Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

Sozialrechtliche Abteilungen B 54/2006
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Prozess {T 7}
B 54/06

Urteil vom 16. Oktober 2006

I. Kammer

Präsidentin Leuzinger, Bundesrichter Ferrari, Meyer, Kernen und Seiler;
Gerichtsschreiberin Keel Baumann

P.________, Beschwerdeführerin, vertreten durch Fürsprecher Thomas Laube,
Ulrichstrasse 14, 8032 Zürich,

gegen

GastroSocial Pensionskasse, Bahnhofstrasse 86, 5001 Aarau,
Beschwerdegegnerin, vertreten durch Rechtsanwältin Dr. Isabelle
Vetter-Schreiber, Seestrasse 6, 8002 Zürich

Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich, Winterthur

(Entscheid vom 22. März 2006)

Sachverhalt:

A.
P. ________ (geb. 1972) war im Rahmen ihrer Tätigkeit als Serviceangestellte
im Restaurant X.________ vom 15. März 1993 bis 30. Juni 1994 bei der Stiftung
Betriebliche Altersvorsorgeeinrichtung (BAV) Wirte (heute: GastroSocial
Pensionskasse) berufsvorsorgeversichert.

Am 8. Oktober 1993 und am 19. Januar 1994 erlitt P.________ zwei Unfälle. Für
die Folgen dieser Ereignisse bezieht sie seit 1. Oktober 1994 eine halbe
Rente der Invalidenversicherung. Die Winterthur Versicherung als zuständiger
Unfallversicherer richtete ihr bis 31. Dezember 2004 Taggelder aus und sprach
ihr mit Wirkung ab 1. Januar 2005 eine Invalidenrente zu.

Mit Schreiben vom 31. Januar 2005 beantragte P.________ bei der GastroSocial
Pensionskasse die Ausrichtung einer Invalidenrente der beruflichen Vorsorge
ab 1. Dezember 2004, weil ab diesem Zeitpunkt die vorher bestehende
Überversicherung - zufolge Ablösung des bisher ausbezahlten UVG-Taggeldes
durch eine (tiefere) UVG-Rente - weggefallen sei. Mit Schreiben vom 7.
Februar 2005 lehnte die GastroSocial Pensionskasse den Anspruch wegen
Verjährung ab, woran sie in der folgenden Korrespondenz festhielt.

B.
Am 22. Dezember 2005 erhob P.________ beim Sozialversicherungsgericht des
Kantons Zürich Klage mit dem Antrag, ihr ab Dezember 1999, eventuell Juni
2000, eine Invalidenrente der beruflichen Vorsorge auszurichten. Mit
Entscheid vom 22. März 2006 wurde die Klage wegen Verjährung des
Rentenstammrechts abgewiesen.

C.
P.________ erhebt Verwaltungsgerichtsbeschwerde mit dem Rechtsbegehren, der
kantonale Entscheid sei aufzuheben und die Vorsorgeeinrichtung zu
verpflichten, ihr ab Dezember 1999, eventuell Juni 2000, eine Invalidenrente
der beruflichen Vorsorge auszurichten.

Die GastroSocial Pensionskasse und das Bundesamt für Sozialversicherungen
(BSV) schliessen auf Abweisung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde.

Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:

1.
Streitig und zu prüfen ist, ob die Vorsorgeeinrichtung und die Vorinstanz den
Anspruch der Beschwerdeführerin auf eine Invalidenrente der beruflichen
Vorsorge zu Recht für verjährt halten.

2.
Die Beschwerdeführerin stellt sich auf den Standpunkt, das Rentenstammrecht
könne aufgrund von Art. 41 Abs. 1 BVG (in der Fassung gemäss 1. BVG-Revision,
in Kraft seit 1. Januar 2005) gar nicht mehr verjähren.

Nach dem Grundsatz der Nichtrückwirkung von Rechtsnormen bleibt jedenfalls
mangels einer ausdrücklichen gegenteiligen Übergangsregelung eine Forderung,
die gemäss früherem Recht verjährt oder verwirkt war, nach Inkrafttreten des
neuen Rechts verjährt oder verwirkt, auch wenn dies nach neuem Recht nicht
der Fall wäre (BGE 131 V 429 Erw. 5.2 mit Hinweisen; SVR 2005 AHV Nr. 15 S.
49 Erw. 5.2.1 [Urteil F. vom 30. November 2004, H 96/03]; vgl. auch RDAT 1995
I Nr. 46 S. 115 Erw. 3; Urteil D. vom 10. Dezember 2001, 2P.92/2001, Erw. 2e;
Attilio Gadola, Verjährung und Verwirkung im öffentlichen Recht, in: AJP 1995
S. 47 ff., 58). Das gilt insbesondere auch für die Regelung des Art. 41 BVG
(BGE 132 V 161 Erw. 2; vgl. auch Urteil B. vom 5. Juni 2001, B 6/01, Erw. 2
[mit Zusammenfassung in SZS 2003 S. 49]; André Pierre Holzer, Verjährung und
Verwirkung der Leistungsansprüche im Sozialversicherungsrecht, Diss. Freiburg
2005, S. 154). Wenn demnach - wovon Vorinstanz und Beschwerdegegnerin
ausgehen - der Anspruch der Beschwerdeführerin am 31. Dezember 2004 bereits
verjährt oder verwirkt war, findet Art. 41 Abs. 1 BVG in der heute geltenden
Fassung keine Anwendung.

3.
3.1 Nach Art. 41 Abs. 1 BVG (in der bis Ende 2004 geltenden,
intertemporalrechtlich anwendbaren Fassung) verjähren Forderungen auf
periodische Beiträge und Leistungen nach fünf, andere nach zehn Jahren (Satz
1). Die Artikel 129-142 des Obligationenrechts sind anwendbar (Satz 2).
Für das Rentenstammrecht gilt demnach eine zehnjährige Frist. Ist das
Rentenstammrecht verjährt, sind es auch die einzelnen Leistungen (Art. 131
Abs. 2 OR in Verbindung mit aArt. 41 Abs. 1 Satz 2 BVG).
Kraft des in aArt. 41 Abs. 1 Satz 2 BVG enthaltenen Verweises auf
Art. 129-141 OR gilt die den "dies a quo" regelnde Bestimmung des Art. 131
Abs. 1 OR auch für das Rentenstammrecht der beruflichen Vorsorge (BGE 132 V
162 Erw. 3 mit Hinweisen). Sie lautet: "Bei Leibrenten und ähnlichen
periodischen Leistungen beginnt die Verjährung für das Forderungsrecht im
ganzen mit dem Zeitpunkte, in dem die erste rückständige Leistung fällig
war."
3.1.1 Was die Rechtsnatur der zehnjährigen Frist gemäss aArt. 41 Abs. 1 Satz 1
BVG anbelangt, geht die Vorinstanz davon aus, es handle sich nicht um eine
Verjährungs-, sondern eine Verwirkungsfrist, was zur Folge hätte, dass diese
weder unterbrochen noch gehemmt werden könnte. Sie beruft sich hiefür auf
eine Äusserung in der bundesrätlichen Botschaft zur Revision des
Bundesgesetzes über die berufliche Alters-, Hinterlassenen- und
Invalidenvorsorge (BVG), 1. BVG-Revision, vom 1. März 2000 (BBl 2000 2637
ff., 2680).

Diese Auffassung widerspricht indessen dem klaren Wortlaut des Gesetzes, das
die Art. 129-142 OR für anwendbar erklärt, welche nur für Verjährungs- und
nicht für Verwirkungsfristen gelten. Auch Lehre (Holzer, a.a.O., S. 155;
Stauffer, Berufliche Vorsorge Zürich 2005, S. 347 ff.; Walser, Berufliche
Vorsorge, in: Schweizerisches Bundesverwaltungsrecht [SBVR], Soziale
Sicherheit, S. 70) und Rechtsprechung (BGE 132 V 161 f., 129 V 241 Erw. 4,
117 V 332 f.; Urteile F. vom 4. August 2000, B 9/99, Erw. 2 [mit
Zusammenfassung in SZS 2003 S. 48], und J. vom 2. Dezember 2002, B 27/02,
Erw. 2 und 3 [mit Zusammenfassung in SZS 2003 S. 437]) haben die Frist immer
als Verjährungsfrist behandelt. Die zitierte Stelle in der Botschaft
(BBl 2000 2680) gibt zu keiner anderen Betrachtungsweise Anlass.

3.1.2 Die Beschwerdeführerin stellt sich auf den Standpunkt, die erste
Rentenleistung könne nicht im Sinne von Art. 131 Abs. 1 OR fällig werden,
solange sie infolge Überversicherung nicht gefordert werden könne. Die
Verjährungsfrist für das Rentenstammrecht habe deshalb aufgrund von Art. 131
Abs. 1 OR frühestens am 1. Dezember 1999 zu laufen begonnen, so dass die am
31. Januar 2005 geltend gemachte Forderung nicht verjährt sei.

Demgegenüber vertreten Vorinstanz und Beschwerdegegnerin die Auffassung, die
zehnjährige Frist habe mit der Entstehung des
invalidenversicherungsrechtlichen Rentenanspruchs am 1. Oktober 1994 zu
laufen begonnen, so dass die Verwirkung oder Verjährung des Rentenstammrechts
(und damit auch der einzelnen Forderungen) am 1. Oktober 2004 eingetreten
sei. Bei der Überversicherungsregelung handle es sich um eine blosse
koordinationsrechtliche Vorschrift, welche an der Fälligkeit der Forderung
nichts ändere.

3.2 Eine Forderung ist fällig, wenn der Gläubiger sie verlangen und
nötigenfalls einklagen kann (BGE 129 III 541 Erw. 3.2.1; in StR 55/2000 S.
573 und Pra 2000 Nr. 169 S. 1030 veröffentlichtes Urteil M. vom 26. Mai 2000,
2P.43/2000, Erw. 2c; Schraner, Zürcher Kommentar, 1991, N 22 zu Art. 75 OR).
Dies ist in der Regel im Zeitpunkt ihrer Entstehung der Fall, sofern nicht
Gesetz, Vertrag oder die Natur der Forderung eine andere Lösung nahe legen
(Art. 75 OR; Berti, Zürcher Kommentar, 2002, N 12 zu Art. 130 OR; Pichonnaz,
Commentaire romand, 2003, N 1 zu Art. 130 OR).

Nach der Rechtsprechung ist eine Leistung aus beruflicher Vorsorge dann
fällig, wenn gemäss den anwendbaren gesetzlichen und reglementarischen
Bestimmungen das Recht entsteht (BGE 132 V 162 Erw. 3, 126 V 263 Erw. 3a;
Urteil B. vom 5. Juni 2001, B 6/01, Erw. 2 [mit Zusammenfassung in SZS 2003
S. 49]), was in Bezug auf die Invalidenrente grundsätzlich mit dem Ablauf der
Wartefrist gemäss Art. 29 Abs. 1 lit. b IVG (in Verbindung mit Art. 26 Abs. 1
BVG) der Fall ist (BGE 132 V 164 f.; vgl. auch Urteile V. vom 24. April 2003,
B 91/02, Erw. 3.1 [mit Zusammenfassung in SZS 2004 S. 454], und F. vom
4. August 2000, B 9/99, Erw. 3c [mit Zusammenfassung in SZS 2003 S. 48]). Die
Verjährungsfrist für ein einmal begründetes Rentenstammrecht gilt auch für
eine spätere Rentenerhöhung (Urteil V. vom 24. April 2003, B 91/02, Erw. 3.2
[mit Zusammenfassung in SZS 2004 S. 454]).

4.
Es steht fest und ist unbestritten, dass der Anspruch der Beschwerdeführerin
auf die Invalidenrente der beruflichen Vorsorge am 1. Oktober 1994 entstand.
Ebenso besteht Einigkeit unter den Parteien, dass diese Rente (mindestens)
bis November 1999 zu einer Überentschädigung geführt hätte, so dass die Rente
gekürzt bzw. verweigert worden wäre (Art. 34 Abs. 2 BVG in Verbindung mit
Art. 24 BVV2 [je in der bis 31. Dezember 2002 in Kraft gestandenen,
intertemporalrechtlich anwendbaren Fassung]; Art. 12 Abs. 2 des Reglements
Personalvorsorge BAV Wirte, gültig ab 1. Januar 1985). Streitig und zu prüfen
ist, ob dieser Umstand die gemäss Art. 131 Abs. 1 OR massgebende Fälligkeit
der Rentenleistung hinausgeschoben hat.

4.1 Soweit Vorinstanz und BSV dies verneinen mit der Begründung, die
Überentschädigungsbestimmung regle nur die Auszahlung, nicht aber den
Anspruch auf die Rente, kann ihnen nicht gefolgt werden. Denn sie übersehen
dabei, dass der Zeitpunkt der Fälligkeit nur in der Regel - aber nicht
ausnahmslos - mit jenem der Anspruchsentstehung übereinstimmt (vgl. Erw. 3.2
hievor).

4.2 Nicht einschlägig ist in diesem Zusammenhang aber auch die von der
Beschwerdegegnerin zitierte Rechtsprechung gemäss BGE 132 V 159, nach welcher
sich der Verweis in Art. 26 Abs. 1 BVG nicht auf Art. 48 Abs. 2 IVG bezieht.
Denn im damals zu beurteilenden Fall entstand die Rente der beruflichen
Vorsorge bereits nach Ablauf des Wartejahres im Sinne von Art. 29 Abs. 1 lit.
b IVG und hätte ab diesem Zeitpunkt gefordert werden können (BGE 132 V 165
Erw. 4.4.3), so dass gar nicht zu entscheiden war, ob die Fälligkeit durch
eine Überentschädigungsregelung hinausgeschoben wird.

4.3 Wie das Eidgenössische Versicherungsgericht im Zusammenhang mit Art. 26
Abs. 2 BVG wiederholt festgehalten hat, wird im Fall einer Überentschädigung
das Recht auf eine Rente nicht aufgehoben, sondern vorübergehend aufgeschoben
(BGE 129 V 26, 123 V 199, 120 V 61 Erw. 2b; SVR 2000 BVG Nr. 6 S. 33 Erw. 5;
in SZS 1994 S. 232 auszugsweise wiedergegebenes Urteil D. vom 16. Dezember
1992, B 10/92, Erw. 5b). Für das Zusammenfallen von Leistungen der
beruflichen Vorsorge und solchen der Unfallversicherung hat das
Eidgenössische Versicherungsgericht erklärt, zwar käme ein theoretischer
Anspruch auf eine Rente der beruflichen Vorsorge in Betracht, doch bestehe
für die Ausrichtung einer solchen Rente kein Raum, solange eine
Überentschädigung vorliege (BGE 123 V 198 Erw. 5c/bb, 122 V 317 Erw. 2b); die
Leistung der Vorsorgeeinrichtung setze erst ein, wenn die Überentschädigung
entfallen sei.

Diese Überlegungen gelten gleichermassen für andere Fälle der
Überentschädigung, dienen doch all diese koordinationsrechtlichen
Vorschriften dem gleichen Zweck, nämlich zu verhindern, dass die versicherte
Person durch die Gesamtheit der erbrachten Sozialversicherungsleistungen
besser gestellt wird als wenn sich das versicherte Ereignis nicht
verwirklicht hätte. Wenn aber die Leistung aufgeschoben wird bzw. noch nicht
ausgerichtet werden kann, bedeutet das nichts anderes, als dass sie eben noch
nicht hätte eingeklagt werden können und somit noch nicht fällig gewesen ist.
Hätte die Beschwerdeführerin einen Rentenanspruch erhoben, hätte die
Vorsorgeeinrichtung mit Recht die Auszahlung der Leistung unter Hinweis auf
die Überentschädigungsregelung verweigert. Bis November 1999 war damit noch
keine rückständige Leistung fällig, so dass gemäss Art. 131 Abs. 1 OR auch
die Verjährungsfrist für das Rentenstammrecht nicht zu laufen beginnen konnte
und die Beschwerdeführerin ihren Anspruch auf eine Invalidenrente der
beruflichen Vorsorge mit Schreiben vom 31. Januar 2005 rechtzeitig geltend
gemacht hat.

4.4 Die Vorinstanz hat somit die Klage zu Unrecht infolge Verjährung des
Rentenstammrechts abgewiesen. Die Sache geht an das kantonale Gericht zurück,
damit es die übrigen Voraussetzungen für den Anspruch auf eine Invalidenrente
der beruflichen Vorsorge prüfe.

5.
Das Verfahren ist kostenlos (Art. 134 OG).

Die Beschwerdegegnerin hat der obsiegenden Beschwerdeführerin die
Parteikosten für das letztinstanzliche Verfahren zu ersetzen. Die Kosten für
das kantonale Verfahren werden entsprechend dem endgültigen Ausgang in der
Sache zu verlegen sein.

Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht:

1.
In Gutheissung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird der Entscheid des
Sozialversicherungsgerichts des Kantons Zürich vom 22. März 2006 aufgehoben.
Die Sache wird an die Vorinstanz zurückgewiesen, damit sie über die Klage neu
entscheide.

2.
Es werden keine Gerichtskosten erhoben.

3.
Die Beschwerdegegnerin hat der Beschwerdeführerin für das Verfahren vor dem
Eidgenössischen Versicherungsgericht eine Parteientschädigung von Fr. 2500.-
(einschliesslich Mehrwertsteuer) zu bezahlen.

4.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Sozialversicherungsgericht des Kantons
Zürich und dem Bundesamt für Sozialversicherungen zugestellt.

Luzern, 16. Oktober 2006

Im Namen des Eidgenössischen Versicherungsgerichts

Die Präsidentin der I. Kammer: Die Gerichtsschreiberin: