Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

Sozialrechtliche Abteilungen C 168/2006
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{T 7}
C 168/06

Urteil vom 23. Februar 2007

I. sozialrechtliche Abteilung

Bundesrichter Ursprung, Präsident,
Bundesrichter Lustenberger, Frésard,
Gerichtsschreiberin Heine.

P. ________, 1953, Beschwerdeführer,

gegen

beco Berner Wirtschaft, Abteilung Arbeitsvermittlung, Rechtsdienst,
Laupenstrasse 22, 3011 Bern, Beschwerdegegner.

Arbeitslosenversicherung,

Verwaltungsgerichtsbeschwerde gegen den Entscheid des Verwaltungsgerichts des
Kantons Bern
vom 2. Juni 2006.

Sachverhalt:

A.
P. ________ war vom 1. September 2003 bis 31. Januar 2004 als Spritzmeister
Einrichter in der Firma A.________ angestellt. Am 9. Februar 2004 meldete er
sich arbeitslos. Ab dem 4. Juni 2004 wurde der Versicherte von seinem Arzt zu
50 % arbeitsunfähig geschrieben. In der Folge meldete er sich am 15. Juli
2004 wegen eines Post-Polio-Syndroms bei der Invalidenversicherung an. Von
November 2004 bis Januar 2005 arbeitete P.________ im Zwischenverdienst bei
der Firma B.________ und ab Februar 2005 in einem 50 % Pensum als Hauswart
bei der Stiftung C._________; zusätzlich erteilte er in der Gemeinde
D.________ im Umfang von 10 % Schwimmlektionen. Mit zwei Verfügungen, datiert
vom 28. Juni 2005, stellte das Regionale Arbeitsvermittlungszentrum (RAV) den
Versicherten für die Monate April und Mai 2005 wegen fehlender
Arbeitsbemühungen für jeweils 8 Tage in der Anspruchsberechtigung ein.
Ebenfalls wegen fehlender Arbeitsbemühungen erliess das RAV für die
Kontrollperioden Juni bis Dezember 2005 sieben weitere Verfügungen, mit denen
der Versicherte für jeweils 15 Tage in der Anspruchsberechtigung eingestellt
wurde. Ausserdem überwies das RAV die Akten dem beco Berner Wirtschaft (beco)
zur Überprüfung der Vermittlungsfähigkeit. Mit Verfügung vom 15. Juli 2005
bejahte das beco zunächst die Vermittlungsfähigkeit. Mit Verfügung vom
31. Oktober 2005 hielt es aber fest, dass der Versicherte ab 5. September
2005 nicht mehr vermittlungsfähig sei. Mit Einspracheentscheid vom
28. Oktober 2005 bestätigte das beco die Einstellung in der
Anspruchsberechtigung für die Monate April, Juni und Juli 2005 (gegen die
Einstellung für die Kontrollperiode Mai wurde keine Einsprache eingereicht).
Mit Einspracheentscheiden vom 3. Januar, 3. Februar und 15. März 2006 wurden
die Einstelltage für die Monate August bis Dezember 2005 bestätigt.
Schliesslich bestätigte das beco die Vermittlungsunfähigkeit des Versicherten
ab 5. September 2005 mit Einspracheentscheid vom 9. Januar 2006.

B.
Der Versicherte erhob gegen sämtliche Einspracheentscheide Beschwerde. Mit
Verfügung vom 16. Februar 2006 und mit Entscheid vom 2. Juni 2006 vereinigte
das Verwaltungsgericht des Kantons Bern die Verfahren. Die Beschwerden gegen
die Einstellung in der Anspruchsberechtigung für die Monate April, Juni, Juli
und August 2005 wies das kantonale Gericht ab, ebenso die Beschwerde gegen
die Feststellung der Vermittlungsunfähigkeit ab 5. September 2005. Hingegen
hiess es die Beschwerden gegen die Einstellung in der Anspruchsberechtigung
in den Monaten September, Oktober, November und Dezember 2005 insoweit gut,
als der Versicherte ab 5. September 2005 die Anspruchsvoraussetzungen für den
Leistungsbezug nicht mehr erfüllte, weshalb die Einstellungen gegenstandlos
wurden (Entscheid vom 2. Juni 2006).

C.
P.________ führt Verwaltungsgerichtsbeschwerde mit dem Antrag, in Aufhebung
des vorinstanzlichen Entscheids sei die Vermittlungsfähigkeit zu bejahen und
auf die Einreichung von Arbeitsbemühungen zu verzichten, die Einstellung in
der Anspruchsberechtigung sei aufzuheben und die Arbeitslosenkasse des
Kantons Bern sei zu verpflichten, ihm bis zum Entscheid der
Invalidenversicherung auf der Basis einer Vermittlungsfähigkeit von 100 % ab
1. Mai 2005 und eines versicherten Verdienstes von Fr. 6646.- Taggelder
auszurichten.
Das beco schliesst auf Abweisung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde, während
das Staatssekretariat für Wirtschaft auf eine Vernehmlassung verzichtet.

Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

1.
Das Bundesgesetz über das Bundesgericht vom 17. Juni 2005 (BGG; SR 173.110)
ist am 1. Januar 2007 in Kraft getreten (AS 2006 1205, 1243). Da der
angefochtene Entscheid vorher ergangen ist, richtet sich das Verfahren noch
nach OG (Art. 132 Abs. 1 BGG; BGE 132 V 393 E. 1.2 S. 395).

2.
Das kantonale Gericht hat die gesetzlichen Bestimmungen über die
Vermittlungsfähigkeit im Allgemeinen (Art. 8 Abs. 1 lit. f und Art. 15 Abs. 1
AVIG) und bezüglich Behinderter (vgl. zu diesem Begriff ARV 1999 Nr. 19
S. 106 E. 2) im Besonderen (Art. 15 Abs. 2 AVIG in Verbindung mit Art. 15
Abs. 3 AVIV; vgl. Nussbaumer, Arbeitslosenversicherung, in: Schweizerisches
Bundesverwaltungsrecht [SBVR], Soziale Sicherheit, 2. Auflage, S. 2264 Rz 279
ff.) sowie die hierzu ergangene Rechtsprechung (BGE 125 V 51 E. 6a S. 58, 123
V 214 E. 3 S. 216, je mit Hinweis) zutreffend dargelegt. Darauf wird
verwiesen.
Ferner hat die Vorinstanz die Bestimmungen über die Pflichten der
versicherten Personen im Hinblick auf die Vermeidung oder Verkürzung von
Arbeitslosigkeit und den Nachweis entsprechender Anstrengungen (Art. 17
Abs. 1 AVIG), die Einstellung in der Anspruchsberechtigung wegen ungenügender
persönlicher Arbeitsbemühungen (Art. 30 Abs. 1 lit. c AVIG) sowie die
verschuldensabhängige Dauer der Einstellung (Art. 30 Abs. 3 AVIG; Art. 45
Abs. 2 AVIV) zutreffend dargelegt. Auch darauf wird verwiesen.

3.
Auf dem Formular "Angaben der Versicherten Person" deklarierte der
Beschwerdeführer für die Kontrollperiode April, er habe keine
Arbeitsbemühungen vorgenommen, da er zu 50 % arbeitsunfähig sei. In der Folge
wurde er mit Verfügung vom 28. Juni 2005 für 8 Tage in der
Anspruchsberechtigung eingestellt. Gemäss Unterlagen hat sich der
Beschwerdeführer im Juni 2005 um keine Stelle beworben; er wurde deshalb mit
Verfügung vom 1. September 2005 für 15 Tage in der Anspruchberechtigung
eingestellt. Im Formular für den Monat Juli 2005 gab der Versicherte an, im
Umfang von 0 % Arbeit zu suchen, wofür er mit Verfügung vom 1. September 2005
für weitere 15 Tage eingestellt wurde. Mit Verfügungen vom 7. und 28. Oktober
2005 wurde er jeweils für weitere 15 Tage eingestellt, da er sich auch im
August und September 2005 um keine Stelle beworben hatte. Aus dem selben
Grund erfolgten auch für die Monate Oktober, November und Dezember 2005
Einstellungen von je 15 Tagen. Parallel dazu verfügte das beco am 31. Oktober
2005, der Versicherte sei ab 5. September 2005 nicht mehr vermittlungsfähig.
Unbestritten und erstellt ist, dass der Versicherte von April bis Dezember
2005 keine Arbeitsbemühungen unternommen hat. Ferner steht der versicherte
Verdienst von Fr. 6646.- sowie der Vermittlungsfähigkeitsgrad von 100 % bis
5. September 2005 fest, da gemäss Art. 15 Abs. 2 AVIG ein Versicherter, der
sich bei der Invalidenversicherung oder einer anderen Versicherung angemeldet
hat, entweder grundsätzlich oder überhaupt nicht vermittlungsfähig ist.
Solange die Vermittlungsbereitschaft gegeben ist, im vorliegenden Fall
unbestrittenerweise bis 5. September 2005, spielt der Vermittlungsgrad sodann
keine Rolle.

3.1 Streitig und zu prüfen ist vorab die Vermittlungsfähigkeit des
Beschwerdeführers ab 5. September 2005.

3.1.1 Der Versicherte vertritt in den Formularen "Angaben der versicherten
Person" für die Monate November 2004 bis September 2005 wie auch in der
Verwaltungsgerichtsbeschwerde die Auffassung, dass er auf Grund der erzielten
Zwischenverdienste, seiner Arbeitsunfähigkeit von 50 % und seiner erfolgten
Anmeldung bei der Invalidenversicherung nicht gehalten sei, zusätzliche
Arbeitsbemühungen zu unternehmen, zumal die Arbeitslosenversicherung
gegenüber der Invalidenversicherung vorleistungspflichtig und er deshalb auch
über den 5. September 2005 hinaus vermittlungsfähig sei.

3.1.2 Entgegen der Ansicht des Beschwerdeführers bedeutet die
Vorleistungspflicht der Arbeitslosenversicherung gemäss der Vermutung von
Art. 15 Abs. 3 AVIV nicht die vorbehaltlose Zusprechung von
Arbeitslosentaggeld bis zum rechtskräftigen Entscheid der Invaliden- oder
Unfallversicherung. Damit wird verkannt, dass zur Vermittlungsfähigkeit nicht
nur die Arbeitsfähigkeit im objektiven Sinne gehört, sondern subjektiv auch
die Bereitschaft, die eigene Arbeitskraft entsprechend den persönlichen
Verhältnissen während der üblichen Arbeitszeit einzusetzen. Wesentliches
Merkmal der Vermittlungsbereitschaft ist dabei die Bereitschaft zur Annahme
einer Dauerstelle als Arbeitnehmer (Nussbaumer, a.a.O., S. 2261 Rz 270).
Dieses subjektive Element ist auch bei der Überprüfung der
Vermittlungsfähigkeit behinderter Personen zu beachten. Ebenso unterliegt der
Beschwerdeführer der arbeitslosenversicherungsrechtlichen Pflicht, sich im
beantragten Rahmen um Arbeit zu bemühen und diese nachzuweisen (Art. 17
Abs. 1 AVIG). Sein Einwand, er stehe seiner Arbeitsfähigkeit entsprechend
bereits in einem Anstellungsverhältnis, verfängt daher nicht. Denn dass er
weiterhin Kompensationszahlungen verlangt, zeigt auf, dass die derzeitige
Stelle nicht als definitive Lösung aufgefasst wird. Andernfalls würde im
Umfang der ausgeübten Tätigkeit keine Arbeitslosigkeit im Sinne von Art. 10
AVIG mehr vorliegen. Deshalb war der Versicherte gehalten, sich um eine
zumutbare Stelle zu bemühen. Angesichts der fortdauernden ungenügenden
Arbeitsbemühungen und der Auffassung des Beschwerdeführers, er habe sich auch
nicht um eine weitere oder andere Stelle zu bemühen, gelangten Verwaltung und
Vorinstanz mit Recht zum Schluss, es fehle an dessen Bereitschaft, sich dem
Arbeitsmarkt zur Verfügung zu stellen, weshalb er ab 5. September 2005 nicht
mehr als vermittlungsfähig zu gelten hat.

3.2 Streitig und zu prüfen sind weiter die Einstellungen in der
Anspruchsberechtigung für die Kontrollperioden April, Juni, Juli, August und
September 2005.

3.2.1 Der Beschwerdeführer kann für die Zeit vom 1. April bis 31. Dezember
2005 keine Stellenbemühungen nachweisen. Er begründet dies im Wesentlichen
damit, er habe in jener Zeitspanne bei der Stiftung C.________ im Umfang von
50 % gearbeitet und deshalb keine weitere Tätigkeit aufnehmen können. Daher
sei er auch nicht verpflichtet gewesen, sich um Stellen zu bemühen.

3.2.2 Dieser Auffassung kann nicht beigepflichtet werden. Als arbeitslos im
Sinne des AVIG gilt auch der Leistungsbezüger, der einen Zwischenverdienst
(Art. 24 AVIG) erzielt oder einer Ersatzarbeit (Art. 25 AVIG) nachgeht. In
beiden Fällen erhält er von der Kasse Arbeitslosenentschädigung. Ihn trifft
dementsprechend die in Art. 17 Abs. 1 AVIG enthaltene Pflicht, alles
Zumutbare zu unternehmen, um die Arbeitslosigkeit zu verkürzen. Insbesondere
hat er eine Stelle zu suchen, die einen Anspruch auf
Arbeitslosenentschädigung ausschliesst. Aus der Schadenminderungspflicht
fliesst die Pflicht, die Arbeitslosenkasse nach Möglichkeit gänzlich - nicht
nur teilweise - zu entlasten. Die Verwaltung berücksichtigte in ihren ersten
beiden Verfügungen, dass bei der Beurteilung des Verschuldens weniger strenge
Anforderungen an die erforderlichen Bemühungen um Arbeit zu stellen sind, da
die Möglichkeiten der Stellensuche durch die bereits ausgeübte Tätigkeit
erheblich eingeschränkt werden. Sie stellte den Beschwerdeführer daher im
Rahmen eines leichten Verschuldens für 8 Tage ein. Die darauf folgenden
Einstellungen in Höhe von jeweils 15 Einstelltagen tragen der besonderen
Konstellation zwar nach wie vor Rechnung; sie berücksichtigen aber auch, dass
die ungenügenden Arbeitsbemühungen fortdaurten. Verwaltung und Vorinstanz
stellten sodann den Versicherten für die Monate April, Juni, Juli, August und
Anfang September 2005 zu Recht im Rahmen zuerst eines leichten und dann eines
mittelschweren Verschuldens ein (BGE 123 V 150 E. 2 S. 152, ARV 2002 S. 122
E. 1b). Da der Beschwerdeführer ab 5. September 2005 nicht mehr
vermittlungsfähig ist, sind die Einstellungen ab diesem Zeitpunkt
gegenstandslos, weshalb die Vorinstanz die entsprechenden
Einspracheentscheide zu Recht aufhob.

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird abgewiesen.

2.
Es werden keine Gerichtskosten erhoben.

3.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Verwaltungsgericht des Kantons Bern,
Sozialversicherungsrechtliche Abteilung, dem beco Berner Wirtschaft,
Arbeitslosenkasse, und dem Staatssekretariat für Wirtschaft zugestellt.
Luzern, 23. Februar 2007

Im Namen der I. sozialrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident:    Die Gerichtsschreiberin: