Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

Sozialrechtliche Abteilungen B 87/2006
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B 87/06

Urteil vom 10. Januar 2008
II. sozialrechtliche Abteilung

Bundesrichter U. Meyer, Präsident,
Bundesrichter Lustenberger, Seiler,
Gerichtsschreiber Schmutz.

Pensionskasse für das Personal der Firma
X.________,
Beschwerdeführerin,

gegen

F.________,
Beschwerdegegnerin, vertreten durch das Patronato INCA, Rechtsdienst, 4005
Basel.

Berufliche Vorsorge,

Verwaltungsgerichtsbeschwerde gegen den Entscheid des
Sozialversicherungsgerichts Basel-Stadt vom 27. April 2006.

Sachverhalt:

A.
Mit Urteil vom 18. Mai 2005 hiess das Eidgenössische Versicherungsgericht die
von der Pensionskasse für das Personal der Firma X.________ (Pensionskasse)
gegen den Entscheid des Sozialversicherungsgerichts Basel-Stadt vom
26. Oktober 2004 erhobene Verwaltungsgerichtsbeschwerde gut. Es wies die
Vorinstanz an, die Anspruchsvoraussetzungen zu prüfen und über die Klage der
1952 geborenen F.________ auf Ausrichtung einer Invalidenrente nach BVG neu
zu entscheiden.

B.
Mit Entscheid vom 27. April 2006 verpflichtete das Sozialversicherungsgericht
die Pensionskasse zur Ausrichtung einer Invalidenrente an F.________ in der
Höhe von Fr. 1052.70 monatlich ab dem 1. Januar 2000 samt Zins zu 5 % seit
dem 11. April 2003 auf den ausstehenden Rentenbeträgen. Ferner wurde die
Pensionskasse verpflichtet, der Klägerin eine Parteientschädigung von Fr.
2'200.-, zuzüglich Mehrwertsteuer von Fr. 167.20, zu bezahlen.

C.
Die Pensionskasse erhebt Verwaltungsgerichtsbeschwerde und beantragt, die
Klage sei unter Aufhebung des kantonalen Entscheides abzuweisen; eventualiter
sei F.________ eine durch das Gericht in Höhe und Anspruchsbeginn
festzusetzende Rente zuzusprechen; § 17 des basel-städtischen Gesetzes über
das Sozialversicherungsgericht (SVGG) sei akzessorisch auf seine
Übereinstimmung mit dem Bundesrecht zu prüfen; die vorinstanzlich
zugesprochene Parteientschädigung sei aufzuheben.

F. ________ beantragt Abweisung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde. Vorinstanz
und Bundesamt für Sozialversicherungen verzichten auf Vernehmlassung.
Erwägungen:

1.
Das Bundesgesetz über das Bundesgericht vom 17. Juni 2005 (BGG; SR 173.110)
ist am 1. Januar 2007 in Kraft getreten (AS 2006 1205, 1243). Da der
angefochtene Entscheid vorher ergangen ist, richtet sich das Verfahren noch
nach OG (Art. 132 Abs. 1 BGG; BGE 132 V 393 E. 1.2 S. 395).

2.
Im Beschwerdeverfahren um die Bewilligung oder Verweigerung von
Versicherungsleistungen ist die Überprüfungsbefugnis des Bundesgerichts nicht
auf die Verletzung von Bundesrecht einschliesslich Überschreitung oder
Missbrauch des Ermessens beschränkt, sondern sie erstreckt sich auch auf die
Angemessenheit der angefochtenen Verfügung; das Gericht ist dabei nicht an
die vorinstanzliche Feststellung des rechtserheblichen Sachverhalts gebunden
und kann über die Begehren der Parteien zu deren Gunsten oder Ungunsten
hinausgehen (Art. 132 OG).

3.
Soweit die Beschwerdeführerin Anträge stellt, die ausserhalb des Anfechtungs-
und Streitgegenstandes liegen - die im angefochtenen Entscheid bejahte,
beschwerdeweise bestrittene Berechtigung auf eine Invalidenrente aus dem zur
Beschwerdegegnerin bestehenden Berufsvorsorgeverhältnis sowie die
Parteientschädigung -, ist die Verwaltungsgerichtsbeschwerde unzulässig.

4.
Das kantonale Gericht hat die für die Beurteilung von Bestand, Höhe und
Beginn des Anspruchs auf Invalidenleistungen der beruflichen Vorsorge
erforderlichen Rechtsgrundlagen zutreffend dargelegt. Es wird auf die
vorinstanzlichen Erwägungen verwiesen.

5.
Zunächst bringt die Beschwerdeführerin vor, das Sozialversicherungsgericht
sei vom Eidgenössischen Versicherungsgericht angehalten worden, die
Anspruchsvoraussetzungen auf eine Invalidenrente nach BVG uneingeschränkt und
umfassend zu prüfen. Nun sei sie vorinstanzlich zur Zahlung einer
reglementarischen Invalidenrente verurteilt worden, was willkürlich sei und
im Widerspruch zu dem erwähnten Urteil stehe. Dieses Argument verfängt nicht.
Eingeklagt im vorinstanzlichen Verfahren und damit Streitgegenstand war die
"Ausrichtung der ganzen vertraglichen Invalidenrente gemäss letztem gültigen
Versicherungsausweis". Dies umfasste auch überobligatorische Leistungen. Mit
der Formulierung "Invalidenrente nach BVG" grenzte das Eidgenössische
Versicherungsgericht den Leistungsbereich der beruflichen Vorsorge von
demjenigen der Invalidenversicherung ("nach IVG") ab, nicht aber den
obligatorischen Bereich des BVG vom überobligatorischen.

6.
Die Beschwerdeführerin anerkennt den Entscheid der Invalidenversicherung in
Bezug auf den Zeitpunkt des Eintritts der invalidisierenden
Arbeitsunfähigkeit und die Höhe des Invaliditätsgrades, und sie bestätigt,
dass die Beschwerdegegnerin bei Eintritt der Arbeitsfähigkeit, deren Ursache
zur Invalidität geführt hat, bei ihr versichert war. Sie vertritt jedoch den
Standpunkt, sie könne gestützt auf Art. 35 BVG (umgesetzt in Art. 8 Abs. 4
des Kassenreglementes 1996) ihre Leistungen wegen schweren Selbstverschuldens
der Versicherten kürzen, obwohl die Invalidenversicherung es nicht getan
habe, denn sie sei an deren Entscheid nicht gebunden. Nun setzen aber Gesetz
und Reglement ausdrücklich voraus, dass die AHV/IV ihre Leistungen gekürzt
haben muss, was vorliegend nicht der Fall ist. Davon abgesehen hat die
Vorinstanz zutreffend dargelegt, es könne nicht ernsthaft in Betracht gezogen
werden, dass die Versicherte ihre Gesundheit vorsätzlich, das heisst
wissentlich und willentlich schädigte, indem sie viel arbeitete, um die
Leistungspflicht der Sozialversicherungen auszulösen. Es kann aus den im
vorinstanzlichen Entscheid dargelegten Gründen offen bleiben, ob die
Beschwerdegegnerin mit Blick auf die Gesundheit grobfahrlässig handelte, wenn
sie während Jahren abendlichen Zweitbetätigungen nachging. Solches ist weit
verbreitet, handle es sich nun um Arbeit in Haushalt und Familie oder ausser
Haus, aus wirtschaftlichen oder anderen Gründen. Auch finden sich in den
medizinischen Akten keine direkten Anhaltspunkte dafür, dass die Versicherte
mit ihren Nebenbeschäftigungen ihre Gesundheit geschädigt hat. Was die
Beschwerdeführerin in diesem Zusammenhang vorbringt (Verstösse gegen das
Arbeitsgesetz oder die arbeitsrechtliche Treuepflicht, unterlassene Angabe
der Zweitbeschäftigung gegenüber der Invalidenversicherung) und an
Rechtsfolgen ableitet, ist nicht Prozessthema (E. 3).

7.
Da die volle Lohnfortzahlung im Krankheitsfall bei der Firma X.________ mit
der Erschöpfung der Taggeldleistungen der Visana Versicherungen AG ab dem
1. Januar 2000 (Schreiben Visana an die Beschwerdegegnerin vom 31. Juli 2001)
nicht mehr bestand, hat die Vorinstanz den Beginn des Rentenanspruches zu
Recht auf dieses Datum festgelegt (Art. 29 Abs. 1 IVG). Zwar hat die
Arbeitgeberin X.________ noch bis Ende Dezember 2000 Lohnzahlungen
ausgerichtet (Bestätigung der Firma vom 26. Juli 2006), aus den Akten geht
aber klar hervor, dass mit dem Eintritt der teilweisen Arbeitsunfähigkeit der
Beschwerdegegnerin die Lohnzahlungen der Arbeitgeberin ab 1998 bereits rund
um die Hälfte zurückgingen (Auszug aus den individuellen Konten [IK] der
Beschwerdegegnerin: Lohnzahlungen X.________ 1995-1997 über Fr. 44'000.-,
1998 rund Fr. 30'000.-, 1999 rund Fr. 23'000.-). Daneben wurde
Ersatzeinkommen in Form von Taggeldzahlungen der Visana ausgerichtet, welches
nach Art. 5 Abs. 4 AHVG in Verbindung mit Art. 6 Abs. 2 lit. b AHVV nicht zum
AHV-Erwerbseinkommen bzw. zum für die Beitragspflicht massgebenden Lohn
gehört, und darum auch nicht im IK-Auszug aufgeführt ist. Der
Beschäftigungsgrad betrug aber nach wie vor 100%; entsprechend ist er im
Versicherungsausweis 2001 der Pensionskasse verzeichnet.

8.
Die vorinstanzlich zugesprochene Rente entspricht in der Höhe der der
Beschwerdegegnerin am 22. März 2001 vom Stiftungsrat der Beschwerdeführerin
im Versicherungsausweis 2001 angegebenen Leistung (Invalidenrente von Fr.
1052.70 monatlich oder Fr. 12'632.- pro Jahr). Die Neuberechnung vom 11.
Februar 2003 (nunmehr Invalidenrente von Fr. 1029.00 monatlich oder Fr.
12'345.15 pro Jahr) beruht auf der Annahme eines Rentenbeginns 1. Januar 2001
und nicht bereits 1. Januar 2000.

9.
Was die Frage der Leistungskürzung infolge Überentschädigung betrifft, ist es
der Beschwerdeführerin unbenommen, nach den einschlägigen bundesrechtlichen
Regelungen (so Art. 66 Abs. 2 ATSG, Art. 34a BVG, Art. 34 BVV2) und
reglementarischen Vorschriften (soweit bundesrechtskonform) vorzugehen. Die
Überentschädigung war und ist nicht Prozessthema (E. 3) und nimmt daher an
der Rechtskraft dieses Urteils nicht teil.

10.
Die Beschwerdeführerin ficht den kantonalen Gerichtsentscheid auch insoweit
an, als sie darin zur Leistung einer Parteientschädigung an die
Beschwerdegegnerin verhalten worden ist. Es ist vorab festzustellen, dass die
Beschwerdeführerin hier aus der Sicht einer am vorinstanzlichen Verfahren als
Klägerin beteiligten Partei argumentiert und verkennt, dass sie Beklagte war,
weshalb nicht massgebend sein kann, ob sie mutwillig oder leichtsinnig
Prozess geführt hat.

Im Weitern ist die im kantonalen Recht begründete vorinstanzlich
zugesprochene Parteientschädigung auf Verwaltungsgerichtsbeschwerde hin zwar
überprüfbar (BGE 126 V 143), praktisch jedoch nur auf Willkür (in BGE 132 V
127 nicht publizierte E. 9 von B 41/04). Von einer solchen kann hier nach der
Lage der Akten nicht die Rede sein, sowenig wie von einer
Bundesrechtswidrigkeit des § 17 Abs. 1 SVGG, welcher inhaltlich weitgehend
mit Art. 61 lit. g ATSG übereinstimmt.

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird im Sinne der Erwägungen abgewiesen,
soweit darauf einzutreten ist.

2.
Es werden keine Gerichtskosten erhoben.

3.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Sozialversicherungsgericht Basel-Stadt
und dem Bundesamt für Sozialversicherungen zugestellt.

Luzern, 10. Januar 2008
Im Namen der II. sozialrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident: Der Gerichtsschreiber:

Meyer Schmutz