Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

Sozialrechtliche Abteilungen K 75/2006
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Prozess {T 7}
K 75/06

Urteil vom 7. Dezember 2006
IV. Kammer

Präsident Ursprung, Bundesrichterin Widmer und Bundesrichter Schön;
Gerichtsschreiberin Kopp Käch

K.________, 1980, Beschwerdeführerin,

gegen

SWICA Gesundheitsorganisation, Rechtsdienst, Römerstrasse 38, 8401
Winterthur, Beschwerdegegnerin

Verwaltungsgericht des Kantons Bern, Bern

(Entscheid vom 5. Mai 2006)

Sachverhalt:

A.
Die 1980 geborene K.________ ist bei der SWICA Krankenversicherung AG
(nachfolgend SWICA) krankenversichert. Nachdem Dr. med. Dr. med. dent.
S.________ im Dezember 1999 pericoronale Infekte bei verlagerten
Weisheitszähnen beidseits im Ober- und Unterkiefer diagnostiziert hatte,
entfernte er die vier Weisheitszähne am 14. Februar und 24. März 2000.
K.________ reichte der SWICA im Anschluss daran sechs Rechnungen über den
Gesamtbetrag von Fr. 2596.- zur Rückerstattung ein.

Mit Verfügung vom 28. Juni 2000 lehnte die SWICA die Übernahme der Kosten für
die Behandlung bei Dr. med. Dr. med. dent. S.________ in der Zeit vom 16.
Dezember 1999 bis 24. März 2000 sowie der Rechnung des Labors B.________ AG
ab. An ihrem Standpunkt hielt sie mit Einspracheentscheid vom 30. Januar 2001
fest. Im daraufhin eingeleiteten Beschwerdeverfahren hob das
Verwaltungsgericht des Kantons Bern mit Entscheid vom 3. April 2002 den
angefochtenen Einspracheentscheid auf und wies die Sache zur Einholung eines
Gutachtens und zum anschliessenden Erlass eines neuen Einspracheentscheids an
die SWICA zurück. Die SWICA wies die Einsprache mit Entscheid vom 5. November
2002 gestützt auf die Beurteilung durch den Vertrauenszahnarzt Dr. med. dent.
M.________, vom 3. Januar 2000, und auf das eingeholte Gutachten des Dr. med.
dent. P.________, vom 18. September 2002, wiederum ab. Die dagegen erhobene
Beschwerde wies das Verwaltungsgericht des Kantons Bern mit Entscheid vom 2.
Juni 2003 ab. Das Eidgenössische Versicherungsgericht hiess die eingereichte
Verwaltungsgerichtsbeschwerde mit Urteil vom 2. Februar 2005 in dem Sinne
teilweise gut, als es den Entscheid des Verwaltungsgerichts des Kantons Bern
vom 2. Juni 2003 und den Einspracheentscheid der SWICA vom 5. November 2002
aufhob und die Sache zur Einholung eines Obergutachtens zur Frage der
Verlagerung der Zähne 38 und 48 sowie zum anschliessenden Entscheid über den
Anspruch auf Übernahme der Behandlungskosten für die beiden unteren
Weisheitszähne an die Vorinstanz zurückwies (K 73/03).

B.
Das Verwaltungsgericht des Kantons Bern wies die Beschwerde mit Entscheid vom
5. Mai 2006 gestützt auf das Gutachten des Prof. Dr. med. Dr. med. dent.
H.________, Klinik für Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgie des
Kantonsspitals X.________, vom 15. November 2005, ab.

C.
Mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde beantragt K.________ die Rückerstattung der
Behandlungskosten für die Zähne 38 und 48 durch die obligatorische
Krankenpflegeversicherung. Zur Begründung verweist sie auf die Angaben des
behandelnden Arztes Dr. med. Dr. med. dent. S.________.

Die SWICA schliesst auf Abweisung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde. Das
Bundesamt für Gesundheit verzichtet auf eine Vernehmlassung.

Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:

1.
1.1 Die massgebenden gesetzlichen Grundlagen über den Anspruch auf Leistungen
der obligatorischen Krankenpflegeversicherung für zahnärztliche Behandlungen
(Art. 31 Abs. 1 KVG, Art. 33 Abs. 2 und 5 KVG in Verbindung mit Art. 33 lit.
d KVV und Art. 17-19 KLV) sowie die Rechtsprechung dazu (BGE 127 V 328 und
391) sind im Entscheid des Verwaltungsgerichts des Kantons Bern vom 2. Juni
2003 und im Urteil des Eidgenössischen Versicherungsgerichts vom 2. Februar
2005 dargelegt worden. Darauf kann verwiesen werden. Zu wiederholen ist, dass
bei der Erkrankung der Zähne als Teil des Kausystems die Übernahme der Kosten
gestützt auf Art. 31 Abs. 1 lit. a KVG in Verbindung mit Art. 17 lit. a Ziff.
2 KLV eine Verlagerung oder Überzahl von Zähnen und Zahnkeimen mit
qualifiziertem Krankheitswert voraussetzt, wobei der Krankheitswert gemäss
Rechtsprechung bei der Dentition in Entwicklung in der Behinderung einer
geordneten Gebissentwicklung oder in einem pathologischen Geschehen, bei
bleibender Dentition in einem pathologischen Geschehen besteht. Neben den in
Art. 17 lit. a Ziff. 2 KLV in Klammern aufgeführten Beispielen des Abszesses
und der Zyste hat das Gericht das Erfordernis des qualifizierten
Krankheitswertes in Form von pathologischem Geschehen bei Erscheinungsformen
als erfüllt gesehen, die erhebliche Schäden an den benachbarten Zähnen, am
Kieferknochen und an benachbarten Weichteilen verursacht haben oder gemäss
klinischem und allenfalls radiologischem Befund mit hoher Wahrscheinlichkeit
verursachen werden. Bei in Entwicklung befindlicher Dentition ist der
qualifizierte Krankheitswert auch gegeben, wenn verlagerte Zähne den
Durchbruch benachbarter Zähne behindern oder verlagerte Zähne trotz
Beseitigung von Durchbruchshindernissen und genügendem Platzangebot nicht
durchbrechen können (vgl. BGE 127 V 328 und 391).

1.2 Ebenfalls dargelegt wurde im Urteil des Eidgenössischen
Versicherungsgerichts vom 2. Februar 2005, dass hinsichtlich der Übernahme
der Kosten für zahnärztliche Behandlungen in Art. 17 lit. a Ziff. 2 KLV nicht
zwischen der Behandlung von Weisheitszähnen und von andern Zähnen
unterschieden wird und dass deswegen gemäss Rechtsprechung (BGE 130 V 464)
aufgrund der Unterschiede zwischen Weisheitszähnen und andern Zähnen
bezüglich Häufigkeit von Lageanomalien und daraus resultierender Folgen sowie
bezüglich Behandlung bei Weisheitszähnen nicht jede Pathologie genügt, die
bei andern verlagerten Zähnen die Übernahme der Kosten rechtfertigt.

2.
2.1 Im konkreten Fall hat das Eidgenössische Versicherungsgericht  mit Urteil
vom 2. Februar 2005 entschieden, dass in Bezug auf die oberen Weisheitszähne
18 und 28 die Frage der Verlagerung nicht abschliessend beantwortet werden
müsse, weil die Pathologie und die notwendigen Massnahmen zu deren
Beseitigung oder Verringerung für das Vorliegen des gemäss Art. 17 lit. a
Ziff. 2 KLV erforderlichen qualifizierten Krankheitswertes nicht ausreichen,
sodass die Voraussetzungen für eine Leistungspflicht der obligatorischen
Krankenpflegeversicherung mangels Anhaltspunkten für irgendwelche
Schwierigkeiten oder besondere Komplikationen bei der Entfernung der oberen
Weisheitszähne nicht erfüllt sind.

2.2 In Bezug auf die unteren Weisheitszähne 38 und 48 hingegen hat das
Eidgenössische Versicherungsgericht im erwähnten Urteil festgestellt, dass
der qualifizierte Krankheitswert bei der vorliegenden Dentition in
Entwicklung in Form der Behinderung einer geordneten Gebissentwicklung trotz
des sich im Rahmen haltenden Behandlungsaufwandes erfüllt ist. Erschwerend
gewichtete es dabei praxisgemäss den Umstand, dass die reguläre Entwicklung
der Dentition besonders anfällig war, weil die Beschwerdeführerin in
kieferorthopädischer Behandlung stand und im Frontbereich des Unterkiefers
einen Retainer trug (vgl. Urteil S. vom 28. Dezember 2004, K 142/02). Es wies
die Sache an das kantonale Gericht zurück, damit es zur Frage der Verlagerung
der Zähne 38 und 48 als erster Voraussetzung der Leistungspflicht der
obligatorischen Krankenpflegeversicherung ein Obergutachten einhole und
anschliessend über den Anspruch der Beschwerdeführerin auf Übernahme der
Behandlungskosten für die beiden unteren Weisheitszähne neu entscheide.

3.
Nicht mehr streitig ist die Leistungspflicht für die Behandlungskosten der
oberen Weisheitszähne 18 und 28. Streitig und zu prüfen ist nur noch, ob die
obligatorische Krankenpflegeversicherung für die Kosten der Behandlung der
unteren Weisheitszähne 38 und 48 aufzukommen hat und, wenn ja, in welchem
Umfang. Zu beachten ist diesbezüglich, dass das Eidgenössische
Versicherungsgericht im Urteil vom 2. Februar 2005 die zweite Voraussetzung
der Leistungspflicht, nämlich das Vorliegen eines qualifizierten
Krankheitswertes, bereits bejaht hat.

3.1 Die Vorinstanz hat eine Leistungspflicht der obligatorischen
Krankenpflegeversicherung für die Behandlungskosten der unteren
Weisheitszähne 38 und 48 gestützt auf das Obergutachten des Prof. Dr. med.
Dr. med. dent. H.________ vom 15. November 2005 verneint im Wesentlichen mit
der Begründung, es sei wohl die Verlagerung als erste Voraussetzung, nicht
aber der qualifizierte Krankheitswert im Sinne von Art. 17 lit. a Ziff. 2 KLV
als zweite Voraussetzung gegeben.

3.2 Was zunächst die Frage der Verlagerung anbelangt, ist mit dem kantonalen
Gericht auf das Obergutachten des Prof. Dr. med. Dr. med. dent. H.________
vom 15. November 2005, welches den Anforderungen der Rechtsprechung an ein
beweiskräftiges medizinisches Gutachten (BGE 125 V 352 Erw. 3a)
vollumfänglich entspricht, abzustellen. Demgemäss lagen die Weisheitszähne 38
und 48 ausserhalb des Odontoparodonts und waren mehrheitlich in den
aufsteigenden Unterkieferast in einer nicht durchbruchsfähigen Lage
positioniert. Unabhängig von der Frage, ob das Wurzelwachstum vollständig
oder noch nicht ganz vollständig abgeschlossen war, lag gemäss Auffassung des
Experten eine definitive Situation vor, die den Durchbruch der unteren
Weisheitszähne in die Normposition nicht erlaubte. Damit kann - wie das
kantonale Gericht zu Recht festhält - mit dem Beweisgrad der überwiegenden
Wahrscheinlichkeit als erstellt gelten, dass die beiden entfernten
Weisheitszähne 38 und 48 verlagert waren.

3.3 Soweit die Vorinstanz die Leistungspflicht der obligatorischen
Krankenpflegeversicherung gestützt auf das Obergutachten vom 15. November
2005 mangels des erforderlichen qualifizierten Krankheitswertes verneint,
kann dieser Auffassung nicht gefolgt werden, hat doch das Eidgenössische
Versicherungsgericht das Vorliegen dieser zweiten Voraussetzung der
Leistungspflicht in Form der Behinderung einer geordneten Gebissentwicklung
bereits im Urteil vom 2. Februar 2005 bejaht und war diese Frage gar nicht
mehr zu prüfen.

3.4 Zusammenfassend sind bezüglich der unteren Weisheitszähne 38 und 48
sowohl die Verlagerung wie auch der qualifizierte Krankheitswert gegeben,
weshalb grundsätzlich eine Leistungspflicht der obligatorischen
Krankenpflegeversicherung besteht.

4.
Streitig und zu prüfen ist der Umfang der Leistungspflicht der
Beschwerdegegnerin. Diesbezüglich massgebend ist, ob die von Dr. med. Dr.
med. dent. S.________ durchgeführte Behandlung dem Erfordernis der
Wirtschaftlichkeit im Sinne von Art. 32 Abs. 1 und Art. 56 Abs. 1 KVG
entspricht.

4.1 Was zunächst den Beizug eines ärztlichen Assistenten anbelangt, hat das
Eidgenössische Versicherungsgericht bereits im Urteil vom 2. Februar 2005
festgehalten, dass dessen Notwendigkeit mangels Anhaltspunkten für
irgendwelche Schwierigkeiten oder besondere Komplikationen bei der Entfernung
der unteren Weisheitszähne nicht nachgewiesen ist. Diese Auffassung wird im
Obergutachten vom 15. November 2005 ausdrücklich bestätigt.

4.2 Bezüglich der umstrittenen Zystenoperation schliesslich hat Dr. med.
dent. P.________ im Gutachten vom 18. September 2002 dargelegt, dass es
gemäss Befund nicht gerechtfertigt war, neben der Zahnentfernung noch eine
Zystektomie vorzunehmen, wie dies in der Honorarnote aufgeführt sei. In den
Operationsberichten - so der Experte - sei denn auch nur eine Osteotomie
erwähnt. Prof. Dr. med. Dr. med. dent. H.________ hat diese Auffassung im
Gutachten vom 15. November 2005 bestätigt und ausgeführt, dass ein
perikoronaler Follikel und nicht eine follikuläre Zyste vorgelegen habe.
Weder sei die pathohistologische Beurteilung ein Beweis für das Vorhandensein
einer follikulären Zyste, wenn der entsprechende radiologische Befund fehle,
noch liefere der Operationsbericht den Nachweis einer durchgeführten
Zystektomie. Die Verrechnung der Position "Zystenoperation" (Nr. 4235 der
Rechnung) ist demzufolge nicht gerechtfertigt. Soweit Dr. med. Dr. med. dent.
S.________ für die Beschwerdeführerin geltend macht, eine Position, die als
unwirtschaftlich eingestuft werde, dürfe nicht einfach ersatzlos gestrichen,
sondern müsse durch eine wirtschaftliche ersetzt werden, ist festzuhalten,
dass dies nur dann zutreffen würde, wenn die wirtschaftliche Massnahme
effektiv durchgeführt worden wäre. Die diesbezüglich geltend gemachte
"operative Entfernung eines Zahnes mit Probeexzision (Position Nr. 4207 und
4211)" geht weder aus Rechnung oder Operationsbericht hervor, noch ist sie
anderweitig nachgewiesen.

4.3 Die Behandlungskosten für die Entfernung der unteren Weisheitszähne 38
und 48 sind demzufolge von der obligatorischen Krankenpflegeversicherung
unter Abzug der Kosten bezüglich ärztlicher Assistenz und Zystenoperation zu
übernehmen. Soweit Dr. med. Dr. med. dent. S.________ neu eine andere
Rechnungsposition geltend macht, fällt diese - wie erwähnt - nur dann unter
die Leistungspflicht der Beschwerdegegnerin, wenn die Massnahme tatsächlich
durchgeführt worden ist. Die Sache wird an die SWICA zurückgewiesen, damit
sie abklärt, welcher Anteil der gestellten Rechnungen auf die Behandlung der
Zähne 38 und 48, soweit der Leistungspflicht unterliegend, entfällt, und
anschliessend über den Anspruch der Beschwerdeführerin auf Übernahme der
Kosten der zahnärztlichen Behandlung neu verfügt.

Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht:

1.
Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird in dem Sinne teilweise gutgeheissen,
dass der Entscheid des Verwaltungsgerichts des Kantons Bern,
Sozialversicherungsrechtliche Abteilung, vom 5. Mai 2006 und der
Einspracheentscheid der SWICA Gesundheitsorganisation vom 5. November 2002
aufgehoben werden und die Sache an die SWICA Gesundheitsorganisation
zurückgewiesen wird, damit sie, nach erfolgter Abklärung im Sinne der
Erwägungen, über den Anspruch der Beschwerdeführerin auf Übernahme der Kosten
für die zahnärztliche Behandlung der Zähne 38 und 48 neu verfüge.

2.
Es werden keine Gerichtskosten erhoben.

3.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Verwaltungsgericht des Kantons Bern,
Sozialversicherungsrechtliche Abteilung, und dem Bundesamt für Gesundheit
zugestellt.

Luzern, 7. Dezember 2006

Im Namen des Eidgenössischen Versicherungsgerichts

Der Präsident der IV. Kammer: Die Gerichtsschreiberin: