Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

Sozialrechtliche Abteilungen P 52/2006
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P 52/06

Urteil vom 29. Januar 2008

I. sozialrechtliche Abteilung

Bundesrichter Ursprung, Präsident,
Bundesrichterin Widmer, Bundesrichter Lustenberger,
Gerichtsschreiber Grünvogel.

1.  T.________, 1919,
2. K.________,
Beschwerdeführerinnen,
beide vertreten durch Fürsprecher Andreas Wasserfallen, Länggass-Strasse 7,
3012 Bern,

gegen

Ausgleichskasse des Kantons Bern,
Abteilung Leistungen, Chutzenstrasse 10, 3007 Bern, Beschwerdegegnerin.

Ergänzungsleistung zur AHV/IV,

Verwaltungsgerichtsbeschwerde gegen den Entscheid des Verwaltungsgerichts des
Kantons Bern
vom 19. Juli 2006.

Sachverhalt:

A.
Die 1919 geborene T.________ übergab nach dem Tod ihres Ehegatten am 8. Mai
1987 das bisher vom oder mit dem Mann geführte, ein Bauernhaus mit
umfassendes Transportunternehmen ihrem Sohn W.________. Im Gegenzug erhielt
sie mit Erbteilungsvertrag vom 8. Februar 1988 ein Wohnrecht. Das Bauernhaus
bewohnte sie fortan gemeinsam mit ihrem Sohn, ehe sie am 21. Juli 2005 wegen
des sich seit 2003 verschlechternden Gesundheitszustandes in die
Alterssiedlung X.________ eintreten musste. Unmittelbar davor hatte sie am
18. Juli 2005 gemeinsam mit ihrem Sohn und den weiteren Kindern eine
Vereinbarung abgeschlossen, in welcher dem Sohn für der Mutter geleistete
Dienste das mit dem Erbteilungsvertrag vom 8. Februar 1988 von der Mutter
gewährte Darlehen mit einer Restanz von Fr. 164'000.- erlassen wurde.
Am 3. August 2005 ersuchte K.________, Tochter von T.________, die
Ausgleichskasse des Kantons Bern um Ausrichtung von Ergänzungsleistungen zur
AHV an ihre Mutter. Mit Verfügung vom 17. November 2005 lehnte die Kasse das
Gesuch ab. Daran hielt sie mit Einspracheentscheid vom 15. Februar 2006 fest.

B.
Eine dagegen erhobene Beschwerde wies das Verwaltungsgericht des Kantons Bern
mit Entscheid vom 19. Juli 2006 ab.

C.
T.________ und K.________ lassen Verwaltungsgerichtsbeschwerde führen mit dem
Antrag, in Aufhebung des vorinstanzlichen Entscheids sei die Sache an die
Vorinstanz zur neuen Beurteilung zurückzuweisen.
Die Ausgleichskasse schliesst auf Abweisung der Beschwerde. Das Bundesamt für
Sozialversicherungen verzichtet auf eine Stellungnahme.

Erwägungen:

1.
Das Bundesgesetz über das Bundesgericht vom 17. Juni 2005 (BGG; SR 173.110)
ist am 1. Januar 2007 in Kraft getreten (AS 2006 1205, 1243). Da der
angefochtene Entscheid vorher ergangen ist, richtet sich das Verfahren noch
nach OG (Art. 132 Abs. 1 BGG; BGE 132 V 393 E. 1.2 S. 395).

2.
Das kantonale Gericht hat die gesetzlichen Bestimmungen und Grundsätze über
den Anspruch auf Ergänzungsleistungen (Art. 2 Abs. 1 ELG) sowie über die
Bestandteile und die Berechnung der jährlichen Ergänzungsleistung (Art. 3 und
3a ELG) zutreffend dargelegt. Darauf kann verwiesen werden. Richtig sind auch
die Ausführungen zur Anrechenbarkeit von Einnahmen sowie Vermögenswerten, auf
welche verzichtet worden ist (Art. 3c Abs. 1 lit. g ELG; BGE 131 V 329; 121 V
204; AHI 2003 S. 220).

3.
Die Verwaltung legte der Bedarfsberechnung ein Sparvermögen von Fr. 242'905.-
zu Grunde. Tatsächlich verfügte die Leistungsansprecherin aber lediglich über
Fr. 90'871.-.
3.1 Die Differenz erklärt sich aus einer Vermögensaufrechnung im Umfang von
Fr. 152'034.- wegen Vermögensverzichts im Sinne von Art. 3c Abs. 1 lit. g ELG
durch Abschluss der Vereinbarung vom 18. Juli 2005 mit dem Sohn und den
weiteren Erbberechtigten, worin dem Sohn die Darlehensrestanz von
Fr. 164'000.- erlassen wurde.
Gemäss dieser Vereinbarung standen der Darlehensforderung Ansprüche des
Sohnes in selbiger Höhe gegenüber. Diese setzten sich aus einem nie
bezahlten, im Erbteilungsvertrag vom 8. Februar 1988 höchstens auf den
Eigenmietwert der benutzten Räume vereinbarten Wohnrechtszins für die Jahre
1987 bis Mitte 2005 sowie den damit zusammenhängenden Nebenkosten, den in
diesen Jahren geleisteten Fahrdiensten und einem erhöhten Betreuungsaufwand
seit 2003 wegen eingeschränkter Sehfähigkeit bei einem Tagesansatz von
zunächst Fr. 40.-, ab 2005 von Fr. 60.-, zusammen.

3.2 Die Beschwerdeführerinnen bestritten die Aufrechnung vor Vorinstanz mit
der Begründung, für die in einem adäquaten Verhältnis zur erbrachten Leistung
stehende finanzielle Abgeltung des Sohnes habe eine rechtliche Verpflichtung
bestanden. Die Entgeltlichkeit des Wohnrechts sei urkundlich und dessen
Fälligkeit auf den Zeitpunkt der Aufhebung des gemeinsamen Haushalts mündlich
vereinbart gewesen; die weiteren Ansprüche seien mit Art. 334 ZBG (Lidlohn)
begründet, wonach mündigen Kindern, die ihren Eltern im gemeinsamen Haushalt
ihre Arbeit oder Einkommen zuwenden würden, Anspruch auf eine angemessene
Entschädigung zustehe.

3.3 Die Vorinstanz räumte die Entgeltlichkeit des Wohnrechts ein, stellte
indessen die von den Beschwerdeführerinnen behauptete Vereinbarung einer
Abgeltung erst zum Zeitpunkt der Auflösung der Wohngemeinschaft in Abrede.
Nach dem ausdrücklichen Willen der am Erbvertrag Beteiligten sei die
Entschädigung durch Mutter und Sohn "jeweilen direkt" zu vereinbaren gewesen,
was gegen eine (gleichzeitige oder später) erfolgte anderslautende Abmachung
spreche; vielmehr sei angesichts der von der Mutter gegenüber dem Sohn
unstreitig erbrachten Dienstleistungen, den teilweise von ihr getragenen
Haushaltskosten sowie der zinslosen Überlassung des Darlehens in der Höhe von
Fr. 170'000.- von einer auf diese Weise fortlaufenden Abgeltung des
Wohnrechts auszugehen, was für die erst nachträglich aufgerechneten
Nebenkosten ebenfalls gelte.
Bezogen auf die in Rechnung gestellten Betreuungsleistungen (Fahrspesen,
Barauslagen, Zeitaufwand) führte das kantonale Gericht aus, es fehle an
einer, die Mutter zu einer finanziellen Abgeltung rechtlich verpflichtenden
Abrede. Den geltend gemachten Lidlohnanspruch schloss es wegen der
gegenseitigen Unterstützung aus.

4.
Letztinstanzlich wird vorgebracht, die Vorinstanz habe den Sachverhalt
rechtsfehlerhaft festgestellt, indem sie zunächst ohne die offerierten
Partei- und Zeugenbefragungen durchzuführen auf das Fehlen einer rechtlich
bindenden mündlichen Vereinbarung zwischen der EL-Ansprecherin und ihrem Sohn
über die in Rechnung gestellten Leistungen und deren Zahlungsaufschub bis zum
Zeitpunkt der Haushaltsauflösung geschlossen habe; darüber hinaus seien die
für die Abgrenzung des entschädigungsbegründenden Auftrags von der blossen
Gefälligkeitshandlung sowie für die Begründung eines Lidlohnanspruchs
wesentlichen Lebensumstände keiner näheren Abklärung unterzogen worden.

4.1 Zutreffend ist, dass mündliche Abmachungen vorbehältlich einer
nachträglich erstellten Aktennotiz von der Natur her nicht direkt urkundlich
beweisbar sind. Insoweit kann der Partei- und Zeugenbefragung besondere
Bedeutung zukommen. Richtig ist auch, dass Verwaltung und Gericht im Rahmen
der antizipierten Beweiswürdigung auf die Erhebung von Beweismitteln und so
auch auf Befragungen erst dann verzichten dürfen, wenn hievon keine neuen, zu
einem abweichenden Ergebnis führenden Erkenntnisse zu erwarten sind (BGE 124
V 90 E. 4b S. 94, 122 V 157 E. 1d S. 162, je mit Hinweisen; SVR 2001
IV Nr. 10 S. 27 E. 4 S. 28).
Indessen greift die Auffassung zu kurz, der Beweis einer mündlichen
Vereinbarung sei von vornherein lediglich durch die Befragung der Betroffenen
zu erbringen. Vor allem in Fällen wie dem vorliegenden, in denen die
Motivation für die Behauptung einer seit Jahren bestehenden Vereinbarung
naheliegenderweise im gemeinsamen Interesse der Beteiligten liegen könnte,
vorhandenes Geld nicht für das Heim auszugeben, sondern in der Familie zu
belassen, sind es die (weiteren) Umstände, denen bei der Gesamtwürdigung
Gewicht zukommt (in diesem Sinne bereits BGE 131 V 329 E. 4.2 S. 332).

4.2 Die Vorinstanz hat denn auch festgestellt, dass sich mit Ausnahme der
Abrede über die Entgeltlichkeit des Wohnrechts keinerlei Belege in den Akten
befänden, welche die Pflicht der Mutter zur Bezahlung eines Entgelts
bestätigten: So hätte von den Parteien insbesondere weder ein Beleg für eine
Honorarabrede beigebracht werden können, noch seien die für die Pflege der
Mutter aufgewendeten Zeiten sowie die entstandenen Auslagen (Fahrspesen,
Barauslagen, etc.) aufgeschrieben worden. Erst im Nachhinein und kurz vor der
Einreichung des EL-Gesuchs sei eine, auf pauschalen Schätzungen beruhende
Abrechnung erstellt worden.

4.2.1 In der Tat spricht das Fehlen jedwelcher echtzeitlicher Dokumente über
die tatsächlich für die Mutter erbrachten Arbeiten deutlich gegen eine
Honorarabrede. Der im Nachhinein erstellte Zusammenzug von geschätzten
Durchschnittswerten kann keine ernsthafte Grundlage einer Rechnungsstellung
(und entsprechender Kontrolle durch die Gegenpartei) sein. Wenn die
Vorinstanz daher mit Blick auf den Zeitpunkt der nach Jahren einmalig
erbrachten Leistung kurz vor Heimeintritt die Erfüllung einer auf einer
vorgängigen Honorarabrede beruhenden rechtlichen Verpflichtung in Abrede
stellt, ohne darüber zusätzlich die offerierten Befragungen von Personen
vorzunehmen, ist ihr beizupflichten.

4.2.2 Viel eher ist in der Abgeltung der vom Sohn erbrachten Leistungen eine
Schenkung (ohne Ausgleichungspflicht gemäss Vereinbarung) oder Ähnliches zu
erblicken, wobei das Motiv durchaus in der Dankbarkeit der Mutter und der
Erbengemeinschaft für erbrachte Hilfeleistungen sein kann, was aber nicht
genügt. Ansprüche aus Art. 334 ZGB (Lidlohn), wie sie die
Beschwerdeführerinnen geltend machen, fallen ausser Betracht, muss doch dem
im gemeinsamen Haushalt mit dem Kind lebenden Elternteil die Stellung eines
Familienhauptes zukommen (Pra 2005 Nr. 62 S. 481 und ZGBR 87/2006 S. 410,
5C.133/2004, E. 4.2), was vorliegend augenscheinlich nicht gegeben ist:
Gleichzeitig mit der Begründung des Wohnrechts ist die Leitung des Betriebs
dem Sohn übertragen worden; sodann überliess die Mutter dem Sohn
Fr. 170'000.- als Darlehen, und es war der Sohn, der sich fortan auch um die
Bezahlung der die Wohnung im Bauernhaus betreffenden Neben- und anderer
Kosten kümmerte.
Mit Verwaltung und Vorinstanz ist demnach der hiefür dem Sohn gemäss Anhang
der Vereinbarung vom 18. Juli 2005 zugewendete Betrag von Fr. 69'729.- auf
der Grundlage der vorgelegten Akten als Vermögensverzicht im Sinne von
Art. 3c Abs. 1 lit. g ELG zu werten, ohne dass weitere Abklärungen angezeigt
wären.

4.3 Zu prüfen bleibt die Frage nach der Anrechenbarkeit der geltend gemachten
Wohnkosten und den damit zusammenhängenden Abklärungspflichten.

4.3.1 Ob Mutter und Sohn nun tatsächlich bereits von Beginn weg oder
allenfalls später übereingekommen sind, die Wohnkosten bei Auflösung des
Haushaltes abzurechnen,  braucht nicht abschliessend beantwortet zu werden.
So oder so sind, wie von der Vorinstanz erwogen, die von der Mutter im engen
sachlichen Zusammenhang zum Wohnrecht erbrachten Haushaltsdienstleistungen
dem Wohnrechtszins gegenüberzustellen, sei es, dass dies von den Parteien so
(stillschweigend) vereinbart worden ist, sei es aus Gründen der Äquivalenz.
Der Umstand, dass der Sohn gemäss Vereinbarung vom 18. Juli 2005
ausnahmsweise die grundsätzlich je hälftig getragenen Haushaltskosten zu
grösseren Teilen bestritten haben könnte, ist in diesem Zusammenhang
angesichts der blossen Möglichkeit und des geringen Ausmasses
vernachlässigbar.

4.3.2 Ohne den genauen Umfang der das Kochen und die Besorgung der Wäsche mit
einschliessenden Haushaltsarbeiten näher abklären zu müssen (mit/ohne
Reinigung der Räumlichkeiten; mit/ohne gewisse Einschränkungen in den Jahren
vor 2002), ist auf Grund der bereits bekannten Tatsachen (gemeinsamer
Haushalt in abgelegenem Bauernhaus; keine weiteren Bewohner; Kochen; Wäsche
besorgen und anderes) für die Zeit bis Ende 2002 ohne Weiterungen von einem
über die Jahre sich erstreckenden durchschnittlichen Zeitaufwand im Haushalt
von mindestens einer Stunde täglich zu Gunsten des Sohnes auszugehen. Dies
ergibt bei einem vorsichtig angesetzten hypothetischen Durchschnittslohn für
die Jahre 1987 bis 2002 von Fr. 16.65 rund Fr. 500.- pro Monat oder insgesamt
Fr. 90'000.- (Fr. 500.- x 12 Mt. x 15 J.). Diesem stehen gemäss der im Anhang
der Vereinbarung vom 18. Juli 2005 befindlichen Tabelle Wohnkosten von
insgesamt Fr. 94'639.- bzw. für die Zeit bis Ende 2002 von Fr. 80'543.-
gegenüber.

4.3.3 Ob - von einer rückwirkenden jährlichen Ausgleichung zwischen Wohnrecht
und Haushaltsarbeit ausgehend - die Wohnkosten der Jahre 2003 bis 2005 von
Fr. 14'096.- als nicht mehr durch Leistungen der Mutter ausgeglichen und
dementsprechend als rechtlich geschuldet zu betrachten sind, oder ob - von
einer rückwirkenden Abrechnung über die gesamte Periode ausgehend - die
geltend gemachten Wohnkosten als insgesamt durch Haushaltsleistungen der
Mutter weitgehend ausgeglichen zu bezeichnen sind (Fr. 94'639.- im Vergleich
zu Fr. 90'000.-), ist im Ergebnis ohne Belang. Denn selbst wenn lediglich
Fr. 80'543.- als Vermögensverzicht aufzurechnen wären, würde dies zu einem
Ausschluss der Anspruchsberechtigung auf Ergänzungsleistungen führen: Zu
diesem Betrag wäre die in E. 4.2.2 genannte Summe von Fr. 69'792.-
hinzuzuzählen, woraus ein insgesamt aufrechenbares Total von Fr. 150'335.-
resultieren würde, was knapp Fr. 1700.- unter den von der Verwaltung
veranschlagten Vermögensverzicht von Fr. 152'034.- zu liegen käme. In
Berücksichtigung des tatsächlich vorhandenen Sparvermögens von Fr. 90'871.-
ergäbe dies alsdann ein bei der Berechnung des EL-Anspruchs einzusetzendes
Vermögen von Fr. 241'206.- bzw. im Ergebnis Mehreinnahmen in der Höhe von
Fr. 11'794.20.
Weitere Abklärungen, wie von den Beschwerdeführerinnen gefordert, erübrigen
sich folgedessen.

4.4 Zusammengefasst erweist sich die Verwaltungsgerichtsbeschwerde als im
Ergebnis unbegründet.

5.
Das Verfahren ist kostenlos (Art. 134 OG).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird abgewiesen.

2.
Es werden keine Gerichtskosten erhoben.

3.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Verwaltungsgericht des Kantons Bern,
Sozialversicherungsrechtliche Abteilung, und dem Bundesamt für
Sozialversicherungen schriftlich mitgeteilt.
Luzern, 29. Januar 2008

Im Namen der I. sozialrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident:    Der Gerichtsschreiber:

Ursprung     i.V. Widmer