Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

Sozialrechtliche Abteilungen P 33/2006
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P 33/06

Urteil vom 28. Mai 2007

I. sozialrechtliche Abteilung

Bundesrichter Ursprung, Präsident,
Bundesrichter U. Meyer, Lustenberger,
Gerichtsschreiberin Heine.

N. ________, 1939, Beschwerdeführerin, vertreten
durch Rechtsanwalt Dr. Dominik Strub, Ringstrasse 1,
4603 Olten,

gegen

1. Amt für Zusatzleistungen zur AHV/IV, Amtshaus Helvetiaplatz, 8004
Zürich,
2. Bezirksrat Zürich, Neue Börse, Selnaustrasse 32, 8001 Zürich,

Beschwerdegegner.

Ergänzungsleistung zur AHV/IV,

Verwaltungsgerichtsbeschwerde gegen den Entscheid des
Sozialversicherungsgerichts des Kantons Zürich
vom 26. April 2006.

Sachverhalt:

A.
Mit Verfügung vom 6. Juni 2002 verpflichtete das Amt für Zusatzleistungen zur
AHV/IV der Stadt Zürich (AZL) die 1939 geborene N.________ zur Rückerstattung
von zu viel ausgerichteten Leistungen in der Höhe von insgesamt Fr. 60'732.-.
Die Rückforderung betraf den Zeitraum vom 1. Juni 1995 bis 30. Juni 2002 und
umfasste u.a. bundesrechtliche Ergänzungsleistungen sowie Beihilfen und
Gemeindezuschüsse nach kantonalem Recht. Auf Einsprache hin reduzierte der
Bezirksrat Zürich wegen der fünfjährigen Verwirkungsfrist den
Rückerstattungsbetrag auf Fr. 41'491.- und lehnte den Erlass der
Rückforderung ab (Beschluss vom 26. Juni 2003).

B.
Die dagegen eingereichte Beschwerde wies das Sozialversicherungsgericht des
Kantons Zürich ab (Entscheid vom 26. April 2006).

C.
Mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde beantragt N.________ Aufhebung der
Rückerstattungsforderung, eventualiter Rückweisung zur Neubeurteilung an die
Vorinstanz, subeventualiter nach richterlichem Ermessen vorzunehmende
angemessene Reduktion des Rückerstattungsbetrags.

Das AZL schliesst auf Abweisung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde, während
der Bezirksrat Zürich und das Bundesamt für Sozialversicherungen auf eine
Vernehmlassung verzichten.

D.
Auf Ersuchen des Instruktionsrichters hat das Amt für Zusatzleistungen zur
AHV/IV Zürich mit Eingabe vom 7. Dezember 2006 erklärt, die zugesprochene
SUVA-Integritätsentschädigung von Fr. 14'580.- sei bei der rückwirkenden
Berechnung des Anspruchs auf Ergänzungsleistungen nicht als Einnahme
berücksichtigt worden. Nach weiterer Anfrage führt das Amt mit Schreiben vom
24. Januar 2007 aus, die Rückforderung von Fr. 41'491.- sei deshalb höher als
die rückwirkend zugesprochene SUVA-Rente, weil die Beschwerdeführerin wegen
des Einnahmenüberschusses auf einen Teil der vergüteten Krankheitskosten
keinen Anspruch mehr habe und im Rückerstattungsbetrag auch die kantonalen
und kommunalen Leistungen enthalten seien. Mit Schreiben vom 30. März 2007
reichte die Verwaltung zusätzliche Unterlagen ein, welche die an N.________
ausbezahlten bundesrechtlichen Ergänzungsleistungen vom 1. Januar 2000 bis 1.
Mai 2002 in der Höhe von Fr. 9'949.- belegen. Zu sämtlichen Aktenergänzungen
erhielt der Rechtsvertreter Gelegenheit zur Stellungnahme eingeräumt, wovon
er am 22. Dezember 2006 und 12. Februar 2007 Gebrauch machte, nicht jedoch
mehr auf das Schreiben des Gerichts vom 11. April 2007 hin.

Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

1.
Das Bundesgesetz über das Bundesgericht vom 17. Juni 2005 (BGG; SR 173.110)
ist am 1. Januar 2007 in Kraft getreten (AS 2006 1205, 1243). Da der
angefochtene Entscheid vorher ergangen ist, richtet sich das Verfahren noch
nach OG (Art. 132 Abs. 1 BGG; BGE 132 V 393 E. 1.2 S. 395), insbesondere mit
der gerichtlichen Pflicht zur freien Prüfung der vorinstanzlichen
Tatsachenfeststellungen (Art. 132 Abs. 1 lit. b OG, in Kraft seit 1. Juni
2006).

2.
Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde ist nur insoweit zulässig, als sie sich auf
bundesrechtliche Ergänzungsleistungen im Sinne des ELG und nicht auf
kantonale oder kommunale Beihilfen bezieht (Art. 128 in Verbindung mit Art.
97 OG und Art. 5 Abs. 1 VwVG; BGE 122 V 221 E. 1 S. 222).

3.
Streitig und zu prüfen ist, ob die Rückforderung der Ergänzungsleistungen im
Grundsatz und masslich zu Recht erfolgt ist.

3.1 Die Vorinstanz hat richtig festgehalten, dass die Rückforderung gemäss
Art. 47 Abs. 1 AHVG (in der bis 31. Dezember 2002 geltenden Fassung [AS 1969
111]) nur unter den Voraussetzungen der Wiedererwägung oder prozessualen
Revision der formell rechtskräftigen Verfügung, mit welcher die betreffende
Leistung zugesprochen worden ist, zulässig ist (BGE 122 V 19 E. 3a S. 21).
Darauf wird verwiesen.

3.2 Das kantonale Gericht hat zutreffend erkannt, dass die Verwaltung die
Ergänzungsleistungen seit dem 1. Juni 1995 insofern auf der Basis unrichtiger
Sachverhaltsfeststellungen ausrichtete, als durch die nachträgliche
Zusprechung der Invalidenrente nach UVG (Verfügung der SUVA vom 28. Februar
2002) für die Zeit vom 1. Juni 1995 bis 31. März 2002 die tatsächlichen
Berechnungsgrundlagen der für den gleichen Zeitraum ausbezahlten
Ergänzungsleistungen verändert und die vorher ausgerichteten Leistungen
unrechtmässig wurden. Durch die veränderten tatsächlichen Einkommens- und
Vermögensverhältnisse für den massgebenden Zeitraum war die Verwaltung
gehalten, ihre Berechnung im Rahmen einer prozessualen Revision rückwirkend
zu korrigieren (BGE 122 V 19 E. 3a S. 21).

3.3 Gemäss Art. 47 Abs. 2 Satz 1 AHVG (in der bis 31. Dezember 2002 gültig
gewesenen Fassung [AS 1969 111]) in Verbindung mit Art. 27 Abs. 1 ELV (in der
bis 31. Dezember 2002 gültig gewesenen Fassung [AS 1997 2961]) verjährt der
Rückforderungsanspruch mit dem Ablauf eines Jahres, nachdem das AZL davon
Kenntnis erhalten hat, spätestens aber mit dem Ablauf von fünf Jahren seit
der einzelnen Zahlung. Es handelt sich nach ständiger Rechtsprechung um
Verwirkungsfristen, die - einmal gewahrt - während der weiteren
(Gerichts)Verfahren durch Zeitablauf nicht untergehen. Mit Schreiben vom
5. Mai 2002 informierte die Beschwerdeführerin das AZL über die Zusprache der
Invalidenrente, womit die relative Verjährungsfrist zu laufen begann, die mit
Rückerstattungsverfügung des AZL vom 6. Juni 2002 eingehalten wurde (BGE 119
V 431 E. 3a S. 433). Entgegen der Auffassung der Beschwerdeführerin bestimmt
sich die fünfjährige Verwirkungsfrist nicht ab Rechtskraft des vorliegenden
Urteils, sondern in Bezug zur Rückerstattungsforderung (vom 6. Juni 2002) und
den einzelnen Zahlungen. Damit ist erstellt, dass die Beschwerdeführerin die
von Juni 1997 bis Juni 2002 zu Unrecht bezogenen Zusatzleistungen
zurückzuerstatten hat. Der Rückerstattungsanspruch für die erbrachten
Leistungen vom 1. Juni 1995 bis 31. Mai 1997 ist hingegen verwirkt.

3.4 In masslicher Hinsicht ist der Rückforderungsbetrag für die
bundesrechtlichen Ergänzungsleistungen von insgesamt Fr. 9'949.- (jährliche
Ergänzungsleistungen nach Art. 3 Abs. 1 lit. a ELG) nunmehr auf Grund der
letztinstanzlichen Aktenergänzungen ausgewiesen. Obwohl der
Beschwerdeführerin der Anspruch auf Ergänzungsleistungen abgesprochen wurde,
konnten ihr Krankheits- und Behinderungskosten (Art. 3 Abs. 1 lit. b ELG) in
Höhe des den (EL-)Einnahmenüberschuss übersteigenden Betrages vergütet werden
(Art. 2 ELG in Verbindung mit Art. 19a ELV). Daraus ergibt sich für das Jahr
2001, nach Einbezug der SUVA-Nachzahlung, ein Einnahmenüberschuss von Fr.
3'013.-, weshalb die Beschwerdeführerin nur noch Anspruch auf die Differenz
zwischen Überschuss und Krankheits- und Behinderungskosten (Fr. 3'991.-)
hatte, so dass der Betrag von Fr. 3'013.- zu Recht zurückgefordert wurde. Die
gleiche Berechnung gilt für das Jahr 2000. Die Krankheits- und
Behinderungskosten betrugen Fr. 9'325.-, worauf die Versicherte abzüglich des
Überschusses in Höhe von Fr. 3'109.- Anspruch hatte, weshalb dieser Betrag
zurückzuerstatten ist. Für das Jahr 1999 betrugen die Vergütungen für
Krankheits- und Behindertenkosten Fr. 7'457.- und - unter Berücksichtigung
der ELG-konformen Festsetzung des für die Rückerstattung der Krankheits- und
Behindertenkosten massgebenden Einnahmenüberschusses (vgl. Beschluss des
Bezirksrats vom 26. Juni 2003, S. 14 f.) ist ein Betrag von Fr. 5'992.-
zurückzufordern. Im Jahr 1998 resultierte kein Einnahmenüberschuss und
demnach keine Rückforderung. Für das Jahr 1997 wurden anerkannterweise Fr.
124.- zurückgefordert, während die für das Jahr 1996 vergüteten Krankheits-
und Behinderungskosten auf Grund der Verwirkungsfrist nicht zurückgefordert
werden konnten. Daraus ergibt sich der Rückforderungsbetrag für die
vergüteten Krankheits- und Behindertenkosten (1997 - 2001) in Höhe von Fr.
12'238.-. Demnach besteht die Rückforderung der bundesrechtlichen
Ergänzungsleistungen für die Zeit vom 1. Juni 1997 bis 30. Juni 2002 von
insgesamt Fr. 22'187.- zu Recht.

3.5 Wie durch das kantonale Gericht festgestellt, ist der Beschluss auch in
formeller Hinsicht nicht zu bemängeln, zumal bezüglich der geltend gemachten
Verletzung von Art. 30 BV (Gerichtliche Verfahren) in der
Verwaltungsgerichtsbeschwerde die persönliche Zusammensetzung nicht konkret
beanstandet wurde (BGE 114 V 61 E. 2c S. 62).

4.
Zu prüfen bleibt, ob die Voraussetzungen für einen Erlass gegeben sind.

4.1 Die Vorinstanz hat richtig festgehalten, dass das am 1. Januar 2003 in
Kraft getretene Bundesgesetz über den Allgemeinen Teil des
Sozialversicherungsrechts (ATSG) vom 6. Oktober 2000 nicht anwendbar ist, da
nach dem massgebenden Zeitpunkt des Erlasses der streitigen Verfügung (hier:
6. Juni 2002) eingetretene Rechts- und Sachverhaltsänderungen vom
Sozialversicherungsgericht nicht berücksichtigt werden (BGE 127 V 466 E. 1 S.
467). Entgegen den Vorbringen in der Verwaltungsgerichtsbeschwerde kann
deswegen aus dem fehlenden Hinweis auf Erlassmöglichkeiten (Art. 3 Abs. 2
ATSV) kein Nichtigkeitsgrund des Rückerstattungsentscheids abgeleitet werden.

4.2 Die Erlassmöglichkeiten sind sodann in Anwendung von Art. 47 Abs. 1 AHVG
in Verbindung mit Art. 27 Abs. 1 ELV (in der bis 31 Dezember 2002 gültig
gewesenen Fassung), welche das gleichzeitige Vorliegen von gutem Glauben und
einer grossen Härte verlangen, zu prüfen. Der gute Glaube ist im vorliegenden
Fall unbestritten und steht fest. Da der Beschwerdeführerin bereits
ausbezahlte Leistungen (ELG) durch gleich hohe, unter einem anderen Titel
geschuldete Leistungen (SUVA) ersetzt wurden, sodass das Vermögen der
Versicherten keine Veränderung erfährt, wenn sie die unrechtmässig bezogenen
Zusatzleistungen zurückerstattet, kann rechtsprechungsgemäss in dieser
Situation kein Härtefall im Sinne von Art. 47 Abs. 1 AHVG eintreten (BGE 122
V 221 E. 6d S. 228). Die Voraussetzungen für einen Erlass sind somit nicht
erfüllt.

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten
ist.

2.
Es werden keine Gerichtskosten erhoben.

3.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Sozialversicherungsgericht des Kantons
Zürich und dem Bundesamt für Sozialversicherungen zugestellt.

Luzern, 28. Mai 2007
Im Namen der I. sozialrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident: Die Gerichtsschreiberin: