Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

Sozialrechtliche Abteilungen B 78/2006
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Prozess {T 7}
B 78/06

Urteil vom 21. Dezember 2006
IV. Kammer

Präsident Ursprung, Bundesrichterin Widmer und Bundesrichter Frésard;
Gerichtsschreiber Wey

B.________, 1952, Beschwerdeführer, vertreten durch Rechtsanwalt Roger
Lippuner, St. Gallerstrasse 5, 9471 Buchs,

gegen

Winterthur Leben, Paulstrasse 9, 8401 Winterthur, Beschwerdegegnerin

Versicherungsgericht des Kantons St. Gallen, St. Gallen

(Entscheid vom 6. Juni 2006)

Sachverhalt:

A.
Der 1952 geborene B.________ schloss mit der Winterthur Leben einen Vertrag
mit Wirkung ab 1. November 1992 betreffend die gebundene Vorsorge (Police
Nr.: G 5.351.922). Dabei wurde für den Todes- bzw. den Erlebensfall ein
Kapital von Fr. 90'744.- sowie eine jährliche Erwerbsausfallrente von
Fr. 27'000.- (je mit Leistungsbonus) versichert. Im Gegenzug war der
Versicherte zur Zahlung einer jährlichen Prämie von Fr. 5184.- bzw. 1299.- ab
1. November 2012 verpflichtet. Er informierte die Winterthur Leben mit
Schreiben vom 11. Februar 2004 über den am 7. März 2003 erlittenen
Herzinfarkt sowie die seither bestehende Arbeitsunfähigkeit und meldete sich
zum Leistungsbezug an. Die Versicherung prüfte den Anspruch auf
Versicherungsleistungen und traf hierzu namentlich Abklärungen beim
behandelnden Allgemeinpraktiker Dr. O.________. Mit Schreiben vom 8. Juni
2004 trat die Winterthur Leben aufgrund einer Anzeigepflichtverletzung des
Versicherten gemäss Art. 6 VVG vom Vertrag zurück und zeigte die Ausbezahlung
des Rückkaufswerts von Fr. 54'904.- an. Daran hielt sie mit Schreiben vom
6. Juli 2005 definitiv fest.
Am 29. November 2005 reichte B.________ beim Versicherungsgericht des Kantons
St. Gallen Klage ein mit dem Antrag, es sei festzustellen, die
Rücktrittserklärung der Winterthur Leben sei unzulässigerweise, eventuell zu
spät erfolgt. Weiter sei festzustellen, dass der Versicherungsvertrag nicht
aufgelöst sei und rechtsgültig fortbestehe.
Das kantonale Gericht gelangte zum Schluss, dass eine
Anzeigepflichtverletzung seitens des Versicherten vorliege, der Rücktritt der
Winterthur Leben vom Vertrag somit rechtens und rechtzeitig erfolgt sei. Mit
Entscheid vom 6. Juni 2006 wies sie die Klage ab.

B.
Mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde erneuert B.________ die bei der Vorinstanz
klageweise gestellten Rechtsbegehren. Subeventualiter sei die Sache zur
Neubeurteilung an die Vorinstanz zurückzuweisen.
Während die Winterthur Leben auf Abweisung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde
schliesst, verzichtet das Bundesamt für Sozialversicherungen auf eine
Vernehmlassung.
Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:

1.
Streitig und zu prüfen ist, ob die Winterthur Leben zum Vertragsrücktritt
berechtigt war und bejahendenfalls, ob dieser fristgerecht erfolgte.

2.
Die Vorinstanz hat die Bestimmungen und Grundsätze über den Umfang der
Anzeigepflicht (Art. 4 VVG; BGE 116 V 226 Erw. 5a sowie SZS 1998 S. 309
Erw. 2 und S. 374 Erw. 3, je mit Hinweisen) sowie das Rücktrittsrecht des
Versicherers (Art. 6 VVG [in der bis Ende Dezember 2005 gültig gewesenen und
hier anwendbaren Fassung]; BGE 130 V 11 Erw. 2.1, 119 V 287 Erw. 5a, 116 V
229 Erw. 6, je mit Hinweisen) zutreffend dargelegt. Darauf wird verwiesen. Zu
präzisieren ist, dass es sich im vorliegenden Fall um eine gebundene
Vorsorgeversicherung im Sinne von Art. 1 Abs. 2 BVV3 handelt und damit Art. 4
ff. VVG direkt zur Anwendung gelangen.

3.
Der Versicherte bestreitet unter der Rubrik "Fragen zum Gesundheitszustand"
insbesondere, die Fragen 5 und 10.2 des Versicherungsantrags vom 29. Oktober
1992 falsch beantwortet zu haben. Mit Frage 5 erkundigte sich die Winterthur
Leben, ob der Versicherte Medikamente benötige, oder ob er unter ärztlicher
Behandlung oder ärztlicher Untersuchung stehe. In Frage 10.2 wollte sie zudem
Nachstehendes wissen: "Haben oder hatten Sie jemals eine der folgenden
Gesundheitsstörungen: Erkrankung des Herzens oder der Blutgefässe wie
Herzfehler, Herzinfarkt, erhöhter oder zu niedriger Blutdruck, Erkrankungen
der Venen oder Arterien oder andere?" Der Versicherte verneinte beide Fragen.
Nachdem der Versicherte mit Schreiben vom 11. Februar 2004 aufgrund des
erlittenen Herzinfarkts bei der Winterthur Leben Leistungen beantragte,
unterbreitete diese seinem Allgemeinpraktiker Dr. O.________ einen
Fragebogen, den er mit Schreiben vom 24. März 2004 beantwortete: Danach
bestand beim Versicherten "seit 1992" eine Hypertonie, die medikamentös gut
eingestellt sei. Weiter hielt der Arzt fest, es hätten vorher keine
Konsultationen wegen Hypertonie stattgefunden. Da Dr. O.________ die Fragen 4
und 5 unbeantwortet liess, gelangte die Versicherung mit der Bitte um
Vervollständigung ein weiteres Mal an ihn. Mit Frage 4 ("Wie oft konsultierte
Sie die versicherte Person für diese Krankheit vor dem 5. November 1992?
Bitte Daten angeben.") sollte nämlich geklärt werden, ob ärztliche
Konsulationen wegen Hypertonie allenfalls erst nach dem Zeitpunkt der
Antragstellung erfolgt sind. Gemäss den Antworten des behandelnden Arztes vom
14. Mai 2004 fand die letzte Konsultation am 13. August 1992 und somit vor
der Antragsstellung statt. Aufgrund dieser Informationen trat die Winterthur
Leben mit Schreiben vom 8. Juni 2004 vom Versicherungsvertrag zurück. Wie
bereits die Vorinstanz festhielt, ist dieser Vertragsrücktritt nicht zu
beanstanden. Denn aufgrund der ärztlichen Angaben ist erstellt, dass der
Versicherte erhebliche Gefahrstatsachen (namentlich die Hypertonie), die er
kannte oder kennen musste, unrichtig mitgeteilt oder verschwiegen hatte.
Entgegen der Auffassung des Versicherten ändert etwa die Tatsache, dass
Frage 7 ("Wurden bei Ihnen besondere Untersuchungen durchgeführt, z.B.
Röntgen, Blutdruck, EKG, AIDS-Test?") richtig, d.h. mit "ja" beantwortet und
dabei "Blutdruck" unterstrichen wurde, an der Fehlerhaftigkeit der Antwort
auf Frage 10.2 nichts. Dadurch konnte beim Versicherer nämlich der Eindruck
entstehen, dass der Blutdruck zwar untersucht wurde, dabei aber weder ein zu
hoher noch ein zu niedriger Wert festgestellt wurde. Ob Frage 1 (Gewicht)
richtig oder ebenfalls falsch beantwortet wurde, kann offen bleiben, sodass
sich keine weiteren Beweismassnahmen aufdrängen. Schliesslich ist darauf
hinzuweisen, dass gemäss Art. 6 VVG weder ein Verschulden noch ein
Kausalzusammenhang zwischen der Anzeigepflichtverletzung und dem Eintritt des
befürchteten Ereignisses erforderlich ist (vgl. BGE 109 II 63 Erw. 3c).

4.
Gemäss Art. 6 VVG kann die Vorsorgeeinrichtung innert vier Wochen seit
Kenntnis der Anzeigepflichtverletzung vom Vorsorgevertrag zurücktreten, wobei
es sich um eine Verwirkungsfrist handelt. Sie beginnt erst, wenn der
Versicherer vollständig über die Anzeigepflichtverletzung orientiert ist,
d.h. darüber sichere, zweifelsfreie Kenntnis erlangt hat. Blosse Vermutungen,
die zu grösserer oder geringerer Wahrscheinlichkeit drängen, dass die
Anzeigepflicht verletzt ist, genügen nicht (BGE 119 V 286 ff. Erw. 5, 118 II
340 Erw. 3a). Wie erwähnt, vervollständigte (Beantwortung der Fragen 4 und 5)
Dr. O.________ den ihm durch die Versicherung unterbreiteten Fragebogen mit
Schreiben vom 14. Mai 2004. Der Vertragsrücktritt der Versicherung erfolgte
mit Erklärung vom 8. Juni 2004 und blieb innerhalb der vierwöchigen Frist.
Denn entgegen den Vorbringen in der Verwaltungsgerichtsbeschwerde war die
Winterthur Leben nicht bereits durch die Angaben Dr. O.________s vom 24. März
2004 vollständig über die Anzeigepflichtverletzung orientiert. So war eben
für eine sichere und zweifelsfreie Kenntnis gerade entscheidend, wann im Jahr
1992 der Versicherte den Arzt zur Behandlung der Hypertonie aufsuchte. Dem
Versicherten ist zwar insoweit beizupflichten, als bereits aufgrund der
Angaben vom 24. März 2004 mit erheblicher Wahrscheinlichkeit auf eine
Anzeigepflichtverletzung geschlossen werden konnte. Rechtsprechungsgemäss
genügt dies jedoch nicht. Damit ist auch die Annahme der Vorinstanz
zutreffend, die Winterthur Leben habe den Rücktritt vom Versicherungsvertrag
fristgerecht ausgesprochen.

Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht:

1.
Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird abgewiesen.

2.
Es werden keine Gerichtskosten erhoben.

3.
Der geleistete Kostenvorschuss von Fr. 500.- wird dem Beschwerdeführer
zurückerstattet.

4.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Versicherungsgericht des Kantons St.
Gallen und dem Bundesamt für Sozialversicherungen zugestellt.

Luzern, 21. Dezember 2006

Im Namen des Eidgenössischen Versicherungsgerichts

Der Präsident der IV. Kammer: Der Gerichtsschreiber: