Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

Sozialrechtliche Abteilungen U 114/2006
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Prozess {T 7}
U 114/06

Urteil vom 5. September 2006
III. Kammer

Präsident Ferrari, Bundesrichter Lustenberger und Seiler; Gerichtsschreiberin
Durizzo

T.________, 1962, Beschwerdeführerin, vertreten
durch Rechtsanwalt Robert Baumann, Brühlgasse 39, 9000 St. Gallen,

gegen

Schweizerische Unfallversicherungsanstalt (SUVA), Fluhmattstrasse 1, 6004
Luzern, Beschwerdegegnerin

Versicherungsgericht des Kantons St. Gallen, St. Gallen

(Entscheid vom 5. Januar 2006)

Sachverhalt:

A.
T. ________, geboren 1962, war bei der Q.________ AG als Packerin angestellt,
als sie am 25. November 1999 am Arbeitsplatz einen Unfall erlitt. Nach einer
Maschinenstörung klemmte sie sich den linken Arm zwischen einer Eisenstange
und einer automatischen Klappe der Maschine ein und zog sich dabei eine
Kontusion zu. Die Schweizerische Unfallversicherungsanstalt (SUVA) kam für
die Heilbehandlung auf. Mit Verfügung vom 11. Oktober 2004 und
Einspracheentscheid vom 3. März 2005 lehnte sie indessen ihre
Leistungspflicht für einen am 12. Februar 2004 gemeldeten Rückfall ab.

B.
Die dagegen erhobene Beschwerde wies das Versicherungsgericht des Kantons
St. Gallen mit Entscheid vom 5. Januar 2006 ab, soweit es darauf eintrat.

C.
T.________ lässt Verwaltungsgerichtsbeschwerde führen mit dem Antrag, unter
Aufhebung des angefochtenen Entscheides seien ihr die gesetzlichen Leistungen
zuzusprechen, insbesondere eine Invalidenrente basierend auf einem
Invaliditätsgrad von 100 % sowie eine Integritätsentschädigung; eventualiter
seien weitere Abklärungen anzuordnen.
Während die SUVA auf Abweisung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde schliesst,
verzichtet das Bundesamt für Gesundheit auf eine Vernehmlassung.

Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:

1.
Die Vorinstanz ist auf die Anträge betreffend Zusprechung einer
Invalidenrente sowie einer Integritätsentschädigung nicht eingetreten mit der
Begründung, die SUVA habe im Verwaltungsverfahren einzig geprüft, ob die
geltend gemachten Beschwerden - Schmerzen und Parästhesien im Oberarm - auf
das Unfallereignis vom 25. November 1999 zurückzuführen seien. Indessen
wurden mit Verfügung vom 11. Oktober 2004 Heilbehandlung und Geldleistungen
(Rente und Integritätsentschädigung) verneint. Mit Einsprache vom 28. Oktober
2004 hat die Beschwerdeführerin die Aufhebung dieser Verfügung und die
Zusprechung der gesetzlichen Leistungen beantragt, was auch Rente und
Integritätsentschädigung umfasst. Die Einsprache wurde abgewiesen und damit
auch der Anspruch auf Rente und Integritätsentschädigung verneint. Im
Einspracheentscheid hat sich die SUVA zwar nur mit der Kausalität befasst und
diese verneint; damit sind jedoch auch die Voraussetzungen für eine Rente
sowie für eine Integritätsentschädigung entfallen, sodass sich eine weitere
Prüfung des entsprechenden Leistungsanspruchs erübrigte. Indem die Vorinstanz
ebenfalls angenommen hat, es fehle an der Kausalität, hat sie damit entgegen
ihrem teilweisen Nichteintreten auch den Anspruch auf Rente und
Integritätsentschädigung verneint. Streitgegenstand bilden somit auch Rente
und Integritätsentschädigung (vgl. BGE 130 V 502 Erw. 1.1 mit Hinweisen).

2.
Das kantonale Gericht hat die Bestimmungen und Grundsätze zur
Leistungspflicht des Unfallversicherers bei Rückfällen und Spätfolgen von
Unfällen (Art. 11 UVV; BGE 118 V 296 f. Erw. 2c), zum natürlichen und
adäquaten Kausalzusammenhang (BGE 129 V 181 Erw. 3.1 und 3.2) sowie zum
Beweiswert von Arztberichten und medizinischen Gutachten (BGE 125 V 352
Erw. 3, 122 V 160 Erw. 1c mit Hinweisen) zutreffend dargelegt. Darauf wird
verwiesen.

3.
Die Beschwerdeführerin bestreitet die Tauglichkeit der medizinischen
Untersuchungsberichte und beantragt eine umfassende neurologische Abklärung.
Im Spital X.________ wurde nach dem Unfall vom 25. November 1999 eine starke
Schwellung und Hämatomfärbung im distalen Drittel des linken Unterarms
festgestellt. In der notfallmässigen Röntgenuntersuchung fanden sich jedoch
keine ossären Verletzungen. Die vom Hausarzt Dr. med. S._________, Allgemeine
Medizin FMH, in der Folge angeordnete Skelettszintigraphie war ebenfalls
unauffällig. Am 6. März 2000 gab die Versicherte an, die ärztliche Behandlung
sei abgeschlossen. Erst nach rund anderthalb Jahren klagte sie wieder über
Beschwerden und wurde deshalb neurologisch abgeklärt. Die Untersuchung durch
Frau Dr. med. B.________ ergab gemäss Bericht vom 22. Mai 2001 ein leichtes
Carpaltunnelsyndrom beidseits, links betont. Der klinisch-neurologische
Befund sei intakt; es finde sich lediglich eine leichte Druckdolenz der
linksseitigen Bizepssehne. Die von der Beschwerdeführerin heute angemeldeten
Zweifel an der Zuverlässigkeit dieser Einschätzung der Neurologin sind, zumal
keine substanziierte Kritik vorgebracht wird, angesichts des schlüssigen und
nachvollziehbaren Berichts unbegründet. Die Arbeitgeberin meldete am
12. Februar 2004 einen zweiten Rückfall. Gemäss Bericht des Dr. med.
R.________, Allgemeine Medizin FMH, vom 23. März 2003 (recte: 2004) litt die
Versicherte unter einer posttraumatischen Belastungsstörung, welche zu einer
somatoformen Schmerzausweitung geführt habe. Er überwies die Versicherte an
Frau Dr. med. A.________, Kinder- und Jugendpsychiatrie und -psychotherapie,
welche eine Somatisierungsstörung infolge von psychischem Trauma bei
Arbeitsunfall diagnostizierte und eine traumazentrierte Psychotherapie
vorschlug (Stellungnahme vom 22. Mai 2004). Zu erwähnen ist in diesem
Zusammenhang, dass bereits Dr. med. S.________ am 16. Dezember 2002 zuhanden
des Krankenversicherers berichtet hatte, dass im Juni 2001 spontan Schmerzen
im rechten Unterarm aufgetreten seien; sie hätten sich allmählich
ausgebreitet in den ganzen rechten Arm, über den Nacken und in den linken
Arm. Die Versicherte sei eingehend neurologisch, orthopädisch und
rheumatologisch abgeklärt worden, ohne dass eine eindeutig umschriebene
Pathologie gefunden worden sei. Die Beschwerden seien eher als funktionelles
Schmerzbild im Rahmen eines beginnenden Fibromyalgie-Syndroms interpretiert
worden.
Nachdem somit die Behandlung des somatisch bedingten Leidens bereits
dreieinhalb Monate nach dem Unfallereignis abgeschlossen werden konnte und in
der Folge trotz verschiedener Untersuchungen keine organischen Befunde mehr
erhoben wurden, erübrigen sich weitere Abklärungen. Ob die noch geklagten
Beschwerden in einem adäquat-kausalen Zusammenhang zum Unfall vom
25. November 1999 stehen, ist nach der Rechtsprechung zu den psychischen
Unfallfolgen (BGE 115 V 133) zu prüfen.

4.
Die Beschwerdeführerin macht geltend, das Ereignis vom 25. November 1999 sei
als schwerer Unfall zu qualifizieren. Indessen ist die Vorinstanz zu Recht
von einem mittelschweren Unfall ausgegangen und hat die adäquate Kausalität
verneint.

4.1 Rechtsprechungsgemäss hat die Kategorisierung der Unfälle nach objektiven
Gesichtspunkten und ohne Berücksichtigung der Persönlichkeitsstruktur der
Versicherten zu erfolgen; das subjektive Unfallerlebnis ist nicht massgebend
(BGE 115 V 139 Erw. 6, 124 V 44 Erw. 5c/aa; RKUV 2005 Nr. U 555 S. 324
Erw. 3.4.1 [Urteil A. vom 7. April 2005, U 458/04]). Zum Vergleich
herangezogen werden können etwa die folgenden Arbeitsunfälle: Die versicherte
Person geriet beim Kehlen mit der rechten Hand in die Kehlmaschine; dabei
wurden die Finger I-III total sowie die Finger IV-V subtotal amputiert (nicht
veröffentlichtes Urteil M. vom 13. Juni 1996, U 233/95). Auf einem
Gleisschotterband kam eine versicherte Person zu Fall und geriet beim
Versuch, sich vor einem Sturz vom Band zu retten, mit dem rechten Vorderarm
in den Fördermechanismus; der Arm wurde regelrecht abgeknickt mit der Folge
einer offenen Fraktur, einer Durchspiessung der Haut und einer schweren
Kontusion der Weichteile (nicht veröffentlichtes Urteil B. vom 29. Dezember
1995, U 91/94). In beiden Fällen hat das Eidgenössische Versicherungsgericht
einen schwereren Unfall im mittleren Bereich angenommen (RKUV 1999 Nr. U 330
S. 122 f.; vgl. auch RKUV 2005 Nr. U 555 S. 324 Erw. 3.4.1 [Urteil A. vom
7. April 2005, U 458/04]). Im Gegensatz dazu ist hier jedoch keine
gravierende Verletzung aufgetreten, die - wie eine Amputation oder eine
offene Fraktur - zu schockieren vermocht hätte.

4.2 Für die Beurteilung der Adäquanz sind daher die von der Rechtsprechung
genannten unfallbezogenen Kriterien in eine Gesamtwürdigung einzubeziehen
(BGE 115 V 140 Erw. 6c/aa). Dabei muss für die Bejahung der Adäquanz ein
einzelnes Kriterium in besonders ausgeprägter Weise oder es müssen mehrere
der massgebenden Kriterien erfüllt sein (BGE 115 V 140 Erw. 6c/bb).
Dramatische Begleitumstände lagen nicht vor, ebenso wenig eine besondere
Eindrücklichkeit. So bestand keine Lebensgefahr, wurde doch einzig der Arm
eingeklemmt. Der Maschinenführer befand sich in unmittelbarer Nähe und hörte
die Schreie der Versicherten; der Schichtführer hatte von seinem Büro aus
Blick auf die fragliche Maschine, bemerkte den Unfall ebenfalls schnell und
konnte die Beschwerdeführerin durch Schliessen der Klappe befreien. Dass die
Versicherte in Panik geraten ist, kann bei einer objektiven Betrachtungsweise
nicht berücksichtigt werden, zumal sie zwar nach eigenem Empfinden etwa ein
halbe Stunde eingeklemmt war, nach Angaben von Maschinen- und Schichtführer
jedoch lediglich einige Minuten. Bei der erlittenen Verletzung handelt es
sich lediglich um eine Quetschung, die ärztliche Behandlung war nach
dreieinhalb Monaten abgeschlossen. Organische Dauerbeschwerden sind, wie oben
(Erw. 3) dargelegt, nicht nachgewiesen, die somatoforme Schmerzstörung ist
als psychisches Leiden (vgl. BGE 130 V 353 Erw. 2.2.2) hier nicht zu
berücksichtigen (BGE 115 V 140 Erw. 6c/aa). Ab Dezember 2003 attestierte der
Hausarzt Dr. med. R.________ zwar eine Arbeitsunfähigkeit, die allerdings
nicht somatisch, sondern durch die diagnostizierte posttraumatische
Belastungsstörung bedingt war. Die zu berücksichtigenden
Beurteilungskriterien sind damit - soweit sie überhaupt in Betracht fallen -
nicht erfüllt, weshalb die adäquate Kausalität zu verneinen ist.

4.3 Die Beschwerdeführerin beruft sich schliesslich darauf, die vormalige
Arbeitgeberin habe ihr auf Veranlassung von Dr. med. S.________ eine
leichtere Tätigkeit zugewiesen. Aus dem betreffenden Bericht des Hausarztes
vom 16. Dezember 2002 geht indessen hervor, dass die Versicherte damals über
Beschwerden am rechten, also nicht am verunfallten linken Arm klagte, weshalb
dieser Umstand hier nicht zu berücksichtigen ist.

Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht:

1.
Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird abgewiesen.

2.
Es werden keine Gerichtskosten erhoben.

3.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Versicherungsgericht des Kantons
St. Gallen, dem Bundesamt für Gesundheit und der SWICA
Gesundheitsorganisation zugestellt.
Luzern, 5. September 2006

Im Namen des Eidgenössischen Versicherungsgerichts

Der Präsident der III. Kammer: Die Gerichtsschreiberin: