Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

Sozialrechtliche Abteilungen B 27/2006
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Prozess {T 7}
B 27/06

Urteil vom 1. Dezember 2006
IV. Kammer

Präsident Ursprung, Bundesrichter Schön und Frésard; Gerichtsschreiberin
Berger Götz

H.________, Beschwerdeführer,

gegen

Winterthur-Columna, Stiftung für die berufliche Vorsorge, Paulstrasse 9, 8400
Winterthur, Beschwerdegegnerin

Versicherungsgericht des Kantons Solothurn, Solothurn

(Verfügung vom 20. Februar 2006)

Sachverhalt:

A.
H. ________ erhob am 17. Januar 2006 beim Versicherungsgericht des Kantons
Solothurn Klage gegen die Winterthur-Columna Stiftung für die berufliche
Vorsorge, Winterthur (nachfolgend: Columna), und beantragte höhere
Rentenleistungen; ferner ersuchte er um Gewährung der unentgeltlichen
Rechtspflege und Verbeiständung. Der Präsident des Versicherungsgerichts
erliess am 20. Februar 2006 eine Verfügung, mit welcher er unter anderem das
Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege in Form der Bestellung eines
unentgeltlichen Rechtsbeistandes zufolge mangelnder Bedürftigkeit ablehnte
(Dispositiv-Ziffer 4).

B.
Mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde vom 24. Februar 2006 und ergänzendem
Schreiben vom 26. Februar 2006 beantragt H.________, es sei ihm für das
Verfahren vor dem kantonalen Versicherungsgericht die unentgeltliche
Verbeiständung zu gewähren. Der Gerichtseingabe vom 24. Februar 2006 liegt
ein Schreiben der Ausgleichskasse des Kantons Solothurn vom 6. Februar 2006
bei.

Das kantonale Gericht schliesst auf Abweisung der
Verwaltungsgerichtsbeschwerde.

Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:

1.
Der kantonale Entscheid über die Verweigerung der unentgeltlichen
Verbeiständung gehört zu den Zwischenverfügungen, die einen nicht wieder
gutzumachenden Nachteil bewirken können. Er kann daher selbstständig mit
Verwaltungsgerichtsbeschwerde beim Eidgenössischen Versicherungsgericht
angefochten werden (Art. 5 Abs. 2 in Verbindung mit Art. 45 Abs. 1 und 2
lit. h VwVG sowie Art. 97 Abs. 1 und 128 OG; BGE 100 V 62 Erw. 1, 98 V 115).
Weil auch die übrigen formellen Erfordernisse gegeben sind, ist auf die
Verwaltungsgerichtsbeschwerde gegen die gerichtliche Verfügung vom 20.
Februar 2006 einzutreten.

2.
Da es im vorliegenden Verfahren nicht um die Bewilligung oder Verweigerung
von Versicherungsleistungen, sondern um eine rein prozessrechtliche Frage
geht, hat das Eidgenössische Versicherungsgericht nur zu prüfen, ob die
Vorinstanz Bundesrecht verletzt hat, einschliesslich Überschreitung oder
Missbrauch des Ermessens, oder ob der rechtserhebliche Sachverhalt
offensichtlich unrichtig, unvollständig oder unter Verletzung wesentlicher
Verfahrensbestimmungen festgestellt worden ist (Art. 132 in Verbindung mit
Art. 104 lit. a und b sowie Art. 105 Abs. 2 OG).

3.
Nach der Rechtsprechung des Eidgenössischen Versicherungsgerichts gilt der
Anspruch auf unentgeltliche Verbeiständung als allgemein gültiger
Verfahrensgrundsatz in allen Zweigen der bundesrechtlichen Sozialversicherung
auch für das Beschwerdeverfahren auf kantonaler Ebene, woran das Fehlen einer
entsprechenden Bestimmung in einzelnen Sozialversicherungsgesetzen nichts
ändert (BGE 114 V 230, 103 V 46; SVR 1995 ALV Nr. 42 S. 119 Erw. 4a; Rüedi,
Allgemeine Rechtsgrundsätze des Sozialversicherungsprozesses, in: Recht,
Staat und Politik am Ende des zweiten Jahrtausends, Festschrift zum 60.
Geburtstag von Bundesrat Arnold Koller, Bern 1993, S. 469 f.; vgl. nunmehr
auch Art. 29 Abs. 3 BV). Das Recht auf unentgeltliche Verbeiständung ist
demnach auch im kantonalen Klageverfahren der beruflichen Vorsorge nach Art.
73 Abs. 1 und 2 BVG gewährleistet (vgl. Urteil V. vom 16. Oktober 2006, B
30/05, Erw. 5.2.2).

4.
Der Begriff der Bedürftigkeit als eine der Voraussetzungen für die Gewährung
der unentgeltlichen Verbeiständung hat sich im kantonalen Klageverfahren der
beruflichen Vorsorge an der Auslegung von Art. 152 Abs. 1 OG bzw. Art. 29
Abs. 3 BV zu orientieren (Urteil B. vom 20. Dezember 2002, B 52/02, Erw. 4).
Als bedürftig gilt danach eine Person, wenn sie die Kosten eines Prozesses
nicht aufzubringen vermag, ohne jene Mittel anzugreifen, derer sie zur
Deckung des notwendigen Lebensunterhaltes für sich und ihre Familie bedarf,
wobei die Einkommens- und die Vermögensverhältnisse in Betracht zu ziehen
sind (BGE 127 I 205 Erw. 3b, 125 IV 164 Erw. 4a, 124 I 98 Erw. 3b) und das
Einkommen beider Ehegatten zu berücksichtigen ist (BGE 115 Ia 195 Erw. 3a,
108 Ia 10 Erw. 3; RKUV 1996 Nr. U 254 S. 209 Erw. 2). Die Grenze für die
Annahme von Bedürftigkeit im Sinne der Regeln über die unentgeltliche
Rechtspflege liegt höher als diejenige des betreibungsrechtlichen
Existenzminimums. Bei der Prüfung der prozessualen Bedürftigkeit geht es um
die Frage, ob und inwieweit einer Partei zugemutet werden kann, zur Wahrung
ihrer Interessen neue Verpflichtungen einzugehen oder entsprechende
Verfügungen treffen zu müssen. Wohl dürfen von der gesuchstellenden Person
gewisse Opfer verlangt werden; sie soll aber nicht gezwungen werden, sich in
eine Notlage zu begeben und die für den Prozess notwendigen Mittel dadurch zu
beschaffen, dass sie anderen dringenden Verpflichtungen nicht nachkommt. Für
die Annahme der prozessualen Bedürftigkeit genügt es, dass die
gesuchstellende Person nicht über mehr Mittel verfügt, als zur Bestreitung
eines normalen, bescheidenen Familienunterhalts nötig sind. Dabei sind die
gesamten finanziellen Verhältnisse ausschlaggebend; zu berücksichtigen sind
daher unter anderem auch fällige Steuerschulden (RKUV 2000 Nr. KV 119 S. 155
Erw. 2 [Urteil F. vom 24. Februar 2000, K 140/99], 1996 Nr. U 254 S. 208 Erw.
2; vgl. auch BGE 124 I 2 Erw. 2a).

5.
5.1 Gemäss angefochtener Verfügung des kantonalen Gerichts stehen im
vorliegenden Fall einem monatlichen Einkommen des Beschwerdeführers und
seiner Ehefrau von Fr. 8116.- (IV-Rente und Ergänzungsleistungen: Fr. 3736.-;
Rente aus beruflicher Vorsorge: Fr. 1500.-; Nebenverdienst: Fr. 88.-;
Einkommen der Ehefrau: Fr. 2792.-) Auslagen von Fr. 7639.25 (Grundbetrag für
Ehepaar: Fr. 1550.-, Grundbetrag für ein elfjähriges Kind: Fr. 350.-;
Zuschlag      20 %: Fr. 380.-; weitere Ausgaben gemäss Ziffer 6 des
URP-Formulars, ausgefüllt durch den Versicherten) gegenüber, woraus ein
Überschuss von Fr. 476.75 resultiert. Mit einem monatlichen
Einkommensüberschuss von über Fr. 400.- sei es dem Gesuchsteller möglich und
zumutbar, neben seinem gewöhnlichen Lebensunterhalt einen Rechtsbeistand aus
eigenen Mitteln zu finanzieren; die Vermögenslage müsse unter diesen
Umständen nicht näher geprüft werden.

5.2 In der Verwaltungsgerichtsbeschwerde und im Ergänzungsschreiben vom 24.
Februar 2006 wird geltend gemacht, im Gesuch um Gewährung der unentgeltlichen
Rechtspflege würden zwar sowohl Rente der beruflichen Vorsorge ab 1. Januar
2006 als auch Ergänzungsleistungen zur Rente der Invalidenversicherung
aufgeführt. Diese beiden Leistungen seien aber nicht kumulativ zu verstehen.
Berücksichtige man, dass die Ergänzungsleistungen von monatlich Fr. 1249.-
nicht mehr ausgerichtet würden, so resultiere ein monatliches Einkommen von
lediglich Fr. 6867.-. Das kantonale Gericht gehe damit fälschlicherweise von
einem Einkommensüberschuss aus.

5.3 Dem Versicherten wird gemäss Schreiben der Columna vom 18. November 2005
rückwirkend ab Februar 2003 eine Rente der beruflichen Vorsorge von Fr.
1500.- (zuzüglich Kinderrenten) gewährt. Die Ausgleichskasse des Kantons
Solothurn hat mit Blick auf diesen Umstand eine Neuberechnung vorgenommen und
festgestellt, ab Juli 2004 bestehe überhaupt kein Anspruch auf
Ergänzungsleistungen mehr und in der Zeit von Februar 2003 bis Juni 2004
seien zu hohe Ergänzungsleistungen zur Auszahlung gelangt. Sie forderte darum
den Versicherten mit Schreiben vom 6. Februar 2006 auf, in den Monaten
Februar 2003 bis Januar 2006 zuviel bezogene Ergänzungsleistungen im Betrag
von gesamthaft Fr. 44'815.- zurückzuerstatten. Die Vorinstanz hat im
vorliegend angefochtenen Zwischenentscheid bei der Berechnung der monatlichen
Einnahmen des Versicherten sowohl die Rente aus beruflicher Vorsorge im
Umfang von Fr. 1500.- als auch Ergänzungsleistungen von Fr. 1249.-
berücksichtigt. Wie sie in ihrer Vernehmlassung angibt, hat sie keine
Kenntnis von einem nunmehr fehlenden Anspruch auf Ergänzungsleistungen. Der
im kantonalen Verfahren vom Versicherten eingereichte (Bank-)Kontoauszug
zeige vielmehr, dass im Januar 2006 Ergänzungsleistungen ausgerichtet worden
seien. Es verhält sich tatsächlich so, dass dem Beschwerdeführer auch im
Januar 2006 noch Ergänzungsleistungen ausbezahlt wurden. Das
Rückforderungsschreiben der Ausgleichskasse erging in der Folge erst am 6.
Februar 2006. Das kantonale Gericht hatte im Zeitpunkt des Verfügungserlasses
(20. Februar 2006) über das Dahinfallen des Ergänzungsleistungsanspruchs
zweifellos keine Kenntnis. Auch ohne Wissen um die konkrete Rückforderung der
Ausgleichskasse lag es allerdings bereits am 20. Februar 2006 auf der Hand,
dass die rückwirkende Gewährung der Rente aus beruflicher Vorsorge eine
Herabsetzung oder den Wegfall der Ergänzungsleistungen mit sich bringen
musste. Der Einbezug der Rente aus beruflicher Vorsorge und der in bisherigem
Umfang geleisteten Ergänzungsleistungen in die Einkommensberechnung der
Vorinstanz ist daher als offensichtlich unrichtige Feststellung des
rechtserheblichen Sachverhalts (Erw. 2 hiervor) zu qualifizieren.

5.4 Zur Berechnung der monatlichen Ausgaben hat das kantonale Gericht in der
Verfügung vom 20. Februar 2006 auf die Angaben des Beschwerdeführers
abgestellt mit dem Hinweis, dass die behaupteten Ausgaben nur teilweise
belegt seien, "doch ist der Kläger hier bei seinen eigenen Angaben zu
behaften". In der letztinstanzlich eingereichten Vernehmlassung wird nunmehr
geltend gemacht, selbst wenn von einem tieferen Einkommen von Fr. 6867.-
(exklusive Ergänzungsleistungen) ausgegangen werde, resultiere -
berücksichtige man lediglich die ausgewiesenen Kosten - ein Überschuss.

Die Angaben im vorinstanzlich eingereichten Gesuch zur Erlangung der
unentgeltlichen Rechtspflege vom 14. Februar 2006 sind in sich schlüssig und
die Steuerverhältnisse wurden von der Wohngemeinde dargelegt. Es ist
allerdings mit dem kantonalen Gericht einig zu gehen, dass die geltend
gemachten Ausgaben nur teilweise ausgewiesen sind. Im kantonalen Verfahren
wurde dennoch auf die Angaben des Versicherten abgestellt. Es wurde davon
abgesehen, zusätzliche Abklärungen vorzunehmen. Weil aber bei einer korrekten
Berechnung der Einnahmen (unter anderem auch unter Einbezug allfälliger
Kinderrenten) die Genehmigung der unentgeltlichen Verbeiständung davon
abhängt, ob man die behaupteten Ausgaben vollständig oder nur zu einem Teil
berücksichtigt, muss dem Versicherten vor einem Entscheid zur unentgeltlichen
Verbeiständung Gelegenheit geboten werden, seine Angaben zu substantiieren
und Unterlagen nachzureichen. Die Vorinstanz wird ihm eine Frist ansetzen
müssen, damit er die notwendigen Ausgaben (unter Einbezug von
Rückzahlungsverpflichtungen und von allfälligen Unterhaltszahlungen an die
Kinder aus der vorherigen Ehe und an die ehemalige Ehefrau) sowie die
Vermögenssituation darlegen und vom kantonalen Gericht genau bezeichnete
Beweise einreichen kann. Hernach wird die Vorinstanz, gestützt auf das
Ergebnis der Abklärungen, erneut über die Gewährung oder Ablehnung der
unentgeltlichen Verbeiständung für das kantonale Gerichtsverfahren zu
entscheiden haben.

6.
Gemäss Praxis (SVR 1994 IV Nr. 29 S. 76 Erw. 4; Urteil B. vom 20. Dezember
2002, B 52/02, Erw. 6) werden in Verfahren, welche die Frage der Gewährung
der unentgeltlichen Rechtspflege für den kantonalen Prozess zum Gegenstand
haben, keine Gerichtskosten erhoben.

Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht:

1.
Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird in dem Sinne gutgeheissen, dass
Dispositiv-Ziffer 4 der präsidialen Verfügung des Versicherungsgerichts des
Kantons Solothurn vom 20. Februar 2006 aufgehoben und die Sache an die
Vorinstanz zurückgewiesen wird, damit sie über das Gesuch um unentgeltliche
Verbeiständung neu befinde.

2.
Es werden keine Gerichtskosten erhoben.

3.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Versicherungsgericht des Kantons
Solothurn und dem Bundesamt für Sozialversicherungen zugestellt.

Luzern, 1. Dezember 2006

Im Namen des Eidgenössischen Versicherungsgerichts

Der Präsident der IV. Kammer: Die Gerichtsschreiberin: