Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

Sozialrechtliche Abteilungen B 108/2006
Zurück zum Index Sozialrechtliche Abteilungen 2006
Retour à l'indice Sozialrechtliche Abteilungen 2006


B 108/06

Urteil vom 29. Mai 2007
II. sozialrechtliche Abteilung

Bundesrichter U. Meyer, Präsident,
Bundesrichter Lustenberger und Seiler,
Gerichtsschreiber Nussbaumer.

Bundesamt für Sozialversicherungen,
Effingerstrasse 20, 3003 Bern, Beschwerdeführer,

gegen

H.________, 1956, Beschwerdegegner,

Berufliche Vorsorge,

Verwaltungsgerichtsbeschwerde gegen den Entscheid des Verwaltungsgerichts des
Kantons Obwalden vom

11. Juli 2006.

Sachverhalt:

A.
M.________ und H.________ heirateten am 3. Juni 1991. Mit Urteil des
Kantonsgerichts Obwalden vom 2./14. Dezember 2004, welches am 18./28. Februar
2005 in Rechtskraft erwuchs, wurde ihre Ehe geschieden. Ziffer 8 des
Urteilsdispositivs legte eine hälftige Aufteilung der Austrittsleistungen der
beruflichen Vorsorge fest.

B.
Nach Überweisung der Sache durch das Scheidungsgericht verpflichtete das
Verwaltungsgericht des Kantons Obwalden in Dispositiv-Ziffer 2 seines
Entscheides vom 11. Juli 2006 die Pensionskasse X.________, den Betrag von
Fr. 61'697.50 zu Lasten von H.________ auf das Freizügigkeitskonto von
M.________ bei der Lebensversicherungs-Gesellschaft Y.________ zu überweisen.

C.
Das Bundesamt für Sozialversicherungen (BSV) führt
Verwaltungsgerichtsbeschwerde mit dem Antrag, in Aufhebung von Ziffer 2 des
vorinstanzlichen Entscheid-Dispositivs vom 11. Juli 2006 sei festzustellen,
dass die Pensionskasse X.________ angewiesen wird, den Betrag von
Fr. 61'697.50 zuzüglich reglementarischem oder gesetzlichem Zins ab dem 1.
März 2005 bis zum Überweisungszeitpunkt (längstens aber bis zum 30. Tag nach
Ausfällung des Urteils) zu überweisen. Ab dem 31. Tag nach Ausfällung des
Urteils des Eidgenössischen Versicherungsgerichts sei gegebenenfalls ein
Verzugszins von 3,5 % zu bezahlen.

Die Pensionskasse X.________ beantragt, die Verzugszinsfrist habe frühestens
am 31 Tage seit Zustellung des Entscheides des Eidgenössischen
Versicherungsgerichts einzusetzen. H.________ beantragt, es sei die ihm
zustehende güterrechtliche Forderung von rund Fr. 30'000.- von der
Austrittsleistung für die Ehefrau abzuziehen. M.________ und das kantonale
Gericht verzichten auf eine Vernehmlassung.

Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

1.
Am 1. Januar 2007 ist das Bundesgesetz über das Bundesgericht vom 17. Juni
2005 (BGG; SR 173.110) in Kraft getreten (AS 2006 1205, 1243). Da der
angefochtene Entscheid vorher ergangen ist, richtet sich das Verfahren noch
nach OG (Art. 132 Abs. 1 BGG; BGE 132 V 393 E. 1.2 S. 395).

2.
Die Streitigkeit unterliegt der Gerichtsbarkeit der in Art. 73 BVG erwähnten
richterlichen Behörden, welche sowohl in zeitlicher als auch sachlicher
Hinsicht zuständig sind (BGE 130 V 104 f. E. 1.1 und 1.2, 112 E. 3.1.2, 128 V
46 E. 2c mit Hinweisen; Art. 25 und Art. 25a FZG), womit dem Bundesamt für
Sozialversicherungen gestützt auf Art. 103 lit. b OG in Verbindung mit Art.
97 BVG und Art. 4a Abs. 2 BVV 1 die Verwaltungsgerichtsbeschwerde an das
Eidgenössische Versicherungsgericht (seit 1. Januar 2007: Bundesgericht)
offen steht (Art. 73 Abs. 4 BVG).

3.
Das verwaltungsgerichtliche Beschwerdeverfahren kennt - von hier nicht
gegebenen spezialgesetzlichen Ausnahmen abgesehen - das Institut der
Anschlussbeschwerde nicht (BGE 124 V 155 E. 1 mit Hinweisen). Soweit der
Beschwerdegegner in seiner Vernehmlassung sinngemäss Anträge stellt, die
ausserhalb des durch die Verwaltungsgerichtsbeschwerde bestimmten
Streitgegenstandes (vgl. BGE 125 V 413, 117 V 295 E. 2a, 110 V 51 E. 3c)
liegen, ist darauf nicht einzutreten. Abgesehen davon kann eine
Austrittsleistung nicht mit anderen Forderungen (z.B. aus Güterrecht)
aufgrund des Scheidungsurteils verrechnet werden (SVR 2006 BVG Nr. 29 S. 113;
Urteil des Eidgenössischen Versicherungsgerichts vom 14. Mai 2002 in Sachen
K., B 18/01, publiziert in FamPra.ch 2002 S. 568).

4.
Beim Prozess um Ausgleichszahlungen aus beruflicher Vorsorge im
Scheidungsfall handelt es sich wie bei Austrittsleistungen (Entstehung, Höhe,
Erfüllung usw.) um einen Streit um Versicherungsleistungen, weshalb sich die
Überprüfungsbefugnis des Bundesgerichts nach Art. 132 OG richtet. Danach ist
die Kognition nicht auf die Verletzung von Bundesrecht einschliesslich
Überschreitung oder Missbrauch des Ermessens beschränkt, sondern sie
erstreckt sich auch auf die Angemessenheit der angefochtenen Verfügung. Das
Gericht ist dabei nicht an die vorinstanzliche Feststellung des
rechtserheblichen Sachverhalts gebunden und kann über die Begehren der
Parteien zu deren Gunsten oder Ungunsten hinausgehen. Ferner ist das
Verfahren regelmässig kostenlos (Art. 134 OG; BGE 114 V 36 Erw 1c).

5.
Das beschwerdeführende Bundesamt für Sozialversicherungen rügt sinngemäss
einzig, dass sich der vorinstanzliche Entscheid weder in der Begründung noch
im Urteilsdispositiv zur Frage äussert, ob und inwieweit die an die frühere
Ehegattin des Beschwerdegegners zu überweisende Austrittsleistung zu
verzinsen sei.

5.1 Gemäss der in BGE 129 V 255 ff. E. 3 dargelegten Rechtsprechung ist die
einem ausgleichsberechtigten Ehegatten im Falle der Scheidung zustehende
Austrittsleistung (Art. 122 Abs. 1 ZGB und Art. 22-22c FZG) vom massgebenden
Stichtag der Teilung - d.h. dem Zeitpunkt der formellen Rechtskraft des
Scheidungsurteils (BGE 132 V 236) - an bis zum Zeitpunkt der Überweisung oder
des Beginns der Verzugszinspflicht zu verzinsen. Dabei hat die
Vorsorgeeinrichtung für den Bereich des Obligatoriums auf der
Austrittsleistung den Mindestzinssatz von Art. 12 BVV 2 (lit. d: 2.5 % ab 1.
Januar 2005) oder den allenfalls höheren reglementarischen Zins zu vergüten.
Umhüllende Leistungs- oder Beitragsprimatkassen haben die Austrittsleistung
mit dem reglementarischen Zinssatz zu verzinsen, sofern damit im Rahmen der
so genannten Schattenrechnung dem BVG-Mindestzinssatz Genüge getan wird. Für
nur in der weitergehenden Vorsorge tätige Vorsorgeeinrichtungen gilt
ebenfalls in erster Linie der reglementarische Zinssatz. Sieht in diesen
beiden Fällen das Reglement keinen Zinssatz vor, so rechtfertigt es sich,
subsidiär den in Art. 12 BVV 2 vorgesehenen Mindestzinssatz anzuwenden.
Dieses Vorgehen ist angezeigt, da Art. 8a FZV bei der Teilung der
Austrittsleistung infolge Scheidung ebenfalls auf den im entsprechenden
Zeitraum gültigen Zinssatz nach Art. 12 BVV 2 greift (BGE 129 V 257 E. 4.1).

Art. 2 Abs. 4 FZG (in der seit 1. Januar 2005 geltenden Fassung) statuiert
für den Fall, dass die Vorsorgeeinrichtung die fällige Austrittsleistung
nicht innert 30 Tagen überweist, nachdem sie die notwendigen Angaben erhalten
hat, ab Ende dieser Frist eine Verzugszinspflicht. Gestützt auf BGE 129 V 257
f. E. 4.2.1 und 4.2.2 ist als Stichtag für den Beginn der 30-tägigen Frist in
jenen Fällen, in denen - wie hier - nicht das Scheidungsgericht, sondern das
Vorsorgegericht gestützt auf Art. 142 ZGB die Austrittsleistung in
betraglicher Hinsicht ermittelt hat, auf den Eintritt der Rechtskraft des
kantonalen Gerichtsentscheids, bei dessen Weiterzug auf den Tag der
Ausfällung der Entscheidung des Bundesgerichts abzustellen (Art. 38 in
Verbindung mit Art. 135 OG; heute Art. 61 BGG). In betraglicher Hinsicht ist
der Verzugszins auf der Austrittsleistung samt dem reglementarischen oder
gesetzlichen Zins bis zum Zeitpunkt des Beginns der Verzugszinspflicht zu
bezahlen (BGE 129 V 258 E. 4.2.3). Der Verzugszinssatz entspricht gemäss Art.
26 Abs. 2 FZG in Verbindung mit Art. 7 FZV dem BVG-Mindestsatz (Art. 12 BVV
2) plus einem Prozent. Art. 65d Abs. 4 BVG ist nicht anwendbar.

5.2 In der Vernehmlassung wirft die  die Frage auf, ob die 30-tägige Frist
für die Verzugszinspflicht frühestens mit der Zustellung des
höchstrichterlichen Entscheides und nicht schon mit dessen Ausfällung zu
laufen beginnen sollte, wie in BGE 129 V 251 E. 4 entschieden worden ist.
Zwar legt Art. 2 Abs. 4 FZG eine Verzugszinspflicht erst ab dem 31. Tag fest,
nachdem die Vorsorgeeinrichtung die notwendigen Angaben für die Überweisung
der Austrittsleistung erhalten hat. Dieser Artikel ist indessen auf
Austrittsleistungen zufolge Ehescheidung nicht sinngemäss anwendbar (vgl.
Art. 22 Abs. 1 FZG). Die bisherige Rechtsprechung des Eidgenössischen
Versicherungsgerichts war in den Kommentaren des Schriftums zu BGE 129 V 251
(Heinz Hausheer in ZBJV 141 [2005] S. 556; Baumann/Lauterburg in FamPra.ch
4/2003 S. 890) nicht Gegenstand der Kritik. Das Inkrafttreten des BGG, das
die Rechtskraft in Art. 61 normiert, ändert an der bisherigen Regelung
nichts. Danach erwachsen Entscheide des Bundesgerichts am Tag ihrer
Ausfällung in Rechtskraft. Soweit nach Art. 47 Abs. 1 des neuen
Bundesgerichts-Reglementes vom 20. November 2006 (AS 2006 5635)
Urteilsdispositive verschickt werden, was von Gesetzes wegen bei mündlicher
Beratung vorgeschrieben ist (Art. 60 Abs. 2 BGG), liefert das Dispositiv den
Vorsorgeeinrichtungen die nötigen Angaben für die Überweisung der
Austrittsleistung. Wenn in den wenigen, an das höchste Gericht
weitergezogenen Fällen, da kein Dispositiv eröffnet wird, für den Vollzug
nicht ganze 30 Tage zur Verfügung stehen, ohne dass die Verzugszinspflicht
beginnt, ist dies weiterhin vertretbar und fällt für die
Vorsorgeeinrichtungen auch gar nicht ins Gewicht. Es besteht daher kein
Anlass, die Rechtsprechung gemäss BGE 129 V 251 zu ändern.

5.3 Aus den vorangehenden Erwägungen folgt, dass die Pensionskasse X.________
die der geschiedenen Ehegattin zu überweisende Austrittsleistung im Betrag
von Fr. 61'697.50 ab 1. März 2005 in reglementarischer oder gesetzlicher
(Mindest-)Höhe (vgl. Art. 12 lit. d BVV 2: ab 1. Januar 2005: 2.5 %) bis zum
Zeitpunkt der Überweisung zu verzinsen hat. Ab dem 31. Tag nach Ausfällung
des vorliegenden Urteils wäre ein Verzugszins von 3.5 % (vgl. Art. 7 FZV in
Verbindung mit Art. 12 lit. d BVV 2) zu bezahlen.

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
In Gutheissung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird Dispositiv-Ziffer 2 des
Entscheids des Verwaltungsgerichts des Kantons Obwalden vom 11. Juli 2006
dahingehend geändert, dass die M.________  auf das Freizügigkeitskonto bei
der Lebensversicherungs-Gesellschaft Y.________ zu überweisende
Austrittsleistung in Höhe von Fr. 61'697.50 ab 1. März 2005 im Sinne der
Erwägungen zu verzinsen ist.

2.
Es werden keine Gerichtskosten erhoben.

3.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Verwaltungsgericht des Kantons Obwalden,
M.________ und der Pensionskasse X.________ zugestellt.

Luzern, 29. Mai 2007

Im Namen der II. sozialrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident: Der Gerichtsschreiber: