Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

Kassationshof in Strafsachen 6S.506/2006
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{T 0/2}
6S.506/2006 /rom

Urteil vom 16. Februar 2007
Kassationshof

Bundesrichter Schneider, Präsident,
Bundesrichter Wiprächtiger, Ferrari, Favre, Mathys,
Gerichtsschreiber Borner.

Expertenkommission für das Berufsgeheimnis in der medizinischen Forschung,
Bundesamt für Gesundheit, Abteilung Recht, 3003 Bern,
Beschwerdeführerin,

gegen

H.________,
Beschwerdegegner,
Oberstaatsanwaltschaft des Kantons Zürich, Postfach, 8090 Zürich.

Einstellungsverfügung; Verletzung des Forschungsgeheimnisses (Art. 321bis
StGB),

Nichtigkeitsbeschwerde gegen die Verfügung des Bezirksgerichts Zürich,
Einzelrichteramt für Zivil- und Strafsachen, vom 20. Juli 2006.

Sachverhalt:

A.
Am 18. Oktober 2004 reichte der Präsident der Expertenkommission für das
Berufsgeheimnis in der medizinischen Forschung bei der Staatsanwaltschaft des
Kantons Zürich (heute: Oberstaatsanwaltschaft) Strafanzeige gegen Dr.
H.________ wegen Verletzung des Forschungsgeheimnisses im Sinne von Art.
321bis StGB ein. Der Anzeige lag ein Bericht über Zwangsmassnahmen im
Sozialbereich der Stadt Zürich zugrunde, der von Dr. H.________ im Rahmen
eines Forschungsauftrages verfasst und im Jahre 2002 publiziert worden war.
Im Bericht seien Patientendaten unter Missachtung der Anonymisierungspflicht
veröffentlicht worden. Im Einzelnen ging es um Daten aus den Jahren 1932 bis
1953 aus der Krankengeschichte von E.________.

B.
Die Staatsanwaltschaft IV des Kantons Zürich stellte am 6. Juli 2005 die
Strafuntersuchung ein.

Einen Rekurs der Expertenkommission gegen diesen Entscheid wies der
Einzelrichter des Bezirksgerichts Zürich am 20. Juli 2006 ab.

C.
Die Expertenkommission führt Nichtigkeitsbeschwerde und beantragt, der
angefochtene Entscheid sei aufzuheben und die Sache zu neuer Entscheidung an
die Vorinstanz zurückzuweisen.

Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

1.
1.1 Das angefochtene Urteil ist vor dem Inkrafttreten des Bundesgesetzes vom
17. Juni 2005 über das Bundesgericht (Bundesgerichtsgesetz, BGG; SR 173.110)
am 1. Januar 2007 ergangen. Auf das Rechtsmittel dagegen ist noch das
bisherige Verfahrensrecht anwendbar (Art. 132 Abs. 1 BGG, e contrario), hier
somit dasjenige der eidgenössischen Nichtigkeitsbeschwerde nach Art. 268 ff.
BStP.
Am 1. Januar 2007 ist auch der revidierte Allgemeine Teil des
Strafgesetzbuches in Kraft getreten. Die neuen Bestimmungen sind hier aber
noch nicht von Bedeutung, da das Bundesgericht im Verfahren der
Nichtigkeitsbeschwerde nur prüft, ob das kantonale Gericht das eidgenössische
Recht richtig angewendet hat (Art. 269 Abs. 1 BStP), mithin das Recht,
welches im Zeitpunkt der Ausfällung des angefochtenen Urteils noch gegolten
hat (BGE 129 IV 49 E. 5.3 S. 51 f., mit Hinweisen).

1.2 Nachdem die Beschwerdeführerin geltend macht, sie sei zum Strafantrag
berechtigt, steht ihr das Recht zur Nichtigkeitsbeschwerde zu (Art. 270 lit.
f BStP).

2.
2.1 Die Vorinstanz stellt sich auf den Standpunkt, die Beschwerdeführerin bzw.
ihr Präsident sei nicht berechtigt, einen Strafantrag zu stellen. Auch der
durch einen Geheimnisträger im Sinne von Art. 321bis Abs. 1 StGB verübte
Geheimnisverrat könne nur auf Antrag des Berechtigten, d.h. des
Geheimnisherrn, verfolgt werden. Art. 321 StGB wolle es jedem Menschen
ermöglichen, Angehörige bestimmter Berufe als Vertrauenspersonen zu Rate zu
ziehen und sie zu diesem Zwecke vorbehaltlos über ihre Probleme zu
orientieren, ohne die Weitergabe solcher Informationen an andere Personen
befürchten zu müssen. Durch die Bestimmung von Art. 321bis Abs. 1 StGB werde
der Geheimnisschutz auf die Forschung im Bereich Medizin und
Gesundheitsschutz ausgedehnt. Die gesetzlichen Regeln würden mithin dem
Schutz der Privatsphäre des Einzelnen, vorliegend derjenigen von E.________
dienen.

Nach der bundesgerichtlichen Rechtsprechung seien Angehörige im Sinne von
Art. 28 Abs. 4 StGB befugt, Strafantrag wegen Delikten zu stellen, die nach
dem Tod des Betroffenen begangen wurden. Diese Ansicht lasse sich gemäss
Lehre und Rechtsprechung auch auf Art. 321 bzw. 321bis StGB übertragen. Dies
bedeute, dass nach dem Tod des Geheimnisherrn allenfalls Angehörige
strafantragsberechtigt wären, keineswegs aber die Beschwerdeführerin. Es
würde jeglicher Logik widersprechen, wenn nahe stehenden Verwandten im Sinne
einer Ausnahmeregelung in (zeitlich) eingeschränktem Masse eine
Strafantragsberechtigung zugestanden würde und andererseits einem Dritten,
wie der Beschwerdeführerin, selbst Jahrzehnte nach dem Tod des Betroffenen
noch eine solche zukäme. Auch die Tatsache, dass die Expertenkommission eine
Sonderbewilligung zur Einsichtnahme in die Patientendaten erteilt habe,
verschaffe ihr keine Verletztenstellung im Sinne von Art. 28 Abs. 1 StGB.
Ihre Aufgabe bestehe nicht darin, die Interessen der Betroffenen nach einer
allenfalls unerlaubten Bekanntgabe der Daten zu vertreten. Sie sei vielmehr
im Vorfeld dafür zuständig, dass einerseits entsprechende Daten an Dritte nur
weitergegeben würden, wenn die Bewilligungsauflagen bzw. -voraussetzungen
erfüllt sind. Andererseits habe sie allfällige Veröffentlichungen dieser
Daten zu verhindern, indem sie ihre Bewilligung mit Auflagen verbinde, die
beispielsweise eine Anonymisierung vorschreiben würden.

2.2 Die Beschwerdeführerin geht mit der Vorinstanz einig, dass es sich bei
der Verletzung des Forschungsgeheimnisses gemäss Art. 321bis StGB um ein
Antragsdelikt handelt. Für die durch Art. 321bis StGB ins Leben gerufene
Expertenkommission bzw. für ihren Präsidenten werde die Antragsberechtigung
in Art. 12 Abs. 3 VOBG ausdrücklich festgehalten. Sie bestehe "namentlich bei
Verdacht auf Verletzung des Arztgeheimnisses". Diese Bestimmung sei eine
analoge Regelung zu Art. 217 Abs. 2 StGB, welche für den Tatbestand der
Vernachlässigung von Unterhaltspflichten ebenfalls ein Antragsrecht für die
in der Sache befassten Behörden einführe. Das Antragsrecht der
Beschwerdeführerin sei gleich zu werten und finde sich in der VOBG. Diese
Verordnung konkretisiere und ergänze Art. 321bis StGB. Sie regle die
Organisation, Aufgaben, Rechte und Pflichten der Expertenkommission. Das
Antragsrecht sei somit hinreichend im Bundesrecht verankert. Nach der ratio
legis von Art. 321bis StGB könne sich die Antragsberechtigung der
Beschwerdeführerin nicht lediglich auf Verletzungen von Bewilligungsauflagen
und in der Folge allenfalls auf Verletzungen der beruflichen Schweigepflicht
gemäss Art. 35 des Bundesgesetzes über den Datenschutz (DSG) beschränken, wie
dies in der Verfügung der Vorinstanz dargelegt werde. Wenn die Forschung mit
besonders schützenswerten Daten aufgrund einer Behördenbewilligung anstatt
der Einwilligung des Betroffenen erfolgen könne, dann müsse die bewilligende
Behörde bei Verletzung der Schweigepflicht auch handeln, also Strafantrag
stellen können.

2.3 Nach Art. 321 Ziff. 1 Abs. 1 StGB macht sich u.a. ein Arzt der Verletzung
des Berufsgeheimnisses schuldig, wenn er ein Geheimnis offenbart, das ihm
infolge seines Berufes anvertraut worden ist, oder das er in dessen Ausübung
wahrgenommen hat.  Er ist nicht strafbar, wenn er das Geheimnis auf Grund
einer Einwilligung des Berechtigten oder einer auf Gesuch des Täters hin
erteilten schriftlichen Bewilligung der vorgesetzten Behörde oder
Aufsichtsbehörde offenbart (Ziff. 2).

Sofern eine Information zur Wahrung berechtigter Interessen notwendig ist und
die betroffene Person ihre Zustimmung verweigert, kann somit der Arzt bei der
zuständigen kantonalen Behörde die Entbindung vom Berufsgeheimnis beantragen.
Die Behörde hat darüber zu befinden, ob die Informationsinteressen höher zu
gewichten sind als die Geheimhaltungsinteressen der betroffenen Person. Im
ersteren Fall kann das Berufsgeheimnis aufgehoben werden. Art. 321bis Abs. 1
StGB, der mit dem Gesetz über den Datenschutz vom 19. Juni 1992 eingefügt
wurde, dehnt den Kreis der Geheimnisträger auf denjenigen aus, der durch
seine Tätigkeit für die Forschung im Bereich der Medizin oder des
Gesundheitswesens ein Berufsgeheimnis erfahren hat. Der Bundesgesetzgeber
wollte damit ermöglichen, gewisse Forschungsprojekte im Bereich der Medizin
oder des Gesundheitswesens mit medizinischen Daten auch ohne ausdrückliche
Zustimmung der betroffenen Person durchzuführen. Art. 321bis StGB sieht
hierfür ein Spezialverfahren vor. Die einzelnen Voraussetzungen sind in der
bundesrätlichen Verordnung vom 14. Juni 1993 über die Offenbarung des
Berufsgeheimnisses im Bereich der medizinischen Forschung aufgeführt (VOBG;
SR 235.154).
Wenn Art. 321bis Abs. 2 StGB vorsieht, derartige Berufsgeheimnisse dürften
offenbart werden, wenn eine Sachverständigenkommission dies bewilligt und der
Berechtigte nach Aufklärung über seine Rechte es nicht ausdrücklich untersagt
hat, so spricht nichts dafür, dass damit gleichzeitig der Bewilligungsbehörde
auch das Recht zur Stellung eines Strafantrages eingeräumt werden sollte.
Dies lässt sich entgegen der Auffassung der Beschwerdeführerin weder aus der
ratio legis von Art. 321bis StGB noch aus einer gesetzlichen Bestimmung
herleiten. Aufgabe der Sachverständigenkommission ist es, über Gesuche zur
Offenbarung des Berufsgeheimnisses im Sinne von Art. 321bis StGB zu
Forschungszwecken im Bereich der Medizin oder des Gesundheitswesens zu
entscheiden (Art. 1 VOBG).

Das Argument der Beschwerdeführerin, der Gesetzgeber habe die Kommission im
Bereich der von ihr bewilligten Forschung mit der Wahrung des Datenschutzes
beauftragt (sog. Bewilligungsforschung), ist nicht stichhaltig. Der Umstand,
dass die Forschung mit schützenswerten Daten infolge einer
Behördenbewilligung anstatt der Einwilligung durchgeführt wird, heisst nicht,
dass die bewilligende Behörde bei Verletzung der Schweigepflicht über die in
der Verordnung vorgesehene Strafanzeige hinaus auch Strafantrag stellen kann.
Es ist nicht erkennbar, inwiefern der Gesetzgeber die Bewilligungsbehörde im
Gegensatz zu Art. 321 StGB mit einer derartigen Kompetenz ausstatten wollte.
Andernfalls hätte er dies zum Ausdruck bringen müssen. Der Hinweis der
Beschwerdeführerin, wonach Art. 12 Abs. 3 VOBG eine analoge Regelung zu Art.
217 Abs. 2 StGB sei, ist verfehlt. Abgesehen davon, dass eine
Strafantragsberechtigung nicht alleine auf Verordnungsstufe geregelt werden
kann, zeigt gerade der angeführte Tatbestand der Vernachlässigung von
Unterhaltspflichten, dass der Gesetzgeber die Ausdehnung des
Strafantragsrechts für die in der Sache befasste Behörde ausdrücklich
statuiert. Im Übrigen spricht Art. 12 Abs. 3 VOBG nicht von Strafantrag,
sondern bloss von der Möglichkeit einer Strafanzeige, was nicht dasselbe ist.
Die Vorinstanz - auf deren zutreffende weitere Begründung verwiesen werden
kann - hat deshalb kein Bundesrecht verletzt, wenn sie die
Strafantragsberechtigung der Beschwerdeführerin verneinte.

3.
Damit erweist sich die Nichtigkeitsbeschwerde als unbegründet und ist
abzuweisen.

Die Beschwerdeführerin ist administrativ dem Eidgenössischen Departement des
Innern zugeordnet (Art. 5 Abs. 1 VOBG), weshalb es sich rechtfertigt, Art.
278 Abs. 2 BStP analog anzuwenden. Folglich sind keine Kosten zu erheben. Da
der Beschwerdegegner im bundesgerichtlichen Verfahren keine Umtriebe hatte,
entfällt eine Parteientschädigung.

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Nichtigkeitsbeschwerde wird abgewiesen.

2.
Es werden keine Kosten erhoben.

3.
Dieses Urteil wird den Parteien, der Oberstaatsanwaltschaft des Kantons
Zürich und dem Bezirksgericht Zürich, Einzelrichteramt für Zivil- und
Strafsachen, schriftlich mitgeteilt.

Lausanne, 16. Februar 2007

Im Namen des Kassationshofs
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident:  Der Gerichtsschreiber: