Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

Sozialrechtliche Abteilungen K 58/2006
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Prozess {T 7}
K 58/06

Urteil vom 24. August 2006
IV. Kammer

Präsident Ursprung, Bundesrichterin Widmer und Bundesrichter Schön;
Gerichtsschreiber Schmutz

P.________, 1939, Beschwerdeführer,

gegen

Helsana Versicherungen AG, Schadenrecht, Zürichstrasse 130, 8600 Dübendorf,
Beschwerdegegnerin

Verwaltungsgericht des Kantons Bern, Bern

(Entscheid vom 29. März 2006)

Sachverhalt:

A.
Der am 2. Juli 1939 geborene P.________ war bei der Helsana Versicherungen AG
(nachfolgend: Helsana) in der Taggeldversicherung Salaria nach KVG
versichert. Auf Grund einer Arbeitsunfähigkeit von 100 % bezog er ab dem 6.
Mai 2003 Taggelder. Am 2. April 2004 wurde ihm eine neue, ab 1. August 2004
gültige "Versicherungspolice KVG" ausgestellt. Gemäss dieser war er für ein
Taggeld von insgesamt Fr. 40.- mit einer Wartefrist von 90 Tagen versichert.
Die Helsana richtete ihm ab 1. August 2004 laut Leistungsabrechnung vom
23. Oktober 2004 lediglich ein Taggeld von Fr. 10.- aus, worauf P.________ am
7. November 2004 schriftlich die Nachzahlung eines Betrages von Fr. 30.- pro
Tag einforderte. Mit Verfügung vom 22. November 2004 hielt die Helsana an der
Abwicklung des Leistungsanspruches fest und begründete dies damit, P.________
habe im Juli 2004 das AHV-Alter erreicht, weshalb auf Grund der Allgemeinen
Versicherungsbedingungen (nachfolgend: AVB) die Taggeldversicherung
automatisch auf Fr. 10.- pro Tag angepasst worden sei. Die Police vom
2. April 2004 sei auf Grund eines Missverständnisses zu den alten Konditionen
ausgestellt worden. Sie bestätigte dies mit Einspracheentscheid vom 2.
November 2005.

B.
Die von P.________ hiegegen erhobene Beschwerde wies das Verwaltungsgericht
des Kantons Bern mit Entscheid vom 29. März 2006 ab.

C.
Mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde beantragt P.________, der kantonale
Entscheid sei aufzuheben oder zu korrigieren; die vereinbarte
Krankentaggeldleistung der Monate August bis Dezember 2004 sei gemäss der
"Versicherungspolice KVG" vom 2. April 2004 auszuzahlen (Fr. 40.- pro Tag);
der geschuldete Gesamtbetrag von Fr. 4'590.- (153 Tage à Fr. 30.-) sei zum
handelsüblichen Satz zu verzinsen.

Die Helsana beantragt Abweisung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde. Das
Bundesamt für Gesundheit verzichtet auf Vernehmlassung.
Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:

1.
Die freiwillige Taggeldversicherung ist in den Art. 67 - 77 KVG und 107 - 109
KVV geregelt. Der Gesetzgeber hat in Art. 72 KVG einige zwingende
Vorschriften zum Leistungsanspruch, namentlich zu seinem Beginn und zur Dauer
sowie zu seiner Kürzung bei teilweiser Arbeitsunfähigkeit und bei
Überentschädigung erlassen. Diese Regelungen haben unabhängig vom Inhalt der
einzelnen Versicherungsverträge Geltung. Die inhaltliche Ausgestaltung des
Versicherungsverhältnisses ist im Übrigen der Vertragsautonomie der Parteien
überlassen (BGE 124 V 203 Erw. 2a und 205 Erw. 3d mit Hinweisen). Diese muss
sich an den allgemeinen Rechtsgrundsätzen orientieren, wie sie sich aus dem
Bundessozialversicherungsrecht und dem übrigen Verwaltungsrecht sowie der
Bundesverfassung ergeben. Namentlich hat sie sich an die wesentlichen
Prinzipien der sozialen Krankenversicherung zu halten, vorab an die
Grundsätze der Gegenseitigkeit, der Verhältnismässigkeit und der
Gleichbehandlung (Art. 13 Abs. 2 lit. a KVG in Verbindung mit Art. 68 Abs. 3
KVG; für das alte Recht vgl. statt vieler BGE 113 V 215 Erw. 3b mit
Hinweisen; vgl. auch Eugster, Zum Leistungsrecht der Taggeldversicherung nach
KVG, in: LAMal-KVG, Recueil de travaux en l'honneur de la Société suisse de
droit des assurances, Lausanne 1997, S. 551).

2.
Streitig ist die von der Helsana verfügte Herabsetzung der
Taggeldversicherung des Beschwerdeführers von Fr. 40.- auf Fr. 10.- pro Tag
ab 1. August 2004. Nach Ziff. 46.4 AVB Ausgabe 1. Januar 2003 der Helsana für
die obligatorische Krankenpflegeversicherung BASIS und die freiwillige
Taggeldversicherung SALARIA wird die Taggeldversicherung nach Vollendung des
65. Altersjahres automatisch auf Fr. 10.- pro Tag reduziert. Diese Regelung
ist bundesrechtskonform, denn nach BGE 124 V 203 f. Erw. 3-5 fallen zwar
Taggeldversicherungen nach KVG mit der Vollendung des 65. Altersjahres nicht
von Gesetzes wegen dahin, die Versicherer sind aber befugt, die
Taggeldversicherung für Personen, die das 65. Altersjahr vollendet haben,
statutarisch einzuschränken oder aufzuheben. Wie in Erw. 4c und d des
genannten Urteils dargelegt, hat das Eidgenössische Versicherungsgericht
bereits unter dem früheren Recht des KUVG entschieden, dass eine
statutarische Herabsetzung der Taggeldversicherung der Krankenversicherung
auf das gesetzliche Minimum nach Eintritt der AHV-Rentenberechtigung
gesetzmässig ist (BGE 97 V 130), und hat an dieser Rechtsprechung unter der
Herrschaft des KVG festgehalten. Auch unter dem KVG haben die
Krankenversicherer daher grundsätzlich die Möglichkeit, die Leistungen
jederzeit zu Gunsten oder zu Ungunsten der Versicherten anzupassen. Eine
solche Anpassung kann auch darin bestehen, dass die Taggeldversicherung mit
dem Eintritt ins AHV-Rentenalter statutarisch oder reglementarisch
herabgesetzt oder aufgehoben wird. Gegen wohlerworbene Rechte, die eine
Abweichung vom Grundsatz rechtfertigen, dass der Versicherte keinen Anspruch
auf Beständigkeit der statutarischen oder reglementarischen Rechtslage hat
(BGE 113 V 301 mit Hinweisen), verstösst eine solche Regelung nicht. Dies
auch dann nicht, wenn sie Versicherte betrifft, die nach Erreichen des 65.
Altersjahres weiterhin erwerbstätig sind. Anders wäre allenfalls zu
entscheiden, wenn die Reglementsänderung laufende Ansprüche zum Gegenstand
hätte (BGE 113 V 304 Erw. 3).

3.
Im vorliegenden Fall hat nicht eine Reglementsänderung zur Herabsetzung der
Höhe des versicherten Taggeldes geführt, sondern es ist eine beim Übertritt
des Beschwerdeführers von der Kollektiv- in die Taggeld-Einzelversicherung
der Beschwerdegegnerin bereits geltende Regelung der AVB 2003 umgesetzt
worden, welche gesetzeskonform ist (vgl. vorne Erw. 2). Wie die Vorinstanz zu
Recht ausgeführt hat, ist in der "Versicherungspolice 2004" ausdrücklich
angemerkt worden: "Massgebend: AVB dieses Versicherungsproduktes". Ob der
Beschwerdeführer die AVB von der Beschwerdegegnerin ausgehändigt bekommen
hat, was er verneint und jene bejaht, ist hier nicht relevant. Denn durch die
Formulierung auf dem Versicherungsausweis wurde ausdrücklich das in den AVB
Geregelte zum massgeblich Vereinbarten erklärt. Sollte der Beschwerdeführer
von der Beschwerdegegnerin nicht mit einem Exemplar der AVB bedient worden
sein, hätte er sich ein solches beschaffen können, was er aber offenbar
unterlassen hat. Auch ist der Übertritt von der Kollektiv- in die
Einzelversicherung anscheinend ohne Formalitäten vonstatten gegangen; es sind
nicht zum Beispiel auf einem Übertrittsformular ausdrücklich Zusicherungen
gemacht worden, auf die der Beschwerdeführer sich heute - bei laufendem
Leistungsanspruch - allenfalls berufen könnte (vgl. vorne Erw. 2 am Ende). In
diesem Zusammenhang ist anzumerken, dass es sich bei der dem Beschwerdeführer
von der Beschwerdegegnerin abgegebenen "Versicherungspolice KVG" um einen
Ausweis über die im Bereich der sozialen Krankenversicherung abgeschlossenen
Versicherungen handelt, und nicht etwa um eine Versicherungspolice, wie sie
im Privatversicherungsrecht ausdrücklich vorgeschrieben ist. Die
Krankenversicherungsgesetzgebung verwendet den Begriff der
Versicherungspolice nicht. Hingegen regelt das im vorliegenden Streitfall
nicht anwendbare Versicherungsvertragsgesetz (VVG) in Art. 11, dass der
Versicherer gehalten ist, dem Versicherungsnehmer eine Police auszuhändigen,
welche die Rechte und Pflichten der Parteien feststellt (Abs. 1 erster Satz).
Stimmt der Inhalt der Police oder der Nachträge zu derselben mit den
getroffenen Vereinbarungen nicht überein, so hat der Versicherungsnehmer
binnen vier Wochen nach Empfang der Urkunde deren Berichtigung zu verlangen,
widrigenfalls ihr Inhalt als von ihm genehmigt gilt (Art. 12 Abs. 1 VVG).
Selbst hier kommt aber nach der Rechtsprechung dem Deckblatt der Police keine
selbstständige Bedeutung zu, wenn es zum Beispiel für den Fall von Tod nach
langer Krankheit nur stichwortartig das Taggeld, die Karenzzeit und die
maximale Leistungsdauer erwähnt und gleichzeitig auf die weiteren
Bestimmungen der Police und der AVB verwiesen wird. In der Praxis ergeben
sich die wesentlichen Bestimmungen des Versicherungsverhältnisses immer aus
den AVB (Kupper, Die allgemeinen Versicherungsbedingungen, Diss. Zürich 1969,
S. 100/101) (Urteil 5C.141/1992 vom 30. November 1992, Erw. 4a).

4.
In Erwägung 3 des angefochtenen Entscheides ist richtig dargelegt, weshalb
der Beschwerdeführer auch bei Berücksichtigung des Grundsatzes von Treu und
Glauben keinen Anspruch darauf hat, nach dem 1. Juli 2004 ein nicht
herabgesetztes Taggeld ausgerichtet zu erhalten. Darauf wird verwiesen. Auch
in der Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird nicht aufgezeigt, inwiefern der
Beschwerdeführer im Vertrauen auf die fehlerhafte Auskunft über die
Versicherungsdeckung Dispositionen getroffen hat, die nicht ohne Nachteil
rückgängig gemacht werden können. Der Einwand, er sei mit einer reduzierten
AHV-Rente auf die versicherte Taggeldleistung angewiesen, ist
nachvollziehbar, genügt dem Erfordernis jedoch nicht.

5.
Zu weiteren Vorbringen des Beschwerdeführers ist anzufügen, dass nicht die
Rede davon sein kann, jeder Versicherte sei seiner Versicherungsgesellschaft
völlig recht- und schutzlos ausgeliefert, wenn diese nicht an eine falsche
Auskunft im Versicherungsausweis gebunden sei. Zum einen besteht in
bestimmten Fällen Anspruch auf Vertrauensschutz, zum andern hat sich der
Versicherer bei der Ausgestaltung der Versicherungsverhältnisse namentlich
auch an die wesentlichen Prinzipien der sozialen Krankenversicherung zu
halten, vorab an die Grundsätze der Gegenseitigkeit, der Verhältnismässigkeit
und der Gleichbehandlung (vgl. vorne Erw. 1). Der Gleichbehandlungsgrundsatz
gebietet, dass nicht einzelnen Versicherten Leistungen ausgerichtet werden,
auf die sie nach Gesetz und Reglement keinen Anspruch haben. Im Weiteren ist
das Versicherungsverhältnis entgegen der Interpretation in der
Verwaltungsgerichtsbeschwerde nicht erst mit der Aushändigung des
Versicherungsauweises vom 2. April 2004 begründet worden, sondern bereits
viel früher im Rahmen der Kollektivversicherung, bevor es auf Grund des
Übertrittsrechts gemäss Art. 71 Abs. 1 KVG bei Ausscheiden aus dem im
Kollektivvertrag umschriebenen Kreis der Versicherten in die
Einzelversicherung überführt worden ist.

Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht:

1.
Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird abgewiesen.

2.
Es werden keine Gerichtskosten erhoben.

3.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Verwaltungsgericht des Kantons Bern,
Sozialversicherungsrechtliche Abteilung, und dem Bundesamt für Gesundheit
zugestellt.

Luzern, 24. August 2006

Im Namen des Eidgenössischen Versicherungsgerichts

Der Präsident der IV. Kammer: Der Gerichtsschreiber: