Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

Sozialrechtliche Abteilungen C 213/2006
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{T 7}
C 213/06

Urteil vom 4. April 2007

I. sozialrechtliche Abteilung

Bundesrichter Ursprung, Präsident,
Bundesrichterin Widmer, Bundesrichter Frésard,
Gerichtsschreiber Hadorn.

L. ________, 1975, Beschwerdeführerin, vertreten durch Fürsprecher Marc R.
Bercovitz, Jurastrasse 15, 2502 Biel,

gegen

Unia Arbeitslosenkasse Zahlstelle Biel, Murten-  strasse 33, 2501 Biel,
Beschwerdegegnerin.

Arbeitslosenversicherung,

Verwaltungsgerichtsbeschwerde gegen den Entscheid des Verwaltungsgerichts des
Kantons Bern vom          28. Juni 2006.

Sachverhalt:
Mit Verfügung vom 22. Juni 2005 lehnte die Arbeitslosenkasse Unia ein Gesuch
der L.________ (geb. 1975) um Ausrichtung von Arbeitslosenentschädigung ab
18. November 2004 ab, weil die Beitragszeit nicht erfüllt sei. Daran hielt
sie mit Einspracheentscheid vom 4. Oktober 2005 fest.
Die dagegen erhobene Beschwerde wies das Verwaltungsgericht des Kantons Bern
mit Entscheid vom 28. Juni 2006 ab.

L. ________ lässt Verwaltungsgerichtsbeschwerde führen und beantragen, es sei
ihr Arbeitslosenentschädigung ab 18. November 2004 zuzusprechen.
Die Arbeitslosenkasse und das Staatssekretariat für Wirtschaft (seco)
verzichten auf eine Vernehmlassung.

Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

1.
Am 1. Januar 2007 ist das Bundesgesetz über das Bundesgericht vom 17. Juni
2005 (BGG; SR 173.110) in Kraft getreten (AS 2006 1205, 1243). Damit wurden
das Eidgenössische Versicherungsgericht und das Bundesgericht in Lausanne zu
einem einheitlichen Bundesgericht (an zwei Standorten) zusammengefügt
(Seiler/von Werdt/Güngerich, Bundesgerichtsgesetz [BGG], Bern 2007, S. 10 Rz
75). Dieses Gesetz ist auf die nach seinem Inkrafttreten eingeleiteten
Verfahren des Bundesgerichts anwendbar, auf ein Beschwerdeverfahren jedoch
nur dann, wenn auch der angefochtene Entscheid nach dem Inkrafttreten dieses
Gesetzes ergangen ist (Art. 132 Abs. 1 BGG). Da der kantonale
Gerichtsentscheid am 28. Juni 2006 und somit vor dem 1. Januar 2007 erlassen
wurde, richtet sich das Verfahren nach dem bis 31. Dezember 2006 in Kraft
gewesenen Bundesgesetz über die Organisation der Bundesrechtspflege (OG) vom
16. Dezember 1943 (vgl. BGE 132 V 393 E. 1.2 S. 395).

2.
Das kantonale Gericht hat die gesetzlichen Vorschriften zur Erfüllung der
Beitragszeit als einer Voraussetzung für den Anspruch auf
Arbeitslosenentschädigung (Art. 8 Abs. 1 lit. e AVIG), zu den Rahmenfristen
(Art. 9 Abs.1-3 AVIG), zur Mindestbeitragsdauer von zwölf Monaten (Art. 13
Abs. 1 AVIG), zu den als Beitragszeit anrechenbaren Perioden (Art. 13 Abs. 2
lit. a-d AVIG) und zur Befreiung von der Beitragszeit (Art. 14 Abs. 2 AVIG)
sowie die dazu ergangene Rechtsprechung (BGE 125 V 123 E. 2a S. 124)
zutreffend dargelegt. Darauf wird verwiesen.

3.
Streitig und zu prüfen ist der Anspruch auf Arbeitslosenentschädigung ab 18.
November 2004. Dabei steht fest, dass die Beschwerdeführerin die
zwölfmonatige Beitragszeit innerhalb der entsprechenden Rahmenfrist nicht
erfüllt. Umstritten ist hingegen die Frage der Befreiung von der
Beitragszeit.

3.1 Die Vorinstanz ging davon aus, dass die Versicherte den gemeinsamen
Haushalt mit ihrem Ehemann am 1. November 2003 aufgelöst  habe. Sie habe in
der Anmeldung zum Leistungsbezug denn auch dieses Datum angegeben. Auf eine
solche "Aussage der ersten Stunde" sei abzustellen, woran anders lautende
spätere Behauptungen nichts zu ändern vermöchten. Daher sei das Gesuch um
Arbeitslosenentschädigung mehr als ein Jahr nach der Trennung eingereicht
worden, weshalb der Kausalzusammenhang zwischen der Trennung und der
Notwendigkeit, nunmehr eine Arbeitstätigkeit aufzunehmen, nicht erfüllt sei.
Demzufolge liege kein Grund für eine Befreiung von der Beitragszeit vor.

3.2 Dagegen reicht die Beschwerdeführerin teilweise neue Unterlagen ein, aus
welchen hervorgehe, dass die Trennung faktisch erst im Januar 2004 erfolgt
sei. Am 1. November 2003 hätten sie und ihr Mann beschlossen, sich zu
trennen. Dies habe aber nicht sogleich umgesetzt werden können, weil die
Versicherte zuerst eine eigene Wohnung habe finden müssen. Daher sei das Paar
noch bis Januar 2004 gemeinsam in der ehelichen Wohnung geblieben. Bei Angabe
im Formular zum Leistungsbezug, wonach die Trennung am 1. November 2003
erfolgt sei, handle es sich um einen Irrtum.

3.3 Gemäss einer Wohnsitzbestätigung der Einwohnergemeinde    X.________ vom
6. April 2004 ist die Beschwerdeführerin am            1. Januar 2004 aus
Y.________ in diese Gemeinde zugezogen. Am    1. Februar 2004 hat sie laut
einem entsprechenden Vertrag am neuen Ort eine Wohnung gemietet. Der Ehemann
bestätigt in einer Notiz vom 29. Juli 2006, dass er sich in gegenseitigem
Einverständnis im Januar 2004 von der Versicherten getrennt habe. Der damals
für die Trennung beigezogene Fürsprecher und Notar L.________ gibt in einem
Schreiben vom 11. September 2006 an, die erste gemeinsame Besprechung mit dem
Ehepaar habe am 16. Dezember 2003 in seiner Kanzlei stattgefunden. Damals sei
gesagt worden, dass die Beschwerdeführerin für den Januar 2004 eine eigene
Wohnung suche. An einer weiteren Besprechung vom 29. März 2004 sei dem Anwalt
mitgeteilt worden, dass die Versicherte seit 1. Februar 2004 in X.________
wohne.

3.4 Angesichts der übereinstimmenden Angaben des Ehemannes, des
Rechtsvertreters, der Gemeinde X.________ und im Mietvertrag ist erstellt,
dass das Ehepaar L.________ sich nicht schon am           1. November 2003
getrennt hat. Die Angabe der Beschwerdeführerin im Formular für die Anmeldung
zum Leistungsbezug ist angesichts der gesamten Aktenlage, obwohl an sich eine
"Aussage der ersten Stunde", nicht richtig. Da die Trennung jedenfalls erst
nach dem      18. November 2003 erfolgt ist, hat die Beschwerdeführerin die
Möglichkeit, sich auf die Beitragsbefreiung nach Art. 14 Abs. 2 AVIG zu
berufen. Damit kann ihr der Anspruch auf Arbeitslosenentschädigung ab 18.
November 2004 nicht mit dem Hinweis auf die fehlende Beitragsdauer verweigert
werden.

3.5 Nach dem Gesagten ist die Sache an die Arbeitslosenkasse zurückzuweisen,
damit sie die übrigen Voraussetzungen für den Anspruch auf
Arbeitslosenentschädigung, darunter den von der Vorinstanz offen gelassenen
Kausalzusammenhang zwischen der Trennung und der Aufnahme einer
Erwerbstätigkeit, prüfe und hernach erneut darüber verfüge.

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
In Gutheissung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde werden der Entscheid des
Verwaltungsgerichts des Kantons Bern vom 28. Juni 2006 und der
Einspracheentscheid der Arbeitslosenkasse Unia vom 4. Oktober aufgehoben, und
die Sache wird an die Beschwerdegegnerin zurückgewiesen, damit sie im Sinne
der Erwägungen verfahre.

2.
Es werden keine Gerichtskosten erhoben.

3.
Die Arbeitslosenkasse Unia hat der Beschwerdeführerin für das Verfahren vor
dem Bundesgericht eine Entschädigung von Fr. 2500.- (einschliesslich
Mehrwertsteuer) zu bezahlen.

4.
Das Verwaltungsgericht des Kantons Bern wird über eine Entschädigung für das
kantonale Verfahren entsprechend dem Ausgang des letztinstanzlichen Prozesses
zu befinden haben.

5.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Verwaltungsgericht des Kantons Bern,
Sozialversicherungsrechtliche Abteilung, und dem Staatssekretariat für
Wirtschaft zugestellt.

Luzern, 4. April 2007

Im Namen der I. sozialrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident: Der Gerichtsschreiber: