Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

Kassationshof in Strafsachen 6S.77/2006
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{T 0/2}
6S.77/2006 /hum

Sitzung vom 17. August 2006
Kassationshof

Bundesrichter Schneider, Präsident,
Bundesrichter Karlen, Zünd,
Gerichtsschreiber Borner.

X. ________,
Beschwerdeführer,
vertreten durch Rechtsanwalt Daniel Vischer,

gegen

Oberstaatsanwaltschaft des Kantons Zürich, Postfach, 8090 Zürich.

Verminderte Zurechnungsfähigkeit (Art. 11 und 13 StGB),

Nichtigkeitsbeschwerde gegen das Urteil des Obergerichts des Kantons Zürich,
I. Strafkammer,
vom 24. November 2005.

Sachverhalt:

A.
Das Obergericht des Kantons Zürich verurteilte X.________ am 24. November
2005 wegen versuchten Raubes (Art. 140 Ziff. 4 StGB), falscher Anschuldigung,
Vergehens gegen das Waffengesetz, Hausfriedensbruchs, mehrfachen Missbrauchs
von Ausweisen und Schildern, mehrfachen Fahrens ohne Führerausweis,
mehrfachen Lenkens eines Motorfahrzeugs ohne Versicherungsschutz sowie
Missbrauchs und Verschleuderung von Militärmaterial zu 6 ? Jahren Zuchthaus.
Es verpflichtete ihn, dem Opfer des versuchten Raubüberfalls eine Genugtuung
von Fr. 15'000.-- zu zahlen, und erklärte ihn für den Vorfall auch
schadenersatzpflichtig.

B.
X.________ führt Nichtigkeitsbeschwerde mit dem Antrag, der angefochtene
Entscheid sei aufzuheben und die Sache zur Einholung eines psychiatrischen
Gutachtens und zu neuerlicher Strafzumessung an die Vorinstanz
zurückzuweisen.

Das Obergericht hat auf eine Stellungnahme zur Beschwerde verzichtet (act.
4).

Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

1.
Im vorinstanzlichen Verfahren hatte der Beschwerdeführer beantragt, über
seine Zurechnungsfähigkeit sei ein psychiatrisches Gutachten zu erstellen.

Die Vorinstanz lehnte den Antrag ab, im Wesentlichen mit folgender
Begründung: Die Tatsache, dass sich der Beschwerdeführer den Tatablauf
vorgängig notiert habe, weise nicht zwingend auf eine psychische
Auffälligkeit hin. Sie könne durchaus auch als Indiz für eine kühle Planung
des Raubüberfalls gewertet werden. Auch die grosse Nervosität und Ambivalenz
während der Tatausübung sei - vor allem für Ersttäter - nicht untypisch,
ebenso wie sein wiederholtes Zögern, welches mehr noch aufzeige, dass der
Beschwerdeführer immer wieder von neuem den Entschluss zu einem weiteren
Schritt zur Tatverwirklichung habe fassen müssen. Sein Verhalten unterscheide
sich somit nicht signifikant von demjenigen anderer Täter in ähnlichen
Situationen. Es sei nicht zu verkennen, dass er während der Tatausführung
zunehmend in Stress geraten sei und Mühe bekommen habe, Herr der Lage zu
bleiben. Diese Situation sei aber selbstverschuldet und unter dem Aspekt der
verminderten Zurechnungsfähigkeit unbeachtlich. Das Tatmotiv - Geldmangel -
sei ein ebenfalls logisch gut nachvollziehbares, wenn auch nicht
entschuldbares. Mit dem ursprünglich geplanten erpresserischen Bankomatbezug
hätte der Beschwerdeführer einen beachtlichen Geldbetrag erlangen können,
welcher zur Deckung seiner Mietschulden gereicht hätte. Auch aus dem Umstand,
dass er den Raubversuch in militärischem Aufzug begangen habe, könne noch
nicht auf eine psychische Auffälligkeit geschlossen werden, sei doch die
Uniform eigentlich Voraussetzung dafür gewesen, dass er ohne Aufsehen zu
erregen sein Militärgewehr habe mitführen können. Der Einsatz des Gewehres -
in welcher Art auch immer - sei wesentlicher Teil des geplanten Tatablaufs
gewesen. Das Aufschreiben des Tatplans im militärischen Dienstreglement sei
mangels kurzfristiger Verfügbarkeit eines anderen Papiers erfolgt. Der
geplante Tatort bei militärischen Anlagen habe ebenfalls aus rein praktischen
Gründen ein militärisches Outfit nahe gelegt (angefochtener Entscheid S. 8 f.
Ziff. 3).

2.
Der Vorinstanz ist darin beizupflichten, dass es keinen einzelnen Umstand in
der Tatausführung gibt, der für sich allein zwingend eine psychische
Auffälligkeit des Beschwerdeführers nahelegen würde. Nun gibt es aber mehrere
zumindest sonderbare Verhaltensweisen bei der Tatausführung wie auch
Auffälligkeiten in seiner jüngeren Biographie, die in ihrer Gesamtheit
Zweifel an seiner vollen Schuldfähigkeit erwecken.

2.1 Am fraglichen Nachmittag erkundigte sich der Beschwerdeführer beim
regionalen Arbeitsvermittlungszentrum (RAV) nach Geld, das er erwartet hatte,
um die Miete von ca. Fr. 1'000.-- bezahlen zu können. Da er einen
abschlägigen Bescheid erhielt, entschloss er sich um ca. 16.00 Uhr, einen
Taxifahrer zu überfallen und zu berauben. Auf der letzten Seite des
militärischen Dienstreglements schrieb er auf, welche Utensilien er bei der
Tatausführung allenfalls benötigen werde und auf einem Zettel hielt er
stichwortartig den Tatablauf fest. Ziffer 3 lautete: "Auftrag beenden ..."
(act. 4.8/2 und 4.8/3).

Bevor er die gemeinsame Wohnung verliess, teilte er seiner Freundin mit, dass
er nicht ohne Geld nach Hause kommen werde. Auf der Zugsfahrt nach Zürich
wurde er immer nervöser und seine Beine zitterten. Nach seiner Ankunft im
Hauptbahnhof (00.17 Uhr) überprüfte er beim Geldautomaten der Crédit Suisse
seinen Kontostand und stellte fest, dass nach wie vor kein Geld vom
Arbeitsamt überwiesen worden war. Oben beim Treffpunkt rauchte er 2 - 3
Zigaretten und ging dann zu Fuss via Central der Limmat entlang und über die
Rudolf-Brun- Brücke zurück zum Hauptbahnhof, wo er um ca. 00.40 Uhr beim
Taxistand eintraf.

Dort rauchte er Zigaretten und unterhielt sich mit vier Taxifahrern. Da alle
nett mit ihm waren, dachte er eigentlich gar nicht mehr an den Überfall und
wollte nur noch nach Hause. Um ca. 01.15 Uhr fuhr er im Taxi des nachmaligen
Opfers los Richtung Dietikon. Er zitterte und trug sich erneut mit dem
Gedanken, den geplanten Raub durchzuführen. In Schlieren/Dietikon wies er den
Taxifahrer an, zum Schützenhaus Reppischtal zu fahren.

Beim Schützenhaus stieg er aus, spitzte das Magazin seines Sturmgewehrs ab
und setzte es ein. Dabei hoffte er, der Taxifahrer werde das Geld
herausgeben, wenn er mit der Waffe in der Hand sagen würde, dies sei ein
Überfall. Der Beschwerdeführer wurde jedoch immer nervöser, zitterte und
wollte den Überfall eigentlich nicht mehr machen. Deshalb tat er so, als
suchte er im Effektensack nach dem Fahrgeld, und polterte dann gegen die
Fensterläden des Schützenhauses, um angeblich schlafende Militärkameraden zu
wecken, die das Fahrgeld hätten vorschiessen können. Schliesslich notierte er
auf dem Schreibblock des Taxifahrers seine Personalien, wobei er einen
falschen Nachnamen und als Wohnadresse diejenige seiner Mutter angab.

In der Folge kam ihm wieder in den Sinn, dass er seiner Freundin versprochen
hatte, nicht ohne Geld nach Hause zu kommen, und er hatte Angst, seine
Freundin zu verlieren, wenn er die Wohnungsmiete nicht würde bezahlen können
(act. 4.1/8 S. 8 und 4.1/9 S. 5). Nachdem der Taxifahrer den Notizblock im
Auto versorgt hatte und im Begriffe war, wieder auszusteigen, machte der
Beschwerdeführer eine Ladebewegung und sagte gleichzeitig: "Sorry,
A.________, das isch än Überfall". Als der Taxifahrer in einer heftigen
Bewegung seine Arme hob, gab der Beschwerdeführer aus einer Entfernung von
1,5 bis 2 Metern einen Schuss ab, der den linken Oberarm des Opfers
durchschlug und den Rücken links streifte.

Das Opfer rannte sofort davon und verschwand im Wald. Der Beschwerdeführer
blieb in der Nähe des Tatorts. Unter anderem rief er nach dem Geschädigten,
er müsse keine Angst haben, und ob er ihn ins Spital bringen solle.
Schliesslich stellte er sich unter das Dach eines Aussenbunkers, wo ihn die
Polizei etwa vier Stunden später schlafend aufgriff.

2.2 Sonderbar erscheint, dass der Beschwerdeführer die Utensilien für den
Raubüberfall und den Tatplan zu Papier brachte, um später nochmals nachsehen
zu können, wie der Ablauf wäre (angefochtener Entscheid S. 28 Ziff. 7).
Geradezu perplex lässt einen die Formulierung der Ziffer 3: "Auftrag beenden
...", als müsste der Beschwerdeführer einen militärischen Befehl ausführen.
Völlig widersprüchlich ist auch die Aussage: "Sorry, A.________, das isch än
Überfall".

Auffallend ist zudem, dass der Beschwerdeführer nichts vorkehrte, um beim
geplanten Überfall unerkannt zu bleiben. So unterhielt er sich längere Zeit
mit vier Taxifahrern, seinem nachmaligen Opfer schrieb er seinen Vornamen und
die Wohnadresse seiner Mutter auf und schliesslich blieb er in unmittelbarer
Nähe des Tatorts, wo ihn die Polizei aufgreifen musste.

Auch das eingesetzte Mittel - ein bewaffneter Raubüberfall - steht in keinem
Verhältnis zum Ziel, die Miete von ca. Fr. 1'000.-- bezahlen zu können. In
diesem Zusammenhang ist von Bedeutung, dass der Beschwerdeführer in der doch
recht langen Zeitspanne vom Entschluss, einen Taxifahrer zu überfallen, um
ca. 16.30 Uhr bis zur Tatausführung um ca. 02.30 Uhr keinerlei Überlegungen
anstellte, wie er das Geldproblem auf andere Weise hätte lösen können.
Offensichtlich machte er sich ebenso wenig Gedanken, welche Folgen seine
geplante Tat haben könnte.

Mehrmals während der beschriebenen Zeit rückte der Beschwerdeführer von der
geplanten Tat ab, doch die Angst, nicht ohne Geld zu seiner Freundin
zurückkehren zu dürfen, stimmte ihn immer wieder um. Auffällig ist auch, dass
der Beschwerdeführer zur Zeit der obergerichtlichen Verhandlung wieder in
Untersuchungshaft war wegen Taten, zu denen ihn sein Arbeitgeber verleitet
haben soll, der in seinem Sanitärgeschäft gestohlenes Material verwende.

Angesichts der dargestellten Auffälligkeiten im Tatablauf sowie der Hinweise
auf eine zumindest unreife Persönlichkeit sind Zweifel an der vollen
Zurechnungsfähigkeit des Beschwerdeführers im Tatzeitpunkt nicht von der Hand
zu weisen, so dass hierüber ein Gutachten hätte angeordnet werden müssen
(Art. 13 StGB). Dies führt zur Aufhebung des angefochtenen Entscheids.

3.
Bei diesem Ausgang des Verfahrens ist das Gesuch des Beschwerdeführers um
unentgeltliche Rechtspflege gegenstandslos. Sein Rechtsvertreter ist
angemessen zu entschädigen. Eine Kostenauflage entfällt (Art. 278 Abs. 2 und
3 BStP).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Nichtigkeitsbeschwerde wird gutgeheissen, der Entscheid des Obergerichts
des Kantons Zürich vom 24. November 2005 aufgehoben und die Sache zur
Neubeurteilung an die Vorinstanz zurückgewiesen.

2.
Es werden keine Kosten erhoben.

3.
Der Rechtsvertreter des Beschwerdeführers wird für das bundesgerichtliche
Verfahren aus der Bundesgerichtskasse mit Fr. 2'000.-- entschädigt.

4.
Dieses Urteil wird dem Beschwerdeführer, der Oberstaatsanwaltschaft des
Kantons Zürich und dem Obergericht des Kantons Zürich, I. Strafkammer,
schriftlich mitgeteilt.

Lausanne, 17. August 2006

Im Namen des Kassationshofes
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident:  Der Gerichtsschreiber: