Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

Sozialrechtliche Abteilungen K 11/2006
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Prozess {T 7}
K 11/06

Urteil vom 11. Juli 2006
III. Kammer

Präsident Ferrari, Bundesrichter Meyer und Lustenberger; Gerichtsschreiberin
Fleischanderl

B.________, 1969, Beschwerdeführer, vertreten
durch Fürsprecher Gabriel Püntener, Effingerstrasse 4a, 3001 Bern,

gegen

Intras Versicherungen, Bubenbergplatz 10, 3011 Bern, Beschwerdegegnerin

Verwaltungsgericht des Kantons Bern, Bern

(Entscheid vom 23. Dezember 2005)

Sachverhalt:

A.
Der 1969 geborene B.________ ist bei der Intras Versicherungen (nachfolgend:
Intras) obligatorisch krankenpflegeversichert. Am 26. November 2004 stellte
er ein Gesuch um Kostenübernahme oder -beteiligung betreffend einer sich auf
Fr. 18'325.30 belaufenden, zufolge einer dentalen Erosion erforderlichen
Zahnsanierung (Bisserhöhung im seitlichen Unterkiefer mittels acht
Porzellankronen, sechs Porzellanfacetten auf den oberen Frontzähnen). Der
Krankenversicherer holte einen Bericht des Dr. med. dent. D.________,
Spezialist SSO für Oralchirurgie, vom 17. Mai 2005 (samt Berichten desselben
Zahnarztes vom 26. April 2004 sowie der Klinik für Zahnerhaltung der
Universität X.________ vom 7. Juli 2004) und Stellungnahmen ihres
Vertrauenszahnarztes vom 10. Juni und 15. Juli 2005 ein. Gestützt darauf
lehnte er das Leistungsbegehren mit Verfügung vom 18. Juli 2005 ab, woran auf
Einsprache hin - nach Beizug weiterer Angaben der Klinik für Zahnerhaltung
der Universität X.________ vom 11. August 2005 sowie des Vertrauenszahnarztes
vom 17. August 2005 - festgehalten wurde (Einspracheentscheid vom 23. August
2005).

B.
Die dagegen erhobene Beschwerde wies das Verwaltungsgericht des Kantons Bern
mit Entscheid vom 23. Dezember 2005 ab.

C.
B.________ lässt Verwaltungsgerichtsbeschwerde führen und beantragen, in
Aufhebung des vorinstanzlichen Entscheides und des Einspracheentscheides vom
23. August 2005 sei die Sache zu weiteren zahnmedizinischen Abklärungen,
namentlich der Einholung eines versicherungsexternen Gutachtens, an den
Krankenversicherer zurückzuweisen; eventuell sei die Intras zu verpflichten,
die ihm entstandenen zahnärztlichen Kosten der Behandlung seiner dentalen
Erosion im Umfang von Fr. 20'000.- zu übernehmen.

Während die Intras auf Abweisung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde schliesst,
verzichtet das Bundesamt für Gesundheit auf eine Vernehmlassung.

Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:

1.
Streitig und zu prüfen ist, ob die Beschwerdegegnerin für die vom
Versicherten geltend gemachten Kosten der zahnärztlichen Behandlung (dentale
Erosion) aufzukommen hat. Sollte die Prüfung der aktenkundigen
zahnmedizinischen Unterlagen ergeben, dass sich gestützt darauf diese Frage
nicht abschliessend beantworten lässt, ist zu beurteilen, ob - wie vom
Beschwerdeführer geltend gemacht - der Krankenversicherer oder die Vorinstanz
den Untersuchungsgrundsatz verletzt haben.

2.
2.1 Bezüglich der Leistungspflicht der obligatorischen
Krankenpflegeversicherung für zahnärztliche Behandlungen wurde im
angefochtenen Entscheid zutreffend erwogen, dass mit der Schaffung des zum 1.
Januar 1996 in Kraft getretenen neuen Rechts am Grundsatz, wonach die Kosten
für zahnärztliche Behandlungen nicht der Krankenversicherung zu überbinden
sind, nichts geändert werden sollte (BGE 128 V 136 f. Erw. 2, 125 V 282 Erw.
6 mit Hinweisen). In BGE 124 V 185 hat das Eidgenössische
Versicherungsgericht entschieden, dass die in   Art. 17-19a KLV aufgelisteten
Erkrankungen, welche von der obligatorischen Krankenpflegeversicherung zu
übernehmende zahnärztliche Behandlungen bedingen, abschliessend aufgezählt
sind. Daran hat es in ständiger Rechtsprechung festgehalten (BGE 130 V 467
Erw. 2.3 mit Hinweisen). Art. 17 und 18 KLV regeln gestützt auf Art. 31 Abs.
1 lit. a und b KVG die Übernahme der Kosten für die zahnärztliche Behandlung
durch die obligatorische Krankenpflegeversicherung für den Fall, dass diese
entweder durch eine schwere, nicht vermeidbare Erkrankung des Kausystems oder
durch eine schwere Allgemeinerkrankung oder ihre Folgen bedingt ist. Art. 19
KLV sodann umfasst gestützt auf Art. 31 Abs. 1 lit. c KVG die Übernahme der
Kosten der zahnärztlichen Behandlung durch die obligatorische
Krankenpflegeversicherung, die zur Behandlung einer schweren
Allgemeinerkrankung oder ihrer Folgen notwendig ist. Für die Frage der
anwendbaren Rechtsgrundlage kommt es somit darauf an, ob, wie bei Art. 17 und
18 KLV, die schwere Erkrankung des Kausystems oder die schwere
Allgemeinerkrankung oder deren Behandlung Ursache des Zahnleidens ist, oder
aber ob, wie bei Art. 19 KLV, die zahnärztliche Versorgung notwendiger
Bestandteil der Behandlung einer schweren Allgemeinerkrankung darstellt
(Urteile C. vom 30. Januar 2006, K 98/05, Erw. 2.1, und S. vom 14. April
2005, K 64/04, Erw. 3.1 und 3.2, je mit Hinweisen).

2.2 Auf Grund des zahnärztlichen Berichtes des Dr. med. dent. D.________ vom
17. Mai 2005 ist ausgewiesen, dass der Beschwerdeführer an ausgedehnten
dentalen Erosionen und Abrasionen leidet. Dieses Beschwerdebild, bei welchem
es sich um Verlust von Zahnschmelz handelt, ist unbestrittenermassen nicht im
abschliessenden Katalog von Art. 17 KLV erwähnt (vgl. dessen lit. a-f).
Gestützt auf die vorhandenen zahnmedizinischen Unterlagen, namentlich die
Berichte des Dr. med. dent. D.________ vom 26. April 2004 und 17. Mai 2005
sowie der Klinik für Zahnerhaltung der Universität X.________ vom 7. Juli
2004 und 11. August 2005, ist sodann weder erstellt, dass die Zahnbehandlung
durch eine schwere Allgemeinerkrankung oder deren Folgen im Sinne von Art. 18
KLV bedingt ist, noch scheint ein in den Anwendungsbereich von Art. 19 KLV
fallender Sachverhalt gegeben zu sein, wird doch nirgends erwähnt, dass die
Sanierung der erodierten Zähne zur Behandlung einer schweren
Allgemeinerkrankung oder ihrer Folgen vorgenommen wurde. Vielmehr werden als
mögliche Ursachen für die Zahnschäden seitens der beteiligten Zahnärzte der
frühere, häufige Konsum von säurehaltigen Getränken (Coca-Cola, Isostar etc.)
und nächtlicher Bruxismus (Zähneknirschen) genannt.

Basierend auf den aktenkundigen zahnärztlichen Berichten (vgl. auch die
Stellungnahmen des Vertrauenszahnarztes der Beschwerdegegnerin vom 10. Juni,
15. Juli und 17. August 2005) lässt sich folglich kein Anspruch auf Übernahme
der angefallenen Behandlungskosten durch den obligatorischen
Krankenpflegeversicherer begründen.

3.
Zu beurteilen bleibt im Folgenden, ob der Krankenversicherer oder das
Verwaltungsgericht die ihnen obliegende Abklärungspflicht verletzt haben,
indem von Aktenergänzungen abgesehen worden ist.

3.1 Hervorzuheben ist in diesem Zusammenhang, dass die stets in einem
Spannungsverhältnis zu den Mitwirkungspflichten der Verfahrensbeteiligten
stehende - in den Art. 43, 44 (für den Verwaltungsträger) und 61 lit. c (für
das kantonale Sozialversicherungsgericht) ATSG konkretisierte -
Untersuchungsmaxime dort ihre Grenzen findet, wo anhand der Parteivorbringen
und der Aktenlage vorgenommene Abklärungen keinen hinreichenden Anlass mehr
für weitere Beweismassnahmen bieten (vgl. BGE 117 V 282 f. Erw. 4a, 110 V 52
f. Erw. 4a; Urteile M. vom 13. März 2006, I 432/05, Erw. 1, und S. vom 11.
Juli 2005, I 59/05, Erw. 1). Das Eidgenössische Versicherungsgericht hat sich
in jüngerer Zeit in einer Reihe von Urteilen mit der Frage befasst, wann der
Krankenversicherer von Amtes wegen zur Durchführung von Abklärungen im Rahmen
von Art. 31 KVG und Art. 17-19 KLV verpflichtet ist.

3.1.1 So hatte es etwa bei der Beurteilung eines Sachverhaltes, in welchem
zur Diskussion stand, ob die vorgenommenen zahnärztlichen Behandlungen
überwiegend wahrscheinlich durch eine schwere, nicht vermeidbare Erkrankung
des Kausystems in Form einer Osteomyelitis der Kiefer bedingt waren (Art. 31
Abs. 1 lit. a KVG in Verbindung mit Art. 17 lit. c Ziff. 5 KLV), zusätzliche
Erhebungen durch den Krankenversicherer, namentlich die Anordnung eines
externen fachmedizinischen Gutachtens, mit der Begründung für notwendig
erachtet, dass die vorhandenen Akten in wesentlichen Teilen zu
widersprüchlich und uneinheitlich seien, um die Beantwortung der sich
stellenden Frage zu gestatten (Urteil S. vom 19. Mai 2006, K 74/05).

3.1.2 Ferner wurden im Falle einer Erkrankung des Zahnhalteapparates
(Parodontitis), bei welcher gestützt auf die bestehende Aktenlage unklar war,
ob diese eine irreversible Nebenwirkung der vom Versicherten zufolge einer
chronischen Augenkrankheit (Uveitis) über Jahre eingenommenen Medikamente im
Sinne von Art. 31 Abs. 1 lit. a KVG in Verbindung mit Art. 17 lit. b Ziff. 3
KLV darstellte, weitere Abklärungen des Krankenversicherers als erforderlich
eingestuft, da die für einen entsprechenden Kausalzusammenhang typischen
Symptome in Form von irreversiblen Veränderungen an Gingiva und Schleimhaut
ohne - bis anhin nicht erfolgte - persönliche Untersuchung des Patienten
nicht feststellbar war (Urteil C. vom 30. Januar 2006, K 98/05).

3.1.3 Im ebenfalls am 30. Januar 2006 ergangenen Urteil C., K 36/05, hatte
das Eidgenössische Versicherungsgericht auf Verwaltungsgerichtsbeschwerde des
Krankenversicherers hin den vorinstanzlichen Rückweisungsentscheid geschützt.
Darin war festgestellt worden, dass unter den Parteien zwar Einigkeit darüber
herrsche, dass der betroffene Versicherte an einem internen Zahngranulom
leide, im Lichte der existierenden zahnmedizinischen Unterlagen jedoch nicht
schlüssig beurteilt werden könne, ob dieses auch - als Voraussetzung der
Übernahme der dadurch entstandenen Kosten im Rahmen der obligatorischen
Krankenpflegeversicherung gemäss Art. 31 Abs. 1 lit. a KVG in Verbindung mit
Art. 17 lit. a Ziff. 1 KLV - idiopathischer Natur sei.

3.1.4 Das Eidgenössische Versicherungsgericht bestätigte ferner im Urteil P.
vom 4. August 3005, K 54/05, die vorinstanzliche Erkenntnis, wonach es sich
beim diagnostizierten Zahnleiden um eine Erkrankung des Zahnhalteapparates
(Parodontopathie) im Sinne von Art. 31 Abs. 1 lit. a KVG in Verbindung mit
Art. 17 lit. b KLV, namentlich einer juvenilen, progressiven Parodontitis
nach Art. 17 lit. b Ziff. 2 KLV, handle. Die dadurch bedingten zahnärztlichen
Behandlungen unterlägen folglich der Leistungspflicht, sofern sie - was sich
auf Grund der Akten nicht beurteilen lasse - dem Gebot der Wirksamkeit,
Zweckmässigkeit und Wirtschaftlichkeit entsprächen. Um diese Kriterien zu
prüfen, seien ergänzende Abklärungen durch den Krankenversicherer
vorzunehmen, an welchen die Sache aus diesem Grunde zurückzuweisen sei.

3.1.5 Mit Urteil A. vom 15. Juni 2005, K 175/04, hatte das Eidgenössische
Versicherungsgericht alsdann darüber zu befinden, ob die Behandlung von
Zahnschäden einer seit Jahren an Bulimie erkrankten Versicherten unter den
Katalog der obligatorischen Krankenpflegeversicherung im Sinne von Art. 31
Abs. 1 lit. b KVG in Verbindung mit  Art. 18 lit. c Ziff. 7 KLV gehört.
Während im kantonalen Entscheid erwogen wurde, die vorhandenen Kariesschäden
wären durch - der Versicherten zumutbare - gute Mundhygiene zu vermeiden
gewesen, hielt das Eidgenössische Versicherungsgericht dafür, dass zusätzlich
zur Bulimie (und ihren Folgen) eine Xerostomie, d.h. eine chronische
Mundtrockenheit, ausgewiesen sei, über deren ursächlichen Zusammenhänge zur
Bulimie einerseits und zur Karies andererseits nach Lage der Akten keine
Klarheit bestehe. Nicht geklärt sei zudem die Frage, ob die
Kariesschädigungen zufolge spezieller gesundheitlicher Verhältnisse aus
objektiver Sicht tatsächlich hätten vermieden werden können. Da die
existierenden zahnärztlichen Unterlagen dazu keine aussagekräftigen Angaben
enthielten, wurde die Sache an den Krankenversicherer zurückgewiesen, damit
dieser ein zahnmedizinisches Administrativgutachten einholte.

3.2 Daraus lässt sich bezüglich der Erforderlichkeit von zusätzlichen
Abklärungen durch den Krankenversicherer oder das Sozialversicherungsgericht
in derartigen Konstellationen folgende Leitlinie erkennen:
Untersuchungsmaxime bedeutet nicht, dass Verwaltung oder Vorinstanz in jedem
Fall ergänzende Abklärungen, beispielsweise in Form einer zahnärztlichen
Expertise, vornehmen müssen. Dies ist nach der zitierten Rechtsprechung -
sowie dem in Erw. 3.1 erwähnten allgemeinen Grundsatz - nur dann indiziert,
wenn greifbare Anhaltspunkte bestehen, dass die versicherte Person eine
Zahnschädigung aufweist, welche in den restlichen Einzugsbereich der lit. a-c
des Art. 31 Abs. 1 KVG fallen könnte. Hingegen bedeutet der
Untersuchungsgrundsatz nicht, dass von Amtes wegen nach
Ursache-Wirkung-Zusammenhängen zu forschen wäre, wenn keine konkreten
Hinweise dafür vorliegen, dass ein Zahnleiden im Rechtssinne vorhanden sein
könnte.

4.
Die nach dem Gesagten für die Anhandnahme von zusätzlichen, von Amtes wegen
vorzunehmenden Abklärungen erforderlichen Anhaltspunkte, wonach die
zahnärztliche Behandlung durch eine schwere, nicht vermeidbare Erkrankung des
Kausystems (Art. 31 Abs. 1 lit. a KVG) oder durch eine schwere
Allgemeinerkrankung oder ihre Folgen (Art. 31 Abs. 1 lit. b KVG) bedingt oder
zur Behandlung einer schweren Allgemeinerkrankung oder ihrer Folgen notwendig
ist (Art. 31 Abs. 1 lit. c KVG), sind nach der Aktenlage nicht erkennbar.
Vielmehr scheiden die beschriebenen Tatbestände ohne weiteres aus, weshalb es
entbehrlich ist, durch weitere, vom Krankenversicherer oder der Vorinstanz in
die Wege zu leitende zahnmedizinische Untersuchungen nach Ursachen der beim
Beschwerdeführer vorhandenen Erosionen/Abrasionen zu suchen. Eine aus Art.
43, 44 oder 61 lit. c ATSG fliessende generelle Pflicht zur Einholung einer
umfassenden Expertise unabhängiger Sachverständiger besteht entgegen der in
der Verwaltungsgerichtsbeschwerde vertretenen Auffassung nicht; eine solche
wäre im Rahmen der Sachverhaltsabklärung von Amtes wegen nur dann einzuholen,
wenn sich die rechtserheblichen Tatsachen im Rahmen einer freien
Beweiswürdigung (Art. 40 BZP in Verbindung mit Art. 19 VwVG; Art. 95 Abs. 2
in Verbindung mit Art. 113 und 132 OG) der zulässigen und beweistauglichen
Aktenstücke nicht rechtsgenüglich feststellen liessen, was hier insofern
nicht zutrifft, als die aktenkundigen Unterlagen die Existenz eines
Zahnleidens im krankenversicherungsrechtlichen Sinne klar ausschliessen.

Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht:

1.
Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird abgewiesen.

2.
Es werden keine Gerichtskosten erhoben.

3.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Verwaltungsgericht des Kantons Bern,
Sozialversicherungsrechtliche Abteilung, und dem Bundesamt für Gesundheit
zugestellt.

Luzern, 11. Juli 2006

Im Namen des Eidgenössischen Versicherungsgerichts

Der Präsident der III. Kammer: Die Gerichtsschreiberin: