Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

Sozialrechtliche Abteilungen C 96/2006
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Prozess {T 7}
C 96/06

Urteil vom 19. September 2006
III. Kammer

Präsident Ferrari, Bundesrichter Lustenberger und Seiler; Gerichtsschreiber
Hadorn

K.________, 1974, Beschwerdeführer, vertreten
durch die Treuhand T.________,

gegen

Aargauische Arbeitslosenkasse Industrie,
Handel, Gewerbe, Entfelderstrasse 11, 5000 Aarau, Beschwerdegegnerin

Versicherungsgericht des Kantons Aargau, Aarau

(Entscheid vom 21. Februar 2006)

Sachverhalt:
Mit Verfügung vom 28. November 2005 lehnte die Aargauische Arbeitslosenkasse
Industrie, Handel, Gewerbe den Anspruch des K.________ (geb. 1974) auf
Arbeitslosenentschädigung ab 1. November 2005 ab. Daran hielt die Kasse mit
Einspracheentscheid vom 19. Dezember 2005 fest.
Die dagegen erhobene Beschwerde wies das Versicherungsgericht des Kantons
Aargau mit Entscheid vom 21. Februar 2006 ab.

K. ________ lässt Verwaltungsgerichtsbeschwerde führen und beantragen, es sei
ihm ab 1. November 2005 Arbeitslosenentschädigung auszurichten. Dabei sei der
versicherte Verdienst auf monatlich Fr. 5000.- festzusetzen.
Die Arbeitslosenkasse schliesst auf Abweisung der
Verwaltungsgerichtsbeschwerde, während das Staatssekretariat für Wirtschaft
(seco) auf eine Vernehmlassung verzichtet.

Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:

1.
Das kantonale Gericht hat die gesetzlichen Vorschriften zur
Mindestbeitragsdauer von 12 Monaten (Art. 13 Abs. 1 AVIG) innerhalb der
entsprechenden Rahmenfrist (Art. 9 Abs. 3 AVIG) als Voraussetzung für den
Leistungsbezug (Art. 8 Abs. 1 lit. e AVIG) sowie die Rechtsprechung zu den
beweismässigen Anforderungen an den Nachweis der tatsächlichen Lohnauszahlung
(BGE 128 V 190 Erw. 3a/aa; ARV 2004 Nr. 10 S. 115 [Urteil M. vom 28. Februar
2003, C 127/02]; vgl. nunmehr auch BGE 131 V 447 Erw. 1.2 [von der Vorinstanz
erwähntes Urteil A. vom 12. September 2005, C 247/04]) richtig dargelegt.
Darauf wird verwiesen.

2.
Streitig und zu prüfen ist, ob der Beschwerdeführer in der massgebenden
Rahmenfrist für die Beitragszeit vom 1. November 2003 bis 31. Oktober 2005
rechtsgenüglich eine mindestens 12-monatige beitragspflichtige Beschäftigung
nachweist.

2.1 Voraussetzung für den Anspruch auf Arbeitslosenentschädigung unter dem
Gesichtspunkt der erfüllten Beitragszeit nach Art. 8 Abs. 1 lit. e in
Verbindung mit Art. 13 Abs. 1 AVIG ist grundsätzlich einzig die Ausübung
einer beitragspflichtigen Beschäftigung während der geforderten Dauer von
mindestens 12 Beitragsmonaten (BGE 131 V 453 Erw. 3.3). Diese Tätigkeit muss
genügend überprüfbar sein. Dem Nachweis tatsächlicher Lohnzahlung kommt dabei
nicht der Sinn einer selbstständigen Anspruchsvoraussetzung zu, wohl aber
jener eines bedeutsamen und in kritischen Fällen unter Umständen
ausschlaggebenden Indizes für die Ausübung einer beitragspflichtigen
Beschäftigung (BGE 131 V 453 f. Erw. 3.3 in fine). Der fehlende Nachweis des
exakten Lohnes führt daher nicht automatisch zur Verneinung des Anspruchs auf
Arbeitslosenentschädigung, sondern kann gegebenenfalls auch erst bei der
Festsetzung des massgebenden versicherten Verdienstes zu berücksichtigen sein
(Urteil N. vom 25. April 2006, C 284/05).

2.2 Laut Arbeitgeberbescheinigung vom 28. Oktober 2005 ist der Versicherte
vom 1. Mai 2003 bis Ende Oktober 2005 in der Firma X.________ GmbH als
Geschäftsführer tätig gewesen. Der ahv-pflichtige Gesamtverdienst in dieser
Periode habe Fr. 150'000.- betragen, der Brutto-Monatslohn Fr. 5000.-
(Fr. 5000.- x 30 Monate = Fr. 150'000.-).
Im Jahr 2004 hat der Beschwerdeführer nach einem von ihm selbst
unterzeichneten Lohnausweis vom 28. Januar 2005 einen Bruttolohn von
Fr. 63'600.- bezogen (was pro Monat durchschnittlich Fr. 5300.- [bei
12 Monatslöhnen] bzw. Fr. 4892.30 [bei 13 Monatslöhnen]) ergibt. Im Jahr 2003
verdiente der Versicherte gemäss einem nicht unterschriebenen Lohnausweis vom
4. November 2004 Fr. 42'400.- (was bei 8 Monatslöhnen ebenfalls Fr. 5300.-
pro Monat ausmacht). Diese Löhne will der Beschwerdeführer sich laut seinem
nicht datierten, bei der Arbeitslosenkasse am 24. November 2005
eingetroffenen Schreiben selbst bar ausbezahlt haben. Dementsprechend seien
keine Bankkontoauszüge vorhanden, auf welchen die Lohneingänge ersichtlich
wären. Zwar hat der Beschwerdeführer Auszüge des Firmenkontokorrents bei der
Bank Y.________ eingereicht. Die dort vermerkten Barauszahlungen,
insbesondere auch die grün markierten, lassen jedoch keine Schlüsse auf
Lohnzahlungen an den Beschwerdeführer zu, da die Beträge jeden Monat anders
lauten und in der Höhe nicht mit den behaupteten Löhnen übereinstimmen.

In der Steuererklärung für das Jahr 2003 hat der Beschwerdeführer Einkünfte
aus unselbstständiger Erwerbstätigkeit von Fr. 37'560.- deklariert, was dem
Nettolohn II gemäss erwähnten Lohnausweis vom 4. November 2004 entspricht.
Auf dem vorgelegten Auszug aus der Steuererklärung ist nicht erkennbar, ob es
sich um diejenige des Versicherten handelt. 2004 deklarierte der
Beschwerdeführer ein Einkommen von Fr. 56'412.-, was wiederum dem
Nettolohn II des Lohnausweises vom 28. Januar 2005 entspricht. Auf dem
Kontoblatt 5400 werden für Januar bis September 2005 sowie für das ganze Jahr
2004 jeweils brutto Fr. 5000.- zu Gunsten des Beschwerdeführers vermerkt, auf
einem Konto mit Nummer 1160 (Kontokorrent des Versicherten) finden sich
Nettolohngutschriften für August und September 2005 von je Fr. 4536.65. Die
Oktoberlöhne 2005 seien gemäss einer handschriftlichen Notiz unverbucht
geblieben. Total betrage die Lohnsumme für 2005 Fr. 90'000.-, welcher Wert
denn auch der zuständigen Ausgleichskasse gemeldet worden sei. Alle erwähnten
Belege sind mit Ausnahme des Lohnausweises vom 28. Januar 2005 nicht
unterschrieben.

2.3 Verwaltung und Vorinstanz ist beizupflichten, dass der Lohnfluss nicht
rechtsgenüglich im Sinne der einschlägigen Rechtsprechung dargetan ist. Dies
führt jedoch noch nicht dazu, dass der Anspruch des Beschwerdeführers auf
Arbeitslosenentschädigung ohne weiteres zu verneinen wäre. Massgebend ist
einzig, ob eine beitragspflichtige Beschäftigung während mindestens zwölf
Monaten nachgewiesen ist, während der fehlende Nachweis des Lohnes beim
versicherten Verdienst zu berücksichtigen ist (BGE 131 V 453 Erw. 3.3; Urteil
L. vom 21. August 2006, C 83/06). Auf Grund der Akten ist nicht
auszuschliessen, dass der Beschwerdeführer die Mindestdauer der
beitragspflichtigen Beschäftigung erfüllt. Einerseits bestätigt der ihn
vertretende Treuhänder dies. Sodann findet sich in den Akten ein Protokoll
über die Beschlüsse der ausserordentlichen Gesellschafterversammlung vom
18. Oktober 2005. Im Weiteren hat die Verwaltung noch nicht alles Mögliche
und Zumutbare an Abklärungsmassnahmen ausgeschöpft. So erscheint es sinnvoll,
einen Auszug aus dem Individuellen Konto des Versicherten beizuziehen, um
überprüfen zu können, ob die behaupteten Lohnsummen der AHV tatsächlich
gemeldet worden sind. Möglicherweise existieren Unterlagen, welche Auskunft
über die ausgeübte Tätigkeit geben (Arbeitsvertrag, Pflichtenheft, Miete von
Geschäftslokalen oder dgl.; Urteile C. und W. vom Juli 2006,
C 337+338/06; erwähntes Urteil N.). Die Sache wird daher an die Verwaltung
zurückgewiesen, damit sie nach erfolgter Abklärung im Sinne der Erwägungen
erneut über den Anspruch des Beschwerdeführers auf Arbeitslosenentschädigung
verfüge.

3.
Das Verfahren ist kostenfrei (Art. 134 OG). Der obsiegende, durch einen
Treuhänder vertretene Beschwerdeführer hat Anspruch auf eine
Parteientschädigung (Art. 159 Abs. 1 OG; Urteil W. vom 26. November 2002,
H 136/02).

Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht:

1.
Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird in dem Sinne gutgeheissen, dass der
Entscheid des Versicherungsgerichts des Kantons Aargau vom 21. Februar 2006
und der angefochtene Einspracheentscheid vom 19. Dezember 2005 aufgehoben
werden und die Sache an die Aargauische Arbeitslosenkasse Industrie, Handel,
Gewerbe zurückgewiesen wird, damit sie im Sinne der Erwägungen verfahre.

2.
Es werden keine Gerichtskosten erhoben.

3.
Die Beschwerdegegnerin hat dem Beschwerdeführer für das Verfahren vor dem
Eidgenössischen Versicherungsgericht eine Entschädigung von Fr. 1000.-
(einschliesslich Mehrwertsteuer) zu bezahlen.

4.
Das Versicherungsgericht des Kantons Aargau wird über eine Entschädigung für
das kantonale Verfahren entsprechend dem Ausgang des letztinstanzlichen
Prozesses zu befinden haben.

5.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Versicherungsgericht des Kantons Aargau,
dem Amt für Wirtschaft und Arbeit (AWA) des Kantons Aargau und dem
Staatssekretariat für Wirtschaft zugestellt.
Luzern, 19. September 2006

Im Namen des Eidgenössischen Versicherungsgerichts

Der Präsident der III. Kammer: Der Gerichtsschreiber: