Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

Sozialrechtliche Abteilungen B 38/2006
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Prozess {T 7}
B 38/06

Urteil vom 15. Dezember 2006
III. Kammer

Präsident Ferrari, Bundesrichter Meyer und Seiler; Gerichtsschreiberin
Durizzo

M.________, Beschwerdeführerin, vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Hans Trüeb,
Militärstrasse 17,        4410 Liestal,

gegen

Stiftung Auffangeinrichtung BVG, Zweigstelle Deutschschweiz, Binzstrasse 15,
8022 Zürich, Beschwerdegegnerin, vertreten durch Advokat
Dr. Hans-Ulrich Stauffer, Rümelinsplatz 14, 4001 Basel

Sozialversicherungsgericht Basel-Stadt, Basel

(Entscheid vom 7. Februar 2006)

Sachverhalt:

A.
M.________ war im Hinblick darauf, dass sie eine Arbeitnehmerin beschäftigt,
freiwillig der Stiftung Auffangeinrichtung BVG zur Durchführung der
obligatorischen beruflichen Vorsorge angeschlossen (Anschlussvereinbarung vom
25. Juni 2002, in Kraft seit 1. Juli 2002).

Am 15. Juni 2004 richtete die Auffangeinrichtung einen Lettre signature an
M.________, welcher folgenden Wortlaut aufweist:

"Vorsorgelösung 2005
Kündigung der Anschlussvereinbarung Nr. ...

Sehr geehrte Damen und Herren

Wie alle Stiftungen so hat auch die Stiftung Auffangeinrichtung BVG die
Änderungen der ersten BVG-Revision zu befolgen. Um die gesetzlichen Vorgaben
einwandfrei umsetzen zu können, sehen wir uns leider gezwungen, die
Anschlussvereinbarung per 31. Dezember 2004 formell zu kündigen und durch
eine neue Anschlussvereinbarung zu ersetzen. Die Stiftung garantiert aber auf
jeden Fall die Weiterversicherung. Es ist uns deshalb ein Anliegen, Ihnen
schon heute die neue Anschlussvereinbarung (mit gleicher Nummer) samt
Kostenreglement in zwei Exemplaren zu überreichen.

Wir bitten Sie, beide Exemplare baldmöglichst zu unterzeichnen und
zurückzusenden. Vergessen Sie nicht, die Unterschriften der
Arbeitnehmervertretung einzuholen. Diese sind für Anschlüsse ab dem 1. Januar
2005 aufgrund der 1. BVG-Revision erforderlich. Das Original werden wir
anschliessend unterzeichnen und Ihnen zustellen.

Das ab dem 1. Januar 2005 gültige Vorsorgereglement werden wir nach Vorliegen
aller Verordnungsbestimmungen zur Genehmigung einreichen. Sie erhalten das
Vorsorgereglement nach dessen Genehmigung durch den Bundesrat. Als Beilage
erhalten Sie vorab ergänzende Informationen. Sollten Sie weitere Fragen
haben, so lesen Sie bitte die Darstellung auf unserer Homepage www.aeis.ch
oder wenden Sie sich an Ihre Zweigstelle.

Wir freuen uns, wenn wir Sie auch ab dem 1. Januar 2005 weiterhin zu unseren
Kunden zählen dürfen.

Freundliche Grüsse
Stiftung Auffangeinrichtung BVG

...                  ...
Präsident      Vizepräsidentin

Beilagen:
Anschlussvereinbarung inklusive Kostenreglement 2005 im Doppel
Informationen zur Vorsorgelösung 2005
Beschriftetes Antwortcouvert"

M.________ unterzeichnete die ab 1. Januar 2005 gültige Anschlussvereinbarung
nicht, sondern wechselte zu einer anderen Vorsorgeeinrichtung, der UWP
Sammelstiftung für berufliche Vorsorge, was die Auffangeinrichtung zwar
oppositionslos zur Kenntnis, jedoch zum Anlass nahm, nebst dem unbestrittenen
Inkasso der bis 31. Dezember 2004 geschuldeten Prämien der wegziehenden
Arbeitgeberin Auflösungskosten von Fr. 500.- in Rechnung zu stellen (Brief
vom 6. April 2005). Mit Schreiben vom 13. April 2005 lehnte M.________ die
Zahlung der Fr. 500.- ab, weil die Vertragsauflösung "nicht von mir, sondern
von der Stiftung Auffangeinrichtung BVG erwirkt" worden sei.

B.
Nachdem Auffangeinrichtung und M.________ (diese dann anwaltlich vertreten)
zu keiner Einigung gefunden hatten und die wegziehende Arbeitgeberin gegen
die in Betreibung gesetzte Forderung (mitsamt Nebenkosten) Rechtsvorschlag
erhoben hatte, wandte sich die Auffangeinrichtung mit Klage an das
Sozialversicherungsgericht Basel-Stadt, wobei das Rechtsbegehren lautete:
"Der Klägerin sei auf dem ordentlichen Verwaltungsrechtsweg in der Betreibung
Nr. ... die definitive Rechtsöffnung zu gewähren und die Beklagte sei zu
verpflichten, den Betrag von Fr. 502.00 nebst Zins zu 6 % seit dem
23.08.2005, sowie Fr. 150.00 Mahn- und Inkassokosten und Fr. 50.00 für
Zustellversuche zu bezahlen, alles unter Kosten- und Entschädigungsfolge zu
Lasten des Beklagten."
Nach Einholung einer ablehnenden Klageantwort und Durchführung eines weiteren
Schriftenwechsels mit Replik und Duplik hiess das Sozialversicherungsgericht
die Klage im Umfang von Fr. 500.-, nebst Zins zu 5 % sowie Fr. 50.- Kosten
für den entsprechenden Zahlungsbefehl, gut und beseitigte in diesem Umfang
den Rechtsvorschlag; das weitergehende Klagebegehren auf 6 % Zins und
Fr. 150.- Mahn- und Inkassogebühren lehnte das Gericht ab (Entscheid vom
7. Februar 2006).

C.
M.________ führt Verwaltungsgerichtsbeschwerde mit dem Rechtsbegehren, es sei
der kantonale Gerichtsentscheid aufzuheben und die vorinstanzliche Klage der
Auffangeinrichtung abzuweisen.

Das kantonale Gericht verzichtet auf Vernehmlassung.
Die Auffangeinrichtung lässt sich mit dem Rechtsbegehren auf vollumfängliche
Abweisung der Beschwerde vernehmen; sodann sei "in Abänderung des
vorinstanzlichen Urteils" M.________ zu verpflichten, ihr auf Fr. 500.- Zins
zu 6 % seit 23. August 2005 zu bezahlen.

Das Bundesamt für Sozialversicherungen (BSV) äussert sich in grundsätzlicher
Weise zur Sach- und Rechtslage, ohne einen Antrag zu stellen.

Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:

1.
Beide Parteien gehen übereinstimmend davon aus, dass der Anschlussvertrag mit
Wirkung ab 1. Januar 2005 aufgehoben worden ist. Obwohl man mit dem BSV die
Frage nach der Zulässigkeit der am 15. Juni 2004 auf den 31. Dezember 2004
ausgesprochenen Kündigung im Lichte der gesetzlichen Kontrahierungspflicht
der Auffangeinrichtung gegenüber den - wie M.________ - anschlusswilligen
Arbeitgebern gemäss Art. 60 Abs. 2 lit. b BVG mit Fug in Frage stellen
könnte, ist darauf nicht weiter einzugehen, da eine Wiederherstellung des
Anschlussvertrages verfahrensrechtlich ausscheidet. Streitig und zu prüfen
ist allein, ob die vorinstanzlich eingeklagten Fr. 500.-, welche die
Auffangeinrichtung unter dem Titel "Vertragsauflösung" oder dadurch
verursachter "administrativer Mehraufwand" fordert, rechtlich geschuldet
sind. Es handelt sich hiebei um eine Streitigkeit aus Auflösung des
Anschlussvertrages, für welche die Sozialversicherungsgerichte nach Art. 73
BVG und Art. 128 i.V.m. Art. 98 lit. g OG zuständig sind.

Da der angefochtene Gerichtsentscheid nicht die Bewilligung oder Verweigerung
von Versicherungsleistungen betrifft, gilt die Kognition nach Art. 104 und
105 OG. In diesem Rahmen kann die fehlerhafte Auslegung und Anwendung des
zwischen den beiden Parteien bis 31. Dezember 2004 gültig gewesenen
Anschlussvertragsrechts als Bundesrechtsverletzung im Sinne von Art. 104
lit. a OG gerügt werden.

2.
Die Auffangeinrichtung stützt sich bei ihrem Anspruch auf einen Anhang zum
Anschlussvertrag, welcher, soweit von Bedeutung, lautet:
"Anhang zur Anschlussvereinbarung (gültig ab 1.9.2001)
(Beitragsanteile zur Deckung von ausserordentlichen administrativen
Bearbeitungskosten)

Allgemeine Durchführung der Vorsorge

(...)

Rechnungstellung:

(...)

Inkasso:

(...)
Auflösung des Anschlusses:
Wenn bei Kündigung der Vereinbarung beitragspflichtige Arbeitnehmer vorhanden
sind oder der selbständigerwerbende Firmeninhaber ausscheidet."

pro versicherte Person Fr. 150.-,
im Minimum Fr. 500.-

2.1 Beide Parteien gehen - zu Recht - übereinstimmend davon aus, dass diese
Kostenfolge von minimal Fr. 500.- im Zusammenhang mit der Auflösung des
Anschlusses nur zur Anwendung gelangt, wenn die Kündigung der
Anschlussvereinbarung durch den beitragspflichtigen Arbeitgeber erfolgt (oder
durch den selbstständigerwerbenden Firmeninhaber). Dass dies auch die
Auffangeinrichtung so versteht, geht aus ihrem Argumentieren vor- und
letztinstanzlich hervor, wonach die Fr. 500.- deswegen in Rechnung gestellt
würden, weil in Tat und Wahrheit nicht sie selber, sondern M.________
gekündigt habe. Davon abgesehen weist der Rechtsvertreter der
Beschwerdeführerin zutreffend darauf hin, dass - wollte man nicht von diesem
übereinstimmenden Verständnis der Vertragsklausel durch die Parteien ausgehen
- der Passus zumindest als unklar bezeichnet werden müsste, was sich nach der
praxisgemäss auch auf diesem Gebiet anwendbaren Regel der interpretatio
contra stipulatorem zum Nachteil der Auffangeinrichtung auswirken würde (BGE
132 V 150 Erw. 5 Ingress mit Hinweisen).

2.2 Damit hängt alles von der entscheidenden Frage ab, ob in Anbetracht der
im Sachverhalt lit. A aufgelisteten Geschehnisse, insbesondere des im
Wortlaut wiedergegebenen Schreibens, eine Auflösung durch die
Auffangeinrichtung anzunehmen ist. Diesbezüglich ist Letztere beim kantonalen
Gericht mit der Argumentation durchgedrungen, sie habe gar nicht die
Kündigung ausgesprochen; diese sei bloss formeller Natur (und auch als solche
gekennzeichnet) gewesen, sei doch uno actu - im gleichen Schreiben - der
Arbeitgeberin der Abschluss eines neu redigierten, an die BVG-Änderungen
angepassten Anschlussvertrages vorgeschlagen worden, ohne dass dies für sie
zu einer finanziellen Mehrbelastung geführt hätte. Daher sei es letztlich das
Verhalten der Beschwerdeführerin gewesen, welches für die Auflösung des
Anschlussvertrages kausal gewesen sei, indem sie sich einer neuen
Vorsorgeeinrichtung angeschlossen und die Offerte für einen neuen
Anschlussvertrag nicht akzeptiert habe.

Dieser Betrachtungsweise kann, mit den Vorbringen in der
Verwaltungsgerichtsbeschwerde, nicht beigepflichtet werden. Das im Wortlaut
wiedergegebene Schreiben stellt eine Willenserklärung dar. Deren Tragweite
beurteilt sich, wenn die Parteien - Erklärender und Empfänger - darüber
dissentieren, nach dem Vertrauensprinzip, d.h. nach Massgabe einer
objektivierten Betrachtungsweise, welche danach fragt, wie der Erklärende
seine Erklärung von einem durchschnittlichen unbefangenen Dritten nach Treu
und Glauben verstanden haben durfte und musste (vgl. etwa BGE 129 III 707
Erw. 2.4 mit zahlreichen Hinweisen). So besehen durfte die
Beschwerdeführerin, konfrontiert mit dem Schreiben vom 15. Juni 2004, davon
ausgehen, dass die Auffangeinrichtung - aus den namhaft gemachten Gründen -
das bestehende Anschlussverhältnis auflöste und gleichzeitig zum Ausdruck
brachte, am Abschluss einer neuen Anschlussvereinbarung interessiert zu sein.
Wenn die Beschwerdeführerin nur dem ersten Teil der Erklärung (Auflösung des
Vertrages) Folge leistete, nicht aber dem zweiten (neue Offertstellung),
lässt sich dies rechtlich nicht beanstanden. Es mag sein, dass die
Auffangeinrichtung an sich gar keine Auflösung des Anschlussvertrages
beabsichtigte - ja vielleicht eine solche gar nicht aussprechen durfte -,
sondern dass es sich im Grunde genommen um einen Vorschlag zu einer
Vertragsabänderung handelte. Trotzdem durfte die Beschwerdeführerin in guten
Treuen die Erklärung so verstehen, wie sie es tat, nämlich als Auflösung, was
ihr als freiwillig bei der Auffangeinrichtung angeschlossenen Arbeitgeberin
die Möglichkeit eröffnete, zu einer andern Vorsorgeeinrichtung zu ziehen.

3.
Das Verfahren ist kostenpflichtig, weil es nicht die Bewilligung oder
Verweigerung von Versicherungsleistungen betrifft (Art. 134 OG e contrario).
Dem Prozessausgang entsprechend gehen die Gerichtskosten zu Lasten der
unterliegenden Auffangeinrichtung (Art. 156 Abs. 1 i.V.m. Art. 135 OG). Die
obsiegende Beschwerdeführerin hat Anspruch auf eine Parteientschädigung
(Art. 159 Abs. 2 OG i.V.m. Art. 135 OG).

Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht:

1.
In Gutheissung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde werden der Entscheid des
Sozialversicherungsgerichts Basel-Stadt vom 7. Februar 2006 aufgehoben und
die Klage der Auffangeinrichtung vom 21. September 2005 gegen die
Beschwerdeführerin abgewiesen.

2.
Die Gerichtskosten von Fr. 500.- werden der Auffangeinrichtung auferlegt.

3.
Der geleistete Kostenvorschuss von Fr. 500.- wird der Beschwerdeführerin
zurückerstattet.

4.
Die Auffangeinrichtung hat der Beschwerdeführerin für das Verfahren vor dem
Eidgenössischen Versicherungsgericht eine Parteientschädigung von
Fr. 1'827.60 (einschliesslich Mehrwertsteuer) zu bezahlen.

5.
Das Sozialversicherungsgericht Basel-Stadt wird über eine Neuverlegung der
Parteikosten für das kantonale Verfahren entsprechend dem Ausgang des
letztinstanzlichen Prozesses zu befinden haben.

6.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Sozialversicherungsgericht Basel-Stadt
und dem Bundesamt für Sozialversicherung zugestellt.

Luzern, 15. Dezember 2006

Im Namen des Eidgenössischen Versicherungsgerichts

Der Präsident der III. Kammer: Die Gerichtsschreiberin: