendet ein, angesichts des Umstandes, dass die
Heilbehandlungen vorwiegend der Behandlung des Vorzustands dienten und sich
aus den Akten praktisch keine Hinweise auf eine eigentliche unfallbedingte
Verletzung ergeben hätten, erweise sich die Leistungsdauer von knapp einem
halben Jahr als grosszügig. Die Anforderungen an den im Hinblick auf die
Leistungseinstellung zu erbringenden Beweis dürften - entgegen der Vorinstanz
- nicht von der Dauer der bereits erbrachten Leistungen abhängig gemacht
werden. Erneute Abklärungen würden nicht zu neuen Erkenntnissen führen.

3.
3.1 Verschlimmert der Unfall einen krankhaften Vorzustand oder lässt er ihn
überhaupt erst manifest werden, entfällt die Leistungspflicht des
Unfallversicherers erst, wenn der Unfall nicht mehr die natürliche (und
adäquate) Ursache des Gesundheitsschadens darstellt, wenn dieser also nur
noch und ausschliesslich auf unfallfremden Ursachen beruht. Dies trifft dann
zu, wenn entweder der (krankhafte) Gesundheitszustand, wie er unmittelbar vor
dem Unfall bestanden hat (Status quo ante) oder aber derjenige Zustand, wie
er sich nach dem schicksalsmässigen Verlauf eines krankhaften Vorzustandes
auch ohne Unfall früher oder später eingestellt hätte (Status quo sine),
erreicht ist. Ebenso wie der leistungsbegründende natürliche
Kausalzusammenhang muss das Dahinfallen jeder kausalen Bedeutung von
unfallbedingten Ursachen eines Gesundheitsschadens mit dem im
Sozialversicherungsrecht allgemein üblichen Beweisgrad der überwiegenden
Wahrscheinlichkeit nachgewiesen sein. Die blosse Möglichkeit nunmehr gänzlich
fehlender ursächlicher Auswirkungen des Unfalles genügt nicht. Da es sich
hierbei um eine anspruchsaufhebende Tatfrage handelt, liegt die Beweislast -
anders als bei der Frage, ob ein leistungsbegründender natürlicher
Kausalzusammenhang gegeben ist - nicht beim Versicherten, sondern beim
Unfallversicherer (RKUV 1994 Nr. U 206 S. 328 Erw. 3b mit Hinweisen).

3.2 Anders als die Beschwerdeführerin meint, hat das kantonale Gericht
keineswegs eine von der Kürze der Leistungsdauer abhängige Verschärfung des
Beweismasses vorgegeben. Seine Entscheidung folgt vielmehr aus der
Feststellung einer Beweislücke hinsichtlich der Frage, ob die - initial
unbestrittene - kausale Bedeutung des Unfalls innert weniger als einem halben
Jahr vollständig weggefallen sei. Es trifft zu, dass die
Gesundheitsschädigung weitestgehend dem massiven Vorzustand zuzuschreiben ist
und dem leichten Unfall dementsprechend nur untergeordnete Bedeutung zukommt.
Nach der unter E. 3.1 hiervor dargestellten Praxis genügt dies aber, um die
Haftung des obligatorischen Unfallversicherers zu begründen. Der Umstand,
dass die Kniegelenksdistorsion dem zuvor offenbar asymptomatischen Charakter
des Knieleidens ein Ende setzte, ändert nichts an dessen Qualität eines
spezifischen Ereignisses, das einer eigentlichen Teilursache und nicht einer
beliebig austauschbaren Gelegenheits- oder Zufallsursache entspricht (dazu
Urteil U 413/05 vom 5. April 2007, E. 4.2).
Die Befürchtung des Unfallversicherers, die vorinstanzlichen
Begründungsvorgaben führten faktisch zu einer Perpetuierung seiner
Leistungspflicht, ist unbegründet. Indikation und Gegenstand der Operation
vom 4. Februar 2003 (Valgisations-Osteotomie [Durchtrennung und teilweise
Entfernung eines Knochens zur Korrektur einer Fehlstellung];
Teilmeniskektomie; Rekonstruktion des vorderen Kreuzbandes) zeigen, dass
damit Zustände behoben wurden, ohne deren Vorhandensein die - als solche
morphologisch nicht sicher isolierbaren (Bericht des Dr. H.________ vom
8. Januar 2004) - Unfallfolgen wohl nicht denkbar gewesen wären. Nach der
operativen Sanierung des Kniegelenks fehlt dementsprechend wohl die Grundlage
für eine weitere, auf der Wechselwirkung zwischen Vorzustand und Unfallfolgen
beruhende "prolongierte Schmerzsymptomatik". Ein eventueller Residualzustand
nach der Operation stellte insofern kaum mehr eine Unfallfolge dar. Der
Rechtsstreit entzündet sich denn auch an der Tatsache, dass der
Unfallversicherer die Einstellung seiner Leistungen just auf einen Zeitpunkt
wenige Tage vor dem grossen operativen Eingriff terminierte. Weil ein
versicherter Unfall auch dann haftungsbegründender Kausalfaktor für eine
bestimmte Gesundheitsschädigung sein kann, wenn er für deren Eintritt bloss
zeitlich bestimmend war (BGE 129 V 177 E. 3.1 S. 181), ist entscheidend, ob
die zuvor latente Operationsindikation durch die unfallbedingte Aktivierung
des Vorzustands zur akuten geworden ist, der Zeitpunkt des (früher oder
später vielleicht ohnehin notwendig gewordenen) Eingriffs mit anderen Worten
durch das versicherte Trauma bestimmt wurde, oder aber ob der
Operationsbedarf lediglich bei Gelegenheit der unfallbedingten kurativen und
diagnostischen Handlungen entdeckt wurde, ohne dass der Zeitpunkt des
Eingriffs einen inneren Zusammenhang mit dem Unfall aufwiese. Die Frage
bedarf der auf medizinische Erfahrungswerte gestützten Klärung. Diesen Zweck
erfüllen die Ausführungen des Dr. H.________ auch soweit nicht, als dort
davon die Rede ist, der Status quo sine sei "rein theoretisch" auf anfangs
Februar 2003 zu situieren (Bericht vom 8. Januar 2004). Eine solche
Festlegung ist nur beweiskräftig, wenn sie auf der Grundlage anerkannter
medizinischer "Evidenz" (im Sinne von validierten Forschungsergebnissen)
erfolgt und entsprechend begründet ist.

3.3 Aus dem medizinischen Dossier lässt sich nach dem Gesagten nicht
herleiten, dass die Folgen des versicherten Ereignisses im Zeitpunkt der
Leistungseinstellung für das damals bestehende Beschwerdebild mit
überwiegender Wahrscheinlichkeit bedeutungslos geworden waren. Der
angefochtene Entscheid besteht daher zu Recht.

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird abgewiesen.

2.
Die Gerichtskosten von Fr. 3000.- werden der Beschwerdeführerin auferlegt und
mit dem geleisteten Kostenvorschuss verrechnet.

3.
Die Beschwerdeführerin hat dem Versicherten für das Verfahren vor dem
Bundesgericht eine Parteientschädigung von Fr. 1500.- (einschliesslich
Mehrwertsteuer) zu bezahlen.

4.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Sozialversicherungsgericht des Kantons
Zürich und dem Bundesamt für Gesundheit zugestellt.

Luzern, 2. Mai 2007

Im Namen der I. sozialrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident: Der Gerichtsschreiber: