Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

Sozialrechtliche Abteilungen C 69/2006
Zurück zum Index Sozialrechtliche Abteilungen 2006
Retour à l'indice Sozialrechtliche Abteilungen 2006


Prozess {T 7}
C 69/06

Urteil vom 24. August 2006
III. Kammer

Präsident Ferrari, Bundesrichter Lustenberger und Seiler; Gerichtsschreiberin
Heine

Staatssekretariat für Wirtschaft, Direktion,
Arbeitsmarkt/Arbeitslosenversicherung, TCRV, Effingerstrasse 31, 3003 Bern,
Beschwerdeführer,

gegen

V.________ AG, Beschwerdegegnerin, vertreten durch Fürsprecher Mark Ineichen,
Bollwerk 15, 3001 Bern

Verwaltungsgericht des Kantons Bern, Bern

(Entscheid vom 25. Januar 2006)

Sachverhalt:

A.
Die in Bern domizilierte Firma V.________ AG bezweckt den An- und Verkauf von
Sportartikeln, den Betrieb eines Reisebüros und eines Tea-Rooms, die Führung
von Sportclubs und Vereinssekretariaten sowie den Handel mit und die
Reparatur von Velos und Motos (Vollauszug, Handelsregister). Nachdem sie
bereits für den Zeitraum vom 20. Dezember 2003 bis 31. August 2004
Kurzarbeitsentschädigungen bezogen hatte, ersuchte sie mit Voranmeldung vom
5. August 2004 beim beco Berner Wirtschaft (beco) um Weiterführung der
Kurzarbeit für 47 Mitarbeiter im Ausmass von 30 % vom 1. September bis
30. November 2004. Das beco entschied am 20. August 2004, keinen Einspruch zu
erheben, wogegen das Staatssekretariat für Wirtschaft (seco) am 6. Oktober
2004 Einsprache mit dem Antrag einreichte, der Anspruch auf Weiterführung der
Kurzarbeit sei abzuweisen. Das beco wies diese ab (Einspracheentscheid vom
22. März 2005).

B.
Das seco erhob dagegen Beschwerde beim Verwaltungsgericht des Kantons Bern
mit dem Antrag, das Gesuch um Kurzarbeit sei abzuweisen. Zur Begründung
führte das seco aus, der Arbeitsausfall sei branchen- oder betriebsüblich
(Art. 33 Abs. 1 lit. b AVIG) und daher nicht anrechenbar. Die Auszahlung von
Kurzarbeitsentschädigung diene nicht dem Erhalt von Arbeitsplätzen, sondern
lediglich der Herauszögerung eines unumgänglichen Personalabbaus. Das
Verwaltungsgericht erwog mit Entscheid vom 25. Januar 2006, der
Arbeitsausfall sei weder branchen- oder betriebsspezifisch noch auf saisonale
Beschäftigungsschwankungen zurückzuführen. Es könne auch nicht ohne weiteres
geschlossen werden, der Arbeitsausfall wäre vermeidbar gewesen. Es sei nicht
auszuschliessen, dass bei der V.________ AG andere betriebliche Verhältnisse
vorliegen als bei anderen Sportartikelgeschäften. Zudem habe die V.________
AG offenbar eine Expansion durch Übernahme bisheriger Konkurrenten
vorbereitet. Damit sei die Frage aufzuwerfen, inwiefern und wie lange mit der
anbegehrten Fortführung der Kurzarbeitsentschädigung strukturell bedingte
Arbeitsausfälle im Rahmen eines branchenspezifischen Verdrängungskampfes
hätten finanziert werden sollen. Die V.________ AG habe für die in die Wege
geleiteten Umstrukturierungen erfolglos bei der kantonalen
Wirtschaftsförderung um finanzielle Beihilfen ersucht. Das beco habe sich
offenbar in einem Interessenkonflikt befunden und die Interessen der
kantonalen Wirtschaftspolitik höher gewichtet als den gesetzeskonformen
Vollzug des AVIG. In dieser Situation hätte das beco beim seco um die
Durchführung einer Betriebsanalyse gemäss Art. 31 Abs. 1bis AVIG ersuchen
müssen. Demgemäss hiess das Verwaltungsgericht die Beschwerde gut, hob den
Einspracheentscheid des beco auf und wies die Akten an das beco zurück zum
weiteren Vorgehen im Sinn der Erwägungen (Entscheid vom 25. Januar 2006).

C.
Mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde beantragt das seco, der Entscheid des
Verwaltungsgerichts sei aufzuheben und es sei ein Anspruch auf
Kurzarbeitsentschädigung für die Zeit vom 1. September bis 30. November 2004
zu verneinen.
Die V.________ AG schliesst auf Abweisung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde.
Das beco verzichtet auf eine Stellungnahme.

Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:

1.
1.1 Das seco ist zur Verwaltungsgerichtsbeschwerde legitimiert (Art. 102
AVIG). Die Vorinstanz hat in Dispositiv-Ziff. 1 ihres Entscheids die
Beschwerde des seco gutgeheissen, hat aber dessen Antrag, das Gesuch um
Kurzarbeit sei abzuweisen, nicht geschützt, sondern die Sache zum weiteren
Vorgehen im Sinne der Erwägungen zurückgewiesen. Das seco ist damit
beschwert.

1.2 Das kantonale Gericht hat die Sache an das beco zurückgewiesen, damit
dieses gemäss Art. 31 Abs. 1bis in Verbindung mit Art. 83 Abs. 1 lit. s und
Art. 83 Abs. 3 AVIG beim seco um die Durchführung einer Betriebsanalyse
ersuche. Nach der Rechtsprechung des Eidgenössischen Versicherungsgerichts
ist ein Rückweisungsentscheid ein Endentscheid (ARV 1995 Nr. 23 S. 134
[C 30/94] Erw. 1a; BGE 120 V 237, 117 V 241, 113 V 159, je mit Hinweisen),
der innert der hier eingehaltenen 30-tägigen Frist von Art. 106 Abs. 1 OG
angefochten werden kann. Auf die Beschwerde ist daher einzutreten.

2.
2.1 Nach Art. 31 Abs. 1bis AVIG kann zur Prüfung der Anspruchsvoraussetzungen
gemäss Abs. 1 lit. d in Ausnahmefällen eine Betriebsanalyse zu Lasten des
Ausgleichsfonds durchgeführt werden. Gemäss Art. 83 Abs. 1 lit. s AVIG
entscheidet die vom seco geführte (Art. 83 Abs. 3 AVIG) Ausgleichsstelle die
Fälle nach Art. 31 Abs. 1bis AVIG, die ihr von der kantonalen Amtsstelle
unterbreitet werden. Die kantonale Amtsstelle kann somit nicht selber über
die Durchführung einer solchen Betriebsanalyse entscheiden, sondern lediglich
der Ausgleichsstelle ein entsprechendes Gesuch stellen (Art. 48b AVIV; vgl.
BBl 2001 2296).

2.2 Die Vorinstanz hat nicht die Durchführung einer Betriebsanalyse
angeordnet, sondern nur das beco angehalten, beim seco einen Antrag um die
Durchführung einer solchen Analyse zu stellen. Der angefochtene Entscheid
verpflichtet das seco nicht dazu, diesen Antrag gutzuheissen. Aus der
Beschwerde geht hervor, dass das seco der klaren Auffassung ist, die Sache
sei auch ohne derartige Betriebsanalyse zu beurteilen und die
Entschädigungsberechtigung der Gesuchstellerin zu verneinen. Unter diesen
Umständen ist es absehbar, dass das seco den aufgrund des angefochtenen
Entscheids vom beco zu stellenden Antrag auf Durchführung einer
Betriebsanalyse ablehnen wird. Es macht daher keinen Sinn, das beco zu
verpflichten, einen solchen Antrag zu stellen. Wenn das kantonale Gericht der
Meinung ist, die Sache sei entgegen der Auffassung des seco nicht ausreichend
erstellt, dann hätte sie selber im Rahmen des kantonalen Beschwerdeverfahrens
eine Betriebsanalyse als Beweismittel anordnen können (Art. 61 lit. c ATSG).

2.3 Hinzu kommt, dass aufgrund des Zeitablaufs die normalerweise prospektiv
und hypothetisch zu beurteilenden Voraussetzungen gemäss Art. 31 Abs. 1
lit. d AVIG nunmehr retrospektiv beurteilt werden können. Damit könnte nun
möglicherweise - wie die Beschwerdegegnerin geltend macht - das Vorliegen
dieser Voraussetzungen aufgrund der tatsächlichen Entwicklung geprüft werden,
ohne dass eine Betriebsanalyse in Bezug auf diese Aspekte erforderlich wäre.

3.
Das seco bestreitet den Anspruch auf Kurzarbeitsentschädigung nicht mit dem
Argument, die Voraussetzungen von Art. 31 Abs. 1 lit. d AVIG seien nicht
erfüllt, sondern damit, der Arbeitsausfall sei nicht anrechenbar (Art. 31
Abs. 1 lit. b AVIG), da betriebsorganisatorisch bedingt oder branchen- und
betriebsüblich (Art. 33 Abs. 1 lit. a und b AVIG). Die Vorinstanz hat
umgekehrt die Branchen- und Betriebsüblichkeit des Ausfalls (Art. 33 Abs. 1
lit. b AVIG) verneint und unter Hinweis auf das Urteil X. vom 11. Juni 2001,
C 247/99, erwogen, strukturell bedingte Ausfälle seien nicht von
Kurzarbeitsentschädigung ausgeschlossen. Dagegen sei das Vorliegen von
strukturellen Mängeln bei der Beurteilung, ob ein Arbeitsausfall
vorübergehend oder unvermeidbar sei, zu würdigen. Mit der
Kurzarbeitsentschädigung sollen keine mittel- bis langfristigen
Strukturveränderungen finanziert werden. Umgekehrt hat es auch ausgeführt,
das beco habe die Interessen der kantonalen Wirtschaftspolitik stärker
gewichtet als den gesetzeskonformen Vollzug des AVIG. Insgesamt ist somit für
die Vorinstanz die Sache offensichtlich nicht spruchreif. Auch die
Ausführungen der Beschwerde führenden Behörde sind nicht völlig schlüssig:
Der Umstand allein, dass der Branchenumsatz im fraglichen Zeitraum zunahm,
belegt noch nicht, dass der Arbeitsausfall bei der Beschwerdegegnerin
betriebsüblich oder vermeidbar gewesen wäre. Insgesamt erweist sich die Sache
nicht als liquid. Da sich die Vorinstanz zu verschiedenen Punkten noch nicht
abschliessend geäussert hat, ist die Sache an sie zurückzuweisen. Sie wird
die allenfalls erforderlichen Abklärungen treffen, wobei es im
pflichtgemässen Ermessen der Vorinstanz liegt, ob dafür eine eigentliche
Betriebsanalyse im Sinne von Art. 31 Abs. 1bis AVIG erforderlich ist (vgl.
vorne Erw. 2.3). Anschliessend wird sie über den Anspruch auf
Kurzarbeitsentschädigung befinden.

4.
Das Verfahren ist kostenlos (Art. 134 OG). Das teilweise obsiegende seco hat
keinen Anspruch auf Parteientschädigung (Art. 159 Abs. 2 OG). Die V.________
AG ist mit ihrem Rechtsbegehren unterlegen und hat somit ebenfalls keinen
Anspruch auf Parteientschädigung.

5.

6.
7. Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht:

1.
In teilweiser Gutheissung der Beschwerde wird der Entscheid des
Verwaltungsgerichts des Kantons Bern vom 25. Januar 2006 aufgehoben und die
Sache zur Neubeurteilung im Sinne der Erwägungen an das Verwaltungsgericht
zurückgewiesen.

2.
Es werden keine Gerichtskosten erhoben.

3.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Verwaltungsgericht des Kantons Bern,
Sozialversicherungsrechtliche Abteilung, dem beco Berner Wirtschaft,
Arbeitsvermittlung, Rechtsdienst, und dem beco Berner Wirtschaft,
Arbeitslosenkasse, zugestellt.
Luzern, 24. August 2006

Im Namen des Eidgenössischen Versicherungsgerichts

Der Präsident der III. Kammer: Die Gerichtsschreiberin: