Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

Sozialrechtliche Abteilungen B 47/2006
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Prozess {T 7}
B 47/06

Urteil vom 12. September 2006
III. Kammer

Präsident Ferrari, Bundesrichter Lustenberger und Seiler; Gerichtsschreiber
Schmutz

Pensionskasse E._________, Beschwerdeführerin, vertreten durch Rechtsanwalt
Thomas Blattmann, Talacker 50, 8001 Zürich,

gegen

W.________, 1940, Beschwerdegegner

Versicherungsgericht des Kantons Solothurn, Solothurn

(Entscheid vom 7. März 2006)

Sachverhalt:

A.
W. ________ war bis zu seiner Pensionierung im Januar 2005 bei der
Pensionskasse E.________ berufsvorsorgeversichert. Nach den bis Ende 2003
geltenden Statuten der Pensionskasse E.________ konnten Überschüsse unter
anderem für beitragsfreie Leistungserhöhungen für aktive Mitglieder verwendet
werden (Art. 17 Abs. 5 lit. c der Statuten). Auch W.________ war so
beitragsfreies versichertes Einkommen gutgeschrieben worden. Da sich diese
Regelung als unzweckmässig erwies, beschloss die Delegiertenversammlung der
Pensionskasse E.________ am 13. September 2002 eine Statutenänderung. Mit dem
neuen Art. 17bis wurde auf den 1. Oktober 2002 für jedes aktive Mitglied ein
Überschusskonto eingeführt (Abs. 1), welchem unter anderem die Anteile aus
der Verteilung von Überschüssen gutgeschrieben werden (Abs. 2 lit. a). Die
Mittel des Überschusskontos können auf Wunsch des Mitglieds zum Einkauf von
Versicherungsjahren, für Zusatzbeiträge bei Lohnerhöhungen oder für
selbstgenutztes Wohneigentum verwendet werden (Abs. 3). Beim Austritt aus der
Pensionskasse E.________ werden diese Mittel zur Austrittsleistung geschlagen
(Abs. 4) und beim Altersrücktritt oder im Invaliditätsfall können die Mittel
als Kapital oder Rentenerhöhung bezogen werden, im Todesfall gemäss der
Begünstigtenordnung ausbezahlt oder als Rentenerhöhung bezogen werden
(Abs. 5). Sodann wurde auch eine Übergangsbestimmung mit folgendem Wortlaut
aufgenommen:
Art. 46 Abs. 3:
Die vor 2002 bestehenden Kürzungen und Zuschläge zum versicherten Einkommen
werden mit ihrem versicherungstechnischen Gegenwert abgelöst durch eine
Einlage in das Überschusskonto (Art. 17bis) bzw. durch eine Erhöhung oder
Reduktion der Versicherungsjahre.
Die Regelung von Art. 17bis wurde später in das Reglement der Pensionskasse
E.________ vom 5. September 2003 über die Versicherungsleistungen, gültig ab
1. Januar 2004, übernommen (Art. 9).
Per 1. Oktober 2002 verwendete die Pensionskasse E.________ einen Teil des
W.________ zustehenden kapitalisierten beitragsfreien versicherten
Einkommens, um ihn in die vollen reglementarischen Leistungen einzukaufen.
Nur die verbleibende Differenz wurde dem Überschusskonto gutgeschrieben.
W.________ verlangte von der Pensionskasse E.________ ohne Erfolg, sie habe
diesen Einkauf rückgängig zu machen.

B.
Am 8. März 2005 erhob der Versicherte Klage beim Versicherungsgericht des
Kantons Solothurn mit dem sinngemäss gestellten Antrag, der Einkauf sei
rückgängig zu machen. Das kantonale Gericht hiess die Klage mit Entscheid vom
7. März 2006 in dem Sinne gut, als es die Pensionskasse E.________
verpflichtete, den beim Kläger vorgenommenen Einkauf von Versicherungsjahren
rückgängig zu machen und die gesamten beitragsfreien Zuschläge zum
versicherten Einkommen, die vor 2002 erworben wurden, per 1. Oktober 2002 auf
das Überschusskonto zu überführen.

C.
Die Pensionskasse E.________ erhebt Verwaltungsgerichtsbeschwerde mit dem
Antrag, der vorinstanzliche Entscheid vom 7. März 2006 sei aufzuheben und die
Klage abzuweisen.
Versicherter und Vorinstanz beantragen Abweisung der
Verwaltungsgerichtsbeschwerde. Das Bundesamt für Sozialversicherungen
verzichtet auf Vernehmlassung. Die Pensionskasse E.________ äussert sich
erneut mit Eingabe vom 4. August 2006.

Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:

1.
Streitig und zu prüfen ist, ob die Beschwerdeführerin beim Einkauf des
Beschwerdegegners in die vollen reglementarischen Leistungen rechtmässig
vorgegangen ist. Die Rechte und Pflichten der Versicherten richten sich in
erster Linie nach den reglementarischen Regelungen der Vorsorgeeinrichtungen,
wobei diese dem Gesetz (vgl. Art. 49 BVG) und den rechtsstaatlichen
Minimalanforderungen - Willkürverbot, Verhältnismässigkeit, Treu und Glauben
sowie Rechtsgleichheit, vorab in der Form der Gleichbehandlung der
Destinatäre - entsprechen müssen (BGE 132 V 149 Erw. 5.2.4, mit zahlreichen
Hinweisen).

2.
Wie bereits vor der kantonalen Instanz bringt der Beschwerdegegner vor, dass
er den Einkauf der fehlenden Versicherungsjahre selber hätte tätigen wollen,
um so von steuerlichen Vorteilen profitieren zu können, und dass die
Beschwerdeführerin ihm dazu die Möglichkeit hätte gewähren müssen. Deren
Vorgehen, statt seine Mittel aus dem beitragsfreien versicherten Einkommen
vollumfänglich dem Überschusskonto zuzuweisen, einen Teil davon zum Einkauf
in die vollen Leistungen zu verwenden, entbehre einer reglementarischen
Grundlage. Die Vorinstanz hat dazu erwogen, es könne offen bleiben, ob
Art. 46 Abs. 3 der Statuten der Pensionskasse E.________ eine genügende
reglementarische Grundlage für das Vorgehen der Beschwerdeführerin darstelle,
denn jedenfalls verstosse dieses Vorgehen gegen das Gleichbehandlungsgebot
(vorinstanzliche Erwägung II.2.b). Die Beschwerdeführerin bestreitet dies,
denn im Gegenteil sei bei allen Versicherten die gleiche übergangsrechtliche
Regelung getroffen worden.

3.
3.1 Der Wortlaut von Art. 17bis der Statuten der Pensionskasse E.________
gemäss Beschluss der Delegiertenversammlung vom 13. September 2002 (und
entsprechend von Art. 9 des ab 1. Januar 2004 geltenden Reglements) ist
insoweit klar, als der Versicherte wählen kann, ob er die Mittel des
Überschusskontos für einen Einkauf von Versicherungsjahren, für
Zusatzbeiträge bei Lohnerhöhungen oder für selbstgenutztes Wohneigentum
verwenden will; im Rahmen einer Ehescheidung können die Mittel auch dafür
verwendet werden, Vorsorgeguthaben an den Ehepartner zu überweisen. Der
Versicherte kann die Mittel aber auch auf dem Überschusskonto stehen lassen,
was im Austrittsfall zu einer höheren Austrittsleistung oder beim
Altersrücktritt oder im Invaliditäts- oder Todesfall zu einer
Kapitalauszahlung oder Rentenerhöhung führt. Das Überschusskonto wird somit
nicht automatisch und zwingend zum Einkauf von Versicherungsjahren verwendet.

3.2 Nach der übergangsrechtlichen Regelung von Art. 46 Abs. 3 gemäss Nachtrag
Nr. 2 vom 13. September 2002 zu den Statuten der Pensionskasse E.________ vom
1. Januar 2001 wird das altrechtliche beitragsfreie versicherte Einkommen
(zum versicherungstechnischen Gegenwert) in das Überschusskonto gemäss
Art. 17bis der Statuten eingelegt "bzw." zur Erhöhung der Versicherungsjahre
verwendet. Die Statuten sehen somit ausdrücklich zwei verschiedene
Verwendungsmöglichkeiten für das altrechtliche beitragsfreie versicherte
Einkommen vor. Sie enthalten jedoch keine Rangordnung zwischen diesen
Möglichkeiten und regeln nicht, wer darüber entscheidet, welche der beiden
gewählt wird.

3.3 Die Beschwerdeführerin bringt zwar vor, es sei bei allen Versicherten die
beim Beschwerdegegner getroffene Regelung angewendet worden (Einkauf
fehlender Versicherungsjahre und erst dann Zuweisung des verbliebenen Saldos
zum Überschusskonto). Sie vermag indessen keinen Beschluss eines solchen
Vorgehens durch ein dazu kompetentes Organ vorzulegen. In der Mitteilung vom
2. Juli 2004, mit welcher dem Beschwerdegegner die ablehnende Stellungnahme
des Verwaltungsrates mitgeteilt worden war, wurde lediglich ausgeführt,
dieses Vorgehen sei "in Absprache mit den Experten" festgelegt worden, es
wurde aber nicht gesagt, durch wen. Ein entsprechender Beschluss ist
namentlich auch nicht im Protokoll der Delegiertenversammlung vom
13. September 2002 dokumentiert. Im Gegenteil wurde gemäss diesem Protokoll
in den einleitenden Worten des Präsidenten zum Traktandum der
Statutenrevision ausgeführt, sämtliche Zuschläge aus Überschüssen würden in
ein individuelles Überschusskonto eingebaut. Auch dass vor und anlässlich der
Delegiertenversammlung über die Einführung von "Vision 2002" umfassend
orientiert worden sei und in dieser Information offenbar das jetzt gewählte
Vorgehen präsentiert wurde, stellt keinen solchen Beschluss dar.

3.4 Wenn Art. 17bis der Statuten der Pensionskasse E.________ dem
Versicherten freistellt, ob er die Überschüsse zum Einkauf fehlender
Versicherungszeit verwenden oder sie auf dem Überschusskonto stehen lassen
will, dann ist naheliegend, dass diese Wahlmöglichkeit analog auch für die
übergangsrechtlich gutgeschriebenen altrechtlichen beitragsfreien
versicherten Einkommen bestehen soll, zumal es keine zwingenden Gründe gibt,
dafür eine andere Regelung vorzusehen. In der ablehnenden Stellungnahme des
Verwaltungsrates vom 2. Juli 2004 sind zwar einige Gründe
(Kollektivität/Gleichbehandlung; steuerrechtliche sowie
geschäftspolitische/operative Aspekte) genannt. Diese sind aber nicht
triftig, denn wenn der Grundsatz der Kollektivität und Gleichbehandlung die
Wahlmöglichkeit ausschliessen würde, dann müsste das auch für die
neurechtlichen Überschüsse gelten, was aber nicht der Fall ist. Dasselbe gilt
für die vorgebrachten steuerrechtlichen Gründe. Die geschäftspolitischen und
operativen Aspekte rechtfertigen zwar den Systemwechsel an sich, sind aber
für einen Ausschluss der Wahlmöglichkeit nicht zwingend.

3.5 Da sich somit schon bei der Auslegung des Reglements ergibt, dass
übergangsrechtlich die gleiche Wahlmöglichkeit besteht wie für neurechtlich
gebildete Überschüsse, kann offen bleiben, ob die gegenteilige Lösung (so sie
sich aus dem Reglement ergäbe) mit dem Grundsatz der Gleichbehandlung in
Widerspruch stünde, wie die Vorinstanz es annimmt und was die
Beschwerdeführerin bestreitet.

4.
Das Verfahren ist kostenpflichtig (Art. 134 OG e contrario). Die Kosten sind
der unterliegenden Beschwerdeführerin aufzuerlegen (Art. 156 Abs. 1 OG). Der
nicht anwaltlich vertretene Beschwerdegegner hat keinen Anspruch auf
Parteientschädigung.

Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht:

1.
Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird abgewiesen.

2.
Die Gerichtskosten von Fr. 1900.- werden der Beschwerdeführerin auferlegt und
mit dem geleisteten Kostenvorschuss verrechnet.

3.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Versicherungsgericht des Kantons
Solothurn und dem Bundesamt für Sozialversicherungen zugestellt.
Luzern, 12. September 2006

Im Namen des Eidgenössischen Versicherungsgerichts

Der Präsident der III. Kammer: Der Gerichtsschreiber: