Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

Sozialrechtliche Abteilungen K 107/2006
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{T 7}
K 107/06

Urteil vom 15. Februar 2007
II. sozialrechtliche Abteilung

Bundesrichter U. Meyer, Präsident,
Bundesrichter Lustenberger, Seiler,
Gerichtsschreiber Nussbaumer.

Öffentliche Krankenkasse Basel-Stadt, Spiegelgasse 12, 4051 Basel,
Beschwerdeführerin, vertreten durch Advokat René Brigger, Falknerstrasse 3,
4001 Basel,

gegen

Gemeinsame Einrichtung KVG, Gibelinstrasse 25, 4503 Solothurn,
Beschwerdegegnerin, vertreten durch Rechtsanwalt Konrad Jeker, Bielstrasse 9,
Centralhof, 4502 Solothurn.

Krankenversicherung,

Verwaltungsgerichtsbeschwerde gegen den Entscheid des Eidgenössischen
Departements des Innern vom 5. Juli 2006.

Sachverhalt:

A.
A.a Anlässlich einer im Jahre 2000 durchgeführten Nachkontrolle stellte die
Revisionsstelle der Gemeinsamen Einrichtung KVG fest, dass die Öffentliche
Krankenkasse Basel (ÖKK) in den für den Risikoausgleich der Jahre 1998 und
1999 gelieferten Daten die bei ihr versicherten und im Ausland wohnhaften
Rheinschifferinnen und Rheinschiffer nicht gemeldet hatte. In der Folge
forderte die Gemeinsame Einrichtung KVG die ÖKK zur Nachlieferung der
entsprechenden Daten auf. Die ÖKK stellte sich auf den Standpunkt, die
genannte Personengruppe sei nicht in den Risikoausgleich einzubeziehen. Mit
Verfügung vom 6. Dezember 2000 hielt die Gemeinsame Einrichtung KVG fest, in
der Berechnung der Risikoausgleiche der Jahre 1998 und 1999 seien die Daten
der bei der ÖKK versicherten Rheinschifferinnen und Rheinschiffer (sowie
deren Familienangehörige) zu berücksichtigen und die entsprechenden Daten bis
spätestens 15. Dezember 2000 zu liefern.

A.b Die hiegegen erhobene Beschwerde wies das Eidgenössische Departement des
Innern (EDI) mit Entscheid vom 26. Oktober 2001 ab.

A.c Die von der ÖKK eingereichte Verwaltungsgerichtsbeschwerde hiess das
Eidgenössische Versicherungsgericht (EVG) in dem Sinne gut, dass es den
Entscheid vom 26. Oktober 2001 aufhob und die Sache an das EDI zurückwies,
damit es, nach erfolgter Abklärung im Sinne der Erwägungen, neu entscheide
(Urteil vom 14. Mai 2003).

A.d Mit Urteil vom 14. März 2005 hiess das Eidgenössische
Versicherungsgericht in einer Ausstandsfrage (departementale
Zwischenverfügung vom 2. Dezember 2004) die Verwaltungsgerichtsbeschwerde
gut, indem es das EDI anwies, die Instruktion des Verfahrens durch einen
anderen Sachbearbeiter - im Rahmen des durch das erste Urteil vom 14. Mai
2003 vorgezeichneten Rückweisungsauftrages - an die Hand zu nehmen.

B.
Mit Verfügung vom 22. März 2005 betraute das Departement mit der Instruktion
des Verfahrens eine neue Mitarbeiterin. Diese forderte die Parteien zur
Einreichung von Unterlagen sowie Stellungnahmen dazu auf und führte am 20.
September 2005 in Anwesenheit der Parteien samt Rechtsvertretern eine
Instruktionssitzung durch. Nach weiteren Aktenergänzungen schloss die
Sachbearbeiterin mit Verfügung vom 31. Januar 2006 das Instruktionsverfahren
ab. Mit Entscheid vom 5. Juli 2006 wies das Departement die Beschwerde erneut
ab.

C.
Die ÖKK führt Verwaltungsgerichtsbeschwerde mit dem Rechtsbegehren, der
Departementsentscheid vom 5. Juli 2006 sei aufzuheben "und die Beschwerde für
die Risikoausgleichsjahre 1998 und 1999 gutzuheissen". Auf die einzelnen
Vorbringen (eingeschlossen die weitere Stellungnahme vom 2. Februar 2007)
wird, soweit erforderlich, in den Erwägungen eingegangen.

Während die Gemeinsame Einrichtung auf Abweisung der
Verwaltungsgerichtsbeschwerde schliesst, sehen Departement und Bundesamt für
Gesundheit von einer Vernehmlassung ab.

Mit Replik vom 2. Februar 2007 äussert sich die ÖKK erneut zur Sache.

Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

1.
Das Bundesgesetz über das Bundesgericht vom 17. Juni 2005 (BGG; SR 173.110)
ist am 1. Januar 2007 in Kraft getreten (AS 2006 1205, 1243). Da der
angefochtene Entscheid vorher ergangen ist, richtet sich das Verfahren noch
nach OG (Art. 132 Abs. 1 BGG; Art. 53 Abs. 1 VGG; BGE 132 V 393 Erw. 1.2 S.
395).

2.
Streitig und zu prüfen ist allein, ob die Beschwerdeführerin gestützt auf den
verfassungsrechtlichen Vertrauensschutz (Art. 9 BV; dazu BGE 131 V 472 Erw. 5
S. 480) von der Beschwerdegegnerin verlangen kann, abweichend vom Gesetz
behandelt zu werden, d.h. für die Risikoausgleichsjahre 1998 und 1999 die
Daten der im Ausland wohnhaften, bei ihr obligatorisch für Krankenpflege
versicherten Rheinschiffer nicht melden zu müssen.

Die Jahre 2000 und folgende sind nicht Gegenstand des Prozesses, hat doch das
Departement - im Einverständnis mit den Parteien - entsprechende
Beschwerdeverfahren für die Risikoausgleichsjahre 2000 und 2001 sistiert
(vgl. angefochtener Beschwerdeentscheid S. 4).
Dass die Beschwerdeführerin von Gesetzes wegen mit allen Rheinschiffern am
Risikoausgleich (vgl. dazu BGE 130 V 196, 128 V 272, 127 V 156) teilzunehmen
hat, steht fest (Urteil vom 14. Mai 2003).

3.
Das Eidgenössische Versicherungsgericht hat im Urteil vom 14. Mai 2003 die
Sache zur Aktenergänzung an das Departement zurückgewiesen, weil nach
damaliger Aktenlage nicht auszuschliessen und unabgeklärt geblieben war, dass
die Nichtmeldung der im Ausland wohnenden Personen mit Wissen der Gemeinsamen
Einrichtung KVG erfolgte. In diesem Zusammenhang verwies das Gericht auf den
am 17./31. Januar 1996 abgeschlossenen Vertrag über die Durchführung des
Rheinschifferabkommens, weshalb nicht auszuschliessen war, dass bereits bei
den Verhandlungen zu diesem Vertrag über den Einbezug der Rheinschifferinnen
und Rheinschiffer in den Risikoausgleich gesprochen worden war.

3.1 Obgleich es sich beim angefochtenen Entscheid nicht um das Erkenntnis
einer gerichtlichen Instanz handelt und das Bundesgericht daher befugt
bleibt, die rechtserheblichen Tatsachen frei zu überprüfen (Art. 104 lit. b
OG), besteht kein Anlass, an der sorgfältigen Sachverhaltsermittlung durch
die im Anschluss an das Urteil vom 14. März 2005 mit der Instruktion neu
betrauten Sachbearbeiterin Zweifel anzubringen. Das vorinstanzliche
Beweisverfahren hat die Möglichkeit, dass die Beschwerdegegnerin im
Zusammenhang mit dem Abschluss des Vertrages über die Durchführung des
Rheinschifferabkommens vom 17./31. Januar 1996 Kenntnis über den
Nichteinbezug der im Ausland wohnhaften Rheinschiffer erhalten hatte, nicht
bestätigt. Aus den vorinstanzlich beigezogenen Akten geht vielmehr hervor,
dass die Geschäftsleitung der Beschwerde führenden ÖKK an der 27. Sitzung vom
15. August 1995 den nach vorausgegangener Diskussion bewusst gefassten
Entscheid traf: "Für die im Ausland wohnhaften Rheinschiffer wird kein
Risikoausgleich bezahlt, dies soll in einer Fussnote im Formular an die
Ausgleichsstelle erwähnt werden.". Zu einer solchen schriftlichen und
ausdrücklichen Meldung an die Gemeinsame Einrichtung ist es in den folgenden
Jahren nicht gekommen, was sich aus dem vorinstanzlichen Beweisverfahren
eindeutig ergibt. Die Vorbringen in der Verwaltungsgerichtsbeschwerde, die
Beschwerdegegnerin hätte aus den eingereichten Datenlieferungen, den
gemachten Angaben, den verwendeten Codes usw. erschliessen können und müssen,
dass die Beschwerdeführerin (ausser für das Jahr 1997) die im Ausland
wohnhaften Rheinschiffer nicht meldete, verkennt die Rechtslage. Denn der
erwähnte Eintrag im Ergebnisprotokoll der Geschäftsleitungssitzung vom 15.
August 1995 zeigt klar auf, dass die Beschwerdeführerin die Frage des
Einbezugs der im Ausland wohnhaften Rheinschiffer selber als gesetzlich nicht
ausdrücklich geregelt bezeichnete, weshalb es ihr selber bloss als
"vertretbar" erschien, "nur für die in der Schweiz wohnhaften Rheinschiffer
einen Risikoausgleich zu zahlen". Nichts berechtigte die Beschwerdeführerin
damals und in der folgenden Zeit, einfach davon auszugehen, dass die von ihr
in eigenem finanziellen Interesse vertretene, indes von keiner (behördlichen)
Seite bestätigte Auffassung im Rahmen des Risikoausgleichs ab 1. Januar 1996
Bestand haben würde. Im Gegenteil erwuchs ihr aufgrund von Treu und Glauben
in Anbetracht des bevorstehenden Abschlusses des Vertrages über die
Durchführung des Rheinschifferabkommens die Pflicht, sich im Rahmen der
laufenden Verhandlungen bei der Gegenpartei zu erkundigen, ob sie den
eingenommenen Standpunkt denn auch teile, hängen doch die Fragen der
Versicherungspflicht der Rheinschiffer, der internationalen Leistungsaushilfe
und des Einbezuges dieser Versichertenkategorie in den Risikoausgleich eng
miteinander zusammen.

3.2 Damit bleibt es dabei, dass eine Kenntnis der gesetzwidrigen Meldepraxis
vor dem 9. Dezember 1999 (Bericht der Revisionsstelle) nicht mit
überwiegender Wahrscheinlichkeit ausgewiesen ist. Auch wenn ab Dezember 1999
Kenntnis der Beschwerdegegnerin über die unvollständigen Meldungen anzunehmen
und der Risikoausgleich für 1999 nach dem System der VORA in jenem Zeitpunkt
erst provisorisch festgelegt war, ist nicht ersichtlich, was für
Dispositionen die Beschwerdeführerin damals noch hätte treffen können, wenn
die Gemeinsame Einrichtung aufgrund des Revisionsberichtes interveniert
hätte, zumal der Prämientarif für das Risikoausgleichsjahr 1999 längst
festgelegt und angewendet worden war. Bei dieser Sach- und Rechtslage kann
die Berufung auf den Vertrauensschutz (dazu BGE 131 II 636 Erw. 6.1, 129 I
170 Erw. 4.1; 121 V 66 Erw. 2a; RKUV 2000 Nr. KV 126 S. 223) nicht
durchdringen.

4.
Bei diesem Verfahrensausgang hat die Beschwerdeführerin die Kosten zu tragen
(Art. 156 OG). Die Beschwerdegegnerin hat als mit öffentlichrechtlichen
Aufgaben betraute Organisation keinen Anspruch auf Parteientschädigung (in
SVR 2002 KV Nr. 6 S. 17 veröffentlichte Erw. 7 vom BGE 127 V 156 mit
Hinweisen; Urteil vom 6. Februar 2003, K 18/01).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird abgewiesen.

2.
Die Gerichtskosten in Höhe von Fr. 3000.- werden der Beschwerdeführerin
auferlegt und mit dem geleisteten Kostenvorschuss verrechnet.

3.
Es wird keine Parteientschädigung zugesprochen.

4.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Eidgenössischen Departement des Innern
und dem Bundesamt für Gesundheit zugestellt.

Luzern, 15. Februar 2007

Im Namen der II. sozialrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident: Der Gerichtsschreiber: