Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

Sozialrechtliche Abteilungen B 131/2006
Zurück zum Index Sozialrechtliche Abteilungen 2006
Retour à l'indice Sozialrechtliche Abteilungen 2006


B 131/06

Urteil vom 25. Mai 2007
II. sozialrechtliche Abteilung

Bundesrichter U. Meyer, Präsident,
Bundesrichter Lustenberger, Kernen,
Gerichtsschreiber R. Widmer.

Personalvorsorgestiftung der Firma X.________,  Beschwerdeführerin,

gegen

M.________, 1951, Beschwerdegegner, vertreten durch  den Procap,
Schweizerischer Invaliden-Verband, Froburgstrasse 4, 4600 Olten.

Berufliche Vorsorge,

Verwaltungsgerichtsbeschwerde gegen den Entscheid des Versicherungsgerichts
des Kantons St. Gallen vom 29. August 2006.

Sachverhalt:

A.
Der 1951 geborene M.________ war seit 1974 bei der Firma X.________
angestellt und für die berufliche Vorsorge bei deren Personalvorsorgestiftung
BVG versichert. Seit 1975 war er Abteilungsleiter im Non Food-Bereich im
Wareneingang. Nach Spannungen am Arbeitsplatz hielt er sich vom 29. November
1998 bis 9. Januar 1999 zur stationären Behandlung in der Klinik Y.________,
Fachklinik für kardiale und psychosomatische Rehabilitation, auf. Nachdem
M.________ anschliessend laut ärztlichen Feststellungen nur hälftig
arbeitsfähig war, wurde er von der Firma X.________ auf den 31. Juli 1999
entlassen. In der Folge bezog er Taggelder der Arbeitslosenversicherung.

Mit Verfügung vom 11. November 2003 sprach die IV-Stelle des Kantons St.
Gallen M.________ ab November 1999 bei einem Invaliditätsgrad von 100 % eine
ganze Rente der Invalidenversicherung zu, welche zufolge verspäteter
Anmeldung erst ab 1. Januar 2001 ausgerichtet wurde.

B.
Am 28. Dezember 2005 liess M.________ beim Versicherungsgericht des Kantons
St. Gallen Klage einreichen mit den Anträgen, die Personalvorsorgestiftung
BVG der Firma X.________ sei zu verpflichten, ihm aus dem Vorsorgeverhältnis
spätestens ab 1. November 1999 eine Invalidenrente auf Grund eines
Invaliditätsgrades von 100 % gemäss den gesetzlichen und reglementarischen
Bestimmungen zuzüglich Zins zu 5 % ab Klageeinreichung zu bezahlen; ferner
sei die Personalvorsorgestiftung zu verhalten, ihn auf den frühestmöglichen
Zeitpunkt von der Beitragspflicht zu befreien.

Das Versicherungsgericht stellte mit Entscheid vom 29. August 2006 in
Gutheissung der Klage fest, dass M.________ auf Grund eines
Invaliditätsgrades von 100 % ab 1. November 1999 Anspruch auf eine volle
Invalidenrente aus der beruflichen Vorsorge hat. Des Weitern verpflichtete es
die Vorsorgeeinrichtung, dem Versicherten das Rentenbetreffnis zuzüglich Zins
zu 5 % ab 28. Dezember 2005 nachzuzahlen und stellte fest, dass M.________ ab
1. März 1999 von der Beitragspflicht befreit sei.

C.
Die Personalvorsorgestiftung führt Verwaltungsgerichtsbeschwerde mit dem
Rechtsbegehren, unter Aufhebung des vorinstanzlichen Entscheides sei die
Klage abzuweisen.

M.________ lässt die Abweisung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde beantragen.
Das Bundesamt für Sozialversicherungen verzichtet auf eine Vernehmlassung.

Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

1.
Das Bundesgesetz über das Bundesgericht vom 17. Juni 2005 (BGG; SR 173.110)
ist am 1. Januar 2007 in Kraft getreten (AS 2006 1205, 1243). Da der
angefochtene Entscheid vorher ergangen ist, richtet sich das Verfahren noch
nach OG (Art. 132 Abs. 1 BGG; BGE 132 V 393 E. 1.2 S. 395).

2.
Im Beschwerdeverfahren um die Bewilligung oder Verweigerung von
Versicherungsleistungen ist die Überprüfungsbefugnis des Eidgenössischen
Versicherungsgerichts nicht auf die Verletzung von Bundesrecht
einschliesslich Überschreitung oder Missbrauch des Ermessens beschränkt,
sondern sie erstreckt sich auch auf die Angemessenheit der angefochtenen
Verfügung; das Gericht ist dabei nicht an die vorinstanzliche Feststellung
des rechtserheblichen Sachverhalts gebunden und kann über die Begehren der
Parteien zu deren Gunsten oder Ungunsten hinausgehen (Art. 132 OG).

3.
Wie die Vorinstanz zutreffend dargelegt hat, ist die Personalvorsorgestiftung
nicht an die Feststellungen der IV-Stelle hinsichtlich Eintritts der
Arbeitsunfähigkeit sowie Höhe des Invaliditätsgrades gebunden, da sie nicht
in das Verfahren der Invalidenversicherung einbezogen wurde (BGE 132 V 1 E.
3.3.2 S. 5). Im Folgenden ist somit frei zu prüfen, in welchem Zeitpunkt die
Arbeitsunfähigkeit, deren Ursache der Invalidität zu Grunde liegt,
eingetreten ist.

4.
Im angefochtenen Entscheid wird unter Hinweis auf Gesetz (Art. 23 BVG in der
bis 31. Dezember 2004 gültig gewesenen Fassung) und Rechtsprechung (BGE 123 V
262 E. 1b und c S. 264, 120 V 112 E. 2b und c S. 116 ff.) zutreffend
dargelegt, dass die Vorsorgeeinrichtung, der ein Arbeitnehmer bei Eintritt
der Arbeitsunfähigkeit angeschlossen war, für die erst nach Beendigung des
Vorsorgeverhältnisses eingetretene Invalidität aufzukommen hat und
leistungspflichtig wird, wenn zwischen der Arbeitsunfähigkeit und der
nachfolgenden Invalidität in sachlicher und zeitlicher Hinsicht ein enger
Zusammenhang besteht. Richtig sind auch die Ausführungen zu den von der
Rechtsprechung (BGE 123 V 262 E. 1c S. 264, 120 V 112 E. 2c/aa S. 117)
umschriebenen Voraussetzungen, unter denen in sachlicher und zeitlicher
Hinsicht ein enger Zusammenhang anzunehmen ist. Darauf kann verwiesen werden.

5.
Auf Grund der medizinischen Unterlagen kann als erstellt gelten und ist
unbestritten, dass der enge sachliche Zusammenhang gegeben ist, da die ab
November 1999 zu einer vollständigen Invalidität führende Arbeitsunfähigkeit
auf denselben Gesundheitsschaden zurückzuführen ist, welcher beim
Beschwerdegegner bereits ab November 1998 eine teilweise Arbeitsunfähigkeit
verursacht hat. Streitig und zu prüfen ist hingegen, ob auch ein enger
zeitlicher Konnex vorliegt.

5.1 Die Vorinstanz bejahte diese Frage. Sie stellte auf die Angaben des
Psychiaters Dr. med. S.________ ab, welcher dem Beschwerdegegner ab 25.
November 1998 bis 31. Januar 1999 volle und vom 1. Februar bis 31. Juli 1999
hälftige Arbeitsunfähigkeit, vom        1. August 1999 bis 31. Januar 2001
volle Arbeitsfähigkeit und anschliessend wiederum eine Arbeitsunfähigkeit von
100 % attestierte. Im Wesentlichen stützte sich das kantonale Gericht jedoch
auf ein versehentlich vom 22. Februar 2003 datiertes Schreiben des Dr.
S.________, worin dieser rückwirkend ab 25. November 1998 für alle
Tätigkeiten aus psychischen Gründen eine volle Arbeitsunfähigkeit
attestierte.

Demgegenüber vertritt die Personalvorsorgestiftung die Auffassung, dass in
zeitlicher Hinsicht kein Zusammenhang bestehe. Das Zeugnis des Dr. med.
S.________ vom 22. Februar 2003, der dem Beschwerdegegner nach über vier
Jahren durchgehend eine volle Arbeitsunfähigkeit ab 25. November 1998
attestiert hatte, sei nicht glaubwürdig. Der Versicherte sei nach Auflösung
des Arbeitsverhältnisses mit der Firma X.________ ab 1. August 1999
vollständig vermittlungsfähig gewesen. Er sei im September und Oktober 1999
in der Lage gewesen, drei mehrtägige Computerkurse zu besuchen. Im Februar
2000 habe er sodann einen Kurs in Lager-Bewirtschaftung absolviert, und vom
3. April bis 6. Oktober 2000 habe er an einem Beschäftigungsprogramm
teilgenommen. Unter diesen Umständen sei der zeitliche Zusammenhang als
unterbrochen zu betrachten.

5.2 Wie die Beschwerdeführerin zutreffend einwendet, sind nach der
Rechtsprechung zur Beurteilung des zeitlichen Zusammenhangs vor allem auch
die in der Arbeitswelt nach aussen in Erscheinung tretenden Verhältnisse zu
berücksichtigen, so z.B. die Angaben gegenüber der Arbeitslosenversicherung
(Urteil B 23/01 vom 21. November 2002, zusammengefasst in SZS 2003 S. 509).
In dieser Hinsicht gilt es zu beachten, dass der Beschwerdegegner sich im
Antrag auf Arbeitslosenentschädigung vom 1. August 1999 als voll arbeitsfähig
bezeichnete und bereit erklärte, vollzeitlich zu arbeiten. Dementsprechend
bezog er Taggelder für Ganzarbeitslosigkeit. Vom 20. bis 24. September 1999
besuchte er auf Anweisung des Kantonalen Amtes für Arbeit den Kurs "Word for
Windows" und ab 27. September 1999 einen ebenfalls einwöchigen Excel-Kurs. Am
3. November 1999 lehnte es der Versicherte ab, eine bis 29. Februar 2000
befristete Stelle als Rayonleiter anzunehmen, wobei er geltend machte, dass
er auf Grund seines Gesundheitszustandes nicht mehr an der Front arbeiten
könne. Vom      7. bis 11. Februar 2000 besuchte der Beschwerdegegner einen
Kurs Lager-Bewirtschaftung. Vom 3. April bis 30. September 2000 schliesslich
nahm er mit einem Beschäftigungsgrad von 80 % an einem Einsatzprogramm im
Museum G.________ teil, wobei er als "Mitarbeiter Hauswart" tätig war.
Anhaltspunkte, dass er diese Arbeit nicht auch in einem Vollzeitpensum hätte
verrichten können, finden sich nicht. Ab 1. Februar 2001 attestierte Dr. med.
S.________ gegenüber der Arbeitslosenversicherung volle Arbeitsunfähigkeit,
woran der Arzt auch für den Monat März 2001 festhielt. Zuhanden der
Invalidenversicherung bestätigte Dr. S.________ am 14. Mai 2002 alsdann, dass
der Beschwerdegegner nach vorübergehenden Perioden voller und teilweiser
Arbeitsfähigkeit seit 1. Februar 2001 wieder zu 100 % arbeitsunfähig sei. In
einem Schreiben vom 22. Februar 2003 an den damaligen Rechtsvertreter stellte
Dr. S.________ fest, dass der Beschwerdegegner seit 25. November 1998 bis
heute und auf Weiteres für alle Arbeiten aus psychischen Gründen gänzlich
arbeitsunfähig gewesen sei und sein werde. Wie der Arzt weiter ausführte, sei
der Versicherte während des Beschäftigungsprogramms jeweils trotz grosser
gesundheitlicher Probleme regelmässig zur Arbeit gegangen. Nachträglich
ergebe sich, dass er aus Gründen der Zumutbarkeit nicht arbeitsfähig sei.

5.3 Mit diesen nachträglichen Angaben setzt sich Dr. S.________ in klaren
Widerspruch zu seinen früheren Stellungnahmen zur Arbeitsunfähigkeit,
insbesondere zur Bescheinigung voller Arbeitsfähigkeit während der Dauer des
Leistungsbezugs bei der Arbeitslosenversicherung. Die Einschätzung des Dr.
S.________ vom 22. Februar 2003 findet aber auch in den nach aussen in
Erscheinung tretenden Verhältnissen keine Grundlage. So war der
Beschwerdegegner ohne weiteres in der Lage, zwischen September 1999 und
Februar 2000 an insgesamt drei einwöchigen Fortbildungskursen teilzunehmen,
ohne dass ihn gesundheitliche Gründe daran gehindert hätten, und von April
bis Ende September 2000 nahm er mit einem Pensum von 80 % an einem
Beschäftigungsprogramm teil. Namhafte Absenzen hatte er in dieser Zeit nicht
zu verzeichnen, musste er krankheitsbedingt doch nur an zwei Tagen der Arbeit
fern bleiben. Diese Umstände deuten darauf hin, dass der Beschwerdegegner
unmittelbar nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses mit der Firma X.________
Ende Juli 1999 wieder voll arbeitsfähig war, wie dies Dr. S.________
ursprünglich auch attestiert hatte. Dass es sich so verhalten haben dürfte,
leuchtet ein, entfiel mit der Kündigung des Anstellungsverhältnisses doch
auch die Mobbing-Situation am Arbeitsplatz, welche zumindest mitursächlich
für das psychische Leiden war. Dass die Arbeitsfähigkeit ab diesem Datum von
Dr. S.________ nur im Hinblick auf eine Wiedereingliederung - aus
therapeutischen Überlegungen - auf 100 % festgesetzt wurde, erscheint wenig
glaubwürdig, ist seitens des Arztes doch die tatsächlich festgestellte
Arbeitsfähigkeit zu bescheinigen, was dem behandelnden Arzt Dr. S.________
bestens bekannt ist.

In Würdigung der gesamten Umstände des konkreten Falls ist zu schliessen,
dass der Beschwerdegegner entgegen der nachträglichen Atteste des Dr.
S.________ vom 1. August 1999 bis 31. Januar 2001 voll arbeitsfähig war, wie
dies der gleiche Arzt ursprünglich ebenfalls angenommen und bescheinigt
hatte. Damit wurde der zeitliche Zusammenhang unterbrochen. Entgegen der
Auffassung des Beschwerdegegners ist für die Unterbrechung des zeitlichen
Zusammenhangs nicht vorausgesetzt, dass die versicherte Person die volle
Arbeitsfähigkeit in der ursprünglich ausgeübten Tätigkeit wieder erlangt.
Vielmehr ist allein entscheidend, ob nach den gesamten Umständen des
Einzelfalls davon auszugehen ist, dass eine volle Arbeitsfähigkeit wieder
erreicht wurde (Urteil B 27/03 vom 21. September 2004). Aus diesem Grund ist
nicht von ausschlaggebender Bedeutung, dass dem Beschwerdegegner bei einer
allfälligen Neuanstellung Kundenkontakte aus psychischen Gründen nicht
zumutbar waren, was im Übrigen vom Amt für Arbeit in der Verfügung vom 5.
Januar 2000 im Zusammenhang mit der Ablehnung einer Temporäranstellung als
Detailhandelsangestellter durch den Versicherten berücksichtigt wurde. Dieser
Verfügung lag ein Zeugnis des Dr. S.________ vom 27. November 1999 zu Grunde,
worin er ausser für Arbeiten mit Kundenkontakt volle Leistungsfähigkeit
bestätigt hatte.

5.4 Mit dem Unterbruch des zeitlichen Zusammenhangs zwischen der
ursprünglichen Arbeitsunfähigkeit ab November 1998 und der späteren
Invalidität mit Festsetzung des Rentenbeginns auf 1. November 1999 und
Ausrichtung einer ganzen Rente der Invalidenversicherung ab Januar 2001
entfällt die Leistungspflicht der Personalvorsorgestiftung.

6.
Das Verfahren ist kostenlos (Art. 134 OG). Die obsiegende
Personalvorsorgestiftung hat als mit öffentlichrechtlichen Aufgaben betraute
Organisation keinen Anspruch auf eine Parteientschädigung (Art. 159 Abs. 2
OG; BGE 118 V 158 E. 7 S. 169, 112 V 356 E. 6 S. 362).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
In Gutheissung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird der Entscheid des
Versicherungsgerichts des Kantons St. Gallen vom 29. August 2006 aufgehoben,
und die Klage vom 28. Dezember 2005 wird abgewiesen.

2.
Es werden keine Gerichtskosten erhoben.

3.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Versicherungsgericht des Kantons St.
Gallen und dem Bundesamt für Sozialversicherungen zugestellt.

Luzern, 25. Mai 2007

Im Namen der II. sozialrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident: Der Gerichtsschreiber: