Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

Sozialrechtliche Abteilungen U 131/2006
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U 131/06

Urteil vom 19. Mai 2006
III. Kammer

Präsident Ferrari, Bundesrichter Meyer und Lustenberger; Gerichtsschreiber
Fessler

K.________, 1954, Beschwerdeführer, vertreten durch Rechtsanwalt Rémy
Wyssmann, Hauptstrasse 36,
4702 Oensingen,

gegen

Schweizerische Unfallversicherungsanstalt (SUVA), Fluhmattstrasse 1, 6004
Luzern, Beschwerdegegnerin

Versicherungsgericht des Kantons Solothurn, Solothurn

(Verfügung vom 31. Januar 2006)

Sachverhalt:

A.
Mit Verfügung vom 1. April 2003 sprach die Schweizerische
Unfallversicherungsanstalt (SUVA) K.________ für die Folgen zweier
Verkehrsunfälle u.a. eine Invalidenrente auf der Grundlage einer
Erwerbsunfähigkeit von 20 % zu, was sie mit Einspracheentscheid vom 23.
Dezember 2003 bestätigte.

Am 5. April 2004 liess K.________ beim Versicherungsgericht des Kantons
Solothurn Beschwerde einreichen, wobei er um unentgeltliche Rechtspflege
ersuchte. Die SUVA schloss in ihrer Vernehmlassung vom 11. Juni 2004 auf
Abweisung des Rechtsmittels. Nach ihrer Auffassung bestand überhaupt kein
Rentenanspruch. Sie beantragte jedoch (vorläufig) keine Reformatio in peius.

Mit Verfügung vom 3. August 2004 erliess der Gerichtspräsident eine Verfügung
u.a. des Inhalts:
"2.Das Gesuch um Bewilligung der unentgeltlichen Rechtspflege bzw. Bestellung
eines unentgeltlichen Rechtsbeistandes wird im gegenwärtigen Zeitpunkt
zufolge Aussichtslosigkeit der Beschwerde abgewiesen.

3. Es ist nicht zum Vornherein auszuschliessen, dass das Versicherungsgericht
die Beschwerde nicht nur abweisen, sondern möglicherweise zu Ungunsten des
Beschwerdeführers entscheiden wird. Der Beschwerdeführer erhält daher (...)
Gelegenheit, insbesondere zwecks Vermeidung einer Schlechterstellung (sog.
reformatio in peius), die Beschwerde gegen den fraglichen Einspracheentscheid
zurückzuziehen (...)."
In Gutheissung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde des K.________ hob das
Eidgenössische Versicherungsgericht mit Urteil vom 28. September 2005 (BGE
131 V 483) Dispositiv-Ziffer 2 der Verfügung vom 3. August 2004 aus formellen
Gründen auf und wies die Sache an das kantonale Versicherungsgericht zurück,
damit es über den Anspruch auf unentgeltliche Verbeiständung für das hängige
Verfahren neu entscheide.

Mit Urteil vom 27. Dezember 2005 (U 430+472/05) entschied das Eidgenössische
Versicherungsgericht zwei verfahrensrechtliche Fragen im Zusammenhang mit dem
Gesuch um unentgeltliche Prozessführung und Verbeiständung für das kantonale
Beschwerdeverfahren. In der Begründung wies es das kantonale Gericht an, dem
Beschwerdeführer eine letztmalige kurze Frist einzuräumen, zu der als möglich
erachteten reformatio in peius Stellung zu nehmen und allenfalls die
Beschwerde zurückzuziehen.

B.
Mit Eingabe vom 30. Januar 2006 zog der Rechtsvertreter von K.________ die
Beschwerde vom 16. August 2004 (recte: 5. April 2004) zurück. Mit Verfügung
vom 31. Januar 2006 schrieb der Präsident des kantonalen
Versicherungsgerichts das Verfahren von der Geschäftskontrolle ab
(Dispositiv-Ziffer 1) und wies das Gesuch um Bestellung eines unentgeltlichen
Rechtsbeistandes zufolge Aussichtslosigkeit der Beschwerde ab
(Dispositiv-Ziffer 2).

C.
K.________ lässt Verwaltungsgerichtsbeschwerde führen mit dem Rechtsbegehren,
Dispositiv-Ziffer 2 der Verfügung vom 31. Januar 2006 sei aufzuheben und es
sei ihm für das Beschwerdeverfahren vor dem kantonalen Versicherungsgericht
die unentgeltliche Rechtspflege und Verbeiständung zu gewähren; ebenfalls sei
ihm für das Verfahren vor dem Eidgenössischen Versicherungsgericht die volle
unentgeltliche Rechtspflege zu bewilligen.

Das kantonale Gericht beantragt die Abweisung der
Verwaltungsgerichtsbeschwerde.

Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:

1.
Die Verfügung vom 31. Januar 2006 verneint den Anspruch des Beschwerdeführers
auf unentgeltliche Verbeiständung nach Art. 61 lit. f ATSG für das Verfahren
vor dem kantonalen Versicherungsgericht betreffend Leistungen der
Unfallversicherung (Heilbehandlung, Taggeld, Rente) wegen Aussichtslosigkeit
des Prozesses. Dieser Entscheid kann unter dem Gesichtspunkt der
bundesrechtlichen Verfügungsgrundlage (Art. 128 OG in Verbindung mit Art. 97
OG sowie Art. 5 und 45 Abs. 2 lit. h VwVG) sowie des nicht wieder
gutzumachenden Nachteils (Art. 45 Abs. 1 VwVG) selbständig beim
Eidgenössischen Versicherungsgericht angefochten werden (in BGE 131 V 483
nicht publizierte Erw. 1.2 und 1.3 des Urteils K. vom 28. September 2005 [U
266/04]). Da auch die weiteren formellen Erfordernisse gegeben sind, ist auf
die Verwaltungsgerichtsbeschwerde einzutreten.

2.
2.1 In der Verfügung vom 31. Januar 2006 wird die Ablehnung des Gesuchs um
unentgeltliche Verbeiständung wie folgt begründet: "Dem mit Eingabe vom
5.4.2004 gestellten Begehren um unentgeltliche Verbeiständung kann angesichts
der Aktenlage nicht entsprochen werden, da die Gewinnaussichten des Prozesses
von vornherein beträchtlich geringer erscheinen als die Verlustgefahren,
womit Aussichtslosigkeit gegeben ist (§ 106 Abs. 2 ZPO; BGE 122 I 271 E. 2b
mit Hinweisen). Dies gilt im vorliegenden Fall insbesondere angesichts der in
Aussicht gestellten reformatio in peius. Es kann u.a. auch auf die
nachvollziehbaren Ausführungen der Suva in deren Beschwerdeantwort vom
11.6.2004 (insb. A.S. 23-25) verwiesen werden."
2.2 In der Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird vorgebracht, ob der Prozess
genügende Erfolgsaussichten habe, beurteile sich nach den Verhältnissen im
Zeitpunkt der Einreichung des Armenrechtsgesuchs. Es sei unzulässig, diesen
Entscheid bis zu den gerichtlichen Beweiserhebungen (oder gar bis zum
Endentscheid) hinauszuschieben und bei allenfalls nachträglich zu Tage
tretender Aussichtslosigkeit des Prozesses das Armenrecht für das gesamte
Verfahren zu verweigern (vgl. BGE 101 Ia S. 34 ff. Erw. 2). Sinngemäss hätte
das kantonale Gericht ohne Berücksichtigung der Vernehmlassung der SUVA, in
welcher die Beweggründe ihres Rechtsvertreters in Bezug auf eine mögliche
reformatio in peius erwähnt würden, über das Armenrechtsgesuch entscheiden
müssen. Der Inhalt des ungewöhnlich umfangreichen Einspracheentscheides habe
keine Hinweise für eine Aussichtslosigkeit einer allfälligen Beschwerde
erkennen lassen. Ebenfalls sei in diesem Entscheid das Armenrecht für das
Einspracheverfahren ausdrücklich bewilligt worden.

2.3 Das kantonale Gericht hält in seiner Vernehmlassung fest, im Zeitpunkt
der (ersten) Verfügung vom 3. August 2004 seien die Ausführungen zu einer
allfälligen Reformatio in peius gemäss Beschwerdeantwort vom 11. Juni 2004
bekannt gewesen. Diese hätten auch bereits zum Zeitpunkt der Einreichung des
Gesuchs um unentgeltliche Rechtspflege in der Beschwerde vom 5. April 2004
ihre Gültigkeit gehabt.

3.
3.1 Dem Beschwerdeführer ist darin beizupflichten, dass sich die genügenden
Erfolgsaussichten des Prozesses als eine Voraussetzung für den Anspruch auf
unentgeltliche Rechtspflege von hier nicht interessierenden Ausnahmen
abgesehen auch im Verfahren vor dem kantonalen Versicherungsgericht in
unfallversicherungsrechtlichen Streitigkeiten nach den (tatsächlichen und
rechtlichen) Verhältnissen im Zeitpunkt der Gesuchseinreichung beurteilen
(Art. 61 lit. f ATSG in Verbindung mit Art. 2 ATSG und Art. 1 UVG; Urteil K.
vom 27. Dezember 2005 [U 430+472/05] mit Hinweis auf BGE 101 Ia 34). Dabei
schliesst eine allfällige reformatio in peius oder der Rückzug der Beschwerde
wegen einer möglichen Schlechterstellung den Anspruch auf unentgeltliche
Rechtspflege nicht schlechthin aus (Urteil K. vom 27. Dezember 2005; vgl.
auch SVR 1996 UV Nr. 40 S. 123 Erw. 3b sowie AHI 1994 S. 182 oben). Entgegen
der Auffassung des Beschwerdeführers kommt anderseits der Bewilligung der
unentgeltlichen Verbeiständung für das Einspracheverfahren keine
entscheidende Bedeutung für die Frage der unentgeltlichen Verbeiständung für
das erstinstanzliche Beschwerdeverfahren zu. So kann ein in allen Teilen
(tatsächliche Feststellungen und rechtliche Schlussfolgerungen) überzeugender
Einspracheentscheid unter Berücksichtigung der Vorbringen in der Beschwerde
deren Erfolgsaussichten als derart gering erscheinen lassen, dass die
Aussichtslosigkeit des Rechtsmittels bejaht werden muss.

3.2 Im Weitern weist die Vorinstanz in ihrer Vernehmlassung richtig darauf
hin, dass die Ausführungen in der Beschwerdeantwort der SUVA nichts
enthalten, was nicht schon bei Einreichung der Beschwerde sich den Akten
entnehmen liess. In Bezug auf die tatsächlichen Entscheidungsgrundlagen
betrifft dies die Berichte des PD Dr. med. F.________ vom 22. Mai 2003 und
des Spitals I.________ vom 3. Oktober 2003. Das Hauptargument der SUVA in der
vorinstanzlichen Vernehmlassung für eine allfällige Reformatio in peius, der
Rentenzusprechung liege die unzutreffende Annahme zu Grunde, es bestünden
unfallbedingte Einschränkungen, sodann fand sich bereits im
Einspracheentscheid vom 23. Dezember 2003. In der dortigen Erw. 4 wurde
festgehalten, auf Grund des Berichts des Spitals I.________ vom 3. Oktober
2003, welcher sich auch noch auf weiter vorgenommene bildgebende Abklärungen
stütze, sei eigentlich kein erklärendes organisches Korrelat für die
geklagten Beschwerden gegeben. Es kann somit nicht davon gesprochen werden,
mit der Verweisung auf die Ausführungen in der Beschwerdeantwort habe das
kantonale Gericht für die Beurteilung der Erfolgsaussichten des Prozesses als
eine Voraussetzung für den Anspruch auf unentgeltliche Rechtspflege auf die
tatsächlichen und rechtlichen Verhältnisse in einem späteren Zeitpunkt nach
der Gesuchseinreichung abgestellt. Ebenfalls kann aufgrund der Feststellung,
dass eigentlich kein erklärendes organisches Korrelat für die geklagten
Beschwerden gegeben sei, was die Beurteilung einer unfallbedingten
funktionellen Einschränkung als wohlwollend erscheinen lasse, nicht gesagt
werden, der Einspracheentscheid habe keine Hinweise für eine
Aussichtslosigkeit erkennen lassen. Weitere Einwendungen gegen die
Qualifikation der Beschwerde als aussichtslos durch das kantonale Gericht
werden - zu Recht - nicht vorgebracht. Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde ist
somit unbegründet.

4.
Bei diesem Ergebnis muss auch das letztinstanzliche Verfahren als
aussichtslos im Sinne von Art. 152 Abs. 2 OG bezeichnet werden und es besteht
demzufolge kein Anspruch auf unentgeltliche Verbeiständung. Soweit die
Befreiung von den Gerichtskosten beantragt wird, ist das Begehren
gegenstandslos. Nach der Gerichtspraxis sind Streitigkeiten betreffend die
unentgeltliche Rechtspflege kostenlos.

Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht:

1.
Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird abgewiesen.

2.
Es werden keine Gerichtskosten erhoben.

3.
Das Gesuch um unentgeltliche Verbeiständung wird abgewiesen.

4.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Versicherungsgericht des Kantons
Solothurn und dem Bundesamt für Gesundheit zugestellt.

Luzern, 19. Mai 2006
Im Namen des Eidgenössischen Versicherungsgerichts

Der Präsident der III. Kammer: Der Gerichtsschreiber: