Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

Sozialrechtliche Abteilungen C 52/2006
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C 52/06

Urteil vom 26. Juli 2007

I. sozialrechtliche Abteilung

Bundesrichter Ursprung, Präsident,
Bundesrichter Schön, Frésard,
Gerichtsschreiberin Helfenstein Franke.

Amt für Wirtschaft und Arbeit des Kantons Solothurn, Untere Sternengasse 2,
4500 Solothurn, Beschwerdeführer,

gegen

R.________, Beschwerdegegner, vertreten durch Fürsprech Dr. Urs Tschaggelar,
Schützengasse 15,
2540 Grenchen.

Arbeitslosenversicherung,

Verwaltungsgerichtsbeschwerde gegen den Entscheid des Versicherungsgerichts
des Kantons Solothurn vom 17. Januar 2006.

Sachverhalt:

A.
R. ________ war gemäss Arbeitsvertrag vom 23. Dezember 1998 (sowie dessen
Änderung vom 1. Dezember 1999) mit der in Deutschland ansässigen Firma
B.________ vom 1. Dezember 1999 bis 7. September 2004 in Russland und in
Serbien, auch im Kosovo, als Projektleiter tätig. Am 7. Juni 2004 kündigte
die Firma B.________ das Arbeitsverhältnis mit R.________ wegen
Auftragsmangel auf den 7. September 2004. Am 8. September 2004 meldete sich
R.________ zum Bezug von Arbeitslosenentschädigung an. Mit Verfügung vom
17. Dezember 2004 verneinte die Öffentliche Arbeitslosenkasse des Kantons
Solothurn (nachfolgend: Arbeitslosenkasse) einen Anspruch auf Taggelder der
Arbeitslosenversicherung wegen Nichterfüllung der Beitragszeit und mangels
Vorliegen eines Befreiungstatbestands. Die hiegegen von R.________ erhobene
Einsprache wies die Arbeitslosenkasse mit Entscheid vom 24. März 2005 ab.

B.
Die dagegen erhobene Beschwerde mit dem Antrag auf Arbeitslosenentschädigung
für die Dauer vom 8. September bis 5. Oktober 2004 hiess das
Versicherungsgericht des Kantons Solothurn mit Entscheid vom 17. Januar 2006
gut und wies die Arbeitslosenkasse an, im Sinne der Erwägungen zu verfahren.

C.
Mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde beantragt das Amt für Wirtschaft und Arbeit
des Kantons Solothurn (nachfolgend: AWA) die Aufhebung des vorinstanzlichen
Entscheides.

R. ________ und das Staatssekretariat für Wirtschaft (seco) schliessen auf
Abweisung der Beschwerde.

Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

1.
Das Bundesgesetz über das Bundesgericht vom 17. Juni 2005 (BGG; SR 173.110)
ist am 1. Januar 2007 in Kraft getreten (AS 2006 1205, 1243). Da der
angefochtene Entscheid vorher ergangen ist, richtet sich das Verfahren noch
nach OG (Art. 132 Abs. 1 BGG; BGE 132 V 393 E. 1.2 S. 395).

2.
Streitig und zu prüfen ist, ob der Beschwerdegegner für die Dauer vom
8. September bis 5. Oktober 2004 Anspruch auf Arbeitslosenentschädigung hat.
Dabei steht in Frage, ob er von der Erfüllung der Beitragszeit im Sinne von
Art. 14 Abs. 3 AVIG befreit ist.

Während die Vorinstanz erwog, Art. 14 Abs. 3 AVIG gelange zur Anwendung und
der Beschwerdegegner sei von der Erfüllung der Beitragszeit befreit, macht
das AWA Solothurn geltend, der Beschwerdegegner sei von der Firma B.________
Deutschland angestellt worden. Arbeitsrechtlich handle es sich um einen
Personalverleih. Dem Verleiher von Personal komme im Rahmen der
Arbeitslosenversicherung die Stellung eines Arbeitgebers zu, weshalb die
Firma B.________ GmbH Deutschland den Beschwerdegegner hätte versichern
müssen.

3.
3.1 Nach Art. 8 Abs. 1 lit. e AVIG hat Anspruch auf Arbeitslosenentschädigung,
wer die Beitragszeit erfüllt hat oder von der Erfüllung der Beitragszeit
befreit ist. Die Beitragszeit hat laut Art. 13 Abs. 1 AVIG (in der seit 1.
Januar 2002 gültigen Fassung) erfüllt, wer innerhalb der dafür vorgesehenen
Rahmenfrist für die Beitragszeit während mindestens zwölf Monaten eine
beitragspflichtige Beschäftigung ausgeübt hat.

Von der Erfüllung der Beitragszeit befreit sind während eines Jahres
Schweizer, die nach einem Auslandaufenthalt von über einem Jahr in einem
Staat, der sowohl ausserhalb der Europäischen Gemeinschaft als auch der
Europäischen Freihandelsassoziation (EFTA) liegt, in die Schweiz
zurückkehren, sofern sie sich über eine entsprechende Beschäftigung als
Arbeitnehmer im Ausland ausweisen können (Art. 14 Abs. 3 AVIG).

3.2 Art. 14 Abs. 3 AVIG steht im vorliegenden Wortlaut seit Inkrafttreten des
Abkommens vom 21. Juni 1999 zwischen der Schweizerischen Eidgenossenschaft
und der Europäischen Gemeinschaft und ihren Mitgliedstaaten andererseits über
die Freizügigkeit (nachfolgend: FZA) am 1. Juni 2002 in Kraft. Vor diesem
Datum galt die Befreiung von der Erfüllung der Beitragszeit für alle
Schweizer. Erforderlich war lediglich die Ausübung einer Beschäftigung als
Arbeitnehmer von mindestens 12 (bzw. bis 31. Dezember 2000 von 6) Monaten
Dauer, wogegen die Entrichtung von Beiträgen im Ausland nicht notwendig war
(vgl. Thomas Nussbaumer, Arbeitslosenversicherung, in: Schweizerisches
Bundesverwaltungsrecht [SBVR], Soziale Sicherheit, 2. Aufl. Basel 2007, S.
2254 Rz 249; SVR 1997 AlV Nr. 92 E. 3a mit Hinweisen).

Mit dem Inkrafttreten des FZA wurde Art. 14 Abs. 3 AVIG dahingehend geändert,
dass nur noch Schweizer, die ausserhalb des Gebietes der EG-Mitgliedstaaten
oder der EFTA-Mitgliedstaaten eine Beschäftigung als Arbeitnehmer ausgeübt
haben, von der Erfüllung der Beitragszeit befreit werden. Schweizer, die in
einem solchen Staat als Arbeitnehmer tätig waren, haben gemäss
Gemeinschaftsrecht im letzten Beschäftigungsstaat einen Anspruch auf
Leistungen bei Arbeitslosigkeit (Grundsatz der lex loci laboris
[Beschäftigungslandprinzip], wonach im Verhältnis zwischen den
Mitgliedstaaten die Rechtsvorschriften des letzten Beschäftigungsstaates vor
Eintritt der Arbeitslosigkeit zur Anwendung gelangen, Art. 13 Abs. 2 lit. a
der Verordnung [EWG] Nr. 1408/71; BGE 133 V 137 E. 6.1, S. 144, 132 V 53 E.
4.1 S. 57, Urteil C 25/06 vom 6. Juni 2007, E. 3.1). Sie benötigen daher den
in Abs. 3 der genannten Bestimmung vorgesehenen Schutz in der Schweiz nicht
mehr. Diese Lösung besitzt den Vorteil, dass Auslandschweizer, welche
ausserhalb des Gebiets der EG- und EFTA-Mitgliedstaaten wohnen und welche
noch nie in der Schweiz gewohnt haben, weiterhin von der Befreiung
profitieren können (Botschaft zur Genehmigung des Abkommens vom 21. Juni 2001
zur Änderung des Übereinkommens vom 4. Januar 1960 zur Errichtung der EFTA,
BBl 2001 S. 4992).

3.3 Es steht fest, dass der Beschwerdegegner vor seinem Antrag auf
Arbeitslosenentschädigung aus Russland (Moskau), also weder aus einem EU-
noch einem EFTA-Staat, in die Schweiz zurückgekehrt ist. Auch übte er in
Russland unbestrittenermassen eine Beschäftigung als Arbeitnehmer aus, war er
dort doch im letzten Jahr vor seiner Rückkehr als Projektleiter tätig und
besass offenbar eine Arbeitsbewilligung.

3.4 Mangels eines Sozialversicherungsabkommens zwischen der Schweiz und
Russland kommen damit für die Beurteilung des Anspruchs auf
Arbeitslosenentschädigung allein die Schweizerischen Vorschriften zur
Anwendung. Gestützt auf Art. 14 Abs. 3 AVIG ist deshalb der Beschwerdegegner
während eines Jahres von der Erfüllung der Beitragszeit befreit.

Daran ändert nichts, dass der Arbeitsvertrag zwischen dem Beschwerdegegner
und einer Gesellschaft mit Sitz in Deutschland abgeschlossen wurde, da dieser
tatsächlich in Russland als Arbeitnehmer tätig war. Ebensowenig ist
beachtlich, ob in Russland Sozialversicherungsbeiträge bezahlt wurden bzw.
dass die Gesellschaft in Deutschland keine solchen Beiträge für den
Beschwerdegegner bezahlte, nachdem die Ablieferung von Beiträgen im Ausland
keine Voraussetzung für die Beitragszeitbefreiung gemäss Art. 14 Abs. 3 AVIG
darstellt (Urteil C 193/98 vom 2. Juni 1999, E. 4a; Thomas Nussbaumer,
a.a.O., Gerhards, Kommentar zum Arbeitslosenversicherungsgesetz, N. 44 zu
Art. 14).

Es ist deshalb nicht zu beanstanden, wenn die Vorinstanz mit der
Feststellung, der Beschwerdegegner sei von der Erfüllung der Beitragszeit
befreit, die Sache zur Prüfung der weiteren Voraussetzungen nach Art. 8 AVIG
an die Arbeitslosenkasse zurückgewiesen hat.

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird abgewiesen.

2.
Es werden keine Gerichtskosten erhoben.

3.
Die Beschwerdeführerin hat dem Beschwerdegegner für das Verfahren vor dem
Bundesgericht eine Parteientschädigung von Fr. 1'000.- (einschliesslich
Mehrwertsteuer) zu bezahlen.

4.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Versicherungsgericht des Kantons
Solothurn, der Öffentlichen Arbeitslosenkasse des Kantons Solothurn und dem
Staatssekretariat für Wirtschaft zugestellt.

Luzern, 26. Juli 2007
Im Namen der I. sozialrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident: Die Gerichtsschreiberin: