Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

Kassationshof in Strafsachen 6S.6/2006
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6S.6/2006 /sza

Urteil vom 6. Februar 2006
Kassationshof

Bundesrichter Schneider, Präsident,
Bundesrichter Wiprächtiger, Karlen,
Gerichtsschreiber Briw.

X. ________,
Beschwerdeführer, vertreten durch Rechtsanwältin Brigitta Vogt Stenz,

gegen

Staatsanwaltschaft des Kantons Aargau,
Frey-Herosé-Strasse 12, Wielandhaus, 5001 Aarau.

Verweigerung des bedingten Strafvollzugs,

Nichtigkeitsbeschwerde gegen das Urteil des Obergerichts des Kantons Aargau,
Strafgericht, 1. Kammer, vom 17. November 2005.

Sachverhalt:

A.
Das Bezirksgericht Kulm bestrafte am 10. November 1998 X.________ wegen
mehrfacher sexueller Handlungen mit Kindern sowie wegen Pornographie mit
einer bedingten Gefängnisstrafe von 18 Monaten, weil er mit einem acht- und
einem zehnjährigen Knaben sexuelle Handlungen vorgenommen hatte.

B.
X.________ beging während zirka 20 Monaten vom 1. Juli 2002 bis zum 18. März
2004 mit zwei Knaben (geb. 1997 und 1999) erneut mehrfach sexuelle
Handlungen. Diese bestanden insbesondere darin, dass sie einander ihre
Glieder zeigten. Einmal im Sommer 2002 fasste er den beiden Knaben an den
Penis.

Das Bezirksgericht Kulm verurteilte ihn deshalb am 29. März 2005 wegen
mehrfacher sexueller Handlungen mit Kindern (Art. 187 Ziff. 1 Abs. 1 StGB) zu
11 Monaten Gefängnis.

Das Obergericht des Kantons Aargau wies am 17. November 2005 seine Berufung
ab.

C.
X.________ erhebt Nichtigkeitsbeschwerde mit den Anträgen, das Urteil des
Obergerichts aufzuheben, die Sache zur Gewährung des bedingten Strafvollzugs
an dieses zurückzuweisen, der Beschwerde die aufschiebende Wirkung zu
erteilen und ihm für das bundesgerichtliche Verfahren die unentgeltliche
Rechtspflege zu bewilligen.

Das Obergericht verzichtet auf Gegenbemerkungen.

Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

1.
Der Beschwerdeführer rügt die Annahme einer ungünstigen Prognose durch die
Vorinstanz und damit eine Verletzung von Art. 41 Ziff. 1 StGB. Soweit er sich
dabei gegen die Würdigung des Gutachtens und die tatsächlichen Feststellungen
des Entscheides richtet, ist auf die Beschwerde nicht einzutreten (Art. 273
Abs. 1 lit. b BStP). Die Rüge hinsichtlich einer mündlichen Anhörung betrifft
verfahrensrechtliche und damit verfassungsmässige Rechte. Dafür bleibt die
staatsrechtliche Beschwerde vorbehalten (Art. 269 Abs. 2 BStP).

2.
Gemäss Art. 41 Ziff. 1 Abs. 1 StGB kann der Richter den Vollzug einer
Freiheitsstrafe von nicht mehr als 18 Monaten aufschieben, wenn Vorleben und
Charakter des Verurteilten erwarten lassen, er werde auch durch eine bedingt
vollziehbare Strafe von weiteren Delikten abgehalten. Das Gericht hat eine
Prognose über das zukünftige Verhalten des Täters zu stellen. Dabei steht ihm
ein erhebliches Ermessen zu. Die Gründe müssen im Urteil so wiedergegeben
sein, dass sich die richtige Anwendung des Bundesrechts überprüfen lässt. Das
Bundesgericht hebt einen Entscheid auf, wenn die Vorinstanz nicht von
rechtlich massgebenden Gesichtspunkten ausgegangen ist oder wenn sie
wesentliche Faktoren in Verletzung ihres Ermessens falsch gewichtet,
vernachlässigt oder ganz ausser Acht gelassen hat. Bei der Prüfung, ob der
Betroffene für ein dauerndes Wohlverhalten Gewähr bietet, sind alle
wesentlichen Umstände in ihrer Gesamtheit und nicht bloss isoliert von
einander zu würdigen. Um ein vollständiges Bild der Täterpersönlichkeit zu
erhalten, sind unter anderem die strafrechtliche Vorbelastung, die
Sozialisationsbiografie und das Arbeitsverhalten, das Bestehen sozialer
Bindungen sowie mögliche Hinweise auf Suchtgefährdungen zu untersuchen.
Massgebend sind die persönlichen Verhältnisse bis zum Zeitpunkt des
Entscheids (vgl. BGE 128 IV 193 E. 3a; Roland M. Schneider, Strafgesetzbuch
I, Basler Kommentar, Basel 2003, Art. 41 N. 67 ff.).

Die Vorinstanz verneint eine günstige Prognose. Sie verweist zunächst auf das
Urteil das Bezirksgerichts Kulm vom 10. November 1998 (oben Bst. A) und damit
auf den Rückfall rund 3 ½ Jahre nach dieser Verurteilung und führt aus, weder
dieses Strafverfahren noch die damals ausgestandene Untersuchungshaft seien
dem Beschwerdeführer eine Warnung gewesen und hätten ihn von erneuten
sexuellen Handlungen mit Kindern abhalten können. Gegen eine günstige
Prognose sprächen weiter die Tatumstände, nämlich das Handeln während
längerer Zeit und dass zwei Opfer betroffen gewesen seien. Der
Beschwerdeführer verharmlose sein Verhalten massiv und zeige keine Reue. Als
ungünstig zu werten seien ferner die mangelnde berufliche und soziale
Integration. Gegen eine Bewährung spreche überdies das Gutachten vom 8.
September 2004 (kantonale Akten, act. 43). Nach diesem bestehe eine grosse
Wahrscheinlichkeit von Rückfällen. Er gefährde die öffentliche Sicherheit. Es
gebe keine Behandlung, die ihn heilen könnte. Therapiebereitschaft und
Krankheitseinsicht seien nicht vorhanden.
Die Vorinstanz verletzt mit der Verweigerung des bedingten Strafvollzugs kein
Bundesrecht. Rückfall und fehlende Einsicht sprechen bereits deutlich gegen
eine gute Prognose. Hinzu kommt das Gutachten, dass eine Rückfallgefahr klar
bejaht. Aus der Tatsache, dass diese Rückfallgefahr wie auch die
Bagatellisierung, die fehlende Einsicht und die leicht verminderte
Zurechnungsfähigkeit (angefochtenes Urteil S. 11) mit der diagnostizierten
Pädophilie, der Persönlichkeitsstörung und der Minderbegabung zusammenhängen,
lässt sich entgegen der Beschwerde nichts für eine gute Prognose ableiten.
Hingegen führt der Beschwerdeführer gestützt auf das Gutachten zutreffend
aus, dass eine Rückfallgefahr durch Kontrolle und Hilfe bei der
Lebensbewältigung minimiert werden könnte. Diese sozialpädagogische
Einflussnahme kann jedoch zur Zeit eine Verringerung der Rückfallgefahr nicht
hinreichend gewährleisten (angefochtenes Urteil S. 16). Im Gutachten (S. 13)
wird denn auch trotz dieses Hinweises aufgrund mehrerer prognostisch
ungünstiger Faktoren die Wahrscheinlichkeit eines Rückfalls als gross
bezeichnet. An dieser ungünstigen Prognose vermögen auch die weiteren
Vorbringen des Beschwerdeführers nichts Entscheidendes zu ändern, nämlich
weder die Beurteilung des Bezirksgerichts, dass die strafbaren Handlungen "im
untersten Bereich der möglichen sexuellen Handlungen" einzureihen seien, noch
dass der Beschwerdeführer jetzt eine Invalidenrente bezieht oder dass die
Opfer keine Zivilforderungen gestellt haben. Nach den verbindlichen
tatsächlichen Feststellungen (Art. 277bis Abs. 1 BStP) kann entgegen den
Beschwerdevorbringen auch nicht von einer Therapiemotivation ausgegangen und
die persönliche Situation als stabil und gefestigt betrachtet werden.
Schliesslich ist festzustellen, dass die Vorinstanz zu Recht von dem neuen
Gutachten ausgeht, das in Kenntnis des früheren Gutachtens aus dem Jahre 1998
verfasst wurde.

3.
Die Beschwerde ist abzuweisen, soweit darauf einzutreten ist. Das Gesuch um
unentgeltliche Rechtspflege ist abzuweisen, weil die Rechtsbegehren
aussichtslos erschienen (Art. 152 OG). Entsprechend wird der Beschwerdeführer
kostenpflichtig (Art. 278 Abs. 1 BStP). Seinen finanziellen Verhältnissen
kann mit einer herabgesetzten Gerichtsgebühr Rechnung getragen werden.
Mit dem Entscheid in der Sache ist das Gesuch um aufschiebende Wirkung
gegenstandslos geworden.

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Nichtigkeitsbeschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist.

2.
Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege wird abgewiesen.

3.
Die Gerichtsgebühr von Fr. 800.-- wird dem Beschwerdeführer auferlegt.

4.
Dieses Urteil wird dem Beschwerdeführer, der Staatsanwaltschaft des Kantons
Aargau und dem Obergericht des Kantons Aargau, Strafgericht, 1. Kammer,
schriftlich mitgeteilt.

Lausanne, 6. Februar 2006

Im Namen des Kassationshofes
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident:  Der Gerichtsschreiber: