Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

Sozialrechtliche Abteilungen C 167/2006
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Prozess {T 7}
C 167/06

Urteil vom 7. November 2006
III. Kammer

Präsident Ferrari, Bundesrichter Lustenberger und
Seiler; Gerichtsschreiber Flückiger

Kantonale Arbeitslosenkasse St. Gallen,
Davidstrasse 21, 9000 St. Gallen, Beschwerdeführerin,

gegen

S.________, 1963, Beschwerdegegner,
vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Markus Züst, Bahnhofstrasse 14, 9430 St.
Margrethen

Versicherungsgericht des Kantons St. Gallen, St. Gallen

(Entscheid vom 9. Juni 2006)

Sachverhalt:

A.
S. ________ meldete sich am 21. Februar 2005 zum Bezug von
Arbeitslosenunterstützung an. Die Kantonale Arbeitslosenkasse St. Gallen
ersuchte ihn mit Schreiben vom 18. März 2005 um Nachreichung einer Reihe von
Unterlagen. Nachdem ein Teil der Dokumente eingetroffen war, verlangte die
Arbeitslosenkasse am 18. April 2005, der Versicherte habe die noch fehlenden
Papiere (Arbeitgeberbescheinigungen, Kopie des AHV-Ausweises, schriftliche
Stellungnahme) bis 3. Mai 2005 einzureichen; andernfalls werde Verzicht "auf
weitere Ansprüche" angenommen. Nach unbenutztem Ablauf dieser Frist forderte
die Kasse den Versicherten auf, die fehlenden Unterlagen "bis 19. Mai 2005
(letzte Frist)" einzureichen, und wies darauf hin, dass gemäss den
gesetzlichen Bestimmungen "der Anspruch erlischt, wenn er nicht innert dreier
Monate nach dem Ende der Kontrolle, auf die er sich bezieht, geltend gemacht
wird". Anschliessend verneinte sie mit Verfügung vom 2. Juni 2005 einen
Anspruch auf Arbeitslosenentschädigung ab 21. Februar 2005.

Der Versicherte erhob Einsprache. Die Arbeitslosenkasse verlangte daraufhin
erneut die Einreichung der Arbeitgeberbescheinigung (Schreiben vom 21. Juni
2005) und, nachdem diese eingetroffen war, die Nachreichung bestimmter
Beilagen (Kopie des Kündigungsschreibens sowie der Lohnabrechnungen der
letzten 12 Monate) bis 29. Juli 2005 (Schreiben vom 20. Juli 2005). Nach
Ablauf dieser Frist bestätigte die Arbeitslosenkasse mit Einspracheentscheid
vom 26. August 2005 die Verneinung eines Anspruchs auf
Arbeitslosenentschädigung ab 21. Februar 2005.

B.
In teilweiser Gutheissung der dagegen erhobenen Beschwerde hob das
Versicherungsgericht des Kantons St. Gallen den Einspracheentscheid auf und
wies die Sache zur Prüfung der weiteren Anspruchsvoraussetzungen für die
Kontrollperiode April 2005 im Sinne der Erwägungen an die Arbeitslosenkasse
zurück (Entscheid vom 9. Juni 2006).

C.
Die Arbeitslosenkasse führt Verwaltungsgerichtsbeschwerde mit dem
Rechtsbegehren, es sei der kantonale Entscheid aufzuheben.

S. ________ lässt auf Abweisung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde schliessen.
Das Staatssekretariat für Wirtschaft (seco) verzichtet auf eine
Vernehmlassung.

Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:

1.
Wie das kantonale Gericht zutreffend dargelegt hat, erlischt der Anspruch auf
Arbeitslosenentschädigung, wenn er nicht innert dreier Monate nach dem Ende
der Kontrollperiode, auf die er sich bezieht, geltend gemacht wird (Art. 20
Abs. 3 Satz 1 AVIG). Als Kontrollperiode gilt der jeweilige Kalendermonat
(Art. 27a AVIV in Verbindung mit Art. 18a AVIG). Die in Art. 20 Abs. 3 Satz 1
AVIG statuierte Frist hat Verwirkungscharakter. Sie ist weder der Erstreckung
noch der Unterbrechung zugänglich, kann aber unter gewissen - hier nicht zur
Diskussion stehenden - Voraussetzungen wiederhergestellt werden (BGE 117 V
245 Erw. 3a; ARV 2005 S. 138 Erw. 3.1 mit Hinweisen [= Urteil G. vom 31.
August 2004, C 7/03]). Nach der Rechtsprechung tritt die Verwirkungsfolge in
derartigen Konstellationen auch dann ein, wenn der Anspruch zwar innert der
Anmeldefrist geltend gemacht wird, die versicherte Person aber innerhalb
dieses Zeitraums oder einer ihr allenfalls - hier gestützt auf Art. 29 Abs. 3
AVIV - gesetzten Nachfrist nicht alle für die Anspruchsbeurteilung
erforderlichen Unterlagen beibringt. Dies gilt jedoch nur, wenn die
Arbeitslosenkasse die Antrag stellende Person ausdrücklich und
unmissverständlich auf die Verwirkungsfolge bei verspäteter Einreichung der
für die Beurteilung des Leistungsanspruchs wesentlichen Unterlagen
hingewiesen hat (ARV 2002 S. 188 Erw. 3c [= Urteil B. vom 27. März 2002, C
312/01]).

2.
Streitig und zu prüfen ist der Anspruch auf Arbeitslosenentschädigung für
April 2005 und in diesem Rahmen die Frage der Verwirkung. Diese ist nach dem
Gesagten eingetreten, falls der Anspruch nicht bis 31. Juli 2005 rechtsgültig
(unter Beibringung der von der Verwaltung verlangten, für die Beurteilung
benötigten Unterlagen) geltend gemacht wurde und die Verwirkungsfolge für
diesen Fall ausdrücklich und unmissverständlich angedroht worden war.
Letzteres trifft, wie die Vorinstanz mit Recht festgehalten hat, nicht zu.
Denn das Schreiben vom 20. Juli 2005, mit welchem der Vertreter des
Versicherten im Rahmen des bereits laufenden Einspracheverfahrens gebeten
wurde, zusätzlich zur Arbeitgeberbescheinigung noch Kopien des
Kündigungsschreibens und der Lohnabrechnungen der letzten 12 Monate
einzureichen, war weder als Mahnung oder Nachfristansetzung bezeichnet noch
enthielt es in irgendeiner Weise die Androhung von Rechtsfolgen für den
Unterlassungsfall. Eine solche war, entgegen der Auffassung der
Arbeitslosenkasse, auch nicht deshalb entbehrlich, weil bereits drei
entsprechende Schreiben (welche sich nur auf frühere Kontrollperioden
beziehen konnten) ergangen waren. Denn lediglich der letzte dieser drei
Briefe enthielt mit dem Hinweis auf den Wortlaut von Art. 20 Abs. 3 Satz 1
AVIG (wobei dessen Verständnis durch einen Fehler ["Kontrolle" statt
"Kontrollperiode"] erschwert wird) eine Formulierung, welche als Androhung
der gesetzlichen Verwirkungsfolge verstanden werden kann. Diese bezog sich
jedoch noch auf die Einreichung der Arbeitgeberbescheinigung und war auf
Grund des zeitlichen Ablaufs nicht geeignet, eine konkrete Androhung im
vorliegenden Zusammenhang zu ersetzen (vgl. ARV 2005 S. 141 Erw. 5.3.6 mit
Hinweisen [Urteil G. vom 31. August 2004, C 7/03]). Da somit kein den
rechtsprechungsgemässen Anforderungen (Erw. 1 am Ende) genügender Hinweis
erfolgt war, hat das kantonale Gericht eine Verwirkung des Anspruchs für die
Kontrollperiode April 2005 zu Recht verneint. Unter diesen Umständen kann
offen bleiben, ob das Schreiben vom 20. Juli 2005 eine (Nach-)Frist oder
einen Termin setzte sowie ob (was als fraglich erscheint) die vorinstanzliche
Auffassung zutrifft, für die gestützt auf Art. 29 Abs. 3 AVIV angesetzte
Nachfrist gelte - anders als für die ihr zu Grunde liegende,
materiellrechtlichen Charakter aufweisende Frist zur Geltendmachung des
Anspruchs (vgl. Urteil O. vom 14. August 2006, C 108/06, Erw. 4.2 und 4.3) -
der Fristenstillstand nach Art. 38 Abs. 4 ATSG.

3.
Das Verfahren ist kostenlos (Art. 134 Satz 1 OG). Der Beschwerdegegner als
obsiegende Partei hat Anspruch auf eine dem Aufwand angemessene
Parteientschädigung (Art. 159 Abs. 2 in Verbindung mit Art. 135 OG).

Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht:

1.
Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird abgewiesen.

2.
Es werden keine Gerichtskosten erhoben.

3.
Die Kantonale Arbeitslosenkasse St. Gallen hat dem Beschwerdegegner für das
Verfahren vor dem Eidgenössischen Versicherungsgericht eine
Parteientschädigung von Fr. 500.- (einschliesslich Mehrwertsteuer) zu
bezahlen.

4.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Versicherungsgericht des Kantons St.
Gallen, dem Amt für Arbeit, St. Gallen, und dem Staatssekretariat für
Wirtschaft zugestellt.

Luzern, 7. November 2006

Im Namen des Eidgenössischen Versicherungsgerichts

Der Präsident der III. Kammer: Der Gerichtsschreiber: