Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

Sozialrechtliche Abteilungen M 11/2006
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M 11/06

Urteil vom 8. August 2007

I. sozialrechtliche Abteilung

Bundesrichter Ursprung, Präsident,
Bundesrichterin Widmer, Bundesrichter Frésard,
Gerichtsschreiberin Schüpfer.

H. ________, 1982, Beschwerdeführer, vertreten durch Rechtsanwalt Martin
Keiser, Pestalozzistrasse 2, 8200 Schaffhausen,

gegen

SUVA Militärversicherung, Schermenwaldstrasse 10, 3001 Bern,
Beschwerdegegnerin.

Militärversicherung,

Verwaltungsgerichtsbeschwerde gegen den Entscheid des Obergerichts des
Kantons Schaffhausen vom 6. Oktober 2006.

Sachverhalt:

A.
Der 1982 geborene H.________ absolvierte im Sommer 2002 die Rekrutenschule,
als er am 21. August 2002 Opfer eines Schiessunfalles wurde. Ein Korporal
schoss zur Überprüfung eines Gewehraufsatzes der SIM-Ausrüstung versehentlich
mit der Gewehr- anstelle der Markierpatrone, wobei das Projektil an der
Laufmündung durch den aufgeschraubten SIM-Aufsatz zerlegt wurde. Ein Teil der
Splitter traf H.________ und drang in dessen Bauchdecke, in die rechte Leiste
und prätibial ein. Am Spital X.________ wurden gleichentags die meisten
Splitter entfernt. Eine mediane explorative Laparotomie zeigte, dass keine
inneren Verletzungen vorlagen. Vier bis fünf kleinere Metallsplitter beliess
man im Bauchmuskelgewebe. Die Militärversicherung kam für die Heilbehandlung
auf und richtete Taggelder aus. Der Versicherte wurde nach komplikationslosem
Heilverlauf am 30. August 2002 mit der Auflage, während acht Wochen auf
körperliche Tätigkeiten wie Heben von Lasten und Sport treiben zu verzichten,
aus der Hospitalisation entlassen. Eine psychologische Betreuung war nicht
notwendig, die Arbeitsunfähigkeit dauerte bis zum 14. November 2002, die
ambulante ärztliche Nachbetreuung bis am 22. Januar 2003. Mit Verfügung vom
14. September 2004 lehnte das Bundesamt für Militärversicherung (nunmehr:
Schweizerische Unfallversicherungsanstalt SUVA, Abteilung
Militärversicherung; im Folgenden: Militärversicherung) den Anspruch des
H.________ auf Genugtuungsleistungen ab. Daran hielt sie auf Einsprache hin
fest (Entscheid vom 15. August 2005).

B.
Das Obergericht des Kantons Schaffhausen wies die dagegen erhobene Beschwerde
mit Entscheid vom 6. Oktober 2006 ab.

C.
H.________ lässt gegen den kantonalen Entscheid Verwaltungsgerichtsbeschwerde
führen und beantragen, es sei ihm eine Genugtuungssumme von Fr. 10'000.-
zuzüglich Zins zu 5 % seit dem 21. August 2002 zuzusprechen.

Während die SUVA, Abteilung Militärversicherung, auf Abweisung der
Verwaltungsgerichtsbeschwerde schliesst, verzichtet das Bundesamt für
Gesundheit auf eine Vernehmlassung.

Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

1.
Am 1. Januar 2007 ist das Bundesgesetz über das Bundesgericht vom 17. Juni
2005 (BGG) in Kraft getreten (AS 2006 1205, 1243). Da der angefochtene
Entscheid vor dem 1. Januar 2007 ergangen ist, richtet sich das Verfahren
noch nach dem bis zum 31. Dezember 2006 in Kraft gewesenen Bundesgesetz vom
16. Dezember 1943 über die Organisation der Bundesrechtspflege (OG; Art. 131
Abs. 1 und Art. 132 Abs. 1 BGG; BGE 132 V 393 E. 1.2 S. 395).

2.
2.1 Gemäss Art. 59 MVG kann dem Verletzten bei erheblicher Körperverletzung
eine angemessene Geldsumme als Genugtuung zugesprochen werden, sofern
besondere Umstände vorliegen (Abs. 1). Die Integritätsschadenrente schliesst
Genugtuungsleistungen aus (Abs. 2).

2.2 Im Gegensatz zur obligatorischen Unfallversicherung, welche für den
Ausgleich immaterieller Unbill nur eine Leistungsart, nämlich die
Integritätsentschädigung, kennt, sieht das MVG nebst der
Integritätsschadenrente gemäss Art. 48 ff. auch die Genugtuung vor, wobei
letztere nur subsidiär gewährt wird. Dies bedeutet jedoch nicht, dass
Genugtuungsleistungen ersatzweise dann ausgerichtet werden können, wenn die
Anspruchsvoraussetzungen der Integritätsschadenrente mangels Erheblichkeit
des Integritätsschadens nicht erfüllt sind. Einem entsprechenden
Gesetzesvorschlag des Bundesrates (Art. 59 Abs. 2 des Gesetzesentwurfs; BBl
1990 III 287) ist das Parlament nicht gefolgt (vgl. Jürg Maeschi, Kommentar
zum Bundsgesetz über die Militärversicherung, Rz. 43 zu Art. 59 S. 437).
Anspruch auf Genugtuung gemäss Art. 59 MVG gibt nicht jede Beeinträchtigung
in der Persönlichkeit und auch nicht jede Gesundheitsschädigung, sondern
lediglich die erhebliche Körperverletzung und der Tod des Versicherten. Dabei
sind in der Praxis Genugtuungen bei Körperverletzungen selten, weil bei
solchen in der Regel Anspruch auf eine Integritätsschadenrente besteht. Der
Begriff der Erheblichkeit ist bei beiden Leistungsarten gleich auszulegen
(Maeschi, a.a.O. Rz. 15 zu Art. 59, S. 431 mit Hinweis auf Urteil M. vom 26.
Mai 1981, M 18/80). Der Integritätsschaden ist praxisgemäss erheblich, wenn
der Versicherte durch die Gesundheitsschädigung in seinem Lebensgenuss
beachtlich eingeschränkt ist (BGE 117 V 71 E. 3a/bb S. 76). Der Unterschied
in den Anspruchsvoraussetzungen liegt daher vor allem darin, dass für einen
Genugtuungsanspruch "besondere Umstände" vorliegen müssen; es kommt ihm
Ausnahmecharakter zu (BGE 108 V 90 E. 2a S. 92). Zudem handelt es sich dem
Wortlaut der Norm nach um eine "Kann-Vorschrift". Art. 59 MVG lässt der
Militärversicherung einen weiten Ermessenspielraum bei der Beurteilung der
Leistungsbegehren (Maeschi, a.a.O., Rz. 2 zu Art. 59, S. 429).

3.
3.1 Der Beschwerdeführer begründet seinen Anspruch mit Narben im Bauchbereich,
mit den verbleibenden Splittern im Bauchmuskelgewebe, welche ein gewisses
Restrisiko für künftige Komplikationen darstellten, und mit dem Umstand, dass
er infolge des Unfalles aus dem Militärdienst ausgeschieden sei, womit ihm
ein Lebensbereich abhanden kam, der gerade in ländlichen Gegenden ein Teil
des männlichen Selbstverständnisses bilde.

3.2 Die in den Akten fotografisch dokumentierte Längsnarbe im Bereiche des
Bauchnabels kann nicht als erheblich qualifiziert werden. Wie bereits im
vorinstanzlichen Entscheid ausgeführt, erreichen in der Regel nur
augenfällige und objektiv entstellende Narben im Gesichtsbereich oder
eventuell an den Händen die Erheblichkeitsgrenze. Diejenigen des
Beschwerdeführers sind ohne weiteres durch Kleidung zu decken. Darüber hinaus
ist die Operationsnarbe - die Narbe durch die Laparotomie ist die weitaus
grösste - keinesfalls entstellend. Das Infektrisiko und das Risiko eines
Wanderns der in der Bauchmuskulatur verbliebenen Metallsplitter wird aus
ärztlicher Sicht als gering eingeschätzt. Sollten sich künftig wieder
Erwarten Spätfolgen zeigen, ist die Deckung durch die Militärversicherung
weiterhin gegeben. Die Genugtuung gemäss Art. 59 MVG hat nicht den Zweck, das
Risiko von eventuellen noch nicht abschätzbaren Spätschäden zu decken. Bei
veränderten Verhältnissen kann jederzeit eine Neubeurteilung der Situation
erfolgen. Schliesslich ist auch das Argument des Ausscheidens aus dem
Militärdienst nicht zu hören, zumal dies auf ausdrücklichen Wunsch des
Beschwerdeführers selbst erfolgte. Es kann also nicht gleichzeitig als
Argument zur Begründung eines Genugtuungsanspruchs herangezogen werden.

Zusammenfassend steht fest, dass der Beschwerdeführer durch den Schiessunfall
vom 21. August 2002 nicht schwer verletzt wurde, womit kein Anspruch auf eine
Genugtuung besteht. Die Heilung verlief komplikationslos; es bestand eine
Arbeitsunfähigkeit während 84 Tagen. Ausser wenig entstellenden Narben im
Bereich des Nabels sind keine bleibenden Folgen zu verzeichnen. Es wird nicht
geltend gemacht, der Lebensgenuss sei durch die Verletzung beachtlich
eingeschränkt worden. Der Militärversicherung steht schliesslich beim
Entscheid über einen Genugtuungsanspruch ein erheblicher Ermessensspielraum
zu (Erwägung 2.2.), und es kann bei dessen Überprüfung nicht darum gehen,
dass die kontrollierende richterliche Behörde ihr Ermessen an die Stelle der
Vorinstanz setzt (BGE 126 V 81 E. 6, 123 V 152 E. 2 mit Hinweisen).
Vorliegend ist kein Grund ersichtlich, weshalb die Abweisung des
Genugtuungsbegehrens von Verwaltung und Vorinstanz nicht geschützt werden
soll.

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird abgewiesen.

2.
Es werden keine Gerichtskosten erhoben.

3.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Obergericht des Kantons Schaffhausen und
dem Bundesamt für Gesundheit zugestellt.

Luzern, 8. August 2007

Im Namen der I. sozialrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident: Die Gerichtsschreiberin:
i.V.