Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

Sozialrechtliche Abteilungen B 5/2006
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Prozess {T 7}
B 5/06

Urteil vom 13. November 2006
III. Kammer

Präsident Ferrari, Bundesrichter Meyer und Seiler; Gerichtsschreiberin Riedi
Hunold

K.________, 1944, Beschwerdeführer, vertreten durch Rechtsanwalt Rudolf
Keiser, Seidenhofstrasse 12, 6003 Luzern,

gegen

1. Pensionskasse X.________,
vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Adrian von Kaenel,
Bahnhofstrasse 67, 8622 Wetzikon,
2. Y.________, vertreten durch Rechtsanwalt
Kurt Zollinger, Bahnhofstrasse 61, 8023 Zürich,
Beschwerdegegnerinnen,

Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich, Winterthur

(Entscheid vom 25. November 2005)

Sachverhalt:

A.
K. ________ (geboren 1944) war seit 1971 für die Y.________ tätig und bei der
Pensionskasse X.________ (nachfolgend: Pensionskasse) im Rahmen der
beruflichen Vorsorge versichert. Mit Schreiben vom 1. Oktober 1998 stellte
die Y.________ ihn vor die Entscheidung, entweder innerhalb der
Unternehmensgruppe eine andere Position anzunehmen, sich auf den 1. Januar
2000 mit Alter 55 vorzeitig pensionieren zu lassen oder seinerseits per
31. Oktober 1999 zu kündigen und über die volle Freizügigkeitsleistung
verfügen zu können. In der Folge trat K.________ auf den 1. Januar 2000 in
den vorzeitigen Ruhestand mit Alter 56 und bezog eine infolge vorzeitigen
Rücktritts gekürzte Altersrente. Mit verschiedenen Schreiben gelangte
K.________ an die Pensionskasse und ersuchte um Ausrichtung einer Altersrente
infolge Kündigung aus betrieblichen Gründen, was die Pensionskasse mangels
entsprechender Mitteilung durch die Arbeitgeberin ablehnte.

B.
Mit Klage vom 19. November 2004 beantragte K.________, die Pensionskasse sei
unter Anrechnung der seit 1. Januar 2000 erbrachten Leistungen zu
verpflichten, ihm eine Altersrente nach den Bestimmungen über eine vorzeitige
Pensionierung aus betrieblichen Gründen nebst Zins zu 5 % ab 1. Januar 2000
zu bezahlen. Das Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich wies die Klage
mit Entscheid vom 25. November 2005 ab.

C.
K.________ lässt Verwaltungsgerichtsbeschwerde führen mit dem Begehren,
Pensionskasse und Y.________ seien anzuweisen, das gesamte Dossier,
einschliesslich der Rechtsakten, zu edieren und unter Aufhebung des
kantonalen Entscheids sei die Pensionskasse zu verpflichten, ihm ab 1. Januar
2000 eine Rente von Fr. 133'008.- zuzüglich Teuerungszulagen, abzüglich des
bereits Geleisteten zu bezahlen. Eventualiter sei die Y.________ zu
verpflichten, der Pensionskasse vorzuschlagen, die Auflösung des
Arbeitsverhältnisses aus betrieblichen Gründen vorzunehmen; subeventualiter
sei die Sache unter Aufhebung des vorinstanzlichen Entscheids an die
Vorinstanz oder die Pensionskasse zur Neuberechnung der Rente zurückzuweisen.

Pensionskasse und Y.________ lassen auf Abweisung der
Verwaltungsgerichtsbeschwerde schliessen.

Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:

1.
Die vorliegende Streitigkeit unterliegt der Gerichtsbarkeit der in
Art. 73 BVG erwähnten richterlichen Behörden, welche sowohl in zeitlicher als
auch in sachlicher Hinsicht zuständig sind (BGE 130 V 104 Erw. 1.1, 112
Erw. 3.1.2, 128 II 389 Erw. 2.1.1, 128 V 258 Erw. 2a, 120 V 18 Erw. 1a, je
mit Hinweisen).

2.
Die Pensionskasse vertritt in ihrer Stellungnahme vor dem Eidgenössischen
Versicherungsgericht die Ansicht, das Rechtsbegehren des Beschwerdeführers
stelle eine unzulässige Ausdehnung des Streitgegenstandes dar. Wie es sich
damit verhält, kann offen bleiben, da die Verwaltungsgerichtsbeschwerde - wie
sich nachfolgend zeigen wird - aus anderen Gründen abzuweisen ist.

3.
Der Beschwerdeführer beantragt, die Arbeitgeberin sei zu verpflichten,
sämtliche mit ihm in Zusammenhang stehenden Akten, einschliesslich der
Rechtsakte, zu edieren.

3.1 Das sozialversicherungsrechtliche Verwaltungs- und
Verwaltungsgerichtsverfahren ist vom Untersuchungsgrundsatz beherrscht. Um
den Sachverhalt feststellen und die Beweise frei würdigen zu können, müssen
dem Sozialversicherungsgericht sämtliche Akten vorliegen, damit es
entscheiden kann, welche Unterlagen für die Beurteilung des streitigen Falles
wesentlich und welche nicht wesentlich sind. Es liegt demnach nicht im
Belieben des Versicherers oder des mitbeteiligten Arbeitgebers, im
Beschwerdeverfahren dem Gericht nur diejenigen Akten einzureichen, welche er
als notwendig und für die Beurteilung des Falles entscheidend betrachtet.
Andernfalls würden die dargelegten Beweisgrundsätze ihres Gehalts entleert
(vgl. Urteil W. vom 10. Oktober 2001, U 422/00).

3.2 Führen die von Amtes wegen vorzunehmenden Abklärungen die Verwaltung oder
das Gericht bei pflichtgemässer Beweiswürdigung zur Überzeugung, ein
bestimmter Sachverhalt sei als überwiegend wahrscheinlich zu betrachten und
es könnten weitere Beweismassnahmen an diesem feststehenden Ergebnis nichts
mehr ändern, so ist auf die Abnahme weiterer Beweise zu verzichten
(antizipierte Beweiswürdigung; Kieser, Das Verwaltungsverfahren in der
Sozialversicherung, S. 212, Rz 450; Kölz/Häner, Verwaltungsverfahren und
Verwaltungsrechtspflege des Bundes, 2. Aufl., S. 39, Rz 111 und S. 117,
Rz 320; Gygi, Bundesverwaltungsrechtspflege, 2. Aufl., S. 274; vgl. auch
BGE 122 II 469 Erw. 4a, 122 III 223 Erw. 3c, 120 Ib 229 Erw. 2b, 119 V 344
Erw. 3c mit Hinweis). In einem solchen Vorgehen liegt kein Verstoss gegen das
rechtliche Gehör gemäss Art. 29 Abs. 2 BV (SVR 2001 IV Nr. 10 S. 28 Erw. 4b;
zu Art. 4 Abs. 1 aBV ergangene, weiterhin geltende Rechtsprechung:
BGE 124 V 94 Erw. 4b, 122 V 162 Erw. 1d mit Hinweis).

3.3 Der Versicherte macht geltend, dass die Arbeitgeberin alle Akten,
einschliesslich der Rechtsakte, zu edieren habe. Dem ist grundsätzlich
beizupflichten. Ausgenommen davon wären lediglich interne Aktennotizen oder
Unterlagen, welche sich auf Geschäftsgeheimnisse oder dergleichen beziehen.
Da sich die hier zu beantwortenden Fragen aber aus den vorhandenen Akten
beurteilen lassen und nicht davon auszugehen ist, dass die Rechtsakte
wesentliche weitergehende Unterlagen enthält, kann im Rahmen der
antizipierten Beweiswürdigung ausnahmsweise auf die Edition der vollständigen
Akten verzichtet werden.

4.
Streitig ist, ob die Auflösung des Arbeitsverhältnisses aus betrieblichen
Gründen erfolgte.

4.1 Die Parteien sind sich einig, dass entgegen den vorinstanzlichen
Erwägungen das Statut der Pensionskasse, Stand Januar 1995 (nachfolgend:
Reglement 1995) für die Beurteilung der strittigen Frage massgebend ist. Dem
ist zuzustimmen. Da die entsprechende Regelung in Ziff. 710.2 Abs. 3 des
Statuts der Pensionskasse, Stand 1. Januar 2000 (nachfolgend: Reglement
2000), mit der massgeblichen Ziff. 612.2 Abs. 3 im Reglement 1995 identisch
ist, ändert sich an der materiellen Beurteilung, ungeachtet davon, welche
Version angewendet wird, nichts.

4.2 Gemäss Ziff. 612.2 Abs. 3 des Reglements 1995 können Versicherte, die das
55. Altersjahr vollendet haben und denen die Arbeitgeberin keine ihren
Kenntnissen und Fähigkeiten entsprechende zumutbare Erwerbstätigkeit anbieten
kann, vom Stiftungsrat auf Vorschlag der Arbeitgeberin aus betrieblichen
Gründen vorzeitig pensioniert werden; Versicherte, die aus betrieblichen
Gründen pensioniert werden, haben Anspruch auf dieselben Leistungen wie bei
Erwerbsunfähigkeit.

4.3 Voraussetzung zur Ausrichtung einer Alterspension in demselben Umfang wie
die Leistungen bei Erwerbsunfähigkeit für Versicherte nach Vollendung des
55. Altersjahres ist gemäss dem Wortlaut des Reglements - abgesehen von der
Kündigung aus betrieblichen Gründen - einerseits, dass die Arbeitgeberin dies
vorschlägt, und andererseits der Umstand, dass der Stiftungsrat der
Pensionskasse diesem Vorschlag folgen kann, aber nicht muss. Beides stellt
ein voluntatives Element dar, d.h. eine potestative Suspensivbedingung für
die vorzeitige Pensionierung mit ungekürzter Rente (vgl. BGE 132 V 153
Erw. 5.2.4 mit Hinweisen).

4.4 Der Beschwerdeführer macht geltend, ein solches Vorschlagsrecht der
Arbeitgeberin sei eine unzulässige Einmischung in die Autonomie der
Vorsorgeeinrichtung. Dies trifft nicht zu: Entsprechende Regelungen sind im
Rahmen der überobligatorischen beruflichen Vorsorge verbreitet und auch
zulässig (vgl. BGE 132 V 153 Erw. 5.2.4 mit Hinweisen). Zudem ist zu
berücksichtigen, dass bei derartigen versichertenfreundlichen Regelungen die
Arbeitgeber und nicht die Vorsorgeeinrichtung die finanziellen Auswirkungen
dieser Willenskundgebung tragen, da erstere die versicherungstechnischen
Kosten des vorzeitigen Rücktritts übernehmen (vgl. BGE 132 V 153 Erw. 5.2.3).
4.5 Mit Schreiben vom 1. Oktober 1998 gab die Arbeitgeberin dem Versicherten
die Möglichkeit, zwischen einer anderen Beschäftigung im Betrieb, der
vorzeitigen Pensionierung und einer Kündigung seitens der Unternehmung zu
wählen. Der erste der Vorschläge zerschlug sich offenbar in der Folge. Der
Beschwerdeführer macht nicht geltend, er habe sich auf Grund dieses Angebots
für die vorzeitige Pensionierung anstelle einer Kündigung (mit Eintritt des
Freizügigkeitsfalls) entschieden; im Gegenteil bestätigt er, nicht in der
Lage gewesen zu sein, diesen Entscheid zu treffen (vgl. seine Schreiben vom
20. November und vom 22. Dezember 2000 an die Pensionskasse). Schliesslich
hat die Arbeitgeberin eine vorzeitige Pensionierung mit Alter 56 vorgenommen
(vgl. Schreiben der Arbeitgeberin vom 14. Dezember 1998) und der
Pensionskasse im Rahmen der administrativen Vorbereitung der Pensionierung
die vorzeitige Pensionierung mit gekürzter Rente mitgeteilt. Diese Kürzung
entspricht dem Regelfall bei einer vorzeitigen Pensionierung (vgl.
Ziff. 612.2 Abs. 1 und 2 des Reglements 1995) und ist auch
versicherungstechnisch begründet. Ein Vorschlag der Arbeitgeberin auf
vorzeitige Pensionierung mit Alter 55 bei Anspruch auf Leistungen wie im
Falle der Erwerbsunfähigkeit (Ziff. 612.2 Abs. 3 des Reglements 1995) liegt
demnach nicht vor.

4.6 Entgegen der Ansicht des Versicherten kann das Reglement auch nicht
dahingehend ausgelegt werden, dass nur eine Alternative zwischen vorzeitiger
Pensionierung aus betrieblichen Gründen und einer vorzeitigen Pensionierung
infolge ausschliesslich in der Person des Arbeitnehmers liegenden Gründen wie
Krankheit oder dergleichen besteht. Denn im Arbeitsvertragsrecht gilt die
Kündigungsfreiheit: D.h. es bedarf bei einer "ordentlichen" Kündigung keiner
materiellen Kündigungsgründe, soweit die vertraglichen oder gesetzlichen
Fristen eingehalten werden (BGE 127 III 88 Erw. 2a, 125 III 72 Erw. 2a, je
mit Hinweisen; vgl. auch Streiff/von Kaenel, Arbeitsvertrag, 6. Aufl., Zürich
2006, N 2 zu Art. 335; Rehbinder/Portmann, in: Honsell/Vogt/Wiegand,
Obligationenrecht I, 3. Aufl., Basel 2003, N 14 f. zu Art. 335);
Voraussetzung ist einzig, dass seitens des Arbeitgebers keine missbräuchliche
Kündigung im Sinne von Art. 336 OR erfolgt. Dies steht hier jedoch ausser
Diskussion.

4.7 Zu prüfen bleibt, ob im Lichte des Erfordernisses einer willkürfreien und
rechtsgleichen Handhabung des Reglementes (BGE 132 V 154) die Arbeitgeberin
verpflichtet gewesen wäre, der Pensionskasse eine vorzeitige Pensionierung
aus betrieblichen Gründen vorzuschlagen.
Der Beschwerdeführer vermag nicht darzulegen, dass seine ehemalige
Arbeitgeberin im Zeitraum, in welchem er mit der Wahl der vorzeitigen
Pensionierung oder der Kündigung konfrontiert wurde (Herbst 1998), anderen
Angestellten in vergleichbaren Umständen gekündigt und der Pensionskasse eine
vorzeitige Pensionierung aus betrieblichen Gründen vorgelegen hätte.
In den Akten finden sich hingegen hinreichend Hinweise auf Spannungen
zwischen dem Beschwerdeführer und seinen Vorgesetzten, welche sich im Laufe
des Jahres 1998 verschärften. Auch die Angaben des Versicherten selbst sowie
die von ihm ins Recht gelegten Unterlagen belegen, dass es bereits im Jahr
1997 Konflikte zwischen ihm und der Geschäftsleitung gab, was 1998
schliesslich zur Trennung führte. Die Situation des Beschwerdeführers war
insgesamt singulär. Es ist weder willkürlich noch rechtsungleich, wenn die
Arbeitgeberin keine Pensionierung aus betrieblichen Gründen vorgeschlagen
hat.

5.
Da es um die Bewilligung von Leistungen geht, ist das Verfahren kostenlos
(Art. 134 OG). Der obsiegenden Arbeitgeberin steht eine Parteientschädigung
zu (Art. 159 Abs. 2 in Verbindung mit Art. 135 OG). Hingegen kann der
ebenfalls obsiegenden Pensionskasse als mit öffentlich-rechtlichen Aufgaben
betrauter Organisation keine Parteientschädigung zugesprochen werden
(Art. 159 Abs. 2 in Verbindung mit Art. 135 OG; BGE 126 V 149 Erw. 4 mit
Hinweisen).

Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht:

1.
Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird abgewiesen.

2.
Es werden keine Gerichtskosten erhoben.

3.
Der Beschwerdeführer hat der Y.________ eine Parteientschädigung von
Fr. 1500.- (einschliesslich Mehrwertsteuer) zu bezahlen.

4.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Sozialversicherungsgericht des Kantons
Zürich und dem Bundesamt für Sozialversicherungen zugestellt.
Luzern, 13. November 2006

Im Namen des Eidgenössischen Versicherungsgerichts

Der Präsident der III. Kammer: Die Gerichtsschreiberin: