Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

Sozialrechtliche Abteilungen B 107/2006
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B 107/06

Urteil vom 7. Mai 2007
II. sozialrechtliche Abteilung

Bundesrichter U. Meyer, Präsident,
Bundesrichter Lustenberger, Seiler,
Gerichtsschreiber Fessler.

Bundesamt für Sozialversicherungen, Effingerstrasse 20, 3003 Bern,
Beschwerdeführer,

gegen

1. T.________, 1946,
vertreten durch Fürsprecher Hugo Feuz, Justinger-        weg 18,
3005 Bern,
2. PAX Sammelstiftung BVG, Aeschenvorstadt 13,   4052 Basel,
Beschwerdegegner.

Berufliche Vorsorge,

Verwaltungsgerichtsbeschwerde gegen den Entscheid des Verwaltungsgerichts des
Kantons Freiburg vom 7. Juli 2006.

Sachverhalt:

A.
Mit Urteil vom 14. August 2003 des Zivilgerichts X.________ wurde die Ehe des
P.________ und der T.________ geschieden. Dieses Erkenntnis erwuchs im
Scheidungspunkt am 8. November 2003 in Rechtskraft. Mit Urteil vom
22. Februar 2005 ordnete der I. Appellationshof des Kantonsgerichts Freiburg
die hälftige Teilung der Austrittsleistung der beruflichen Vorsorge der
geschiedenen Eheleute an. Nach Eintritt der Rechtskraft dieses Erkenntnisses
überwies es die Sache zu diesem Zwecke an das kantonale Verwaltungsgericht,
Sozialversicherungsgerichtshof (nachfolgend: Sozialversicherungsgericht).

B.
Das kantonale Sozialversicherungsgericht zog die Zivilakten bei und holte bei
der PAX Sammelstiftung BVG, bei welcher P.________ seit 1. Juli 2003
berufsvorsorgerechtlich versichert war, Auskünfte ein. Im Schreiben vom
5. Mai 2006 teilte die Stiftung mit, eine Teilung und Überweisung der
Austrittsleistung an die Vorsorgeeinrichtung von T.________ sei nicht
möglich, da ein Vorsorgefall eingetreten sei und das Vorsorgeverhältnis nicht
mehr bestehe. Hiezu nahmen P.________ und seine frühere Ehefrau Stellung. Mit
Entscheid vom 7. Juli 2006 trat das kantonale Sozialversicherungsgericht auf
die Streitsache nicht ein (Dispositiv-Ziffer 1) und überwies die
Angelegenheit samt Akten an das Zivilgericht X.________, damit dieses eine
angemessene Entschädigung gemäss Art. 124 ZGB festsetze
(Dispositiv-Ziffer 2).

C.
Das Bundesamt für Sozialversicherungen führt Verwaltungsgerichtsbeschwerde
mit dem Rechtsbegehren, der Entscheid vom 7. Juli 2006 sei aufzuheben und das
kantonale Sozialversicherungsgericht sei anzuweisen, auf die Streitsache
einzutreten und die hälftige Teilung der Austrittsleistungen von T.________
und P.________ vorzunehmen.
Das kantonale Sozialversicherungsgericht beantragt die Abweisung der
Verwaltungsgerichtsbeschwerde, während die PAX Sammelstiftung BVG keinen
Antrag stellt. T.________ schliesst sich in ihrer Vernehmlassung den
Darlegungen des Bundesamtes an.

D.
Mit Schreiben vom 26. September 2006 hat der Rechtsvertreter von P.________
mitgeteilt, dass sein Mandant am 18. September 2006 verstorben ist. Mit
Verfügung vom 9. November 2006 hat das Bezirksgericht X.________ von der
Ausschlagung der Erbschaft des P.________ durch sämtliche Erben Vormerk
genommen und das kantonale Konkursamt mit der Liquidation beauftragt.

Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

1.
Das Bundesgesetz vom 17. Juni 2005 über das Bundesgericht (BGG [SR 173.110])
ist am 1. Januar 2007 in Kraft getreten (AS 2006 1205 ff., 1243). Da der
angefochtene Entscheid vorher ergangen ist, richtet sich das Verfahren noch
nach dem Bundesgesetz über die Organisation der Bundesrechtspflege (OG; Art.
132 Abs. 1 BGG; BGE 132 V 393 E. 1.2 S. 395).

2.
2.1 Die Zuständigkeit des kantonalen Sozialversicherungsgerichts und
letztinstanzlich des Bundesgerichts (bis 31. Dezember 2006: Eidgenössisches
Versicherungsgericht) in zeitlicher und sachlicher Hinsicht zum Entscheid
darüber, ob die Vorinstanz zu Recht nicht auf die Streitsache (Teilung der
Austrittsleistung der beruflichen Vorsorge nach Art. 122 Abs. 1 ZGB)
eingetreten ist, ist gegeben (Art. 73 BVG in der bis 31. Dezember 2006
geltenden Fassung sowie Art. 25 und 25a FZG; BGE 130 V 103 E. 1.1 S. 104, 130
V 111 E. 3 S. 112 ff.; BGE 128 II 386 E. 2.1.1 S. 389).

2.2 Das angefochtene Erkenntnis nennt in der Rechtsmittelbelehrung eine Frist
von 10 Tagen ab Erhalt zur Erhebung von Verwaltungsgerichtsbeschwerde beim
Eidgenössischen Versicherungsgericht. Das kantonale
Sozialversicherungsgericht geht somit davon aus, bei seinem Entscheid handle
es sich um eine Zwischenverfügung über die Zuständigkeit im Sinne von Art. 97
Abs. 1 OG in Verbindung mit Art. 5 Abs. 2 VwVG und Art. 45 Abs. 2 lit. a
VwVG, für welche eine Anfechtungsfrist von 10 Tagen gilt (Art. 106 Abs. 1
OG). Träfe dies zu, wäre die am 11. September 2006 eingereichte
Verwaltungsgerichtsbeschwerde des Bundesamtes gegen den ihm am 17. Juli 2006
eröffneten vorinstanzlichen Entscheid - auch unter Berücksichtigung der
Gerichtsferien (Art. 34 Abs. 1 OG) - verspätet. Der angefochtene Entscheid
stellt indessen insofern keine Zwischenverfügung über die (sachliche)
Zuständigkeit nach Art. 45 Abs. 2 lit. a VwVG dar, als es um die Frage geht,
ob die vom Scheidungsgericht angeordnete hälftige Teilung der
Austrittsleistung der beruflichen Vorsorge durchführbar und entsprechend den
gesetzlichen Vorgaben vom Berufsvorsorgegericht vorzunehmen ist. Das
kantonale Gericht hat dies mit der Begründung verneint, vor Eintritt der
Rechtskraft des Scheidungsspruchs am 8. November 2003 sei beim Ehemann der
Vorsorgefall «Invalidität» eingetreten. Art. 122 ZGB sei somit nicht
anwendbar. Vielmehr habe das Scheidungsgericht eine angemessene Entschädigung
nach Art. 124 ZGB festzusetzen (vgl. E. 4). In diesem Sinne ist der
vorinstanzliche Entscheid instanzabschliessend und es gilt eine
Anfechtungsfrist von 30 Tagen (Art. 106 Abs. 1 OG), welche gewahrt ist.

2.3 P.________ ist am 18. September 2006 verstorben. Das zuständige
Zivilgericht hat mit Verfügung vom 9. November 2006 festgestellt, dass
sämtliche gesetzlichen Erben die Erbschaft ausgeschlagen haben, und das
kantonale Konkursamt mit der Liquidation des Nachlasses beauftragt. Bei der
Regelung des Vorsorgeausgleichs bei Scheidung führt der Tod eines Ehegatten
nicht zur Gegenstandslosigkeit des Verfahrens, weil die Vorsorgebedürfnisse
beider Parteien bis zu ihrem Tod berücksichtigt werden müssen (in BGE 131 III
1 nicht veröffentlichte E. 1.4). Parteien sind somit das beschwerdeführende
Bundesamt, die PAX Sammelstiftung BVG und T.________ (Art. 25a Abs. 2 FZG).
Dagegen ist der Nachlass des P.________ in konkursamtlicher Liquidation nicht
Partei (vgl. BGE 129 III 305).

3.
Da es nicht um Versicherungsleistungen geht, ist nur zu prüfen, ob der
angefochtene Entscheid Bundesrecht verletzt, einschliesslich Überschreitung
oder Missbrauch des Ermessens, oder ob das kantonale Gericht den Sachverhalt
offensichtlich unrichtig, unvollständig oder unter Verletzung wesentlicher
Verfahrensbestimmungen festgestellt hat (Art. 132 OG in Verbindung mit Art.
104 lit. a und b OG sowie Art. 105 Abs. 2 OG).

4.
4.1 Gehört ein Ehegatte oder gehören beide Ehegatten einer Einrichtung der
beruflichen Vorsorge an und ist bei keinem Ehegatten ein Vorsorgefall
eingetreten, so hat jeder Ehegatte Anspruch auf die Hälfte der nach dem
Freizügigkeitsgesetz vom 17. Dezember 1993 (FZG) für die Ehedauer zu
ermittelnden Austrittsleistung des anderen Ehegatten (Art. 122 Abs. 1 ZGB).
Haben sich die Ehegatten über die Teilung der Austrittsleistungen sowie die
Art der Durchführung der Teilung geeinigt und legen sie eine Bestätigung der
beteiligten Einrichtungen der beruflichen Vorsorge über die Durchführbarkeit
der getroffenen Regelung und die Höhe der Guthaben vor, die für die
Berechnung der zu teilenden Austrittsleistungen massgebend sind, so wird die
Vereinbarung mit der Genehmigung durch das Gericht auch für die Einrichtungen
der beruflichen Vorsorge verbindlich (Art. 141 Abs. 1 ZGB). Kommt keine
Vereinbarung zustande, so entscheidet das Gericht über das Verhältnis, in
welchem die Austrittsleistungen zu teilen sind. Sobald der Entscheid über das
Teilungsverhältnis rechtskräftig ist, überweist das Gericht die Streitsache
von Amtes wegen dem am Ort der Scheidung nach Art. 73 Abs. 1 des BVG
zuständigen Gericht (Art. 142 Abs. 1 und 2 ZGB sowie Art. 25a Abs. 1 FZG).
Ist bei einem oder bei beiden Ehegatten ein Vorsorgefall bereits eingetreten
oder können aus anderen Gründen Ansprüche aus der beruflichen Vorsorge, die
während der Dauer der Ehe erworben worden sind, nicht geteilt werden, so ist
eine angemessene Entschädigung geschuldet (Art. 124 Abs. 1 ZGB).

4.2
4.2.1 Als Vorsorgefall im Sinne von Art. 122 und 124 ZGB kommen das Alter
(Art. 13 BVG) und die Invalidität (Art. 23 BVG) in Betracht. Der Vorsorgefall
«Invalidität» ist eingetreten, wenn ein Ehegatte - weitergehende
reglementarische Bestimmungen vorbehalten - mindestens zu 50 % dauernd
erwerbsunfähig geworden ist oder während eines Jahres ohne wesentlichen
Unterbruch mindestens zu 50 % arbeitsunfähig war und von der Einrichtung der
beruflichen Vorsorge eine Invalidenrente bezieht oder in Form einer
Kapitalabfindung bezogen hat. Für die Annahme eines Vorsorgefalles genügt
somit blosse Teilinvalidität (BGE 129 III 481 E. 3.2.2 S. 484 mit Hinweisen
auf die Lehre).
Der massgebende Zeitpunkt für den Entscheid darüber, ob bei einem oder bei
beiden Ehegatten ein Vorsorgefall eingetreten ist oder die
Austrittsleistungen aus anderen Gründen nicht geteilt werden können, ist der
Eintritt der Rechtskraft des Urteils über die Scheidung. Dies gilt auch, wenn
ein Vorsorgefall eingetreten ist, noch bevor das Berufsvorsorgegericht die
Teilung vorgenommen hat (BGE 132 III 401).

4.2.2 Der Vorsorgefall «Invalidität» setzt nicht voraus, dass einer der
Ehegatten oder beide vor Eintritt der Rechtskraft des Scheidungsspruchs
Invalidenleistungen der beruflichen Vorsorge (Rente, Kapitalabfindung)
bezogen haben. Diese Leistungen können auch rückwirkend auf einen früheren
Zeitpunkt ausgerichtet werden. Hat in einem solchen Fall das
Berufsvorsorgegericht die Teilung nach Art. 122 ZGB noch nicht vorgenommen,
hat es seinerseits die Sache an das Scheidungsgericht zu überweisen, damit es
eine angemessene Entschädigung nach Art. 124 Abs. 1 ZGB festsetze (Thomas
Geiser, Zur Frage des massgeblichen Zeitpunkts beim Vorsorgeausgleich, in:
FamPra.ch 2004 S. 301 ff., 312; vgl. auch Thomas Sutter/Dieter Freiburghaus,
Kommentar zum neuen Scheidungsrecht, Zürich 1999, N 17 ff. zu
Art. 122/141-142 ZGB und N 10 zu Art. 124). Allenfalls hat das
Vorsorgegericht das Verfahren zu sistieren, wenn die rückwirkende Ausrichtung
von Invalidenleistungen der beruflichen Vorsorge auf einen Zeitpunkt vor
Eintritt der Rechtskraft des Scheidungsspruchs wahrscheinlich ist oder
diesbezügliche Abklärungen der Vorsorgeeinrichtung im Gange sind.

5.
Das kantonale Gericht ist aufgrund der Angaben der PAX Sammelstiftung BVG im
Schreiben vom 5. Mai 2006 davon ausgegangen, beim Ehemann sei der
Vorsorgefall «Invalidität» eingetreten und der Vorsorgeausgleich nach
Art. 122 ZGB sei daher nicht mehr möglich. Die Vorsorgeeinrichtung hielt
fest, die Austrittsleistung zum 31. Dezember 2005 sei nicht ausweisbar, da
bei der versicherten Person eine Erwerbsunfähigkeit bestehe. Aus den
Zivilakten ergibt sich, dass P.________ am 4. Februar 2002 einen Schlaganfall
mit Hemiparese links erlitten hatte. Danach war die Arbeitsfähigkeit
ununterbrochen zu mindestens 50 % eingeschränkt. Daneben litt P.________ an
einer hypertensiven Herzkrankheit und einer Hyperurikämie (Ärztliches Zeugnis
Dr. med. R.________ vom 20. September 2002). Gemäss Urteil des I.
Appellationshofes des Kantonsgerichts Freiburg vom 22. Februar 2005 hatte
sich der Verstorbene am 17. November 2003 bei der Invalidenversicherung zum
Leistungsbezug angemeldet. Im Zeitpunkt der Rechtskraft des Scheidungsspruchs
am 8. November 2003 lag noch kein Entscheid vor. Am 23. Februar 2004 und
12. März 2006 sodann hat P.________ bei der am Recht stehenden
Vorsorgeeinrichtung Leistungen infolge Erwerbsunfähigkeit beantragt. Die PAX
Sammelstiftung BVG hält in ihrer Vernehmlassung fest, sie und die
vorhergehende Vorsorgeeinrichtung seien zur Zeit daran, einen rückwirkenden,
allenfalls das massgebende Scheidungsdatum tangierenden Anspruch auf eine
Invalidenrente aus beruflicher Vorsorge abzuklären. Aufgrund dieser Akten
waren zwar bis Eintritt der Rechtskraft der Scheidung am 8. November 2003
weder gesetzliche noch reglementarische Invalidenleistungen der beruflichen
Vorsorge ausgerichtet worden. Trotzdem lässt sich der Vorsorgefall
«Invalidität» im Sinne von Art. 122 und 124 ZGB jedoch nicht hinreichend
sicher ausschliessen. Ob die vom Scheidungsgericht angeordnete hälftige
Teilung der Austrittsleistungen durchführbar ist, kann frühestens nach
Abschluss der Abklärungen der Vorsorgeeinrichtung gesagt werden. Bis zu
diesem Zeitpunkt hat daher das kantonale Gericht das Verfahren zu sistieren.
Danach hat es neu zu entscheiden. Sollte der Vorsorgefall Invalidität
eingetreten und die vom Kantonsgericht angeordnete hälftige Teilung der
Austrittsleistung der beruflichen Vorsorge der geschiedenen Eheleute nicht
durchführbar sein, wird die Vorinstanz - gegebenenfalls nach
Meinungsaustausch mit dem Kantonsgericht - auch darüber zu befinden haben, an
welche (Scheidungs-)Gerichtsinstanz die Sache zur Festsetzung einer
angemessenen Entschädigung gemäss Art. 124 ZGB zu überweisen ist. In diesem
Sinne ist die Verwaltungsgerichtsbeschwerde begründet.

6.
Das Verfahren ist kostenpflichtig (Art. 134 OG e contrario; in BGE 132 V 347
nicht publizierte E. 4.1). Dem Prozessausgang entsprechend sind die
Gerichtskosten der PAX Sammelstiftung BVG, welche als unterliegende Partei zu
gelten hat, aufzuerlegen (Art. 156 Abs. 1 OG in Verbindung mit Art. 135 OG).
T.________ ist keine Parteientschädigung zuzusprechen, da sie sich materiell
nicht zur Streitsache geäussert hat.

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
In Gutheissung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird der Entscheid des
Verwaltungsgerichts des Kantons Freiburg, Sozialversicherungsgerichtshof, vom
7. Juli 2006 aufgehoben. Die Sache wird an die Vorinstanz zurückgewiesen,
damit sie im Sinne von E. 5 verfahre.

2.
Die Gerichtskosten von Fr. 500.- werden der PAX Sammelstiftung BVG auferlegt.

3.
Es werden keine Parteientschädigungen gesprochen.

4.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Verwaltungsgericht des Kantons Freiburg,
Sozialversicherungsgerichtshof, Rechtsanwalt Dr. André Clerc und dem I.
Appellationshof des Kantonsgerichts Freiburg zugestellt.

Luzern, 7. Mai 2007

Im Namen der II. sozialrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident: Der Gerichtsschreiber: