Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

Sozialrechtliche Abteilungen K 9/2006
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{T 7}
K 9/06

Urteil vom 29. Januar 2007
II. sozialrechtliche Abteilung

Bundesrichter U. Meyer, Präsident,
Bundesrichter Lustenberger und Seiler,
Gerichtsschreiberin Weber Peter.

M.________, 1962, Beschwerdeführer, vertreten durch Rechtsanwältin Karin
Caviezel, Reichsgasse 65, 7000 Chur

gegen

Concordia Schweizerische Kranken- und Unfallversicherung, Rechtsdienst,
Bundesplatz 15,           6003 Luzern, Beschwerdegegnerin.

Krankenversicherung,

Verwaltungsgerichtsbeschwerde gegen den Entscheid des Verwaltungsgerichts des
Kantons Graubünden vom 8. November 2005.

Sachverhalt:

A.
Der 1962 geborene M.________ verfügt bei der Concordia, Schweizerische
Kranken- und Unfallversicherung (nachfolgend: Concordia) über eine
freiwillige Taggeldversicherung bei Krankheit von Fr. 334.- pro Tag mit einer
Wartefrist von 90 Tagen. Seit 1. Dezember 2003 war er zu 100 % arbeitsunfähig
gemeldet. Nach Ablauf der Wartefrist richtete die Concordia ab 5. März 2004
Taggelder aus. Nach Einholung diverser Berichte des behandelnden Psychiaters
Dr. med. L.________, Facharzt FMH für Psychiatrie und Psychotherapie, und
einer Beurteilung durch Dr. med. X.________, Spezialarzt FMH für Psychiatrie
und Psychotherapie (vom     14. Dezember 2004), teilte die Concordia dem
Versicherten mit Schreiben vom 12. Januar 2005 mit, dass gestützt auf die
vertrauensärztliche Untersuchung die ihm bisher gewährten Taggelder ab 1.
Januar 2005 noch zu 50 % ausgerichtet würden. Ab 1. Februar 2005 entfalle der
Anspruch auf Taggeldleistungen, da ab diesem Zeitpunkt wieder eine
vollständige Arbeitsfähigkeit bestehe. Mit Verfügung vom          21. Februar
2005 bestätigte die Concordia die Leistungskürzung ab    1. Januar 2005 und
die Leistungseinstellung per 1. Februar 2005. Daran hielt sie mit
Einspracheentscheid vom 6. Juli 2005 fest.

B.
Die dagegen erhobene Beschwerde wies das Verwaltungsgericht des Kantons
Graubünden ab (Entscheid vom 8. November 2005).

C.
M.________ lässt Verwaltungsgerichtsbeschwerde führen mit den Rechtsbegehren,
in Aufhebung des angefochtenen Entscheides sei die Concordia zu verpflichten,
mit Wirkung ab 1. Januar 2005 auf der Basis einer vollständigen
Arbeitsunfähigkeit Taggelder von Fr. 334.- pro Tag auszurichten. Eventuell
sei die Sache an die Vorinstanz zurückzuweisen zur Einholung eines
medizinischen Gutachtens bezüglich der Arbeitsunfähigkeit. Ferner wird um
Gewährung der unentgeltlichen Verbeiständung ersucht.

Während die Concordia auf Abweisung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde
schliesst, verzichtet das Bundesamt für Gesundheit auf eine Vernehmlassung.

D.
Mit Schreiben vom 27. März 2006 wurde das Gesuch um Bewilligung der
unentgeltlichen Verbeiständung zurückgezogen.

Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

1.
Das Bundesgesetz über das Bundesgericht vom 17. Juni 2005 (BGG; SR 173.110)
ist am 1. Januar 2007 in Kraft getreten (AS 2006 1205, 1243). Da der
angefochtene Entscheid vorher ergangen ist, richtet sich das Verfahren noch
nach dem Bundesgesetz über die Organisation der Bundesrechtspflege vom 16.
Dezember 1943 (OG) (Art. 132 Abs. 1 BGG; noch nicht in der Amtlichen Sammlung
publiziertes Ur  teil B. vom 28. September 2006, I 618/06, Erw. 1.2).

2.
Streitig und zu prüfen ist die krankheitsbedingte Arbeitsunfähigkeit des
Versicherten ab dem 1. Januar 2005 und der darauf basierende Taggeldanspruch.

3.
Im angefochtenen Entscheid wird richtig erkannt, dass das am           1.
Januar 2003 in Kraft getretene Bundesgesetz über den Allgemeinen Teil des
Sozialversicherungsrechts (ATSG) vom 6. Oktober 2000 vorliegend anwendbar ist
(BGE 129 V 4 Erw. 1.2, 169 Erw. 1 und 356 Erw. 1, je mit Hinweisen).
Zutreffend dargelegt werden zudem die massgebenden Bestimmungen über den
Anspruch auf Krankentaggelder (Art. 72 Abs. 2 KVG) sowie über den Begriff der
Arbeitsunfähigkeit (Art. 6 ATSG).

4.
4.1 Nach zutreffender Wiedergabe der massgebenden medizinischen Akten gelangte
die Vorinstanz zum Ergebnis, dass ab dem 1. Februar 2005 von einer
Arbeitsfähigkeit des Versicherten von 100 % auszugehen sei. Sie stützte sich
bei der Beurteilung der Arbeitsfähigkeit auf die ärztlichen Atteste des
behandelnden Psychiaters Dr. med. L.________ und den Bericht des Dr. med.
X.________ (vom 14. Dezember 2004), basierend auf den Unterlagen des Dr. med.
L.________, eines Berichts des Hausarztes Dr. med. B.________, Innere Medizin
FMH, (vom 15. Oktober 2003), sowie einer persönlichen Untersuchung (vom 11.
November 2004) und würdigte diese als übereinstimmend und schlüssig. Zur
Begründung führte sie aus, die unabhängig voneinander erstellten
Facharztberichte liessen keine Zweifel offen, dass die ausgeprägte subjektive
Regressionshaltung beim Versicherten die Hauptursache für dessen hartnäckiges
Scheitern bei der Suche nach einer neuen Arbeitsstelle darstelle. Dies ist
nicht zu beanstanden.

4.2 Dr. med. L.________, bei dem der Versicherte seit 22. Dezember 2003 in
Behandlung stand, diagnostizierte eine mittelgradige depressive Episode ICD
10: F32.1 und hielt fest, dass der Verlauf durch die Persönlichkeitsstruktur
des Versicherten, der die Kündigung als ausgeprägte narzisstische Kränkung
empfunden habe, kompliziert wurde. Im Schreiben vom 28. September 2004
verlangte er als Voraussetzung für eine weitere Krankschreibung den Besuch
einer Tagesklinik, dies insbesondere darum, weil eine Krankschreibung zwar
eventuell medizinisch begründet sein könne, aber sicherlich kontraproduktiv
wäre und empfahl die Prüfung der Arbeitsfähigkeit durch den Vertrauensarzt.
Dieser ging in seiner Beurteilung (vom 14. Dezember 2004) ebenfalls von einer
depressiven Symptomatologie aus, die jedoch nicht mehr das Ausmass einer
mittelgradigen, sondern ausschliesslich einer noch leichten depressiven
Episode mit einem somatischen Syndrom gemäss ICD-10 F32.01 erreiche. Der
Vertrauenspsychiater gelangte in seinem ausführlichen Bericht zum Schluss,
dass der Versicherte aufgrund der Diagnostik durchaus wieder arbeitsfähig
sein sollte, wenn er nicht eine dermassen ausgeprägte Regressionsneigung
zeigen würde, die er jedoch nicht als krankheitsbedingt beurteilte. Wie
bereits Dr. med. L.________ erachtete er den raschen Wiedereinstieg ins
Arbeitsleben als dringend nötig und bewertete die Arbeitsfähigkeit ab Januar
2005 zu 50 % und ab Februar 2005 zu 100 %. Bei gutem Willen sei ein
Arbeitswiedereinstieg ab Januar zu erreichen.

Entgegen der Auffassung des Beschwerdeführers sprechen keinerlei
Anhaltspunkte gegen die Zuverlässigkeit der überzeugend und schlüssig
begründeten  Stellungnahme des Dr. med. X.________ (vgl. BGE 125 V 353 f.
Erw. 3b/ee). Insbesondere beruhen die darin enthaltenen Feststellungen auf
einer persönlichen Untersuchung und sind in Kenntnis der Vorakten sowie unter
Berücksichtigung der geklagten Beschwerden getroffen worden. Die Ausführungen
in der Beurteilung der medizinischen Zusammenhänge sind einleuchtend und die
gezogenen Schlussfolgerungen zu Gesundheitszustand und Arbeitsfähigkeit
werden nachvollziehbar begründet. Der Umstand, dass lediglich eine einmalige
Exploration durch den Vertrauenspsychiater stattgefunden hat, vermag die
Zuverlässigkeit der Einschätzung nicht in Frage zu stellen, erstreckte sich
doch der Behandlungszeitraum des Psychiaters Dr. med. L.________, dessen
Berichte der Beurteilung ebenfalls zu Grunde liegen, auf über acht Monate.
Vorinstanz und Verwaltung haben mithin zu Recht darauf abgestellt.

4.3 Die mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde vorgetragenen Einwendungen ändern
daran nichts. Insbesondere vermögen die beiden Bestätigungen der
Psychiatrischen Dienste Graubünden (PSD) vom April und Juli 2005 über eine
Arbeitsunfähigkeit von 100 % (ab 2005 bis auf weiteres) nicht zu einem
anderen Ergebnis zu führen. Die Fachärzte des PSD gingen im Schreiben vom 11.
April 2005 von einer rezidivierenden depressiven Episode aus, die sie aktuell
als mittelgradig einstuften und äusserten den Verdacht auf eine
Persönlichkeitsstörung. Sie beurteilten die Arbeitsunfähigkeit mit 100 %,
allenfalls sei eine Drittmeinung einzuholen. Wie die Vorinstanz zu recht
erwog, gingen diese Psychiater grundsätzlich von den gleichen Diagnosen wie
die Spezialisten Dres. L.________ und X.________ aus, räumten dem
"Krankheitswert" der darin beschriebenen Leiden aber einen höheren
Einschränkungsgrad ein, ohne dies jedoch näher zu begründen. Da weder
neuartige Krankheitsbilder noch eine massive Verschlechterung des
Gesundheitszustandes beim Versicherten seit 2005 erstellt sind, kann der
anderslautenden Gesamtbeurteilung des PSD mit der Vorinstanz nicht gefolgt
werden. Der darin geäusserte Verdacht auf eine Persönlichkeitsstörung war im
Bericht des Vertrauenspsychiaters ebenfalls thematisiert worden. Wie bereits
Dr. med. L.________, der festhielt, dass der Verlauf durch die
Persönlichkeitsstruktur des Versicherten kompliziert wurde, stellte auch Dr.
med. X.________ auffällige Persönlichkeitszüge fest. Er fand jedoch nicht
genügend Hinweise für das Vorliegen einer Persönlichkeitsstörung gemäss
ICD-10-Diagnostik. Die festgestellte ausgeprägte Regressionsneigung
beurteilte er als nicht krankheitsbedingt. Entgegen dem Beschwerdeführer kann
im Lichte dieser Ausführungen nicht gesagt werden, die Arztberichte setzten
sich mit der Frage, welcher Krankheitswert der Depression mit
Regressionsneigung und dem Unvermögen des Versicherten, sich um eine
Arbeitsstelle zu kümmern, zukomme, nicht auseinander. Auch sind die Berichte
der Dres. L.________ und X.________ nicht widersprüchlich.   Insbesondere
kann aus dem Umstand, dass der behandelnde Psychiater Dr. med. L.________ die
Einweisung in eine Tagesklinik verlangte, nicht geschlossen werden, dass er
damit selbst erhebliche Zweifel an der Arbeitsfähigkeit hatte bzw. davon
ausging, dass der Versicherte an einer ernst zu nehmenden Krankheit leide,
wie der Beschwerdeführer argumentiert. Vielmehr sollte damit der
Wiedereinstieg in eine Arbeitstätigkeit unterstützt und ermöglicht werden.
Von einer ungenügenden Abklärung des Sachverhalts im Zeitpunkt der
Leistungseinstellung kann nicht gesprochen werden. Auf Einholung eines
ergänzenden medizinischen Gutachtens, wie beantragt, wird verzichtet, da
davon für den Beurteilungszeitpunkt keine wesentlichen neuen Erkenntnisse zu
erwarten sind (antizipierte Beweiswürdigung; BGE 124 V 94 Erw. 4b, 119 V 344
Erw. 3c; RKUV 2002 Nr. U 469 S. 527 Erw. 2c).

5.
5.1 Schliesslich macht der Beschwerdeführer mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde
erneut geltend, dass die Einstellung der Taggelder per Ende Januar 2005
verfrüht war. Es hätte ihm eine Uebergangsfrist von vier Monaten zur
Umstellung und Eingliederung eingeräumt werden müssen. Zur Begründung wird
ausgeführt, nach Vorliegen des Berichts von Dr. med. X.________ (vom 14.
Dezember 2004) habe die Concordia sehr kurzfristig über die
Leistungseinstellung befunden und vom Versicherten abverlangt, nur innert
einem Monat die verbleibende Arbeitsfähigkeit in einer anderen Tätigkeit
umzusetzen. Im Bericht des Dr. med. X.________ werde in diesem Zusammenhang
auf den EDV-Bereich und allenfalls Büroarbeiten hingewiesen. Auch wenn es
sich dabei nicht um eine vollständige Umstellung vom vorher ausgeübten Beruf
handle, sei doch festzustellen, dass eine derart kurze Uebergangszeit
ungenügend sei.

5.2 Dieser Betrachtungsweise kann nicht beigepflichtet werden. Gemäss
Rechtsprechung ist die Gewährung einer angemessenen Uebergangsfrist, während
welcher das bisherige Krankengeld geschuldet bleibt, für in ihren bisherigen
Tätigkeitsbereichen dauernd arbeitsunfähige Versicherte, welche unter dem
Blickwinkel der Schadenminderungspflicht einen Berufswechsel vorzunehmen
haben, vorgesehen. In diesen Fällen hat die Krankenkasse den Versicherten zum
Berufswechsel aufzufordern und ihm zur Anpassung an die veränderten
Verhältnisse sowie zur Stellensuche eine angemessene Übergangsfrist
einzuräumen. In der Praxis wird in der Regel eine Frist von drei bis fünf
Monaten ab der Aufforderung der Kasse zur Stellensuche als angemessen
erachtet (BGE 114 V 289 Erw. 5b, 111 V 239 Erw. 2a mit Hinweisen; RKUV 2000
Nr. KV 112 S. 122). Da im vorliegenden Fall aufgrund der medizinischen Akten
nicht von einer vollständigen Arbeitsunfähigkeit infolge der gesundheitlichen
Einschränkungen im bisherigen Tätigkeitsbereich ausgegangen werden kann,
bleibt kein Raum für die Anwendung der aufgezeigten Praxis und es besteht
mithin kein Anspruch auf Gewährung einer längeren Frist. Grundsätzlich haben
nicht die Krankenkassen das Risiko der schwierigen Vermittelbarkeit zu
tragen.

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird abgewiesen.

2.
Es werden keine Gerichtskosten erhoben.

3.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Verwaltungsgericht des Kantons
Graubünden und dem Bundesamt für Gesundheit zugestellt.

Luzern, 29. Januar 2007

Im Namen der II. sozialrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident: Die Gerichtsschreiberin: