Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

Sozialrechtliche Abteilungen U 125/2006
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Prozess {T 7}
U 125/06

Urteil vom 22. Juni 2006
III. Kammer

Präsident Ferrari, Bundesrichter Meyer und Lustenberger; Gerichtsschreiber
Flückiger

Hotela Kranken- und Unfallkasse des Schweizer Hoteliervereins, Rue de la Gare
18, 1820 Montreux, Beschwerdeführerin,

gegen

W.________, 1980, Deutschland, Beschwerdegegnerin

Kantonsgericht Basel-Landschaft, Liestal

(Entscheid vom 10. August 2005)

Sachverhalt:

A.
Die 1980 geborene W.________ war ab August 2000 im Hotel S.________ als
Köchin angestellt und damit bei der Hotela Kranken- und Unfallkasse des
Schweizer Hoteliervereins für die kurzfristigen Leistungen obligatorisch
unfallversichert. Am 15. Juli 2001 zog sie sich an ihrem Arbeitsplatz eine
Verletzung am rechten Handgelenk zu, welche gleichentags im Spital
X.________, Chirurgische Poliklinik, operiert wurde. In der Folge war die
Versicherte gemäss Unfallschein UVG (Eintragungen der Chirurgischen
Poliklinik) bis 19. September 2001 zu 100 %, bis 17. Dezember 2001 zu 50 %
und anschliessend bis 31. Mai 2002 zu 25 % arbeitsunfähig. Nachdem das
bisherige Arbeitsverhältnis auf Ende Februar 2002 aufgelöst worden war,
arbeitete sie vom 1. März bis 31. Dezember 2002 im Landgasthof F.________. In
der Folge war sie arbeitslos.
Die Hotela zog Berichte und Gutachten des Spitals X.________, Chirurgische
Poliklinik, vom 15. August 2002, des Kreiskrankenhauses Y.________/DE,
Orthopädische Chirurgie, vom 27. September 2002, des Arbeitsamtes Q.________,
Ärztlicher Dienst, vom 29. August 2003, des Dr. med. H.________, vom
27. November 2003, des Spitals X.________, Hand- und periphere
Nervenchirurgie, vom 26. Januar und 5. Mai 2004 sowie des Spitals Z.________,
Handchirurgie, vom 19. April 2004 bei. Anschliessend stellte sie mit
Verfügung vom 12. Juli 2004 die kurzfristigen Leistungen ein. Daran wurde mit
Einspracheentscheid vom 4. November 2004 festgehalten.

B.
In Gutheissung der hiegegen erhobenen Beschwerde, soweit darauf einzutreten
war, hob das Kantonsgericht Basel-Landschaft den Einspracheentscheid auf und
wies die Sache zur Abklärung im Sinne der Erwägungen und zum Erlass einer
neuen Verfügung an die Hotela zurück (Entscheid vom 10. August 2005).

C.
Die Hotela führt Verwaltungsgerichtsbeschwerde mit dem Rechtsbegehren, es sei
der kantonale Entscheid aufzuheben.

W. ________ äussert sich zur Verwaltungsgerichtsbeschwerde, ohne einen
formellen Antrag zu stellen. Das Bundesamt für Gesundheit verzichtet auf eine
Vernehmlassung.
Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:

1.
Das kantonale Gericht hat die Grundsätze über den für die Leistungspflicht
des obligatorischen Unfallversicherers (Art. 6 Abs. 1 UVG) vorausgesetzten
natürlichen (vgl. dazu auch BGE 129 V 181 Erw. 3.1, 406 Erw. 4.3.1, 119 V 337
Erw. 1, 118 V 289 Erw. 1b, je mit Hinweisen) und adäquaten (BGE 115 V 133
ff.; vgl. auch BGE 129 V 181 Erw. 3.2, 405 Erw. 2.2, 125 V 461 Erw. 5a mit
Hinweisen) Kausalzusammenhang zwischen Unfallereignis und Gesundheitsschaden
zutreffend dargelegt. Darauf wird verwiesen. Richtig sind auch die
vorinstanzlichen Erwägungen zum Anspruch auf Taggelder der obligatorischen
Unfallversicherung (Art. 16 UVG; Art. 25 Abs. 3 UVV), zum Begriff der
Arbeitsunfähigkeit (Art. 6 ATSG), zur Aufgabe des Arztes oder der Ärztin in
Bezug auf die Beurteilung der Arbeitsfähigkeit (BGE 115 V 134 Erw. 2, 114 V
314 Erw. 3c, 105 V 158 Erw. 1; vgl. auch BGE 125 V 261 Erw. 4) sowie zum
Beweiswert und zur Würdigung medizinischer Berichte und Gutachten (BGE 125 V
352 Erw. 3a).

2.
Streitig und zu prüfen ist, ob die Hotela über den 12. Juli 2004 hinaus
Leistungen für das Unfallereignis vom 15. Juli 2001 zu erbringen hat. In
zeitlicher Hinsicht beschränkt sich die gerichtliche Prüfung praxisgemäss auf
den Sachverhalt, wie er sich bis zum Einspracheentscheid vom 4. November 2004
entwickelt hat (BGE 116 V 248 Erw. 1a; RKUV 2001 Nr. U 419 S. 101 Erw. 2a [=
Urteil S. vom 29. Dezember 2000, U 170/00]).

2.1 Die Hotela hatte ihre Leistungspflicht für den von der Beschwerdegegnerin
als Köchin am 15. Juli 2001 erlittenen Berufsunfall (Schnittwunde am
Handgelenk rechts mit Durchtrennung zweier Sehnen und des Nervus medianus)
zunächst anerkannt. In der Folge betrachtete sie den Fall jedoch als
abgeschlossen. Denn die Versicherte hatte seit März 2002 zu 100 % gearbeitet
und war ab 1. Juni 2002 wieder voll arbeitsfähig geschrieben. Die
Sprechstunde der Handchirurgischen Abteilung des Spitals X.________ hatte sie
ab 26. Februar 2002 nicht mehr aufgesucht, und es war auch keine besondere
Behandlung vorgesehen (Bericht der Klinik vom 15. August 2002).
Am 9. Januar und 21. April 2004 stellte sich die Versicherte wieder in der
handchirurgischen Sprechstunde am Spital X.________ vor. Praktisch zeitgleich
wies sie sich selbst der Handchirurgie am Spital Z.________ zur Konsultation
zu. Unter anderem auf Grund der entsprechenden medizinischen Berichte und
nach Rücksprache mit dem Vertrauensarzt gelangte die Hotela zur Auffassung,
es könne keine namhafte Besserung des unfallbedingten Gesundheitszustandes
mehr erwartet werden. Spätestens am 12. Juli 2004 sei von einem
stabilisierten Gesundheitszustand auszugehen, weswegen auf diesen Zeitpunkt
hin die "kurzfristigen Leistungen" (Heilbehandlung und Taggeld) eingestellt
würden. Die unter anderem mit dem Vorbringen, eine bestehende "psychosoziale
Problematik" sei auf das Unfallereignis vom 15. Juli 2001 zurückzuführen,
begründete Einsprache lehnte der Versicherer mit Entscheid vom 4. November
2004 ab.

2.2 Das kantonale Gericht gelangte zum Ergebnis, eine Arbeitsunfähigkeit aus
psychischen Gründen, welche die Leistungspflicht der Hotela begründen würde,
sei mangels adäquater Kausalität nicht gegeben. Die Frage nach dem Bestehen
und gegebenenfalls dem Ausmass einer unfallbedingten physischen
Arbeitsunfähigkeit der Versicherten in ihrem angestammten Beruf während des
relevanten Zeitraums ab 12. Juli 2004 lasse sich demgegenüber auf Grund der
medizinischen Akten nicht mit hinreichender Zuverlässigkeit beantworten.
Deshalb seien zusätzliche Abklärungen erforderlich.

2.3 Dem kantonalen Gericht ist beizupflichten, was die Beurteilung
allfälliger psychischer Unfallfolgen anbelangt. Mit Blick auf die von der
Rechtsprechung entwickelten Massstäbe (BGE 115 V 139 Erw. 6a; leichte Unfälle
wurden z.B. angenommen in den Urteilen S. vom 7. April 2005, U 221/04
[Ausgleiten beim Tragen einer Motorsäge auf abschüssigem Gelände im Wald,
stichartige Schmerzen beim Auffangen des Sturzes], E. vom 25. Februar 2003,
U 78/02 [Sturz auf Eisfläche mit Kopfanprall], R. vom 2. Dezember 2002,
U 145/02 [Sturz bei Eisregen mit Schenkelhalsbruch], und S. vom 15. Oktober
2001 [Schlag eines 600 kg schweren Betonblocks an den rechten Oberarm]) ist
das Ereignis vom 15. Juli 2001 - Schnittwunde durch einen zerbrechenden
Teller - als leichter oder allenfalls als mittelschwerer, im Grenzbereich zu
den leichten liegender Unfall zu qualifizieren, was bei den gegebenen
Umständen zur Verneinung der Adäquanz des Kausalzusammenhangs führt (BGE 115
V 139 Erw. 6a und 141). Dagegen kann den vorinstanzlichen Überlegungen zu den
somatischen Unfallfolgen nicht zugestimmt werden. Denn es bestehen keine
Anhaltspunkte dafür, dass die Beschwerdegegnerin bei ihrer mehrmonatigen
vollen Berufsarbeit im Landgasthof F.________ wesentlich, das heisst mit
erwerbsmässigen Folgen, unfallbedingt beeinträchtigt gewesen wäre, und sie
selbst macht dies auch nicht geltend. Das Vorliegen gewisser Residuen,
insbesondere einer Sensibilitätsstörung, ist unbestritten; es führte aber
nach Lage der Akten nicht zu einer Arbeitsunfähigkeit als Köchin von
mindestens einem Viertel, wie sie Art. 25 Abs. 3 UVV für den Taggeldanspruch
voraussetzt. Die Frage kann aber letztlich offen bleiben, und auch die
Gesetzmässigkeit der erwähnten Bestimmung ist nicht näher zu prüfen (dazu BGE
126 V 128 f. Erw. 3c und 129 Erw. 4). Denn es läge in jedem Fall eine
mehrjährige Einschränkung der Arbeitsfähigkeit im angestammten Beruf als
Köchin vor, sodass die Beschwerdegegnerin auf Grund der allgemeinen
Schadenminderungspflicht (dazu BGE 129 V 453 Erw. 4.2, 123 V 233 Erw. 3c, 117
V 278 Erw. 2b, 400, je mit Hinweisen) praxisgemäss innert einer
Übergangsfrist von höchstens fünf bis sechs Monaten (BGE 114 V 289 f. Erw. 5b
mit Hinweisen; vgl. auch SVR 2001 KV Nr. 34 S. 99 Erw. 9) eine andere
Anstellung hätte suchen müssen, bei der sich die Restfolgen der erlittenen
Schnittverletzung nicht auswirken. Ein solches Ausweichen auf berufsfremde
Arbeiten hat die Beschwerdegegnerin auch tatsächlich anvisiert, wie die bei
den Akten liegenden Stellenzuweisungen des Arbeitsamtes Q.________ belegen.
Die temporäre Ausübung berufsfremder Tätigkeiten war der Beschwerdegegnerin
umso mehr zumutbar, als sie sich am 7. Oktober 2003 bei der Eidgenössischen
Invalidenversicherung zwecks "Umschulung auf eine neue Tätigkeit" und
"Arbeitsvermittlung" angemeldet hatte und schliesslich die Zusprache  einer
"Umschulung zum Handelsdiplom VSH in der Zeit vom 17. Januar 2005 bis
30. Juni 2006" erreichte. Damit steht fest, dass die kurzfristigen Leistungen
zu Recht eingestellt wurden.

3.
Für die Dauerleistungen (Integritätsentschädigung, Invalidenrente) ist die
Beschwerde führende Hotela unstrittig nicht zuständig, nachdem sie diese
Risiken bei der Lloyd's Underwriters (gestützt auf Art. 70 Abs. 2 UVG)
versichert hat.

Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht:

1.
In Gutheissung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird der Entscheid des
Kantonsgerichts Basel-Landschaft, Abteilung Sozialversicherungsrecht, vom
10. August 2005 aufgehoben.

2.
Es werden keine Gerichtskosten erhoben.

3.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Kantonsgericht Basel-Landschaft,
Abteilung Sozialversicherungsrecht, und dem Bundesamt für Gesundheit
zugestellt.
Luzern, 22. Juni 2006

Im Namen des Eidgenössischen Versicherungsgerichts

Der Präsident der III. Kammer: Der Gerichtsschreiber: