Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

Sozialrechtliche Abteilungen K 96/2006
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{T 7}
K 96/06
K 114/06

Urteil vom 5. März 2007
II. sozialrechtliche Abteilung

Bundesrichter U. Meyer, Präsident,
Bundesrichter Lustenberger, Borella,
Gerichtsschreiber Schmutz.

K 96/06
HOTELA, Rue de la Gare 18, 1820 Montreux, Beschwerdeführerin,

gegen

D.________, 1956, Beschwerdegegnerin,
vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Urs Leemann, Technikumstrasse 84, 8400
Winterthur,

und

K 114/06
D.________, 1956, Beschwerdeführerin,
vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Urs Leemann, Technikumstrasse 84, 8400
Winterthur,

gegen

HOTELA, Rue de la Gare 18, 1820 Montreux, Beschwerdegegnerin.

Krankenversicherung,

Verwaltungsgerichtsbeschwerde gegen den Entscheid des
Sozialversicherungsgerichts des Kantons Zürich vom 30. Juni 2006.
Sachverhalt:

A.
Die 1956 geborene D.________ ist bei der Hotela in der
Krankentaggeldversicherung nach KVG für ein Taggeld von Fr. 83.- mit einer
Wartefrist von 30 Tagen versichert. Sie arbeitete bis 31. Juli 2002 als
Zimmermädchen in einem Motel und bezog ab 1. August 2002
Arbeitslosentaggelder. Seit November 2003 war sie in einem
Beschäftigungsprogramm des Arbeitsamtes Winterthur in einer Papiermanufaktur
tätig. Ab 8. Dezember 2003 war sie arbeitsunfähig gemeldet. Nach Angaben von
Dr. med. E.________, Spezialarzt FMH für Pneumologie und Innere Medizin, im
Konsiliarbericht vom 22. Dezember 2003 an den Hausarzt med. pract.
L.________, litt D.________ an chronischem unspezifischen nicht allergischen
Asthma bronchiale (akute Exazerbation bei unspezifischem Infekt),
anamnestisch mittelschwerer bronchialer Hyperreagibilität und schwerer
Adipositas (BMI damals 38 kg/m2). Die Hotela erbrachte bis 31. Mai 2004
Taggeldzahlungen. Mit unangefochten gebliebener Verfügung vom 27. Mai 2004
stellte sie diese mit der Begründung ein, der Hausarzt habe keine
medizinischen Auskünfte erteilt. Nachdem jener dies mit Schreiben vom
20. Dezember 2004 nachgeholt und eine Anzahl von Konsiliarberichten von
Dr. med. E.________ aus der Zeit von Oktober 2002 bis September 2004
eingereicht hatte, verfügte die Hotela am 12. Januar 2005 gestützt auf die
Stellungnahme des Vertrauensarztes Dr. med. S.________, Spezialarzt FMH für
Rechtsmedizin, vom 8. Januar 2005, dass sie ab 1. Januar 2004 keine Taggelder
mehr leiste. Auf eine Rückforderung der vom 1. Januar 2004 bis 31. Mai 2004
ausgerichteten Taggelder werde verzichtet. Die dagegen erhobene Einsprache
wies sie mit Entscheid vom 21. April 2005 ab.

B.
Die hiegegen eingereichte Beschwerde hiess das Sozialversicherungsgericht des
Kantons Zürich mit Entscheid vom 30. Juni 2006 in dem Sinne gut, dass der
Einspracheentscheid aufgehoben und die Sache an die Hotela zurückgewiesen
wurde, damit sie nach erfolgter Abklärung im Sinne der Erwägungen neu über
den Krankentaggeldanspruch ab 1. Juni 2004 entscheide.

C.
Die Hotela stellt mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde das Begehren, der
Einspracheentscheid vom 21. April 2005 sei unter Aufhebung des
vorinstanzlichen Entscheides zu bestätigen; eventualiter sei die Sache zur
ergänzenden Abklärung an die Vorinstanz zurückzuweisen.

D. ________ schliesst auf Abweisung des Verwaltungsgerichtsbeschwerde der
Hotela; eventualiter sei die Sache im Sinne des kantonalen Entscheides an die
Verwaltung zurückzuweisen, zur weiteren Abklärung der Auswirkungen der
Adipositas sowie der Knie- und Rückenprobleme auf die Arbeitsfähigkeit und zu
neuem Entscheid. Vorinstanz und Bundesamt für Gesundheit verzichten auf
Vernehmlassung.

D.
D.________ lässt mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde beantragen, die Entscheide
von Vorinstanz und Verwaltung seien aufzuheben; die Hotela sei zu
verpflichten, die vertraglich vereinbarten Krankentaggeldleistungen ab 1.
Juni 2004 zu erbringen.
Die Hotela beantragt die Abweisung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde von
D.________, die Aufhebung des vorinstanzlichen Entscheides sowie die
Bestätigung des Einspracheentscheides. Vorinstanz und Bundesamt für
Gesundheit verzichten auch hier auf Vernehmlassung.

Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

1.
Das Bundesgesetz über das Bundesgericht vom 17. Juni 2005 (BGG; SR 173.110)
ist am 1. Januar 2007 in Kraft getreten (AS 2006 1205, 1243). Da der
angefochtene Entscheid vorher ergangen ist, richtet sich das Verfahren noch
nach OG (Art. 132 Abs. 1 BGG; BGE 132 V 393 E. 1.2 S. 395).

2.
Da den beiden Verwaltungsgerichtsbeschwerden derselbe Sachverhalt zu Grunde
liegt, sich die gleichen Rechtsfragen stellen und die Rechtsmittel den
nämlichen vorinstanzlichen Entscheid betreffen, rechtfertigt es sich, die
beiden Verfahren zu vereinigen und in einem einzigen Urteil zu erledigen (BGE
128 V 124 E. 1 S. 126 mit Hinweisen; vgl. auch BGE 128 V 192 E. 1 S. 194).

3.
Das kantonale Gericht hat in materiell- und beweisrechtlicher Hinsicht die
für die Beurteilung des Anspruchs auf Leistungen der freiwilligen
Taggeldversicherung nach KVG massgeblichen Grundlagen (Art. 67-77 KVG und
107-109 KVV sowie die diesbezügliche Rechtsprechung) zutreffend dargelegt. Es
wird auf die vorinstanzlichen Erwägungen 2 und 3.3 verwiesen.

4.
Nach dem kantonalen Gericht erlauben es die bei den Akten liegenden
medizinischen Angaben nicht, die Arbeitsfähigkeit der Versicherten im
massgebenden Zeitraum von der faktischen Taggeldeinstellung am 1. Juni 2004
bis zum Einspracheentscheid am 21. April 2005 nach dem erforderlichen
Beweisgrad der überwiegenden Wahrscheinlichkeit zu beurteilen; es sind durch
die Verwaltung hinsichtlich des Gesundheitszustandes und dessen Auswirkungen
auf die Arbeitsfähigkeit ergänzende versicherungsexterne Abklärungen vorab
zum Krankheitswert der Adipositas zu veranlassen; dabei soll auch zu
berücksichtigen sein, dass die Auswirkungen der Adipositas auf die
Arbeitsfähigkeit möglicherweise nicht von den pulmonalen Problemen losgelöst
betrachtet werden können; deshalb erachtet die Vorinstanz im Rahmen einer
Gesamtbeurteilung den Einbezug eines Lungenspezialisten für angezeigt.
Versicherung wie Versicherte stellen sich auf den Standpunkt, die Unterlagen
seien vollständig und weitere medizinische Abklärungen nicht notwendig. Sie
kommen jedoch in der Beurteilung zu entgegengesetzten Schlüssen. Laut Hotela
ist die Versicherte in der Tätigkeit eines Zimmermädchens seit spätestens
1. Januar 2004 wieder voll arbeitsfähig und in Bezug auf die Reduktion des
Übergewichts ihrer Schadenminderungspflicht nicht nachgekommen. Die
Versicherte hält dagegen für ausgewiesen, dass sie im Jahr 2004
arbeitsunfähig gewesen ist, weshalb die Taggeldleistungen
ungerechtfertigterweise eingestellt worden seien.

5.
5.1 Die Vorinstanz hat in korrekter Würdigung der medizinischen Akten zu Recht
erwogen, dass sich ernsthafte Zweifel an der Beweiskraft der Beurteilung des
Gesundheitszustandes und der Leistungsfähigkeit der Versicherten durch den
behandelnden Arzt med. pract. L._______ rechtfertigen; dies nicht nur, wenn
der Erfahrungstatsache Rechnung getragen wird, dass Hausärzte mitunter im
Hinblick auf ihre auftragsrechtliche Vertrauensstellung eher zu Gunsten ihrer
Patientinnen und Patienten aussagen (BGE 125 V 351 E. 3b.cc S. 353); med.
pract. L.________ hat sich - und darin ist der Vorinstanz beizupflichten -
vehement gegen eine Beurteilung seiner Einschätzung der gesundheitlichen
Situation durch den Vertrauensarzt oder eine juristische Instanz gestellt; er
hat allein für sich die Kompetenz beansprucht, die Arbeitsfähigkeit seiner
Patientin einzuschätzen, was indessen nicht seine Aufgabe ist. Den
diesbezüglichen Klarstellungen in den vorinstanzlichen Erwägungen 2.8 und 3.3
bleibt nichts beizufügen.

5.2 In Bezug auf die Aussagen des Pneumologen Dr. med. E.________, der die
Versicherte zwischen Oktober 2002 und September 2004 in einer Reihe von
Konsiliarberichten beurteilte, ist die Vorinstanz zu Recht zur Feststellung
gelangt, dieser habe unter anderem in der Stellungnahme vom 28. Dezember 2004
gegenüber dem Vertrauensarzt klar zum Ausdruck gebracht, aus pneumologischer
Sicht sei für ihn die Frage nach der Arbeitsunfähigkeit nie zur Diskussion
gestanden. Wie die Vorinstanz in Erwägung 4.1 jedoch richtig darlegt, ist Dr.
med. E.________ in seinen Ausführungen zu den Auswirkungen der Adipositas auf
die Leistungsfähigkeit vage geblieben. Der Hinweis, diesbezüglich
rechtfertige sich die Annahme einer Arbeitsunfähigkeit nicht, vermag nicht zu
überzeugen; denn in den Berichten vom 31. Oktober 2002, 16. April 2003,
22. Dezember 2003, 8. Juni 2004 und 28. Dezember 2004 hat er wiederholt zum
Ausdruck gebracht, dass die Leistungsfähigkeit durch die morbide Adipositas
beeinträchtigt werde.

6.
Die Vorinstanz ist daher mit Grund zum Schluss gelangt, es sei nicht
ausreichend geklärt, ob, in welchem Umfang und für welche Tätigkeiten im
massgebenden Zeitraum zwischen Leistungseinstellung und Einspracheentscheid
eine krankheitsbedingte Arbeitsunfähigkeit vorgelegen hat. Sie hat die Hotela
zu Recht dazu verhalten, ergänzende versicherungsexterne Abklärungen zum
Krankheitswert der Adipositas zu veranlassen, bei denen zu berücksichtigen
ist, dass die Auswirkungen der Adipositas auf die Arbeitsfähigkeit
möglicherweise nicht von den pulmonalen Problemen losgelöst betrachtet werden
können, sodass eine Gesamtbeurteilung angezeigt ist. Was Versicherung und
Versicherte dagegen einwenden, dringt nicht durch. Es ist weder bereits
erstellt, dass die Versicherte als Zimmermädchen seit spätestens 1. Januar
2004 wieder voll arbeitsfähig war bzw. in Bezug auf die Reduktion des
Übergewichts ihrer Schadenminderungspflicht nicht nachgekommen ist, noch ist
ausgewiesen, dass sie ab Januar 2004, insbesondere aber ab 1. Juli 2004,
vollständig arbeitsunfähig war. Was die Versicherte unter Berufung auf
ärztliche Stellungnahmen vorbringen lässt, die auf teils lange nach Erlass
des zeitlich massgebenden Einspracheentscheides (BGE 129 V 167 E. 1 in fine
S. 169) durchgeführten medizinischen Untersuchungen beruhen, ist nicht zu
hören.

7.
Gemäss Art. 73 Abs. 1 KVG ist Arbeitslosen bei einer Arbeitsunfähigkeit von
mehr als 50 Prozent das volle Taggeld und bei einer Arbeitsunfähigkeit von
mehr als 25, aber höchstens 50 Prozent das halbe Taggeld auszurichten, sofern
der Versicherer auf Grund seiner Versicherungsbedingungen oder vertraglicher
Vereinbarungen bei einem entsprechenden Grad der Arbeitsunfähigkeit
grundsätzlich Leistungen erbringt. Ob die massgebende prozentuale Grenze der
Anspruchsberechtigung erreicht ist, kann nicht abschliessend überprüft
werden. Der Bedarf nach Klärung des medizinischen Sachverhaltes hinsichtlich
Verlauf und Grad der Arbeitsfähigkeit ist auch unter diesem Gesichtswinkel
ausgewiesen, zumal der im massgeblichen Zeitraum vorgesehene Mindestgrad der
Arbeitsunfähigkeit unter Umständen zwar in der angestammten Beschäftigung als
Zimmermädchen erreicht worden sein könnte, nicht aber in einer anderen
zumutbaren beruflichen Tätigkeit (vgl. dazu RKUV 2005 Nr. KV 342 S. 356 E.
1.3 [K 42/05] mit Hinweisen zur Rechtsprechung über die Zumutbarkeit eines
Berufswechsels auf Grund des Gebotes der Schadenminderung bei dauernder
Arbeitsunfähigkeit im bisherigen Tätigkeitsfeld).

8.
Die im Verfahren K 96/06 obsiegende Versicherte hat Anspruch auf eine dem
Aufwand entsprechende Parteientschädigung, nicht jedoch der im Verfahren K
114/06 obsiegende Versicherungsträger (Art. 159 Abs. 2 OG; BGE 118 V 169 f.).
Für das kantonale Verfahren hat es bei der der Versicherten zugesprochenen
Parteientschädigung zu bleiben, welche in masslicher Hinsicht unbestritten
geblieben ist.

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Verfahren K 96/06 und K 114/06 werden vereinigt.

2.
Die Verwaltungsgerichtsbeschwerden werden abgewiesen.

3.
Es werden keine Gerichtskosten erhoben.

4.
Die Hotela hat der Beschwerdegegnerin im Verfahren K 96/06 für das Verfahren
vor dem Bundesgericht eine Parteientschädigung von Fr. 1'000.-
(einschliesslich Mehrwertsteuer) zu bezahlen.

5.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Sozialversicherungsgericht des Kantons
Zürich und dem Bundesamt für Gesundheit zugestellt.

Luzern, 5. März 2007

Im Namen der II. sozialrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident: Der Gerichtsschreiber: