Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

Sozialrechtliche Abteilungen K 61/2006
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Prozess {T 7}
K 61/06

Urteil vom 26. September 2006
IV. Kammer

Präsident Ursprung, Bundesrichterin Widmer und Bundesrichter Schön;
Gerichtsschreiber Schmutz

A.________, Beschwerdeführer,

gegen

SWICA Gesundheitsorganisation, Rechtsdienst, Römerstrasse 38, 8401
Winterthur, Beschwerdegegnerin

Obergericht des Kantons Schaffhausen, Schaffhausen

(Entscheid vom 7. April 2006)

Sachverhalt:

A.
A. ________ und seine Ehefrau P.________ sind obligatorisch bei der SWICA
Gesundheitsorganisation (nachfolgend: SWICA) krankenversichert. Am 8. April
2005 betrieb die SWICA A.________ über den Betrag von Fr. 1'034.80 zuzüglich
Fr. 30.- für Mahnspesen. Am 26. Mai 2005 betrieb sie ihn sodann über den
Betrag von Fr. 218.- zuzüglich Fr. 30.- für Mahnspesen und Fr. 95.-
Inkassogebühren. Mit Verfügungen vom 21. September 2005 beseitigte die SWICA
den gegen die Zahlungsbefehle Betreibungs-Nrn. ........ und ........ des
Betreibungsamtes X.________ vom April und Juni 2005 jeweils erhobenen
Rechtsvorschlag. Dagegen reichte A.________ Einsprachen ein, welche die SWICA
nach Vereinigung der beiden Verfahren mit Entscheid vom 27. Oktober 2005
abwies.

B.
Die hiergegen erhobene Beschwerde wies das Obergericht des Kantons
Schaffhausen mit Entscheid vom 7. April 2006 ab. Ferner überband es
A.________ wegen leichtsinniger Prozessführung die Gerichtskosten in der Höhe
von Fr. 300.-.

C.
A.________ führt Verwaltungsgerichtsbeschwerde und beantragt, der
angefochtene Entscheid vom 7. April 2006 sei aufzuheben; das kantonale
Obergericht sei zu verpflichten, ihm gemäss dem am 21. Februar 2006
gestellten Antrag Akteneinsicht und das rechtliche Gehör zu gewähren.
Vorinstanz, SWICA und Bundesamt für Gesundheit verzichten auf Vernehmlassung.

Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:

1.
1.1 Das kantonale Gesetz über den Rechtsschutz in Verwaltungssachen
(Verwaltungsrechtspflegegesetz; VRPG) vom 20. September 1971 (SHR 172.200)
regelt in Art. 36a Abs. 1, dass das Obergericht kantonales
Versicherungsgericht ist und in einem einfachen und raschen Verfahren
Beschwerden und Klagen auf dem gesamten Gebiet des eidgenössischen und
kantonalen Sozialversicherungsrechts sowie der Zusatzversicherungen zur
sozialen Krankenversicherung behandelt. Gemäss Art. 38 Abs. 1 VRPG gelten die
Bestimmungen des Abschnitts C ("Das verwaltungsgerichtliche Verfahren") auch
für das Verfahren vor dem Obergericht als kantonales Versicherungsgericht.
Laut Art. 42 VRPG (Schriftenwechsel) wird der Vorinstanz und den
Verfahrensbeteiligten Frist zur schriftlichen Vernehmlassung angesetzt, wenn
das Rechtsmittel nicht sofort als unbegründet erscheint. Dieser sind
sämtliche zugehörigen Akten beizufügen (Abs. 1). Das Obergericht kann einen
weiteren Schriftenwechsel anordnen (Abs. 2). In Art. 50 VRPG (Ergänzende
Vorschriften) ist geregelt, dass, soweit keine besonderen Bestimmungen für
das Verfahren bestehen, die Vorschriften der Zivilprozessordnung sinngemäss
anwendbar sind (Abs. 1).

1.2 Besondere Bestimmungen über die Akteneinsicht finden sich im VRPG keine.
Die Zivilprozessordnung für den Kanton Schaffhausen vom 3. September 1951
(SHR 273.100; ZPO) regelt in Art. 39 (Akteneinsicht und -hinausgabe), dass
die Prozessakten den Parteien und deren Vertretern auf der Gerichtskanzlei
zur Einsicht offen stehen. Den Parteianwälten können sie auch für einige Zeit
übergeben werden.

1.3 Der Beschwerdeführer hat in seiner innert der ihm mit Verfügung des
Obergerichts vom 8. Februar 2006 gesetzten Frist eingereichten Eingabe vom
21. Februar 2006 zu einer Stellungnahme der Beschwerdegegnerin vom 6. Februar
2006 vor der kantonalen Instanz den folgenden Antrag gestellt:
"Gemäss der mir gesetzten Frist reiche ich die Stellungnahme ein und stelle
den Antrag um rechtliches Gehör und Einsicht in die Akten sowie um
Gutheissung meiner gestellten Anträge."
In der Verwaltungsgerichtsbeschwerde rügt er, es sei ihm im vorinstanzlichen
Verfahren keine Akteneinsicht gewährt worden. Es sei ihm wegen der fehlenden
Akteneinsicht nicht möglich gewesen zu ersehen, "auf welche fingierten
Computer-Ausdrucke der SWICA" sich das Obergericht stütze. Auch vermute er,
dass die SWICA seinen Versicherungsantrag für die neugeborene Tochter "ohne
seine Erlaubnis abgeändert" habe.

1.4 Nach den vorinstanzlichen Akten ist der Beschwerdeführer vom kantonalen
Gericht weder schriftlich noch mündlich darauf hingewiesen worden, dass ihm
nach dem anwendbaren Verfahrensrecht (Art. 50 VRPG in Verbindung mit Art. 30
ZPO) die Prozessakten auf der Gerichtskanzlei zur Einsicht offen stehen. Zwar
hat man ihm Doppel der Stellungnahmen der Beschwerdegegnerin vom 8. Dezember
2005 ("zur Kenntnisnahme") und 6. Februar 2006 ("zur freigestellten
Vernehmlassung") übermittelt. Sein Schreiben vom 21. Februar 2006, in welchem
er um Akteneinsicht ersuchte, wurde der Beschwerdegegnerin mit Verfügung vom
23. Februar 2006 zur Stellungnahme unterbreitet. Die Antwort der
Beschwerdegegnerin vom 27. Februar 2006, eine Aktennotiz der
Gerichtssekretärin vom 2. März 2006 über ein offenbar am gleichen Tage mit
der Beschwerdegegnerin geführtes Telefonat sowie das darauffolgende Schreiben
der Beschwerdegegnerin vom 13. März 2006 (mit sechs Beilagen) sind dann zu
den Akten gelegt worden, ohne dass dem Beschwerdeführer davon Kenntnis
gegeben wurde. Der rund drei Wochen später gefällte vorinstanzliche Entscheid
stützt sich zum Teil auf Sachverhaltsfeststellungen, die das Gericht auf
Grund von Akten getroffen hat, in die sie dem Beschwerdeführer trotz
ausdrücklich gestelltem Antrag keine Einsicht gewährt hat (siehe Erwägung 3b
des angefochtenen Entscheides).

2.
2.1 Gemäss Art. 29 Abs. 2 BV haben die Parteien Anspruch auf rechtliches
Gehör. Das rechtliche Gehör dient einerseits der Sachaufklärung, andererseits
stellt es ein persönlichkeitsbezogenes Mitwirkungsrecht beim Erlass eines
Entscheids dar, welcher in die Rechtsstellung einer Person eingreift. Dazu
gehört insbesondere deren Recht, sich vor Erlass des in ihre Rechtsstellung
eingreifenden Entscheids zur Sache zu äussern, erhebliche Beweise
beizubringen, Einsicht in die Akten zu nehmen, mit erheblichen Beweisanträgen
gehört zu werden und an der Erhebung wesentlicher Beweise entweder
mitzuwirken oder sich zumindest zum Beweisergebnis zu äussern, wenn dieses
geeignet ist, den Entscheid zu beeinflussen (BGE 129 II 504 Erw. 2.2, 127 I
56 Erw. 2b, 127 III 578 Erw. 2c, 126 V 131 Erw. 2b; zu Art. 4 Abs. 1 aBV
ergangene, weiterhin geltende Rechtsprechung: BGE 126 I 16 Erw. 2a/aa, 124 V
181 Erw. 1a, 375 Erw. 3b, je mit Hinweisen).

2.2 Das Akteneinsichtsrecht bezieht sich auf sämtliche verfahrensbezogenen
Akten, die geeignet sind, Grundlage des Entscheids zu bilden. Die
Akteneinsicht ist demnach auch zu gewähren, wenn die Ausübung des
Akteneinsichtsrechts den Entscheid in der Sache nicht zu beeinflussen vermag.
Die Einsicht in die Akten, die für ein bestimmtes Verfahren erstellt oder
beigezogen wurden, kann demnach nicht mit der Begründung verweigert werden,
die fraglichen Akten seien für den Verfahrensausgang belanglos. Es muss
vielmehr dem Betroffenen selber überlassen sein, die Relevanz der Akten zu
beurteilen (Urteil X. vom 13. August 1996, 2A.444/1995).

2.3 Das Recht auf Akteneinsicht ist wie das Recht, angehört zu werden,
formeller Natur. Die Verletzung des Rechts auf Akteneinsicht führt ungeachtet
der Erfolgsaussichten der Beschwerde in der Sache selbst zur Aufhebung der
angefochtenen Verfügung. Vorbehalten bleiben praxisgemäss Fälle, in denen die
Verletzung des Akteneinsichtsrechts nicht besonders schwer wiegt und dadurch
geheilt wird, dass die Partei, deren rechtliches Gehör verletzt wurde, sich
vor einer Instanz äussern kann, welche sowohl die Tat- als auch die
Rechtsfragen uneingeschränkt überprüft (BGE 115 V 305 Erw. 2h; RKUV 1992
Nr. U 152 S. 199 Erw. 2e).

3.
3.1 Nach dem Gesagten ist festzustellen, dass im kantonalen Verfahren der
Anspruch des Beschwerdeführers auf rechtliches Gehör verletzt worden ist,
weil man ihn trotz gestelltem Antrag nicht dazu eingeladen hat, die
Prozessakten am Sitz des Gerichtes einzusehen, und zudem ab dem Moment der
Gesuchstellung den Schriftenwechsel und die Instruktion des Verfahrens nur
noch mit der Beschwerdegegnerin weitergeführt hat. Auch geht es hier nicht um
die Bewilligung oder Verweigerung von Versicherungsleistungen, sodass das
Eidgenössische Versicherungsgericht die Tatfragen nicht uneingeschränkt
überprüft (Art. 132 in Verbindung mit Art. 104 und 105 OG).

3.2 Die Frage einer möglichen Heilung der Gehörsverletzung im Verfahren vor
dem Eidgenössischen Versicherungsgericht kann jedoch offengelassen werden, da
die Beschwerdesache aus materiellen Gründen an die Vorinstanz zurückzuweisen
ist.

3.3 Der Beschwerdeführer hat seine Sicht der Dinge begründet und teilweise
belegt; so hat er auf Kantonswechsel hingewiesen und Postquittungen für
getätigte Zahlungen vorgelegt. Danach hat er am 21. Oktober 2004 Fr. 656.80
einbezahlt. Im Einspracheentscheid hat die Beschwerdegegnerin angegeben, die
nicht bezahlte Erwachsenenprämie für die Monate November und Dezember 2004
betrage Fr. 164.20 pro Person und Monat. Dies ergibt für zwei Monate und zwei
Erwachsene genau den am 21. Oktober 2004 einbezahlten Betrag. In Art. 14 Abs.
1 der Allgemeinen Versicherungsbedingungen für Versicherungen nach KVG
(Ausgabe 2005) der Beschwerdegegnerin ist geregelt, dass die Prämien "gemäss
Police" im Voraus zu bezahlen sind. Eine "Police" findet sich bei den Akten
keine. Zweimonatige Zahlungsperioden sind aber nicht unüblich (und in der
Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird dieser Modus bestätigt). Weder sind in den
Akten die von der Beschwerdegegnerin erwähnten Mahnungen dokumentiert, noch
werden Daten und Zahlungsperioden angegeben. Es finden sich keine Angaben zum
Zeitpunkt der Kantonswechsel und zur Höhe der jeweils geschuldeten Prämie. Da
nach dem Dargelegten, und nachdem der Beschwerdeführer Quittungen ins Recht
gelegt hat, nicht auszuschliessen ist, dass er allenfalls den Nachweis der
(teilweisen) Tilgung erbracht hat, erscheint fraglich, ob die vollständige
Aufhebung des Rechtsvorschlages gerechtfertigt war. Der angefochtene
Entscheid ist darum aufzuheben und die Sache an die Vorinstanz
zurückzuweisen, damit sie dem Beschwerdeführer Akteneinsicht gewähre, die
zusätzlich erforderlichen Sachverhaltsabklärungen durchführe und dann über
die Beschwerde neu entscheide.

4.
Da es nicht um die Bewilligung oder Verweigerung von Versicherungsleistungen
geht, ist das Verfahren kostenpflichtig (Art. 134 OG e contrario).
Entsprechend dem Prozessausgang gehen die Kosten zu Lasten der
Beschwerdegegnerin (Art. 156 in Verbindung mit Art. 135 OG).

Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht:

1.
In Gutheissung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird der Entscheid des
Obergerichts des Kantons Schaffhausen vom 7. April 2006 aufgehoben und die
Sache an die Vorinstanz zurückgewiesen, damit sie im Sinne der Erwägungen
verfahre und über die Beschwerde gegen den Einspracheentscheid vom 27.
Oktober 2005 neu entscheide.

2.
Die Gerichtskosten von Fr. 500.- werden der Beschwerdegegnerin auferlegt.

3.
Der geleistete Kostenvorschuss von Fr. 500.- wird dem Beschwerdeführer
zurückerstattet.

4.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Obergericht des Kantons Schaffhausen und
dem Bundesamt für Gesundheit zugestellt.

Luzern, 26. September 2006

Im Namen des Eidgenössischen Versicherungsgerichts

Der Präsident der IV. Kammer: Der Gerichtsschreiber: