Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

Sozialrechtliche Abteilungen C 233/2006
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C 233/06

Urteil vom 2. Juli 2007

I. sozialrechtliche Abteilung

Bundesrichter Ursprung, Präsident,
Bundesrichterin Widmer, Bundesrichter Frésard,
Gerichtsschreiberin Riedi Hunold.

Öffentliche Arbeitslosenkasse Baselland, Bahnhofstrasse 32, 4133 Pratteln,
Beschwerdeführerin,

gegen

H.________, 1959, Beschwerdegegner, vertreten durch Advokat Markus Mattle,
Rebgasse 15, 4410 Liestal.

Arbeitslosenversicherung,

Verwaltungsgerichtsbeschwerde gegen den Entscheid des Kantonsgerichts
Basel-Landschaft vom 19. Juli 2006.

Sachverhalt:

A.
H. ________, geboren 1959, war seit der Gründung im Jahr 1994 Gesellschafter
und Geschäftsführer der Firma D.________. Seit 10. Oktober 2002 bezieht
H.________ wegen Rückenproblemen eine halbe Invalidenrente. Gemäss
Handelsregistereintrag gründete er im Herbst 2004 die Einzelfirma G.________.
Am 2. Juni 2005 ersuchte er um Arbeitslosenentschädigung und stellte sich im
Umfang von 43 % der Arbeitsvermittlung zur Verfügung. Am 24. Juni 2005 wurde
im Handelsregister die Aufgabe der Einzelfirma G.________ eingetragen. Die
Öffentliche Arbeitslosenkasse Baselland (nachfolgend: Arbeitslosenkasse)
lehnte am 27. Juni 2005 einen Anspruch auf Arbeitslosenentschädigung infolge
arbeitgeberähnlicher Stellung ab. Mit Beschluss vom 16. August 2005 wurde die
Firma D.________ aufgelöst. Die Arbeitslosenkasse hielt mit
Einspracheentscheid vom 15. Dezember 2005 an ihrem Entscheid fest, da
H.________ nicht die nötigen zwölf Monate an beitragspflichtiger
Beschäftigung nachweisen könne.

B.
Die hiegegen erhobene Beschwerde hiess das Kantonsgericht Basel-Landschaft
mit Entscheid vom 19. Juli 2006 gut und wies die Sache zur weiteren Abklärung
der Anspruchsvoraussetzungen an die Arbeitslosenkasse zurück.

C.
Die Arbeitslosenkasse führt Verwaltungsgerichtsbeschwerde ans Eidgenössische
Versicherungsgericht (seit 1. Januar 2007: Bundesgericht) mit dem Begehren,
der vorinstanzliche Entscheid sei aufzuheben. H.________ lässt auf Abweisung
der Verwaltungsgerichtsbeschwerde schliessen. Das Staatssekretariat für
Wirtschaft (nachfolgend: seco) verzichtet auf eine Vernehmlassung.

D.
Mit Eingabe vom 3. Januar 2007 ersucht H.________ um unentgeltliche
Rechtspflege.

Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

1.
Das Bundesgesetz über das Bundesgericht vom 17. Juni 2005 (BGG; SR 173.110)
ist am 1. Januar 2007 in Kraft getreten (AS 2006 1205, 1243). Da der
angefochtene Entscheid vorher ergangen ist, richtet sich das Verfahren noch
nach dem Bundesgesetz über die Organisation der Bundesrechtspflege vom 16.
Dezember 1943 (OG; Art. 132 Abs. 1 BGG; BGE 132 V 393 E. 1.2 S. 395).

2.
Die Vorinstanz hat die Bestimmungen und Grundsätze über die
Anspruchsvoraussetzung der erfüllten Beitragszeit (Art. 8 Abs. 1 lit. e AVIG
sowie Art. 13 Abs. 1 AVIG in der seit 1. Juli 2003 geltenden Fassung) und
dabei insbesondere den Begriff der beitragspflichtigen Beschäftigung (BGE 131
V 444 mit Hinweisen) zutreffend dargelegt. Dasselbe gilt für den im
Sozialversicherungsrecht geltenden Beweisgrad der überwiegenden
Wahrscheinlichkeit (BGE 126 V 353 E. 5b S. 360 mit Hinweisen). Darauf wird
verwiesen.

3.
Die Arbeitslosenkasse macht geltend, der angefochtene Entscheid stehe in
Widerspruch zur Rechtsprechung von ARV 2001 Nr. 27 S. 225 sowie weiterer
Urteile. Sie übersieht dabei, dass die genannte Rechtsprechung durch das
zwischenzeitlich in BGE 131 V 444 publizierte Urteil C 247/04 vom 12.
September 2005 präzisiert worden ist. Danach ist für den Anspruch auf
Arbeitslosenentschädigung unter dem Gesichtspunkt der erfüllten Beitragszeit
nach Art. 8 Abs. 1 lit. e in Verbindung mit Art. 13 Abs. 1 AVIG grundsätzlich
nur die Ausübung einer beitragspflichtigen Beschäftigung während der
geforderten Mindestdauer Voraussetzung. Diese Tätigkeit muss genügend
überprüfbar sein. Dem Nachweis tatsächlicher Lohnzahlung kommt indessen nicht
der Sinn einer selbstständigen Anspruchsvoraussetzung zu, wohl aber die
Bedeutung eines wesentlichen und in kritischen Fällen unter Umständen
ausschlaggebenden Indizes.

4.
4.1 Die Vorinstanz hat in ausführlicher und differenzierter Würdigung des
Sachverhaltes festgestellt, dass der Versicherte die Mindestbeitragszeit von
zwölf Monaten im Rahmen seiner Tätigkeit für die Firma D.________ erfüllt
hat. Insbesondere hat sie überzeugend dargelegt, die teilweise nur kurzen
Zäsuren in der Lohnzahlung (Juni und Oktober 2004) über eine Zeitspanne von
17 Monaten berechtigten zur Annahme, der Versicherte sei zwar nicht
durchgehend in der Lage gewesen, sich einen Lohn auszubezahlen, habe aber
deshalb seine Tätigkeit für das Unternehmen nicht eingestellt. Andernfalls
wäre er kaum in der Lage gewesen, sich anschliessend wieder einen Lohn
auszurichten.

4.2 Soweit die Arbeitslosenkasse dem Versicherten den Aufbau einer
selbstständigen Erwerbstätigkeit im Rahmen seiner Einzelfirma entgegen hält,
kann sie nicht gehört werden. Der Versicherte hat die Aktivitäten seiner
Einzelfirma bereits nach wenigen Monaten eingestellt, da diese nicht den
gewünschten Erfolg zeitigten (vgl. dazu seine Anmerkung im Gesuch um
Arbeitslosenentschädigung). Die Einzelfirma wurde in demselben Monat im
Handelsregister gelöscht, in welchem der Versicherte das Gesuch um
Arbeitslosenentschädigung stellte. Seine Möglichkeiten zur Annahme einer
neuen Stelle waren somit nicht beeinträchtigt. In den Akten finden sich auch
keine Hinweise dafür, dass er durch den versuchten Aufbau einer
selbstständigen Erwerbstätigkeit in der Ausübung seiner angestammten
Tätigkeit für die Firma D.________ eingeschränkt gewesen wäre. In diesem
Zusammenhang ist festzuhalten, dass im Hinblick auf die Aufnahme einer
selbstständigen Tätigkeit unternommene Schritte nicht anders zu behandeln
sind als jene, die auf die Ausübung einer unselbstständigen Tätigkeit
abzielen, sofern die Vermittlungsfähigkeit nicht betroffen ist (SVR 1998 ALV
Nr. 22 S. 67).

4.3 Auf Grund des schleppenden Geschäftsgangs ist es nicht widersprüchlich,
sondern eher folgerichtig, dass der Versicherte nicht während der ganzen
Geschäftstätigkeit in der Lage war, sich regelmässig den gleichen Lohn
auszubezahlen. Es erscheint wenig wahrscheinlich, dass er lediglich in jenen
Perioden einer beitragspflichtigen Tätigkeit nachgegangen ist, in welchen er
sich auch einen Lohn bezahlen konnte. Vielmehr ist anzunehmen, dass er seit
Beginn der Rahmenfrist bis zur Auflösung der Gesellschaft für sein
Unternehmen tätig war. Damit hat er seine Betragspflicht erfüllt.

4.4 Schliesslich ändern auch allfällige anderslautende Kreisschreiben des
seco nichts an diesem Ergebnis. Wenn auch das Gericht Verwaltungsweisungen
bei seiner Entscheidung berücksichtigt, sofern diese eine dem Einzelfall
angepasste und gerecht werdende Auslegung der anwendbaren gesetzlichen
Bestimmung zulassen, so ist es nicht an sie gebunden (BGE 132 V 121 E. 4.4
S. 125 mit Hinweisen). Eine Verwaltungsweisung, welche die Beitragszeit nur
dann als erfüllt gelten lässt, wenn eine mindestens zwölfmonatige
tatsächliche Lohnzahlung nachgewiesen ist, würde nicht der geltenden Praxis
von BGE 131 V 444 entsprechen, so dass sie für die hier strittige Frage nicht
massgebend wäre.

5.
Im vorliegenden Verfahren geht es um die Bewilligung oder Verweigerung von
Versicherungsleistungen der Arbeitslosenversicherung, weshalb von der
Auferlegung von Gerichtskosten abzusehen ist (Art. 134 OG). Dem
Prozessausgang entsprechend ist dem Beschwerdeführer eine Parteientschädigung
zuzusprechen (Art. 135 in Verbindung mit Art. 159 OG). Das Gesuch um
unentgeltliche Rechtspflege, einschliesslich der unentgeltlichen
Verbeiständung, erweist sich damit als gegenstandslos.

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird abgewiesen.

2.
Es werden keine Gerichtskosten erhoben.

3.
Die Öffentliche Arbeitslosenkasse Baselland hat dem Beschwerdegegner für das
Verfahren vor dem Bundesgericht eine Parteientschädigung von Fr. 500.-
(einschliesslich Mehrwertsteuer) zu bezahlen.

4.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Kantonsgericht Basel-Landschaft,
Abteilung Sozialversicherungsrecht, und dem Staatssekretariat für Wirtschaft
zugestellt.

Luzern, 2. Juli 2007

Im Namen der I. sozialrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident: Die Gerichtsschreiberin: