Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

Sozialrechtliche Abteilungen C 48/2006
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C 48/06

Urteil vom 6. November 2007

I. sozialrechtliche Abteilung

Bundesrichter Ursprung, Präsident,
Bundesrichter Lustenberger, Bundesrichter Frésard,
Gerichtsschreiberin Polla.

H. ________, 1940, Beschwerdeführer,

gegen

Öffentliche Arbeitslosenkasse des Kantons Aargau, Bahnhofstrasse 78,
5000 Aarau, Beschwerdegegnerin.

Arbeitslosenversicherung,

Verwaltungsgerichtsbeschwerde gegen den Entscheid des Versicherungsgerichts
des Kantons Aargau vom 24. Januar 2006.

Sachverhalt:

A.
Der 1940 geborene, zuletzt als Lagerchef in der Firma Y.________ AG tätig
gewesene H.________ meldete sich am 19. Juli 2002 zum Leistungsbezug bei der
Arbeitslosenversicherung an. In der Folge erzielte er als Koch beim
Kleinkinderhort X.________ einen regelmässigen Zwischenverdienst im Umfang
von 12 Stunden pro Woche, wobei er seit 16. August 2004 den
Beschäftigungsgrad auf 50 % eines Vollpensums erhöhte. Mit Schreiben vom 27.
Mai 2005 teilte ihm die öffentliche Arbeitslosenkasse des Kantons Aargau mit,
ihm sei auf Grund seines Alters die ordentliche Rahmenfrist für den
Leistungsbezug (1. August 2002 bis 31. Juli 2004) fälschlicherweise über die
zweijährige Frist verlängert worden, womit er in den Genuss eines zu hohen
versicherten Verdienstes gekommen sei. Da eine genügende Beitragszeit für
einen neuen Leistungsbezug vorläge, müsse rückwirkend ab 2. August 2004 eine
neue Leistungsrahmenfrist eröffnet werden. In der anschliessend erlassenen
Verfügung vom 8. Juni 2005 führte die Arbeitslosenkasse ergänzend aus,
H.________ habe aus Zwischenverdiensttätigkeiten insgesamt 14,7
Beitragsmonate erarbeitet, weshalb seine ordentlicherweise am 31. Juli 2004
abgelaufene Rahmenfrist trotz seiner AHV-Pensionierung am 30. November 2005
nicht verlängert werde könne. Damit sei der versicherte Verdienst in der
neuen Rahmenfrist auf der Grundlage des erzielten Zwischenverdienstes zu
berechnen, was Fr. 2'353.- (statt Fr. 6554.-) ergäbe. Die auf dieser
Berechnungsgrundlage seit März 2005 erstellten Taggeldabrechnungen seien
daher korrekt. Daran hielt die Kasse auch auf Einsprache hin fest (Entscheid
vom 27. Juli 2005).

B.
Das Versicherungsgericht des Kantons Aargau wies die hiegegen erhobene
Beschwerde mit Entscheid vom 24. Januar 2006 ab.

C.
H.________ führt Verwaltungsgerichtsbeschwerde und beantragt sinngemäss, es
seien ihm die Versicherungsleistungen (seit März 2005) in Anwendung des
alten, in der bis 31. Juli 2004 gültig gewesenen Rahmenfrist errechneten
versicherten Verdienstes in der Höhe von Fr. 6554.- zuzusprechen, solange er
die gesetzlich festgelegten Bezugsvoraussetzungen (inkl. maximalen
Taggeldanspruch) erfülle.
Sowohl die Arbeitslosenkasse als auch das Staatssekretariat für Wirtschaft
(seco) haben auf eine Vernehmlassung verzichtet.

Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

1.
Das Bundesgesetz über das Bundesgericht vom 17. Juni 2005 (BGG; SR 173.110)
ist am 1. Januar 2007 in Kraft getreten (AS 2006 1205, 1243). Da der
angefochtene Entscheid vorher ergangen ist, richtet sich das Verfahren noch
nach OG (Art. 132 Abs. 1 BGG; BGE 132 V 393 E. 1.2 S. 395).

2.
Im vorinstanzlichen Entscheid werden die Bestimmungen über die Höchstzahl der
Taggelder und die Verlängerung der Rahmenfrist für den Leistungsbezug bei
Versicherten, die innerhalb der letzten vier Jahre vor Erreichen des
AHV-Rentenalters arbeitslos geworden sind (Art. 27 Abs. 3 AVIG [in der seit
1. Juli 2003 gültigen Fassung] in Verbindung mit Art. 41b AVIV [in der bis
30. Juni 2006 gültig gewesenen Fassung]) zutreffend dargelegt. Darauf wird
verwiesen. Am 1. Juli 2006 trat der wie folgt geänderte Art. 41b Abs. 2 AVIV
(rückwirkend) in Kraft:
Die Rahmenfrist für den Leistungsbezug wird bis zum Ende des der Ausrichtung
der AHV-Rente vorangehenden Monats verlängert. Ist der Taggeldhöchstanspruch
ausgeschöpft, so wird eine neue Rahmenfrist für den Leistungsbezug eröffnet,
wenn die Beitragszeit innerhalb der gesamten bisherigen Rahmenfrist für die
Eröffnung genügt und die übrigen Voraussetzungen erfüllt sind.

3.
Streitgegenstand bildet die Höhe des Taggeldanspruchs nach Ablauf der ersten
Leistungsrahmenfrist am 31. Juli 2004.

3.1 Unbestritten ist, dass sich der Versicherte durch die ab 12. Mai 2003
angenommene Zwischenverdiensttätigkeit 14,7 Beitragsmonate in der ersten
Leistungsrahmenfrist erarbeitet hatte. Ebenso wenig wird die Höhe des anhand
des Einkommens bei der Kinderkrippe errechneten versicherten Verdienstes für
die ab 1. August 2004 eröffnete zweite Rahmenfrist für den Leistungsbezug
bestritten. Der Beschwerdeführer macht vielmehr geltend, er werde durch die
Eröffnung einer Folgerahmenfrist für den Leistungsbezug mit dem dadurch
ebenfalls (auf der Basis des Zwischenverdienstes) neu berechneten, nun
erheblich tieferen versicherten Verdienstes, schlechter gestellt als jene
Versicherte, die während ihrer Arbeitslosigkeit keinen Zwischenverdienst
erzielt hätten und somit weiterhin Taggeldleistungen (bis zum Ende des der
Ausrichtung der AHV-Rente vorangehenden Monats) auf der Grundlage des
ursprünglichen und höheren versicherten Verdienstes erhielten, was nicht im
Sinne des Gesetzgebers sein könne.

3.2 In der Tat erfährt der Versicherte in vorliegender
Sachverhaltskonstellation (gegenüber dem versicherten Verdienst deutlich
geringeres Zwischenverdiensteinkommen, welches Grundlage für den neuen
versicherten Verdienst in der zweiten Leistungsrahmenfrist bildet) eine
Schlechterstellung gegenüber versicherten Personen, die ebenfalls innerhalb
der letzten vier Jahre vor Erreichen des ordentlichen AHV-Rentenalters gemäss
Art. 27 Abs. 3 AVIG arbeitslos geworden sind und während ihrer
Arbeitslosigkeit keinem Zwischenverdienst nachgehen. Dem
arbeitslosenversicherungsrechtlichen Grundgedanken, dass sich Arbeit auch
während der Arbeitslosigkeit immer lohnen soll (vgl. Medienmitteilung des
seco vom 16. Juni 2006; www.seco.admin.ch), kam der Verordnungsgeber in der
hier anwendbaren, bis 30. Juni 2006 gültig gewesenen Fassung des Art. 41b
Abs. 2 AVIG nur insofern nach, als sich durch die - in Folge genügender
Beitragszeit - neu eröffnete, zweite Rahmenfrist die Höchstzahl der Taggelder
ausdehnte, worauf bereits das kantonale Gericht verwies. Dies hat der
Bundesrat denn auch zum Anlass genommen, die vom Beschwerdeführer als
stossend empfundene Norm zu Gunsten der kurz vor dem Rentenalter stehenden
Versicherten zu ändern. Mit der Verordnungsänderung (E. 1) wird
sichergestellt, dass auch Personen, die sich während dem Taggeldbezug mit
Arbeit eine genügende Beitragszeit erwirtschaften, zunächst ihren Anspruch zu
einem meist höheren Taggeld ausschöpfen können und erst hernach geprüft wird,
ob die Voraussetzungen für die Eröffnung einer neuen Rahmenfrist für den
Leistungsbezug erfüllt sind (vgl.; Medienmitteilung des seco vom 16. Juni
2006; www.seco.admin.ch).

3.3 Dass der dem Bundesrat aufgrund von Art. 27 Abs. 3 AVIG eingeräumte
Ermessensspielraum zur Anspruchsregelung für kurz vor dem AHV-Rentenalter
stehende Versicherte bei der bis 30. Juni 2006 gültig gewesenen Fassung des
Art. 41b Abs. 2 AVIV überschritten worden wäre, wird zu Recht nicht
vorgebracht. Weiter liegt weder ein qualifiziertes Schweigen des
Verordnungsgebers vor, noch eine vom Gericht auszufüllende Lücke. Denn es
kann nicht gesagt werden, dass sich Gesetz und Verordnung für die sich
stellende Rechtsfrage keine Antwort entnehmen lässt. Es ist weder anzunehmen,
der Gesetz- oder Verordnungsgeber habe sich offenkundig über gewisse
Tatsachen geirrt oder es hätten sich die Verhältnisse seit Erlass des
Gesetzes oder der Verordnung in einem Masse gewandelt, dass die Vorschrift
unter gewissen Gesichtspunkten nicht oder nicht mehr befriedigt und ihre
Anwendung rechtsmissbräuchlich würde (BGE 130 V 39 E. 4.3 S 47). Auch ist
nicht davon auszugehen, dass die hier anzuwendende Regelung zu Ergebnissen
führt, die sich mit den Verfassungsgrundsätzen der Rechtsgleichheit (Art. 8
Abs. 1 BV) und dem des Willkürverbots (Art. 9 BV; BGE 129 I 1 E. 3 S. 3)
nicht vereinbaren lassen (vgl. BGE 131 V 263 E. 5.1 S. 266). Zwar mag es
unbefriedigend sein, dass der angenommene Zwischenverdienst im vorliegenden
Fall zu einer Reduktion der Taggeldhöhe in einer Folgerahmenfrist führte.
Dies genügt indessen nicht, die Regelung als geradezu unhaltbar erscheinen zu
lassen, zumal alle Versicherten zur Annahme eines zumutbaren
Zwischenverdienstes verpflichtet sind (Art. 17 AVIG) und sich Art. 41b aAbs.
2 AVIV lange nicht in allen Fällen zu Ungunsten der versicherten Person
auswirkt (Urteil C 117/06 vom 25. Oktober 2007, E. 5.2 und 5.3). Wie das
Bundesgericht im eben zitierten Urteil erkannte, ist die Gesetzmässigkeit von
Art. 41b aAbs. 2 AVIV zu bejahen. Die Verordnungsbestimmung hält sich im
Rahmen der im Gesetz delegierten Kompetenzen. Indem die Norm zwischen
Versicherten unterscheidet, welche während der Rahmenfrist für den
Leistungsbezug nicht genügend Beitragszeit für die Eröffnung einer neuen
Rahmenfrist nachweisen können (und deswegen Anspruch auf weitere 120
Taggelder haben), und solchen, die genügend Beitragszeit für die Eröffnung
einer neuen Rahmenfrist für den Leistungsbezug erarbeitet haben (und
demzufolge ein in zeitlicher Hinsicht beträchtlich länger dauerndes Anrecht
auf den Bezug von Arbeitslosenentschädigung erhalten), schafft sie keine
unhaltbare Abgrenzung (Urteil C 117/06 vom 25. Oktober 2007, E. 5.2). Im
Lichte des dem Bundesrat zustehenden weiten Ermessenspielraums ist es denn
auch seine Sache (und nicht die des Bundesgerichts), eine andere Regelung zu
treffen, um denjenigen Sachverhalten wie dem vorliegenden, besser Rechnung zu
tragen (vgl. BGE 127 V 165 E. 4b S. 175).

3.4 Für eine rückwirkende Anwendung der neuen Regelung besteht schon deshalb
kein Anlass, weil Art. 41b aAbs. 2 AVIV nach dem Gesagten (E. 3.3)
gesetzmässig ist. Es bleibt ergänzend festzuhalten, dass der Verordnungsgeber
zwar im Sinne des Anliegens des Beschwerdeführer tätig geworden ist, aber
keine Übergangsbestimmungen vorliegen, welche die Absicht des Bundesrates
erkennen liessen, den Geltungsbereich des neuen Art. 41b Abs. 2 AVIV auf
Zeitperioden vor dessen Inkrafttreten auszudehnen (BGE 129 V 115 E. 2.2 mit
Hinweisen; vgl. in der AVIG-Praxis 2006/23 publizierte Weisung des seco,
wonach sämtliche Fälle ab 1. Juli 2006 [März 2006] nach der neuen Regelung zu
beurteilen sind. Die Anwendung der unbestritten erst zum 1. Juli 2006 in
Kraft getretenen Fassung von Art. 41b Abs. 2 AVIV auf den hier massgebenden
Zeitraum (ab August 2004) liefe auf eine grundsätzlich unzulässige (BGE 129 V
459 E. 3) positive Vorwirkung hinaus. Damit muss es mit dem vorinstanzlichen
Entscheid sein Bewenden haben.

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird abgewiesen.

2.
Es werden keine Gerichtskosten erhoben.

3.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Versicherungsgericht des Kantons Aargau,
dem Amt für Wirtschaft und Arbeit des Kantons Aargau und dem
Staatssekretariat für Wirtschaft zugestellt.

Luzern, 6. November 2007

Im Namen der I. sozialrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident: Die Gerichtsschreiberin:

Ursprung Polla