Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

Sozialrechtliche Abteilungen B 161/2006
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B 161/06

Urteil vom 17. Dezember 2007
II. sozialrechtliche Abteilung

Bundesrichter U. Meyer, Präsident,
Bundesrichter Lustenberger, Seiler,
Gerichtsschreiberin Keel Baumann.

Sammelstiftung BVG der Allianz Suisse
Lebensversicherungs-Gesellschaft,
Laupenstrasse 27, 3001 Bern, Beschwerdeführerin,

gegen

M.________, 1975, Beschwerdegegner,
vertreten durch Rechtsanwalt Stefan Galligani, Ruederstrasse 8, 5040
Schöftland.

Berufliche Vorsorge,

Verwaltungsgerichtsbeschwerde gegen den Entscheid des Versicherungsgerichts
des Kantons Aargau
vom 31. Oktober 2006.

Sachverhalt:

A.
Der 1975 geborene M.________ arbeitete ab Mai 1994 bei der Q.________ AG und
war in dieser Eigenschaft bei der Personalfürsorge- und
Hinterbliebenen-Stiftung X.________ vorsorgeversichert. Ab Dezember 1998 war
M.________ wegen Kreuzbeschwerden immer wieder zu 50 % oder 100 %
arbeitsunfähig. Mit Wirkung auf Ende Juni 1999 kündigte die Q.________ AG das
Arbeitsverhältnis. Im Juni 1999 meldete sich M.________ unter Hinweis auf ein
Rückenleiden bei der Invalidenversicherung zum Leistungsbezug an.
Im März 2000 unterzog sich der Versicherte in der Orthopädischen Klinik des
Spitals X.________ einer ventralen Spondylodese L5/S1 und im März 2001 einer
dorsalen Spondylodese mit USS L5/S1. Nach Abklärung der gesundheitlichen und
erwerblichen Verhältnisse sprach ihm die IV-Stelle des Kantons Aargau mit
Wirkung ab 1. März 2001 eine halbe Rente der Invalidenversicherung zu
(Invaliditätsgrad: 58 %; Verfügung vom 19. August 2003).

B.
Im Januar 2005 liess M.________ gegen die Allianz Suisse
Lebensversicherungs-Gesellschaft, in welche die Personalfürsorge- und
Hinterbliebenen-Stiftung X.________ fusioniert hatte, Klage einreichen und
beantragen, die Beklagte sei zu verpflichten, ihm gestützt auf Art. 23 BVG
und den Versicherungsvertrag eine Invalidenrente zu erbringen. Im Laufe des
Verfahrens kam es zu einem Parteiwechsel von der Allianz Suisse
Lebensversicherungs-Gesellschaft zur Sammelstiftung BVG der Allianz Suisse
Lebensversicherungs-Gesellschaft. Mit Entscheid vom 31. Oktober 2006 hiess
das Versicherungsgericht des Kantons Aargau die Klage teilweise gut und
verpflichtete die Beklagte, M.________ rückwirkend ab 1. März 2001 eine halbe
Invalidenrente "gemäss Art. 24 BVG" zu entrichten, zuzüglich Verzugszins zu
5 % ab 19. Januar 2005 für die Rentenbetreffnisse von März 2001 bis Januar
2005, für die übrigen ab jeweiligem Fälligkeitsdatum.

C.
Die Sammelstiftung BVG der Allianz Suisse Lebensversicherungs-Gesellschaft
führt Verwaltungsgerichtsbeschwerde mit dem Rechtsbegehren, der kantonale
Entscheid sei aufzuheben, soweit sie verpflichtet werde, dem Versicherten ab
1. März 2001 eine halbe Rente gemäss Art. 24 BVG auszurichten.
M.________ lässt auf Abweisung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde, soweit
darauf einzutreten sei, schliessen; gleichzeitig ersucht er um unentgeltliche
Verbeiständung. Das Bundesamt für Sozialversicherungen verzichtet auf eine
Vernehmlassung.

Erwägungen:

1.
1.1 Am 1. Januar 2007 ist das Bundesgesetz über das Bundesgericht vom
17. Juni 2005 (BGG; SR 173.110) in Kraft getreten (AS 2006 1205, 1243). Da
der angefochtene Entscheid vorher ergangen ist, findet auf das Verfahren noch
das OG Anwendung (Art. 132 Abs. 1 BGG; BGE 132 V 393 E. 1.2 S. 395).

1.2 Beim Prozess um Invalidenleistungen einer Berufsvorsorgeeinrichtung
handelt es sich um einen Streit um Versicherungsleistungen, weshalb sich die
Überprüfungsbefugnis des Bundesgerichts nach Art. 132 OG richtet. Danach ist
die Kognition nicht auf die Verletzung von Bundesrecht einschliesslich
Überschreitung oder Missbrauch des Ermessens beschränkt, sondern sie
erstreckt sich auch auf die Angemessenheit der angefochtenen Verfügung. Das
Gericht ist dabei nicht an die vorinstanzliche Feststellung des
rechtserheblichen Sachverhalts gebunden und kann über die Begehren der
Parteien zu deren Gunsten oder Ungunsten hinausgehen. Ferner ist das
Verfahren regelmässig kostenlos (Art. 134 OG; BGE 129 V 251 E. 1.2 S. 253;
126 V 163 E. 1 S. 165).

2.
Streitig und zu prüfen ist, ob der Versicherte Anspruch auf eine
Invalidenrente der Beschwerdeführerin hat, wobei letztinstanzlich nur
Leistungen aus dem obligatorischen Bereich in Frage stehen.

2.1 Die Vorinstanz hat unter Hinweis auf Gesetz (Art. 23 BVG in der bis
31. Dezember 2004 gültig gewesenen Fassung; vgl. aber auch Art. 23
lit. a BVG) und Rechtsprechung (BGE 123 V 262 E. 1c S. 264 f., 120 V 112
E. 2c S. 117; vgl. auch BGE 130 V 270 E. 4.1 S. 275) richtig dargelegt, dass
die Vorsorgeeinrichtung, der ein Arbeitnehmer bei Eintritt der
Arbeitsunfähigkeit angeschlossen war, für die erst nach Beendigung des
Vorsorgeverhältnisses eingetretene Invalidität aufzukommen hat und
leistungspflichtig wird, wenn zwischen der Arbeitsunfähigkeit und der
nachfolgenden Invalidität in sachlicher und zeitlicher Hinsicht ein enger
Zusammenhang besteht. Zutreffend dargestellt wurde auch, dass der sachliche
Zusammenhang zu bejahen ist, wenn der der Invalidität zugrunde liegende
Gesundheitsschaden im Wesentlichen derselbe ist, der zur Arbeitsunfähigkeit
geführt hat (BGE 123 V 262 E. 1c S. 265, 120 V 112 E. 2c/aa und bb S. 117 f.
mit Hinweisen), und dass die Annahme eines engen zeitlichen Zusammenhangs
voraussetzt, dass die versicherte Person nach Eintritt der Arbeitsunfähigkeit
nicht während längerer Zeit wieder arbeitsfähig wurde (BGE 123 V 262 E. 1c
S. 265 mit Hinweisen). Darauf wird verwiesen.

2.2 Die Beschwerdeführerin ist grundsätzlich leistungspflichtig, wenn
zwischen der während des vom 2. Mai 1994 bis 30. Juli 1999 (inkl. einmonatige
Nachdeckungsfrist des Art. 10 Abs. 3 Satz 1 BVG) dauernden
Vorsorgeverhältnisses eingetretenen Arbeitsunfähigkeit und der nachfolgenden
Invalidität, welche zur Zusprechung einer halben Rente der
Invalidenversicherung rückwirkend ab 1. März 2001 geführt hat, ein enger
sachlicher und zeitlicher Zusammenhang besteht.
Nach den medizinischen Akten (insbesondere Bericht der Rheumaklinik des
Spitals X.________ vom 29. Juli 1999) war der Beschwerdegegner seit
1. Dezember 1998 wegen Kreuzbeschwerden immer wieder zu 50 % oder 100 %
arbeitsunfähig. Seit der mit Wirkung auf Ende Juni 1999 erfolgten Beendigung
des Arbeitsverhältnisses ist er in der bisherigen Tätigkeit vollständig
arbeitsunfähig (Bericht des Spitals X.________ vom 1. Februar 2002); er geht
seither keiner Erwerbstätigkeit mehr nach. Am 31. März 2000 unterzog er sich
einer ventralen Spondylodese L5/S1 bei diagnostizierter Spondylolyse und am
16. März 2001 einer dorsalen Spondylodese mit USS L5/S1. Bei dieser Sachlage
ist mit der Vorinstanz ein sachlicher und zeitlicher Zusammenhang zwischen
der während der Dauer des Vorsorgeverhältnisses mit der Beschwerdeführerin
eingetretenen Arbeitsunfähigkeit und der nachfolgenden Invalidität zu
bejahen. Denn der der Invalidität zugrunde liegende Gesundheitsschaden
(Erkrankung der Wirbelsäule) ist von der Art her derselbe, der bereits ab
Dezember 1998 zur Arbeitsunfähigkeit geführt hat, und der Versicherte wurde
seither nicht während längerer Zeit wieder arbeitsfähig.
Entgegen der in der Beschwerde vertretenen Auffassung vermag hieran nichts zu
ändern, dass gemäss wiederholter Berichterstattung der Rheumaklinik des
Spitals X.________ bis zur ersten Operation für leichte, rückenschonende
Tätigkeiten volle Arbeitsfähigkeit und nur im bisher ausgeübten Beruf eine
Arbeitsunfähigkeit von 50 % bestand; denn rechtsprechungsgemäss ist unter
relevanter Arbeitsunfähigkeit im Sinne von Art. 23 BVG gerade eine Einbusse
an funktionellem Leistungsvermögen im bisherigen Beruf oder Aufgabenbereich
zu verstehen (Urteil B 49/00 vom 7. Januar 2003 [mit Zusammenfassung in
SZS 2003 S. 521]; vgl. auch BGE 114 V 281 E. 3c S. 286). Soweit die
Beschwerdeführerin ihre Leistungszuständigkeit verneint mit der Begründung,
im Zeitpunkt des Beginns der Wartezeit von einem Jahr gemäss Art. 29 Abs. 1
lit. b IVG in Verbindung mit Art. 26 BVG, welchen sie auf März 2000
festsetzt, sei der Beschwerdegegner nicht mehr bei ihr versichert gewesen,
übersieht sie, dass der Eintritt der relevanten Arbeitsunfähigkeit der
massgebende Zeitpunkt ist, unabhängig davon, wann und in welchem Mass daraus
ein Anspruch auf Invalidenleistungen entsteht. Die Versicherteneigenschaft
muss nur bei Eintritt der Arbeitsunfähigkeit gegeben sein, nicht
notwendigerweise auch im Zeitpunkt des Eintritts oder der Verschlimmerung der
Invalidität. Denn die versicherte Person wird oft erst nach einer längeren
Zeit der Arbeitsunfähigkeit (nach einer Wartezeit von einem Jahr gemäss
Art. 29 Abs. 1 lit. b IVG in Verbindung mit Art. 26 BVG) invalid. Dem
Schutzzweck der zweiten Säule entsprechend soll das Invaliditätsrisiko auch
dann gedeckt sein, wenn es rechtlich gesehen erst nach einer langen Krankheit
eintritt, während welcher die Person - wie dies beim Beschwerdegegner der
Fall ist - aus dem Arbeitsverhältnis ausgeschieden ist und daher nicht mehr
dem Obligatorium unterstand (BGE 123 V 262 E. 1b S. 264, 121 V 97 E. 2a
S. 101 f.). Aus diesem Grund ist unerheblich, dass die Wartezeit im
invalidenversicherungsrechtlichen Sinne gemäss Verfügung der IV-Stelle vom
19. August 2003 erst im März 2000 eröffnet wurde; denn dieser Zeitpunkt ist
nur massgebend für den Beginn der Invalidenrente, der von der Vorinstanz
entsprechend der Verfügung der IV-Stelle zutreffend (was in der Beschwerde
denn auch nicht bestritten wird) auf März 2001 festgelegt worden ist.

2.3 Damit ist die Leistungspflicht der Beschwerdeführerin zu bejahen und zwar
auch dann, wenn - wie diese insoweit mit Recht vorbringt -  einzig auf das
Gesetz und nicht auf eine allenfalls weitergehende reglementarische
Bestimmung abgestellt wird. Des Weitern ist nicht zu beanstanden, dass die
Vorinstanz dem Versicherten eine halbe Rente zugesprochen hat (vgl. Art. 24
Abs. 1 BVG in der bis 31. Dezember 2004 und in der seither geltenden
Fassung); Ausführungen dazu erübrigen sich, da sich die Vorsorgeeinrichtung
in der Beschwerde mit dem Umfang des Rentenanspruchs nicht auseinandergesetzt
hat und nach der Aktenlage kein Anlass besteht, darauf von Amtes wegen näher
einzugehen (E. 1.2; BGE 110 V 48 E. 4a S. 52 f.).

3.
Das Verfahren ist kostenlos (Art. 134 OG). Entsprechend dem Ausgang des
Prozesses hat der Beschwerdegegner Anspruch auf Parteientschädigung (Art. 159
Abs. 1 und 2 OG in Verbindung mit Art. 135 OG); das von ihm gestellte Gesuch
um unentgeltliche Verbeiständung ist damit gegenstandslos.

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird abgewiesen.

2.
Es werden keine Gerichtskosten erhoben.

3.
Die Beschwerdeführerin hat Rechtsanwalt Stefan Galligani, Schöftland, für das
bundesgerichtliche Verfahren mit Fr. 2500.- zu entschädigen.

4.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Versicherungsgericht des Kantons Aargau
und dem Bundesamt für Sozialversicherungen schriftlich mitgeteilt.
Luzern, 17. Dezember 2007

Im Namen der II. sozialrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident: Die Gerichtsschreiberin:

i.V.

Meyer Keel Baumann