Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

Sozialrechtliche Abteilungen U 121/2006
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U 121/06

Urteil vom 23. April 2007

I. sozialrechtliche Abteilung

Bundesrichter Ursprung, Präsident,
Bundesrichter Frésard, Seiler,
Gerichtsschreiberin Riedi Hunold.

A. ________, 1966, Beschwerdeführer, vertreten durch Rechtsanwalt Werner
Greiner, Ankerstrasse 24, 8004 Zürich,

gegen

Schweizerische Unfallversicherungsanstalt (SUVA), Fluhmattstrasse 1, 6004
Luzern, Beschwerdegegnerin.

Unfallversicherung,

Verwaltungsgerichtsbeschwerde gegen den Entscheid des Versicherungsgerichts
des Kantons Aargau vom 11. Januar 2006.

Sachverhalt:

A.
A. ________, geboren 1966, war seit 18. September 1997 bei der Firma
L.________ als Mitarbeiter tätig und in dieser Eigenschaft bei der
Schweizerischen Unfallversicherungsanstalt (nachfolgend: SUVA) gegen die
Folgen von Unfällen versichert. Am 12. März 1998 war er in einen
Verkehrsunfall verwickelt. Dabei stiess er mit dem Kopf an die Scheibe der
Fahrertür und zog sich eine Schädel- und Halswirbelsäulenkontusion zu. Am 30.
März 1998 nahm er seine Arbeit wieder voll auf. In der Folge litt er an einem
schweren Tinnitus und war wegen psychischer Beschwerden in Behandlung. Mit
Verfügung vom 17. Dezember 2003 sprach ihm die SUVA eine Invalidenrente bei
einem Invaliditätsgrad von 100 % ab 1. September 2003 und eine
Integritätsentschädigung bei einer Integritätseinbusse von 10 % wegen des
schweren Tinnitus zu; die Frage einer Integritätsentschädigung infolge des
psychischen Leidens wurde ausdrücklich offen gelassen. A.________ liess
Einsprache einreichen. Mit Schreiben vom 9. Februar 2005 stellte die SUVA die
Integritätsentschädigung für das psychische Leiden bei einer
Integritätseinbusse von 25 % in Aussicht. A.________ liess eine
Integritätsentschädigung bei einer Integritätseinbusse von insgesamt
mindestens 80 % geltend machen. Mit Einspracheentscheid vom 11. April 2005
sprach die SUVA eine Integritätsentschädigung bei einer Integritätseinbusse
von 35 % (10 % für den Tinnitus, 25 % für das psychische Leiden) zu.

B.
Die hiegegen erhobene Beschwerde wies das Versicherungsgericht des Kantons
Aargau mit Entscheid vom 11. Januar 2006 ab.

C.
A.________ lässt Verwaltungsgerichtsbeschwerde an das Eidgenössische
Versicherungsgericht (seit 1. Januar 2007: Bundesgericht; nachfolgend:
Bundesgericht) führen mit dem Antrag, es sei ihm unter Aufhebung des
vorinstanzlichen Entscheids eine Integritätsentschädigung von mindestens 60 %
auszurichten. Die SUVA schliesst auf Abweisung der
Verwaltungsgerichtsbeschwerde. Das Bundesamt für Gesundheit verzichtet auf
eine Vernehmlassung.

Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

1.
Das Bundesgesetz über das Bundesgericht vom 17. Juni 2005 (BGG; SR 173.110)
ist am 1. Januar 2007 in Kraft getreten (AS 2006 1205, 1243). Da der
angefochtene Entscheid vorher ergangen ist, richtet sich das Verfahren noch
nach dem Bundesgesetz über die Organisation der Bundesrechtspflege vom 16.
Dezember 1943 (OG; Art. 132 Abs. 1 BGG; BGE 132 V 393 E. 1.2 S. 395).

2.
Die Vorinstanz hat die Bestimmungen und Grundsätze über den Anspruch auf eine
Integritätsentschädigung (Art. 24 und 25 UVG; Art. 36 UVV), insbesondere
infolge eines psychischen Leidens (BGE 124 V 29 und 209), und deren
Ermittlung durch Anwendung der Skala in Anhang 3 zur UVV sowie der von der
Medizinischen Abteilung der SUVA erarbeiteten Tabellen (BGE 124 V 29 E. 1b
und c S. 32; RKUV 1998 Nr. U 296 S. 235 E. 2a, je mit Hinweisen) zutreffend
dargelegt. Darauf wird verwiesen.

3.
Zwischen den Parteien ist unbestritten, dass der Versicherte an einem sehr
schweren Tinnitus sowie an einer psychischen Störung leidet, welche zu einer
Integritätsentschädigung berechtigen. Streitig sind hingegen die Prozentsätze
der Integritätseinbusse.

4.
4.1 Die Integritätsentschädigung wird entsprechend der Schwere des
Integritätsschadens abgestuft (Art. 25 Abs. 1 UVG). Die Schwere des
Integritätsschadens wird nach dem medizinischen Befund beurteilt. Bei
gleichem medizinischem Befund ist der Integritätsschaden für alle
Versicherten gleich; er wird abstrakt und egalitär bemessen. Die
Integritätsentschädigung der Unfallversicherung unterscheidet sich daher von
der privatrechtlichen Genugtuung, mit welcher der immaterielle Nachteil
individuell unter Würdigung der besonderen Umstände bemessen wird. Im
Gegensatz zur Bemessung der Genugtuungssumme im Zivilrecht lassen sich
ähnliche Unfallfolgen miteinander vergleichen und auf medizinischer Grundlage
allgemein gültige Regeln zur Bemessung des Integritätsschadens aufstellen.
Spezielle Behinderungen der Betroffenen durch den Integritätsschaden bleiben
dabei unberücksichtigt. Die Bemessung des Integritätsschadens hängt somit
nicht von den besonderen Umständen des Einzelfalles ab. Auch geht es bei ihr
nicht um die Schätzung erlittener Unbill, sondern um die
medizinisch-theoretische Ermittlung der Beeinträchtigung der körperlichen
oder geistigen Integrität, wobei subjektive Faktoren ausser Acht zu lassen
sind (BGE 115 V 147 E. 1 mit Hinweisen; Urteil des Eidgenössischen
Versicherungsgerichts U 191/00 vom 14. Januar 2002, E. 2a).

4.2 Die Beurteilung der einzelnen Integritätseinbussen obliegt den ärztlichen
Sachverständigen. Dem Gericht ist es nicht möglich, die Beurteilung aufgrund
der aktenkundigen Diagnosen selber vorzunehmen, da die Ausschöpfung des in
den Tabellen offengelassenen Bemessungsspielraums entsprechende
Fachkenntnisse voraussetzt (RKUV 1998 Nr. U 296 S. 235 E. 2d; vgl. auch
Urteil des Eidgenössischen Versicherungsgerichts U 191/00 vom 13. Januar
2002, E. 2c, wonach es sich bei der Bestimmung des Schweregrades einer
gesundheitlichen Beeinträchtigung um eine Tatfrage handelt, für deren
Beantwortung Verwaltung und Gerichte auf fachärztliche Mithilfe angewiesen
sind, da von einem medizinischen Laien eine zuverlässige Zuordnung nicht
erwartet werden kann).

4.3 Nach dem Gesagten ist lediglich zu prüfen, ob die fachärztliche
Beurteilung den rechtlichen Vorgaben standhält.

5.
5.1 Soweit der Versicherte bezüglich des Tinnitus geltend macht, dass die in
den Tabellen angegebenen Werte nicht in jedem Fall verbindlich sind, ist ihm
zuzustimmen. Da jedoch diese Tabellen der Gleichbehandlung aller Versicherten
dienen und bei gleichem medizinischen Befund die Integritätsentschädigung für
alle Versicherte gleich ist (RKUV 1998 Nr. U 296 S. 235 E. 2a mit Hinweisen)
sowie aus den Akten nicht ersichtlich ist, inwiefern der sehr schwere
Tinnitus des Beschwerdeführers mit jenem anderer Versicherter mit derselben
Diagnose nicht vergleichbar sein soll, haben Vorinstanz und Verwaltung zu
Recht den tabellarischen Wert von 10 % zugrunde gelegt, zumal die Ermittlung
der gesundheitlichen Einbusse abstrakt resp. medizinisch-theoretisch erfolgt
und subjektive Faktoren ausser Acht bleiben (oben E. 4.1). Ein Tinnitus ist
entgegen der Ansicht des Beschwerdeführers auch nicht mit dem Verlust des
Gehörs vergleichbar und wiegt nicht schwerer als dieser. Denn nur die volle
Gebrauchsunfähigkeit eines Organs wird dem Verlust gleichgestellt (Ziff. 2
des Anhangs 3 zur UVV). Zudem erfolgt die Ermittlung der gesundheitlichen
Einbusse ohne Berücksichtigung der individuellen Auswirkungen des Leidens
(oben E. 4.1). Die zugesprochene Integritätsentschädigung bei einer
Integritätseinbusse von 10 % ist demnach nicht zu beanstanden.

5.2 Frau Dr. med. R.________, Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapie,
Versicherungsmedizin, SUVA, kommt in ihrer psychiatrischen Beurteilung vom
19. Januar 2005 zum Schluss, beim Versicherten liege eine leichte bis
mittelschwere psychische Störung gemäss Tabelle 19 vor. Sie stützte sich
dabei auf sämtliche Akten, insbesondere auch auf die Berichte des
behandelnden Arztes Dr. med. S.________, Facharzt für Psychiatrie und
Psychotherapie,  welcher eine Anpassungsstörung im Sinne einer
längerdauernden depressiven Reaktion (ICD-10 F 43.21) in Zusammenhang mit
mehreren psychosozialen Belastungsfaktoren bei anamnestisch anhaltendem
Tinnitus diagnostizierte (vgl. etwa Bericht vom 27. September 2003).

Diese fachärztliche Einschätzung ist nicht zu beanstanden. Sie erfüllt die
Anforderungen der Rechtsprechung (BGE 125 V 351 E. 3a S. 352 mit Hinweis).
Unerheblich ist, dass Frau Dr. med. R.________ diese Beurteilung ohne
persönliche Untersuchung des Versicherten vorgenommen hat und bei der SUVA
angestellt ist, kommen doch auch Aktengutachten sowie Berichten
versicherungsinterner Ärzte volle Beweiskraft zu, sofern sie den üblichen
Anforderungen an einen ärztlichen Bericht entsprechen und keine Indizien
gegen ihre Zuverlässigkeit vorliegen (BGE 125 V 351 E. 3b/ee S. 353; RKUV
1988 Nr. U 56 S. 366 E. 5b). Ebenfalls nicht zu beanstanden ist die
Festsetzung des Integritätsschadens bei 25 % innerhalb der Bandbreite für
leichte bis mittelschwere psychische Störungen von 20 bis 35 %. Auch hier ist
keine rechtsfehlerhafte Handhabung des Ermessens ersichtlich und es besteht
für das Gericht kein Anlass, in den Bemessungsspielraum der Fachärzte (E.
4.2) einzugreifen.

5.3 Nach dem Gesagten ist die Zusprechung einer Integritätsentschädigung bei
einer Integritätseinbusse von insgesamt 35 % (10 % für den Tinnitus und 25 %
für die psychische Störung) durch Vorinstanz und Verwaltung rechtens.

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird abgewiesen.

2.
Es werden keine Gerichtskosten erhoben.

3.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Versicherungsgericht des Kantons Aargau
und dem Bundesamt für Gesundheit zugestellt.

Luzern, 23. April 2007

Im Namen der I. sozialrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident: Die Gerichtsschreiberin: