Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

Sozialrechtliche Abteilungen B 100/2006
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B 100/06

Urteil vom 30. April 2007
II. sozialrechtliche Abteilung

Bundesrichter U. Meyer, Präsident,
Bundesrichter Ferrari, Seiler,
Gerichtsschreiber Arnold.

PKG Pensionskasse, Zürichstrasse 16, 6000 Luzern 6, Beschwerdeführerin,

gegen

V.________, 1944, Beschwerdegegner,
vertreten durch Rechtsanwalt Philipp Burlet, Seidenstrasse 2, 8853 Lachen.

Berufliche Vorsorge,

Verwaltungsgerichtsbeschwerde gegen den Entscheid des
Sozialversicherungsgerichts des Kantons Zürich vom 29. Juni 2006.

Sachverhalt:

A.
Der 1944 geborene V.________ war vom 1. September 1976 bis 31. Dezember 1991
als Schreiner in der in X.________ domizilierten Firma Z.________ AG
angestellt und dadurch bei der gleichnamigen Vorsorgestiftung
berufsvorsorgerechtlich versichert. Mit Verfügung vom 3. Juli 1989 sprach ihm
die IV-Stelle des Kantons Zürich mit Wirkung ab 1. Juni 1988 eine halbe Rente
zu; die Personalstiftung Z.________ AG richtete ab 14. Juni 1997 eine auf
einem Invaliditätsgrad von 50 % basierende Invalidenrente nach BVG aus.
Nachdem die Providentia Sammelstiftung BVG (als Rechtsnachfolgerin der
Personalstiftung Z.________ AG) Kenntnis davon genommen hatte, dass die
Organe der Eidgenössischen Invalidenversicherung revisionsweise ab 1.
Dezember 2002 den Anspruch auf eine ganze Invalidenrente bejaht hatten
(Verfügung vom 1. Juni 2004), richtete die Vorsorgeeinrichtung ab 1. Dezember
2002 eine volle Invalidenrente im Rahmen des BVG-Obligatoriums aus. Mit Bezug
auf den überobligatorischen Bereich lehnte sie die Zusprechung einer vollen
Rente ab, da der Ansprecher im Zeitpunkt der gesundheitlichen
Verschlechterung nicht mehr bei ihr versichert gewesen sei.

B.
In Gutheissung der von V.________ eingereichten Klage verpflichtete das
Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich die PKG Pensionskasse
(nachfolgend: PKG) in ihrer Eigenschaft als Rechtsnachfolgerin der
Providentia Sammelstiftung BVG ab 1. Dezember 2002 eine volle Invalidenrente
aus weitergehender beruflicher Vorsorge zu bezahlen (Entscheid vom 29. Juni
2006).

C.
Die PKG führt Verwaltungsgerichtsbeschwerde mit dem Rechts-begehren, in
Aufhebung des kantonalen Gerichtsentscheides sei die Klage des Versicherten
abzuweisen.

V. ________ lässt auf Abweisung der Verwaltungs-gerichtsbeschwerde
schliessen. Das Bundesamt für Sozialver-sicherungen verzichtet auf
Vernehmlassung.

Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

1.
Das Bundesgesetz über das Bundesgericht vom 17. Juni 2005 (BGG; SR 173.110)
ist am 1. Januar 2007 in Kraft getreten (AS 2006 1205, 1243). Da der
angefochtene Entscheid vorher ergangen ist, richtet sich das Verfahren noch
nach OG (Art. 132 Abs. 1 BGG; BGE 132 V 393 E. 1.2 S. 395).

2.
Es ist unbestritten, dass der Beschwerdegegner wegen Verschlimmerung
desjenigen Gesundheitsschadens, welcher ursprünglich zum Anspruch auf eine
halbe Invalidenrente ab 14. Juni 1987 geführt hatte (versicherter
Gesundheitsschaden), nach Massgabe der zu Art. 23 BVG ergangenen
Rechtsprechung (BGE 118 V 35 und seitherige Urteile, zuletzt BGE 130 V 270 E.
4.a S. 275) eine volle Invalidenrente aus obligatorischer beruflicher
Vorsorge beanspruchen kann.

Strittig ist, ob die Verschlechterung des Gesundheitszustandes und die daraus
resultierende Erhöhung des Invaliditätsgrades im Rahmen der weitergehenden
Vorsorge zum Bezug höherer Leistungen berechtigt. Der Rechtsstreit dreht sich
dabei um die Frage, ob die Providentia Sammelstiftung BVG (als
Rechtsvorgängerin der PKG) im hier anwendbaren Vorsorgereglement (Ausgabe
1999), von der ihr gemäss Art. 49 Abs. 2 BVG zustehenden Befugnis Gebrauch
gemacht hat, im Bereich der weitergehenden Vorsorge das versicherte Risiko
abweichend vom BVG zu definieren. Der aus Art. 23 BVG abgeleitete Grundsatz,
wonach jene Vorsorgeeinrichtung für eine während der Versicherungsdauer
eingetretene Arbeitsunfähigkeit - unabhängig von einem zwischenzeitlich
eingetretenen Kassenwechsel - leistungspflichtig bleibt, wenn sich der
Invaliditätsgrad nach Beendigung des Vorsorgeverhältnisses zufolge des
gleichen  Gesundheitsschadens erhöht, findet auch in der weitergehenden
Vorsorge Anwendung, sofern nicht Reglemente oder Statuten etwas anderes
vorsehen (BGE 123 V 262 E.1b S. 264). Im Bereich der weitergehenden Vorsorge
steht es den Pensionskassen im Rahmen von Art. 49 Abs. 2 BVG jedoch
grundsätzlich frei, das versicherte Risiko abweichend vom BVG zu definieren
(SZS 2004 S. 454, B 91/02; SVR 1995 BVG Nr. 43 S. 128, B 40/93).

3.
3.1 Das einschlägige Vorsorgereglement, Ausgabe 1999, enthält unter anderem
folgende Bestimmungen:
"8.  Invaliditätsleistungen

8.1  Begriff der Erwerbsunfähigkeit/Invalidität

1.  Die Erwerbsunfähigkeit bzw. die Invalidität infolge Krankheit
(einschliesslich       Zerfall der geistigen und
körperlichen Kräfte) oder unabsichtlicher Körper-
    verletzung (Unfall) wird entsprechend den
Grundsätzen der Eidgenössischen
    Invalidenversicherung (IV) festgelegt.

2.  Die Providentia richtet die Leistungen entsprechend dem
Invaliditätsgra aus,      den die IV in ihrer
rechtskräftigen Verfügung festgesetzt hat, sofern diese
    Verfügung nicht offensichtlich unhaltbar ist.

8.2   Leistungen

1. Invaliditätsleistungen werden fällig, wenn die versicherte Person vor
dem           Rücktrittsalter im Sinne der IV zu
mindestens 25 % invalid ist und wenn sie        bei
Eintritt der Arbeitsunfähigkeit, deren Ursache zur Invalidität geführt hat,
    bei der Stiftung angeschlossen war.

2.  Die Rentenhöhe wird entsprechend dem Grad der Erwerbsunfähigkeit
fest-         gesetzt. Erwerbsunfähigkeit von
weniger als 25 % begründet keine Anspruch     auf
Leistungen; bei 66 2/3 % und mehr besteht Anspruch auf die vollen
Leis-    tungen.

3.  Der Anspruch auf eine Invalidenrente entsteht, nachdem die Wartefrist

    gemäss Vorsorgeplan abgelaufen ist, in der
Regel jedoch spätestens mit            dem Beginn
des Anpruchs auf eine Rente der IV.

4.  ...

5. ...

6. Nimmt der Invaliditätsgrad einer versicherten Person innerhalb einer
Versi-        cherungsperiode aus dem gleichen
Grund wie die ursprüngliche Invalidität          zu,
werden die Leistungen unverzüglich an den neuen Invaliditätsgrad
ange-    passt.

Bei einer Erhöhung aus anderen Gründen erfolgt die Anpassung der Leis-
    tungen nach Ablauf einer erneuten Wartefrist,
wobei die zum Zeitpunkt der         Erhöhung des
Invaliditätsgrades bestehende Deckung als Basis dient.

7. Der Anspruch auf Leistungen erlischt beim Wegfall der
Erwerbsunfähigkeit,        beim Tod des Renenbezügers,
jedoch spätestens wenn die versicherte Per-    son
das Rücktrittsalter erreicht; in diesem Fall wird die Invalidenrente durch
    eine Altersrente abgelöst."
...
10.   Ende des Arbeitsverhältnisses vor dem Rücktrittsalter
...
10.4. Nachdeckung

1. Während längstens einem Monat nach Auflösung des Arbeitsverhältnisses
    bleibt die versicherte Person ohne die
Erhebung von Prämien gegen die Risi-    ken Tod und
Invalidität wie bisher versichert.

2. Die Nachdeckung erlischt, wenn die versicherte Person in ein neues
Vorsor-    geverhältnis vor Ablauf der Monatsfrist
eintritt.

3. Für Versicherungsereignisse, die nach dem Ablauf der Nachfrist
eintreten,         haftet die Stiftung nicht mehr. Für
später eintretende Verschlimmerungen aus
    gleicher Ursache haftet die Stiftung
höchstens im Rahmen der BVG-Mini-
    malleistungen.

4. ... "
3.2 Ziff. 10.4.3 bestimmt eindeutig und unmissverständlich, dass der
Rentenansprecher - auch - im Zeitpunkt der Erhöhung des Invaliditätsgrades
bei der Vorsorgeeinrichtung versichert sein muss, um in den Genuss
entsprechend höherer Leistungen der weitergehenden Vorsorge zu kommen. Indem
für nach Beendigung des Vorsorgeverhältnisses eintretende Verschlimmerungen
aus gleicher Ursache "höchstens im Rahmen der BVG-Minimalleistungen" Anspruch
besteht, hat die Vorsorgeeinrichtung von der ihr im Rahmen von Art. 49 Abs. 2
BVG zustehenden Befugnis Gebrauch gemacht und eine von der in Art. 23 BVG
festgelegten Ordnung abweichende Regelung getroffen. Vorinstanz und
Beschwerdegegner haben ihren abweichenden Standpunkt im Wesentlichen damit
begründet, Ziff. 8 des Reglements enthalte für den Bereich der weitergehenden
Vorsorge keine Art. 23 derogierende Bestimmung betreffend Nachhaftung. Das
trifft wohl zu, lässt aber ausser Acht, dass die Frage der hier
interessierenden Nachhaftung in Ziff. 10 behandelt wird. Ziff. 8 des
Reglements betrifft demgegenüber nicht die Frage der Nachhaftung, sondern
regelt im Wesentlichen die Modalitäten der Leistung, wie deren Höhe, den
Beginn des Anspruchs oder dessen Anpassung; dabei wird stets vorausgesetzt,
dass ein versichertes Ereignis vorliegt. Der Umstand, dass vorprozessual wie
im kantonalen Gerichtsverfahren die Auslegung des Reglements einzig dessen
Ziff. 8, nicht aber dessen Ziff. 10 umfasste, ändert nichts daran, dass mit
Blick auf die klare Normierung in Ziff. 10.4.3 die Zunahme des
Invaliditätsgrades nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses - entgegen dem
vom kantonalen Gericht vertretenen Rechtsstandpunkt - keinen Anspruch auf
höhere Leistungen aus weitergehender Vorsorge zu begründen vermag.

4.
Da Versicherungsleistungen im Streite liegen, sind gemäss Art. 134 OG keine
Gerichtskosten zu erheben. Hinsichtlich der Parteientschädigung (Art. 159
i.V.m. Art. 135 OG) ist vom Grundsatz auszugehen, dass Vorsorgeeinrichtungen
als mit der Durchführung öffentlich-rechtlicher Aufgaben betraute
Organisationen im Sinne des Art. 159 Abs. 2 OG in fine auch im Falle des
Obsiegens grundsätzlich keine Parteientschädigung beanspruchen können (BGE
126 V 143 E. 4 S. 149 ff.). Hievon abzugehen besteht kein Anlass.

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
In Gutheissung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird der Entscheid des
Sozialversicherungsgerichts des Kantons Züich vom 29. Juni 2006 aufgehoben
und die Klage des Beschwerdegegners abgewiesen.

2.
Es werden keine Gerichtskosten erhoben und keine Parteientschädigungen
zugesprochen.

3.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Sozialversicherungsgericht des Kantons
Zürich und dem Bundesamt für Sozialversicherungen zugestellt.

Luzern, 30. April 2007

Im Namen der II. sozialrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident: Der Gerichtsschreiber: