Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

Sozialrechtliche Abteilungen B 112/2006
Zurück zum Index Sozialrechtliche Abteilungen 2006
Retour à l'indice Sozialrechtliche Abteilungen 2006


B 112/06

Urteil vom 25. Juli 2007
II. sozialrechtliche Abteilung

Bundesrichter U. Meyer, Präsident,
Bundesrichter Lustenberger, Seiler,
Gerichtsschreiber Scartazzini.

Kanton Zürich, vertreten durch die Finanzdirektion, des Kantons Zürich,
Walcheplatz 1, 8090 Zürich, Beschwerdeführer, handelnd durch die
Beamtenversicherungskasse des Kantons Zürich, Stampfenbachstrasse 63,
8006 Zürich, und diese vertreten durch Fürsprecherin Cordula E. Niklaus,
Tödistrasse 17, 8000 Zürich,

gegen

L.________, 1944, Beschwerdegegnerin, vertreten durch den Rechtsdienst
Integration Handicap, Bürglistrasse 11, 8002 Zürich.

Berufliche Vorsorge,

Verwaltungsgerichtsbeschwerde gegen den Entscheid des
Sozialversicherungsgerichts des Kantons Zürich vom 19. Juli 2006.

Sachverhalt:

A.
Die 1944 geborene L.________ war als Primarlehrerin ab dem 16. August 1992
für eine versicherte Besoldung von ursprünglich Fr. 48'655.- und ab August
1999 von Fr. 44'339.- in der Vollversicherung der Beamtenversicherungskasse
des Kantons Zürich (nachfolgend BVK) berufsvorsorgerechtlich versichert. Sie
wurde von ihrem Hausarzt ab 10. April 2000 zu 100 % arbeitsunfähig erklärt
und meldete sich bei der Invalidenversicherung zum Leistungsbezug an. Die BVK
richtete ihr mit Wirkung ab dem 1. Juni 2001 nach Massgabe eines
Invaliditätsgrads von 100 % eine Invalidenrente mit Überbrückungszuschuss
aus. Vom 23. September 2000 bis 8. September 2002 absolvierte die Versicherte
eine Zusatzausbildung zur Lernberaterin. Nach Ermittlung eines
Invaliditätsgrades von 0 % verneinte die IV-Stelle des Kantons Aargau mit
unangefochten in Rechtskraft erwachsener Verfügung vom 9. September 2003
einen Anspruch auf Invalidenrente. Gestützt darauf sistierte die BVK ihre
Invalidenleistung auf Ende September 2003 wegen Überversicherung vorsorglich,
wobei sie den mutmasslich entgangenen Verdienst als Primarlehrerin auf
Fr. 59'431.- und das als Lernberaterin mutmasslich erzielbare Einkommen auf
Fr. 62'166.- bezifferte.

Auf Opposition der Versicherten hin korrigierte die BVK ihre
Überentschädigungsberechnung dahingehend, dass der Rentenanspruch mit Wirkung
ab Oktober 2003 Fr. 8'731.- pro Jahr und monatlich Fr. 727.60 betrage, wobei
sie das hypothetische anrechenbare Jahreseinkommen als Lernberaterin neu auf
Fr. 50'700.- veranschlagte und die Berücksichtigung etwaiger Gestehungskosten
vorbehielt. Sie bekräftigte ihren Standpunkt mit Schreiben vom 18. Dezember
2003 und vergütete zusätzlich zum gekürzten Monatsbetreffnis von Fr. 727.60
von Oktober bis Dezember 2003 angefallene Gestehungskosten von Fr. 1'762.75.

B.
L.________ liess beim Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich Klage mit
folgenden Rechtsbegehren erheben:
"1. Die Beamtenversicherungskasse sei zu verpflichten, rückwirkend ab 1.
Oktober 2003 die Leistungskürzung aufzuheben und der Klägerin ab diesem Datum
weiterhin eine ganze Invalidenrente aus der beruflichen Vorsorge
auszurichten, samt Verzugszinsen zu 5 % ab Klageerhebung.

2.  Unter Entschädigungsfolgen zulasten der Beklagten."
Mit Entscheid vom 19. Juli 2006 hiess das kantonale Gericht die Klage gut und
verpflichtete die BVK der Klägerin über Ende September 2003 hinaus
einstweilen weiterhin eine ungekürzte Berufsinvalidenrente auszurichten,
zuzüglich 5 % Zins auf den bis zur Klageeinleitung verfallenen Betreffnissen
ab dem 12. August 2004 sowie auf seither fällig gewordenen Betreffnissen ab
dem jeweiligen Fälligkeitsdatum.

C.
Der Kanton Zürich lässt Verwaltungsgerichtsbeschwerde führen und unter
Kosten- und Entschädigungsfolgen beantragen, in Aufhebung des angefochtenen
Entscheides sei festzustellen, dass der Beschwerdeführer zu keinerlei
Leistungen gegenüber der Beschwerdegegnerin verpflichtet ist, insbesondere
nicht zur rückwirkenden Ausrichtung einer ganzen Invalidenrente ab 1. Oktober
2003 aus beruflicher Vorsorge samt Verzugszinsen zu 5 % ab Klageerhebung.

L. ________ lässt auf Abweisung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde schliessen,
während das Bundesamt für Sozialversicherungen auf eine Vernehmlassung
verzichtet.

Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

1.
1.1 Das Bundesgesetz über das Bundesgericht vom 17. Juni 2005 (BGG; SR
173.110) ist am 1. Januar 2007 in Kraft getreten (AS 2006 1205, 1243). Da der
angefochtene Entscheid vorher ergangen ist, richtet sich das Verfahren noch
nach OG (Art. 132 Abs. 1 BGG; BGE 132 V 393 E. 1.2 S. 395).

1.2 Das Bundesgericht ist sowohl in sachlicher als auch zeitlicher Hinsicht
zur Beurteilung der gestützt auf Art. 73 Abs. 1 und 4 BVG sowie Art. 102 lit.
b in Verbindung mit Art. 128 und Art. 98 lit. g OG erhobenen
Verwaltungsgerichtsbeschwerde zuständig (BGE 130 V 103 E. 1.1 S. 104, 111 E.
3.1.2 S. 112, 128 II 386 E. 2.1.1 S. 389, 128 V 254 E. 2a S. 258, 120 V 15 E.
1a S. 18, je mit Hinweisen), sodass darauf - da auch die übrigen
Zulässigkeitsvoraussetzungen erfüllt sind (Art. 103 f., 106 und 108 OG) -
einzutreten ist.

1.3 Die Streitigkeit betrifft Versicherungsleistungen, weshalb die
Überprüfungsbefugnis des Eidgenössischen Versicherungsgerichts nicht auf die
Verletzung von Bundesrecht einschliesslich Überschreitung oder Missbrauch des
Ermessens beschränkt ist, sondern sich auch auf die Angemessenheit des
angefochtenen Entscheides erstreckt; das Gericht ist dabei nicht an die
vorinstanzliche Feststellung des rechtserheblichen Sachverhalts gebunden und
kann über die Begehren der Parteien zu deren Gunsten oder Ungunsten
hinausgehen (Art. 132 OG; BGE 126 V 470 E. 1b).

2.
2.1 Es ist unbestritten, dass die Beschwerdegegnerin in ihrer bisherigen
Berufstätigkeit als Primarlehrerin zu 100 % arbeitsunfähig ist und dass sie
demzufolge grundsätzlich berufsinvalid im Sinne von § 19 BVK-Statuten ist.
Die Vorinstanz geht davon aus, dass sie deshalb gemäss § 19 Abs. 1 Satz 3
einen Anspruch auf Berufsinvalidenrente bis zum 63. Altersjahr hat und gemäss
§ 27 Abs. 1 nur ein effektiv erzieltes, nicht aber ein hypothetisch
erzielbares Einkommen zu einer Kürzung führen könne. Der Beschwerdeführer ist
demgegenüber der Auffassung, § 19 Abs. 1 Satz 3 bedeute nicht, dass über
50jährige Versicherte einen vorbehaltlosen Anspruch auf eine
Berufsinvalidenrente bis zum 63. Altersjahr hätten, sondern lediglich, dass
solche Personen unter Umständen länger als zwei Jahre eine
Berufsinvalidenrente erhalten können; eine mögliche anderweitige
Arbeitsaufnahme sei indessen zu berücksichtigen. Da die Beschwerdegegnerin in
ihrer neuen Tätigkeit als Lernberaterin zu 50 % arbeitsfähig sei (was
freilich seitens der Beschwerdegegnerin bestritten wird) und damit ein
Einkommen erzielen könnte, das sogar höher liege als dasjenige im früheren
Beruf, bestehe kein Anspruch auf eine Berufsinvalidenrente.

2.2 Der Ausgang des Streits hängt ab von der Auslegung von § 19 Abs. 1 Satz 3
BVK-Statuten. § 19 Abs. 1 BVK-Statuten hat folgenden Wortlaut:
"Versicherte Personen, welche vor Vollendung des 63. Altersjahres wegen
Krankheit oder Unfall für die bisherige Berufstätigkeit invalid geworden
sind, haben Anspruch auf eine Invalidenrente. Sie wird längstens für zwei
Jahre ausgerichtet. Für über 50jährige Personen entfällt die zweijährige
Befristung, die Rente wird jedoch längstens bis zum 63. Altersjahr
ausgerichtet."
2.3 Die Auslegung der BVK-Statuten hat - da es sich bei der betroffenen
(umhüllenden) Vorsorgeeinrichtung um eine solche des öffentlichen Rechts
handelt (§ 1 Abs. 1 BVK-Statuten; § 2 des Gesetzes über die
Versicherungskasse für das Staatspersonal vom 6. Juni 1993, in Kraft seit 1.
Januar 1994, Zürcher Gesetzessammlung 177.201) - nach den gewöhnlichen Regeln
der Gesetzesauslegung (BGE 128 V 118 f. E. 3b, 127 IV 194 E. 5b/aa, 127 V 5
E. 4a, 92 E. 1d und 198 E. 2c, je mit Hinweisen) zu erfolgen. Denn anders als
bei den privatrechtlichen Vorsorgeträgern, wo das Rechtsverhältnis zu den
Versicherten im Bereich der weitergehenden Vorsorge auf dem Vorsorgevertrag
beruht, dessen Auslegung folgerichtig nach Vertrauensprinzip, unter
Berücksichtigung der Unklarheits- und Ungewöhnlichkeitsregeln erfolgt (BGE
131 V 28 f. E. 2.1 und 2.2, 122 V 146 E. 4c, 116 V 221 E. 2, je mit
Hinweisen), weist das dem öffentlichen Recht unterstehende Vorsorgeverhältnis
keine vertraglichen Elemente auf (SZS 2001 S. 384 E. 3, 2000 S. 154 E. 5a,
1998 S. 68 E. II/3b). Die Statutenbestimmungen sind demnach in erster Linie
nach ihrem Wortlaut auszulegen. Ist der Text nicht ganz klar und sind
verschiedene Auslegungen möglich, so muss nach seiner wahren Tragweite
gesucht werden unter Berücksichtigung aller Auslegungselemente, namentlich
des Zwecks, des Sinnes und der dem Text zu Grunde liegenden Wertung. Wichtig
ist ebenfalls der Sinn, der einer Norm im Kontext zukommt. Vom klaren, d.h.
eindeutigen und unmissverständlichen Wortlaut darf nur ausnahmsweise
abgewichen werden, u.a. dann, wenn triftige Gründe dafür vorliegen, dass der
Wortlaut nicht den wahren Sinn der Bestimmung wiedergibt. Solche Gründe
können sich aus der Entstehungsgeschichte der Bestimmungen, aus ihrem Grund
und Zweck oder aus dem Zusammenhang mit andern Vorschriften ergeben (SZS 2002
S. 253 mit Hinweisen).

2.4 Der Wortlaut von § 19 Abs. 1 Satz 3 spricht für die vorinstanzliche
Auslegung: Während für die bis 50jährigen Versicherten die
Berufsinvalidenrente nur längstens für zwei Jahre ausgerichtet wird, entfällt
diese Befristung bei den über 50jährigen Personen. Dieser Wortlaut ist klar
und unmissverständlich.

2.5 Anders als der Invaliditätsbegriff nach Art. 8 in Verbindung mit Art. 7
ATSG, welcher auf Erwerbsunfähigkeit im ganzen in Betracht fallenden
Arbeitsmarkt beruht, stellt der Begriff der Berufsinvalidität im Sinne von §
19 BVK-Statuten auf die Arbeitsunfähigkeit im bisherigen Tätigkeitsgebiet ab;
dies ist bei öffentlich-rechtlichen Vorsorgeeinrichtungen keine Besonderheit
(vgl. Urteil C. vom 17. Mai 2005 [B 33/03], E. 4.3.3; Art. 5 Abs. 4
PKB-Gesetz [SR 172.222.0] und Art. 48 PKBV1 [SR 172.222.034.1]) und stellt
eine gewollte Besserstellung gegenüber den bundesrechtlichen
Minimalanforderungen (Art. 23 BVG in Verbindung mit IVG) dar. Das ist zwar
eine Bevorzugung gegenüber anderen Invaliden, aber es ist nicht eine
unzulässige Ungleichbehandlung: Es entspricht einer historisch begründeten
Besserstellung der Staatsangestellten gegenüber den privatrechtlichen
Arbeitnehmern. Diese ratio legis macht auch die unterschiedliche Behandlung
der unter- und über-50jährigen Personen ohne weiteres verständlich, die im
Kanton Zürich ebenfalls nicht singulär ist (vgl. Art. 48 Abs. 4 PKBV1): Dem
Staatsangestellten, der sich bis ins fortgeschrittene Alter seiner
staatlichen Aufgabe gewidmet hat, soll nicht zugemutet werden, eine neue
Tätigkeit - ausserhalb des Staatsdienstes - zu suchen, wenn er seine
bisherige Aufgabe nicht mehr wahrnehmen kann (vgl. auch Urteil K. vom 8. Juni
2006 [B 34/05], E. 3.1.2). Getreu dieser ratio legis wird eine
Berufsinvalidenrente nicht schon dann aufgehoben bzw. gekürzt, wenn ein nach
ATSG/IVG-Kriterien zumutbares Einkommen erzielt werden könnte, sondern erst
dann, wenn ein solches effektiv erzielt wird, was auch dem klaren Wortlaut
von § 27 Abs. 1 BVK-Statuten entspricht.

2.6 Auch § 19 Abs. 2 BVK-Statuten führt entgegen der Auffassung des
Beschwerdeführers nicht zu einem anderen Ergebnis, sondern bekräftigt im
Gegenteil die wörtliche Auslegung: Die dort vorgesehene vertrauensärztliche
Untersuchung bezieht sich einzig auf den Grad der Berufsinvalidität und
besagt nichts darüber, ob in einer anderen Tätigkeit eine Arbeitsfähigkeit
bestünde. Zu diesem Zweck müsste allenfalls gemäss § 21 Abs. 3 in Verbindung
mit § 19 Abs. 2 eine besondere Untersuchung in Bezug auf die
Erwerbsinvalidität durchgeführt werden (vgl. Urteil S. vom 27. September 2006
[B 35/06] E. 2.2.2).

3.
Da es um Versicherungsleistungen geht, sind gemäss Art. 134 (des nach Art.
132 Abs. 1 BGG hier noch anwendbaren) OG keine Gerichtskosten zu erheben. Dem
Prozessausgang entsprechend hat die obsiegende Beschwerdegegnerin Anspruch
auf eine Parteientschädigung (Art. 135 in Verbindung mit Art. 159 Abs. 2 OG).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird abgewiesen.

2.
Es werden keine Gerichtskosten erhoben.

3.
Der Beschwerdeführer hat der Beschwerdegegnerin für das Verfahren vor dem
Bundesgericht eine Parteientschädigung von Fr. 1'500.- (einschliesslich
Mehrwertsteuer) zu bezahlen.

4.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Sozialversicherungsgericht des Kantons
Zürich und dem Bundesamt für Sozialversicherungen zugestellt.

Luzern, 25. Juli 2007

Im Namen der II. sozialrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident: Der Gerichtsschreiber: